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12. Kapitel

Ein Brief von Vetter Eduard.

 

Carivanne, den … April 19..

Lieber Vetter!

Ich benutze einen freien Augenblick, Dir diese paar Worte zu schreiben, um Dir einmal eine Nachricht von mir zukommen zu lassen und in der Hoffnung, dadurch das Vergnügen zu haben, etwas von Dir zu hören.

Bei mir geht alles wie auf Rädern. Ich bin, wie man so sagt, in der Morgenröte eines neuen Lebens, weil ich nun schon im sechsten Monat einen Laden auf eigene Rechnung führe und seit drei Monaten verheiratet bin. Also, weißt Du, ich wünsche mir nur eine Sache, daß das so weiter fort geht wie jetzt. Die Kundschaft wächst, ich habe einen Gehilfen und einen Lehrling, und an den Haupttagen kann man dem Geschäft doch nicht zur Genüge nachkommen. Was aber meine kleine Frau anbetrifft, so bin ich ganz und gar zufrieden mit ihr, wir lieben uns, weißt Du, genau so, wie am ersten Tage.

Und Du, Marcel, alter Bursche, man sagt mir, daß Du drauflos gehst und daß sich aus Dir ein politischer Schriftsteller macht, ein Volksredner sollst Du sein, ein radikaler Syndikalist, ein Revolutionär und Aufwiegler usw. usw.; die Empörung sollst Du in die Herzen der Bauern aussäen, und die Bourgeois von Baugignoux, Cremery und von anderwärts sollen ganz außer sich sein.

Das hat mich gehörig überrascht, das kannst Du mir glauben, weil Du doch ehedem ganz und gar ruhig und friedsam warst; wenn ich mir mal den Spaß machte. Dir umstürzlerische Ideen auseinander zu setzen, schienst Du mir immer davon etwas erschrocken zu sein. Das erste Mal als ich Dir anarchistische Drucksachen zuschickte, schimpftest Du mich selbst aus und behauptetest, daß es nicht erlaubt sein dürfte, etwas Derartiges zu schreiben. Weißt Du es noch?

Na also, von dieser Zeit her sind wir unseren Weg in entgegengesetzter Richtung gegangen, Du, der Du von allem nichts wissen wolltest, bist jetzt bereit zu glauben, daß es so weit gekommen ist. Und ich, der ich auf all solches Zeug anbiß, ich kann Dir sagen, daß ich ganz und gar davon abgekommen bin. Hör mal zu, ich will Dir damit nicht wehe tun, aber ich finde jetzt, daß diese Geschichten gut sind, wenn man jung ist, und im Grunde, mein ich, sind es doch nur Dummheiten und Sachen, die nicht verwirklicht werden können, denn im Leben bringt sich doch jeder auf eigene Faust vorwärts so gut wie er nur kann, und das ist doch sicherlich noch das Beste.

Weißt Du auch, daß die Leute in der Stadt, die an der Spitze von solchen Syndikaten stehen, meist Schlauköpfe sind, die hoffen, ihr Scherflein bei dem Spiel abzukriegen? Was die Arbeiter anbetrifft, so können diejenigen, die arbeitsam sind und sich gut schicken, schon in ihrem Lebensunterhalt vorwärts kommen, aber es gibt ja auch grad genug solche, die faul und roh sind.

Im übrigen, wo ich selber Meister bin, verstehe ich auch, daß die Meister, die die Verantwortlichkeit und die Verpflichtungen haben, gezwungen sind, ihre Sachen von einem anderen Standpunkt aus zu beurteilen als die Arbeiter, selbst die, die nur darauf ausgehen, so viel sie nur können zu verdienen, um so wenig wie möglich dabei zu arbeiten.

Unter den Bauern ist es damit vielleicht anders, aber ich wollte Dir das sagen, damit Du darüber nachdenkst, denn ich befürchte, daß Du Dich da zu sehr hineinlegst und daß Du dabei Schaden nimmst, ohne daß es Dir gelingen wird, das Glück der anderen zu begründen. Wenn Du zum Beispiel durch diese Geschichten die Stelle eines Deputierten gewinnen könntest, dann nur los: Ich würde dann sagen, daß Du ein Schlaukopf bist.

Na, sagen wir gut Glück bis dahin. Wenn die Gelegenheit sich macht, daß Du nach Carivanne kommst, versäume nicht, uns aufzusuchen. Vielleicht bringe ich Euch mal in diesem Sommer meine Frau mit, wenn wir loskommen können. Ich fang mir dann im Frigouzy einen guten Barschbraten und ein paar Gründlinge. Das soll mich fünfzehn Jahre jünger machen.

Auf Wiedersehen, mein Alter, sage Deinen Eltern, daß ich sie grüßen lasse und empfehle mich Deiner Frau. Apropos, auf wann ist denn die Taufe festgesetzt? Verfehl es nicht mir zu schreiben und mir dieses mitzuteilen.

Dein Vetter
Eduard Fillot
Friseur-Geschäft, 52, rue de la Liberté


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