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18. Kapitel

Ein Dezemberabend bei mir in la Fayt …

Es sind jetzt vierzig Tage, daß wir da wohnen; wir fangen an, uns wohnlich zu fühlen: dieser Zeit hat es erst für uns bedurft … Es kommt einem zu Anfang komisch vor, sich in einer Behausung, die einem nicht heimisch ist, als Herr zu fühlen. Man ist beunruhigt von tausenderlei Sorgen, von denen man bis dahin frei gewesen ist, und ich möchte mich am liebsten in meiner neuen Rolle mit einem von der frischen Luft betäubten Genesenden vergleichen, der seinen ersten Ausgang unternimmt, oder besser noch mit einem jungen, noch zu schwachen Vogel, dessen Flugversuche unbeholfen und schwankend sind.

Die Eltern meiner Frau und auch die meinen haben nach Möglichkeit für eine gute Unterbringung hier gesorgt, und Germaine, meine kleine Schwägerin, wohnt jetzt bei uns, was uns gute Dienste tut: Jeanne, die immer von dem Baby in Anspruch genommen wird und dabei obendrein noch zart und erschöpft ist, wäre allein nicht imstande gewesen, mit allem fertig zu werden.

Es ist ein grämlicher, kalter Dezemberabend, an dem man sich in die Winternebel wie in ein Totenlaken eingewickelt fühlt. Meine Hände schmerzen mich, denn sie sind über und über mit blutigen Sprüngen bedeckt. Und etwas ärgerlich bin ich auch, daß ich mit so ungelenken Händen den ganzen Frühabend hindurch an mehreren syndikalistischen Briefen schreiben muß:

Schon vom Hof her höre ich den Kleinen schreien. Er muß wohl leidend sein, vielleicht kommen bei ihm die ersten Milchzähne durch. Man hatte ihn den ganzen Nachmittag auf dem Arm hin und her tragen müssen, ihm etwas vorsummend und ihn liebkosend, und immer hat er noch geweint.

Kaum bin ich zu Hause, da meldet mir schon Germaine, daß man für den Abend kein Holz mehr habe; die wenigen Stücke, die noch übrig sind, taugen nichts: sie sind zu hart und knorrig und kohlen ohne zu brennen. Ich gehe also in die Nacht hinaus bis an den Holzhaufen und gebe mir tausend Mühen, den nötigen Vorrat zu spalten und zu zerkleinern. Bei meiner Rückkehr erklärt mir Jeanne ganz von ungefähr, daß es wohl nötig sei die Butter zu machen. Sie rechnet natürlich darauf, daß wir beide, Germaine und ich, uns damit befassen.

Wozu protestieren? Ist es nicht nötig, daß man sich den Notwendigkeiten der Wirtschaft fügt? Endlich eine glückliche Ruhepause; ich nehme das beruhigte Kind auf den Schoß – das ist der Augenblick, wo ich ein wenig den Papa herauskehren kann – und wir zwei zusammen spielen Spiele, die ihm Spaß machen. Oh! die feine Reise im langsamen Trott, und jetzt im Trab, im Galopp, begleitet mit lustigen »hop! hop! la, la …«, die wahre Lachausbrüche aus ihm herauslocken während einiger Minuten. Die Mama jedoch muß sich ärgern: »Aber, du wirst ihn noch zuschanden machen! Schüttele ihn doch nicht so, den Kleinen …«

Suchen wir was anderes.

Wir nähern langsam unsere Köpfe einander und stoßen mit unseren Stirnen zusammen: »Papin, rufe!« … Die Hirten, die ihre Lämmer locken, rufen: »Papin«, und die Lämmer fordern sich auf diese Art zum Spiel heraus, um dann nach sehr langwierigen Vorbereitungen ebenso gegeneinander zu rennen. Wir ziehen uns zurück, um uns aufs neue ganz langsam wieder einander zu nähern, dieses Mal verlängern wir unsere Berührung: »Papin, rufe! rufe! rufe!« … Die kleine, weiße Stirn des noch unbewußten Köpfchens, in dem sich nur erst wie ein Schimmer regt, ist weich gegen die väterliche Stirn gelehnt, welche siebenundzwanzig Jahre unter freiem Himmel gebräunt haben …

Machen wir einen anderen Spaß … Man wird jetzt einander Küsse senden; man gibt fünf Sous, man sagt: »danke«, indem man das Händchen bewegt, dann »auf Wiedersehen«, oder aber man streckt sie hoch aus, diese Hand, die Fläche nach außen, bis hoch zum Gesicht, und man bewegt die Finger ganz emsig:

Und so tun, tun, tun
Unsere kleinen Marionetten …

Papa beginnt sein nur wenig abwechslungsreiches Repertoir von Liedern irgendwelcher Art, und die schwarzen Augen des Kleinen werden sehr wichtig; er setzt seine ganze Aufmerksamkeit auf die Worte, die eine Assonanz und einen Reim haben:

Während der Stunden, wo Reiche und Große
Ruhen in Seide und weichen Linnen,
Gehen wir anderen, gehn wir Verstoßenen
Zu ruhn im Wiegenlied der Sterne!

Worauf wir wieder im langsamen Trott uns aufmachen für eine lange Reise.

Aber Jeanne kommt, ihn jetzt wieder an sich zu nehmen:

»Geh doch jetzt die Suppe essen, du wirst ihn aufregen, er wird nicht schlafen wollen.«

Ich setze mich allein zu Tisch und habe in fünf Minuten mein bescheidenes Mittagessen erledigt.

Germaine gießt die Sahne in die dafür angewärmte Buttermaschine:

»Alles ist jetzt so weit fertig, Ihr könnt Euch jetzt an die Arbeit machen,« fordert sie mich auf. »Ich werd jetzt essen gehen.«

Die Buttermaschine hat die Gestalt von einem Eimer, der sich der ganzen Länge nach nach unten zu verengt. Eine Scheibe aus Holz, die an einem Stock befestigt ist, der aus dem Behälter durch ein Loch im Deckel herausragt, ist innen in die Sahne eingetaucht. Ich ergreife den kleinen harmlosen Griff, der mir bis an die Brust heranreicht, und fange an, ihn senkrecht auf und ab zu bewegen.

Flock, flock, flock, flock, singt innen die Scheibe in der dicken Flüssigkeit.

»Wenn es doch so kommen wollte, daß man nicht so lange buttern muß, wie das letzte Mal!« wünscht sich Germaine. »Sonst wär das für den ganzen Abend.«

Und Jeanne, die Mutter Jeanne, damit beschäftigt, den kleinen Maurice einzuschläfern, indem sie ihm die Brust gibt, prophezeit:

»Wir können uns darauf gefaßt machen … um diese Jahreszeit ist das immer das gleiche damit, besonders noch, wenn man so alte Kühe hat wie wir.«

Ich denke nicht ohne Bitterkeit:

»Um wieviel Uhr werde ich Ruhe haben und mich an meine Arbeit setzen können?«

Aber ich behalte das für mich. Warum das erst sagen? Man würde mich doch nicht bedauern.

Ich handhabe den Stempel mit Wucht und mit einer wahren Wut … Ah! sie werden sich teilen müssen, diese gelben und fetten Teilchen! Die Wirkung wird der Gewalt gefügig sein, und ich würde dann von der Arbeit befreit sein.

Aber kein günstiges Zeichen macht sich noch bemerkbar, während meine Arme doch schon ermüden.

»Mach es doch sachter,« sagt Jeanne, »du wirst mir nur den Kleinen wieder aufwecken … Außerdem verspritzest du die ganze Sahne. Da hast du es, sieh mal, die ganzen Fliesen sind voll und deine Hose auch – natürlich, als wenn keine Schürze zum Umbinden da wäre.«

Ich fange gehorsam an in einem mäßigeren Takt wieder zu buttern, inzwischen beeilt sich Germaine mich abzulösen:

»Jetzt bin ich wieder an der Reihe! ruh dich jetzt mal aus.«

Um keine Zeit zu verlieren, bringe ich mein Schreibzeug, breite es auf dem abgeräumten Tisch aus und fange an, die Briefe durchzulesen, auf die ich antworten muß, und kritzele mir eine Art Konzept dafür zurecht. Und ich sage vor mich hin, als müßte ich einen Stoßseufzer los werden:

»Wenn nur bloß nicht einer heute Abend kommt!«

»Bei uns kann man das nicht erwarten, daß man zur Ruhe kommt«, stichelt Jeanne.

Und sie tut es mit besonderer Schärfe, weil sie keine Gelegenheit vorübergehen läßt, ohne mich zu ärgern wegen der Ungelegenheiten, die ihr aus meinem Apostelamt kommen.

Das eintönige weiche Geräusch der Scheibe, die innen im Butterfaß auf und ab stößt, ermüdet einen zuletzt wie ein Alp; man möchte um Gnade bitten und die ganze Sitzung weit weg wünschen … Man möchte, aber man tut es nicht. Man muß es in einem Zug fertig machen; alle allmählichen Verwandlungen durchmachen. Die Flüssigkeit anschwellen sehen, als wollte sie ganz dick werden, um dann wieder zusammenzuschrumpfen wie ein geplatzter Luftballon, darauf einen leichten Schaum zu bilden, der von kleinen Klümpchen durchmischt ist: – man pflegt dann zu sagen, daß es jetzt das Geld anlockt, das Geld der Frauen aus dem Marktflecken und dem Städtchen, die kommen werden, um die appetitlichen Wecken in den mit weißem Leinen ausgelegten Körben zu betasten; endlich fühlt man sie sich bilden, die festen, gestaltannehmenden Teilchen.

Die Uhr war mittlerweile acht geworden, als einer mit dem Stockende den Achtuhrschlag gegen die Tür klopfte, einen Augenblick darauf tauchte das Musketiergesicht von Charles Hervaux mit seinem kampfmutigen Schnurrbart im Rahmen der Tür auf. Inzwischen hatte Jeanne doch noch Zeit gefunden, die Achseln zu zucken mit einem: »O, das auch noch …«, voll größter Unzufriedenheit. Und ich hätte mich am liebsten in die Lippen beißen können, um mich nicht durch einen gehässigen Ausdruck zu erleichtern gegenüber diesem vermaledeiten Störenfried … Nur Germaine war die einzige, die keinen Ärger bekundete: der Besuch kam ihr sicherlich nicht so ungelegen! Sie entschuldigte sich bei dem Eintretenden:

»Ihr findet das Haus in einem schönen Zustand; ich hab warten wollen, bis es mit der Butter anschlug, eher wollte ich nicht fegen … Wenn ich aber gewußt hätte …«

Im Hintergrund des Raumes, in der Nähe des großen Familienbettes, zürnte Maurice, den der Lärm geweckt hatte, in seiner Wiege. Es dauerte eine lange Weile, bis er wieder einschlief.

Und so kamen viele andere Abende im Laufe des Winters, die diesem ähnlich waren.


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