Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel

Zwei andere Pachthöfe, ganz in der Nachbarschaft des unsrigen, nannten sich auch die Waldhütte. Sie gehörten dem Herrn Réalmont, einem Kleinbürger, der vor den Toren des Marktfleckens Cremery ein sehr schönes einstöckiges Haus bewohnte, an dessen Vorderwand im Sommer Glyzinien und Jasmin blühten.

Den Besitz bewirtschafteten zwei Pächterfamilien, mit denen wir nicht allzu nahe Verbindungen pflegten.

Die Barois gefielen sich darin, recht kläglich und einfältig zu tun und waren stolz auf ihre Unwissenheit. Sie machten sich über meinen Vater lustig, der es liebte, über die Neuigkeiten, die die Zeitung brachte, zu reden.

»Hoho! verdammt noch mal, was gehen ihn die Angelegenheiten der Regierung an … Als wenn das für unsereinen etwas zu bedeuten hätte …« pflegten sie zu sagen.

Und die Goberts, mißtrauisch wie sie waren, glaubten noch an Hexen und überließen sich dem unglaublichsten wunderlichen Gehabe, um zu verhindern, daß ihr Vieh den Weideplatz verließ oder um ihr keimendes Korn vor den Schnecken zu schützen. Sie hatten eine unangenehme Art die Leute anzusehen, sie vom Kopf bis zu Füßen mit einem verdächtigen Blick zu messen, und dann waren sie auch eifersüchtig darauf, wenn sie zu den Barois oder zu uns kamen, daß unsere Ernte besser ausfiele als die ihre, oder daß unser Vieh im besseren Zustand wäre. Es gab ein Gerede über den Urahn des alten Gobert, über einen gewissen François, genannt »Franchi«, der ein großer Hexenmeister in der Familie gewesen sein sollte. Zu seiner Todesstunde hatte eine rätselhafte Eule sich auf seinen Betthimmel niedergelassen, von wo sie nicht eher entwichen sein sollte, bis der Leichnam aus dem Haus gebracht worden war, und man hatte dann acht Ochsen benötigt, um den Sarg fortzuschaffen.

Die Waldhütte war eigentlich, richtiger gesagt, ein Weiler. Danach kam noch hinzu, daß ein Hau, der einen Flächeninhalt von sechs Hektar umfaßte, auch diesen Namen trug. Er reichte von der Anhöhe von Baugignoux herab bis an die Wiesen, die die Ufer des Frigouzy umsäumten, welcher die natürliche Grenze zwischen Cremery, unserer Gemeinde und der Nachbarortschaft La Clayette bildete. Das äußerste Ende des Haues stieß an die Häuser der Gobert. Er gehörte übrigens demselben Herrn Réalmont.

Man beutete den Hau alle sechs Jahre zu einem Drittel aus. Der Winter, an dem ich mein achtzehntes Jahr erreicht hatte, war gerade ein Winter für den Hau. Einige zwanzig Tagelöhner beschäftigten sich von Dezember bis März damit, zu fällen, zu säubern, zu sägen und zu schichten. Sie kamen aus zwanzig hingekauerten elenden Hütten, die weitab zerstreut auf den Feldern von Baugignoux, La Clayette und Cremery lagen. Sie kamen auf unwirtlichen Wegen, wenn der erste bleiche Tagesschimmer das lastende Dunkel der langen Winternacht zerteilte, und selbst bei Regenzeit kamen sie, sich so gut es gehen wollte mit einem Sack schützend, den sich ein jeder wie eine Pelerine um seine Schultern legte. Auch durch die Schneewetter gingen sie, wo man bei jedem Schritt in irgendein verstecktes Loch versinkt, das ein verräterischer weißer Teppich verbirgt, und wo man sich bis an die Knie mit feuchtem Lehm besudelt. Viele von ihnen hatten eine gute Meile Wegs zu gehen, mancher selbst sechs oder sieben Kilometer. Den Tüchtigsten gelang es 25 Sous zu verdienen an Tagen, wo das Wetter gut war, die anderen überschritten nicht 15 bis 20 Sous.

Sie fühlten weder Zorn noch Auflehnung in sich. Sie ertrugen gleichmäßig ihr schweres Schicksal, wie etwas Unumgängliches, das man wohl guten Mutes hinnehmen muß, viele selbst bauten sich aus ihrem Verzicht eine Philosophie auf.

»Ah! mein Gott, wenn man nur Arbeit findet! Besser noch 20 Sous den Tag zu verdienen, als überhaupt nichts.«

Sie waren außerdem noch durch eine Zugabe in Natura begünstigt: sie trugen am Abend ein Bündel Dürrholz an einer Stange, die als Stiel für die Last diente, mit sich heim. Die Stange war aus frischem Holz und diente dazu, das Dürrholz über die Schulter zu tragen. Eine solche Last so weit zu schleppen, hieß weit mehr zahlen, als sie wert war. Nur daß die Mühe nicht mitrechnet …

Ich ging oft hin, die Holzfäller zu sehen. Einmal teilte ich mit ihnen selbst ihr Frühstück. An diesem Tag war Sturm. Der Wind blies voll Wut auf die hohen Wipfel ein, die er gewaltsam zauste und rüttelte, während er über die bloßgelegten Stellen hinwegfegte, wo nur das zum Schälen vorbehaltene Laßholz und einige »Neumodische« mit gewaltigen Stämmen zurückgeblieben waren, die älter noch als ein halbes Jahrhundert, schon zum drittenmal von der allgemeinen Verheerung verschont blieben. Dieser heftige Wind stemmte sich gegen die kleinen Reisigfeuer, die die Holzhauer im Schutze der aufgeschichteten Reihen von Holzstößen entzündet hatten. Sie hatten ein gutes Teil Mühe, ihre Suppe warm zu bekommen.

Mehr oder weniger heiß aßen sie sie indessen, dann verschlangen sie einen aus ihrem Sack oder aus ihrem Korb entnommenen Knaust zu schwarzen Brotes und ein Stück zu weißen Käses, womit ihre abwechslungsarme tägliche Ration erschöpft war. Ihre verquollenen, knotigen Finger schienen unfähig, ihre Nahrung zu fassen. Der Wind durchdrang ihre zerflickten, abgeschabten Kleider, so daß sie Kälteschauer schüttelten. Die Mehrzahl der Leute schritt beim Essen aus, um nicht vor Kälte steif zu werden. Dennoch fielen unter ihnen manchmal schwerfällige, breitgefügte Späße.

»Siehst du, bei dieser Diät hat man für sich nichts zu befürchten wegen schlechter Verdauung!« schrie mir ein sehr alter, sehr magerer, grauhaariger Arbeiter zu, der einen ganz ungepflegten Bart hatte.

Ein anderer, ein junger Mann mit einem offenen Gesicht und einem zarten blonden Bart und blauen ausdrucksvollen Augen, Henri Salmon aus Baugignoux, sagte mir darauf mit heller schneidender Stimme:

»Ja, mein Junge, das Elend ist nicht ganz bei den Reichen, laß dir das gesagt sein … Nur daß die Bedürftigen reichlich mehr als ihr Teil davon verdient haben, denn sie sind zu dumm!«

Und er zuckte die Schultern mit einem geheimnisvollen Lächeln. Sicherlich dachte er an Dinge, die seine Kameraden nicht einmal zu verstehen fähig waren und die er für den Augenblick lieber für sich behielt.

Ich ging in träumerisches Nachsinnen verloren durch die Stätte ihrer Arbeit davon, und das Geräusch, das unter meinen Pantinen entstand, die das welke Laub zerquetschten und die morschen Zweige zerbrachen, gesellte sich zum Lärm des gräßlich heulenden Windes, der da oben in den Ästen tobte.


 << zurück weiter >>