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20. Kapitel

Wenn man das sozusagen eine traurige Heimkehr nennen wollte, na ja, das war denn wohl eine traurige Heimkehr! Aber man muß wohl die Sache der Reihe nach erzählen.

Signoret aus la Clavière erwarb in Übereinstimmung mit seinem Herrn, dem Besitzer Réalmont, auf dem Rosenmontagsmarkt in Carivanne einen großartigen dreijährigen Bullen. Er hat zu Hause einen gleich großen. An Stelle der zwei Ochsen, die ihm für die Frühlingsarbeit unumgänglich nötig sind, wird er sich einfach diese zwei Jungtiere aufziehen.

Signoret frühstückt rechtzeitig in irgendwelcher Garküche und macht sich Schlag zwölf wieder auf den Weg, seinen zukünftigen Ochsen vor sich hertreibend, den er von Zeit zu Zeit etwas mit dem Stachel sticht, um ihn zur Eile zu bewegen. Die Landstraße zieht sich weit hin, der Himmel ist grau und bewölkt, der Wind weht, aber Signoret raucht philosophisch seine große Pfeife aus Heidewurz und trotzt den Beschwerden der Wanderung.

Als er soeben den Flecken Anlezey hinter sich zurückgelassen hat, an der Stelle, wo die mit Ulmen umsäumte Landstraße so gerade vorweggeht, daß man sie sich wie ein graues Band wohl an die drei Kilometer ausdehnen sieht, hört er plötzlich ein Automobil in einer unsinnigen Fahrt hinter sich drauflosrasen. Er versucht nun also vom Fleck weg sein Tier beiseite zu drängen, aber dem Auto gefällt es, seine Hupe hören zu lassen:

»Pum! pum! pum! pum!«

Das ist ein unbekannter Laut für den jungen Bullen, der sicherlich irgendwo in der Wildnis, auf irgendeinem weltverlorenen Weideplatz, weitab von den großen Heerstraßen und jeglicher Zivilisation, aufgezogen worden ist. Er fängt also darauf an, ganz erschrocken zu rennen, und der Mann hat nichts Eiligeres zu tun, als sich an seine Verfolgung zu machen.

Die Bourgeois im Auto beginnen ein Interesse an der Sache zu fassen und amüsieren sich. Sicher hat ein allzu reichliches Frühstück sein Teil zu der Heiterkeit beigetragen. Am Ort des Geschehens angekommen, verlangsamen sie die Fahrt und befleißigen sich wütender und langgedehnter Warnungssignale.

»Puuum! … Puuum!«

Immer wieder, vier bis fünfmal hintereinander.

Und das Tier, dessen Angst nur noch anwächst, kann nichts anderes tun, als um so besser zu rennen; und der Mann rast atemlos hinterdrein, daß ihm die Ohren klingen, während ein unsagbarer Zorn ihn würgt, hören zu müssen, wie die beleidigenden Lachausbrüche der Nichtswürdigen den Lärm des Teufelsinstruments übertönen …

Da beginnt sich aber die Sache zu verwickeln. Links taucht ein Querweg auf, in den der Stier sich hineinzustürzen den guten Gedanken hat. Ein Schienenweg, der parallel mit der Landstraße läuft, durchschneidet diesen Querweg in der Entfernung von etwa zwanzig Metern. Und das zu Tode abgemattete Tier stürzt gerade mitten auf dem Übergang zu Boden. Seine Flanken fliegen, die Zunge hängt zum Halse hinaus; Ströme schaumigen Speichels fließen ihm aus dem Maul, es keucht nur und liegt über und über in Schweiß gebadet willenlos da und zittert am ganzen Leib wie Espenlaub. Signoret schreit, schlägt auf den Bullen ein, gebärdet sich wie toll, ohne jedoch zu erreichen, daß das Tier auf die Beine kommt. In der Ferne auf der Landstraße fliegt der leichte Automobilwagen davon.

Um das Maß des Unglücks voll zu machen, naht jetzt der Zug, der um zwei Uhr von Carivanne abgeht. Signoret stürzt auf die Schienen, schwenkt mit verzweiflungsvollen Gebärden seinen Hut und sein Taschentuch, die er mit den Fingerspitzen fest umkrallt hält, und erreicht es schließlich, sich dem Maschinisten bemerkbar zu machen, der die Fahrt verlangsamt und sodann den Zug einige Schritte vor ihm zum Stehen bringt. Er steigt ab, desgleichen der Heizer, der Zugführer und der Bremser, und alle machen sich alsogleich heran, mit Erfolg übrigens, das Tier, das sich ganz verfangen hat, wieder hoch zu kriegen.

Jetzt konnte sich also der Bauer, wenn auch nur Schritt für Schritt, wieder auf den Weg machen, aber er war in Schweiß gebadet, und bei jedem Windzug fühlte er das Hemd über seinen Leib sich eisig legen … Da er sich nun in Fresnois ausruhte, bestellte er einen Schoppen heißen Weins, den er sich in einem Zug hinuntergoß; diese Vorsicht war vielleicht der Grund, daß er sich nur mit einem gehörigen Schnupfen und einem bösen Halsschmerz aus der Sache zog.

Wenige Tage danach erfährt er, daß seine Verfolger niemand anders als die beiden nur allzu berüchtigten Hauptpächter von La Clayette, Auburtin und Duranton, waren; Auburtin hatte sich gerade den Wagen gekauft, er war erst auf seiner dritten Ausfahrt, und dazu mußte man doch, zum Teufel, in seinem Neulingsenthusiasmus sich irgendeinen Knalleffekt leisten.

Mein Vater machte mir den Vorschlag, mir die Wut von Signoret zunutze zu machen, um ihn zu bestimmen, sich in das Syndikat eintragen zu lassen, aber die Mühe war umsonst. Er blieb wie vorher abgeneigt.

Eine andere Geschichte. Ich war nun also auch zu diesem Markt am Rosenmontag nach Carivanne gegangen, in der Hoffnung, mir eine gute Arbeitskuh zu kaufen, wenn ich eine finden könnte. Aber die Kühe, die etwas taugten, waren selten und teuer, und ich enthielt mich des Kaufes.

Mein Vetter Eduard Fillot behielt mich zum Frühstück da. Er mißfiel mir durch seinen zynischen Egoismus und durch die Art der kleinen Meister, die überzeugt sind, mit allem, was sie sagen, durchdringen zu müssen. Auch in bezug auf meine Sache versuchte er das, was in allem nur die brutale Bestätigung seines Briefes war, den er mir im April geschrieben hatte. Er verleugnet seine früheren Ansichten, entzückt darüber, keine anderen Ideale mehr zu haben als dasjenige, seinen Weg so gut wie möglich zu machen, ohne sich um den Rest zu kümmern; er gibt mir den Rat, die Gelegenheit zu nützen und danach zu streben, mich als Deputierter wählen zu lassen oder irgendeine andere Sinekure zu erlangen; sein dringender Rat ist, ich möchte nicht als ein Dummkopf, sondern als ein Schlaumeier handeln … Im ganzen genommen sind es die Ansichten von Alfred Laporte, nur noch unangenehmer, weil sie in einem überzeugungsvoll sein sollenden und gewichtigen Ton zum besten gegeben werden, der keinen Widerspruch zuläßt. Und das alles wird von einem Menschen ausgesprochen, der sich ehemals rühmte, viel zu lesen und bewußter Umstürzler zu sein. Laporte hatte zum mindesten nie andere Ansprüche erhoben, als ein fröhlicher Kamerad zu sein, für den die höhere Weisheit darin bestand, über alles zu lachen … Er blieb sich treu, während der andere …

Ich kehrte mit dem Fünf-Uhr-Zug zurück. Der Zufall ließ mich auf dem Bahnhof Descombes von der Rifarderie treffen. Wir setzten uns in einen Abteil, in dem schon zwei andere Bauern, die wir nicht kannten, sich niedergelassen hatten. Im letzten Augenblick kamen zwei Bourgeois und zwei Kaufleute aus dem Kreis Monthiel hinzu und besetzten die vier Plätze, die noch zur Verfügung standen.

Diese letzten Hinzugekommenen hatten einen solchen Ausdruck von Wichtigkeit, als ob ihnen von Rechts wegen zum mindesten der ganze Abteil allein gehört haben müßte. Die erste Regung, die uns Bauern in Gegenwart dieser bemerkenswerten Persönlichkeiten kam, war, uns recht bescheiden und klein zusammenzuschieben, wie um zu bitten, daß man unsere Gegenwart gütigst entschuldigen möge. Indessen muß ich in bezug auf mich sagen, daß ich nicht zögerte, mich wieder zusammenzunehmen und darauf breitspurig meinen Platz zu behaupten, wie einer, der seine wohlerstandene Fahrkarte in der Tasche hat und darum nichts zu fürchten braucht, von wem es auch sei.

Descombes neben mir regte sich sichtlich auf, ich sah wie sich von Zeit zu Zeit die Muskeln seines mageren, trotzigen Gesichtes zusammenzogen. Sicherlich juckte ihm die Zunge und er begann endlich mir ganz leise ins Ohr zu flüstern:

»Du siehst wohl den da von den zwei Bourgeois, mit dem weißen Backenbart, der ein Fell wie eine lockige Ziege hat, den kenn ich: das ist Herr Ducroux von Monthiel. Wie ich noch Junge war, hatten wir Geschäftliches mit seinem Vater, und gespielt haben wir auch oft zusammen. Aber er kennt mich sicherlich nicht wieder.«

Fünf Minuten später erlaubte ein Streit, der unter den Herren entstanden war bezüglich der Preise von Mastochsen, meinem Nachbar sich hineinzumischen und dazu sich gerade an denjenigen Herrn mit dem weißen Backenbart zu wenden, der den anderen gegenüber behauptete, daß auch Verkäufe über fünfundvierzig Cents das Pfund stattgefunden hätten.

Descombes, der sich auf diese Weise in die Unterhaltung der Reichen hineingedrängt hatte, beabsichtigte nun auch dabeizubleiben. Er fuhr also fort hier und da sein Wort mit hineinzugeben, nicht ohne dabei gelegentlich albern zu wirken. Und zum Schluß, als ein Schweigen entstanden war, ging er auf sein Ziel los:

»Ich wette, daß Ihr mich nicht unterzubringen wißt, Herr Ducroux … Früher haben wir aber oftmals gute Streiche zusammen ausgeführt. Mein Vater war Pachtbauer bei Ihrem seligen Vater … Und ich bin in der Frelandière aufgewachsen … Sie waren gar nicht stolz und oft kamen Sie, mich aufzusuchen … Warten Sie mal, da entsinn ich mich recht wohl, wie Ihr einmal mitten in der Erntezeit, mit einer Peitsche ausgerüstet, angekommen seid und es Euch in den Kopf gekommen ist, mich, indem Ihr über die Garben weggesprungen seid, zu verfolgen. Ihr ließt mir drei Garben Vorsprung, als es losgehen sollte, und ich hab es eilig gehabt, mir Beine zu machen. Aber Ihr waret doch weit geschmeidiger als ich, und was die Hauptsache ist, habt Ihr auch längere Beine gehabt. Kurzum, es hat nicht lange gedauert, daß Ihr mich eingeholt habt, und ich bekam – willst du welche, da hast du welche – eine Tracht derbe auf die Schenkel, Waden und auf den Hintersten, die haben aber gesessen, die Hiebe! … Ah! Sie konnten sich was drauf einbilden! Ganz blau war ich am Abend danach … Das schadet aber weiter nichts, man hat sich fein dabei amüsiert! Die ist jetzt weit hin, diese schöne Zeit, was Herr Ducroux? Jetzt kommt man in die alten Jahre hinein …«

Man hätte den strahlenden Gesichtsausdruck sehen müssen, mit dem Descombes seine Erinnerungen zum besten gab! Welchen Stolz er zur Schau trug, von einem Bourgeois durchgepeitscht worden zu sein!

Und dabei war das derselbe Mensch, der zwei Jahre vorher im Restaurant des Eisenbahnhotels in Baugignoux so auf mich eingedrungen war, ein Syndikat zu gründen, und der dazu noch großartig seine zwanzig Franken aus eigener Tasche geholt hatte, um sie mir für meine Broschüre anzubieten!

Was war da zu hoffen von Leuten, die eine so große Unkenntnis des einfachsten Würdegefühls hatten? Nichts als Hampelmänner waren das, die nur manchmal den Anschein hatten, als wollten sie aufbegehren, um sich nachher bis zu solchen Plattheiten gehen zu lassen gegen diejenigen, von denen sie sich versprachen, besondere Vorteile herausziehen zu können? Sollte am Ende diese erwünschte Erhebung des gesamten Bauernstandes, welche ich ersehnte, doch vielleicht nichts als ein Trugbild sein?

Sie amüsierten sich dabei unbändig, diese vier reichen Herren; es machte ihnen Spaß, meinen einfältigen Genossen zum besten zu halten.

»Die Fersen tun Euch wohl nicht mehr weh, zum mindesten, he?«

»Wenn es sonst nichts weiter ist, als so eine kleine Geschichte in der Jugendzeit, das macht die Glieder geschmeidig!«

Er antwortete darauf mit dem gleichen Ausdruck dummer Zufriedenheit, dann sah er auf die beiden sich still verhaltenden Landarbeiter und sah darauf mich selber an mit einer Art, die uns zu verstehen geben sollte, daß er keine Furcht hatte, er, der Pachtbauer Descombes, sich mit den Bourgeois zu unterhalten. Ich hätte ihn ohrfeigen können … Ducroux schien sich schließlich auch unbehaglich zu fühlen bei dem Gerede dieses Tölpels.

Ich brauchte bei dieser Reise keinen Lungenschlag zu riskieren wie der arme Signoret, aber ebensogut wie er behielt ich von diesem Markttag eine lästige, ja geradezu widerwärtige Erinnerung. Ich hatte wenigstens noch Glück dabei gehabt, daß man mich nicht erkannt hatte, da Monthiel nicht zu meinem Propagandabezirk gehörte.

Was war das aber dessenungeachtet für eine kalte Dusche für meine Illusionen gewesen, kalt war sie, wahrhaftig!


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