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3. Kapitel

Zwei reiche Besitzer, die man hierzulande nie zu sehen bekam, besaßen zwei Drittel der Gemeinde La Clayette, von der wir durch den Frigouzy getrennt waren.

Ein Dreiblatt wohlhabender Pächter hatte ihre Besitzungen in Pacht genommen, die sie dann als Pachthöfe bewirtschaften ließen, nach dem System, das in der Gegend am beliebtesten war. Sie machten es in der Art schlimmer Geschäftsleute, die es verstehen, den unter ihre Obwaltung gesetzten Ländereien so viel Gewinn wie nur irgend möglich abzupressen. Obgleich der eine ein ehemaliger Arbeiter gewesen war und die anderen Söhne von Arbeitern, waren sie eifrigst bemüht, sich zu Bourgeois zu machen und betrachteten die Arbeit als das Los einer niedrigeren Klasse, die die Pflicht und Schuldigkeit hat, ohne Lebensannehmlichkeiten zu leben und zu leiden und dabei nicht aufmurren darf, und das alles einzig und allein nur ihren Arbeitgebern zum Nutzen.

Einer von ihnen, Camille Auburtin, obgleich er ebenfalls der Sohn eines Pachtbauers war, hatte sich schon recht frühzeitig einen nicht schönen Ruf von Härte, Herrschsucht und selbst Rücksichtslosigkeit erworben.

Eine Klausel im Kontrakt mit seinen Pächtern untersagte diesen, sei es Milch oder Butter zu verkaufen, da die ganze Muttermilch den jungen Kälbern, die man zur Aufzucht behielt, ausschließlich zugute kommen sollte. Jede nachgewiesene Übertretung dieser Art gab die Berechtigung zu einer Strafe von 50 Franken.

Die Geschichte, die hier folgt, knüpft in ihren Einzelheiten an diese Bedingungen an.

An einem Septembernachmittag geht Herr Aubertin in Begleitung seines Schwagers, eines sechzehnjährigen Gymnasiasten, der bei ihm einen Teil seiner Ferien verbringt, spazieren. Sie machen einen großen Inspektionsgang durch ihre Besitzungen. Die Sonne brennt, die Luft ist drückend; der Junge klagt über Durst. Ein Gehöft ist in Sicht.

»Ich hätte wohl Lust«, sagt er, »die Bäuerin um eine Schale Milch zu bitten.«

»Wer hindert dich daran?« gibt Aubertin zurück. »Geh nur schnell, ich ruh mich indessen da aus.«

Und er macht es sich im Schatten bequem.

Mutter Renard, die Pächterin des Liandais, empfängt den jungen Ankömmling, ohne über sein Kommen besonders entzückt zu sein.

»Wir verkaufen keine Milch, es ist uns verboten, im übrigen haben wir keine.«

»Pah! ihr werdet schon etwas herauswirtschaften für euch zum mindesten, mein ich. Seid doch so gut, verkauft mir nur eine Schale!«

»Nein, das kann uns Unannehmlichkeiten einbringen …«

»Macht doch zu; ihr habt deswegen nichts zu befürchten: ich bin ja der Schwager eures Herrn, wir gehen zusammen spazieren, er selber hat mich geschickt.«

Und Mutter Renard sagt darauf überrascht:

»Wirklich, Ihr seht der Frau Auburtin recht ähnlich.«

Schließlich entschließt sie sich, weil er noch immer darauf besteht, ihm die gewünschte Schale frischer Milch zu bringen. Um aber den Fehler gutzumachen und damit zu zeigen, daß es kein Kauf sei, schlägt sie es ab, die mindeste Vergütung anzunehmen.

Ein Kind von drei oder vier Jahren, der Enkel der Bäuerin, richtet auf dem Hof Pyramiden aus Kieselsteinen auf. Der junge Mann winkt es heran, schiebt zwei Sous in seine Hand und geht, sich dabei vielmals bedankend, davon.

Zwei Monate danach, am Sankt Martinstag, der als landwirtschaftlicher Jahresschluß gilt, bringen Herr Aubertin und der Pächter Renard ihre Geldangelegenheiten für das verstrichene Wirtschaftsjahr in Ordnung. Da teilt der Obengenannte dem bestürzten Bauer grob mit:

»Eure Frau hat an dem und dem Tag Milch verkauft. Dafür lege ich Euch eine Strafe von 50 Franken auf, wie es in der Abmachung steht.«

Die Gesamteinnahme belief sich auf 2600 Franken. Der Pächter sollte gerade ein Viertel der Summe ausbezahlt bekommen, da die landwirtschaftlichen Abgaben Ein Jahresbeitrag, den man durch den Vertrag festsetzt und mit dem der Pachtbauer belastet wird, um eine Verzinsung der Kapitalanlage des Inhabers auszugleichen und für die Vorteile als Vergütung zu dienen, die Hausbenutzung, Garten usw. gewähren und die dem Pächter allein zur Verfügung stehen., mit denen er belegt war, seinen Anteil halbierten. Er bekam nur 600 Franken.

Diese Neuigkeit macht die Runde und dringt bis zur Waldhütte vor.

Ich konnte mich nicht mehr halten und mit der vollen Zustimmung meines Vaters schrieb ich den genauen Bericht dieser Geschehnisse auf, und als Titel gab ich noch dazu: »Die schöne Handlungsweise eines reichen Pächters!« Ich sandte es an unsere Zeitung, den »Aufklärer von Carivanne«.

»Der Aufklärer« vertrat die politisch radikale Partei und befaßte sich damit, die Missetaten der reichen Pächter zu verkünden, die ihrer Neigung nach und um den Grundbesitzern zu gefallen, sich sehr konservativ anstellten. Meine sicherlich leidlich sachliche Fassung der Angelegenheit wurde ohne Änderung veröffentlicht.

»Höre mal,« hatte mein Vater gesagt, »wenn du es fertig bringst, das drucken zu lassen, setz ich hundert Sous dran, um die Zeitung an alle Landleute im Umkreis zu schicken.«

So geschah es denn auch. Ich schickte das Geld und die Adressen, und hundert Nummern des »Aufklärers« verstreuten sich über die Pachthöfe von La Clayette, Cremery und Baugignoux. Ohne daß ein Name genannt worden war, hatte ich Auburtin genügend deutlich gezeichnet, so daß niemand ihn verkennen konnte. Es gab gegen den anmaßenden Ausbeuter, der solcher Handlungen fähig war, eine starke Aufwallung von empörtem Widerspruch; einstimmige Beschuldigungen und tadelnde Mißbilligungen wurden laut.

Und das nicht nur von seiten der Bauern …

Zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Aufsatzes konnte man auf dem großen Januarmarkt in Baugignoux im »Café de Commerce« diesen bösartigen Menschen sehen, wie er, umgeben von wohl einem Dutzend von Seinesgleichen, von Generalpächtern oder kleineren Dorfpotentaten der Umgegend, sich die scharfen Vorhaltungen wegen dieser dummen Geschichte gefallen lassen mußte … Es war wirklich nicht zulässig, auf eine solche Art und Weise ungeschickt zu sein: das hieße ja den ganzen Stand rein wie zum Spaß unpopulär machen und den Zorn der Leute auf sich ziehen, und das um eines Erfolges wegen, der nicht einmal der Mühe wert sei.

Auburtin mußte wohl sehr verärgert sein, denn wenn er auch tat, als ob er sich aus dem Geschrei der Bauern nichts machte, so war er doch sicherlich empfindlich genug in bezug auf die Meinung der Leute seiner eigenen Kreise, und seitdem man ihm das übelnahm und er nicht darüber den Leuten gegenüber prahlen konnte, daß er einen Gott weiß wie großartigen Streich ausgeführt hatte, kamen ihm, wenn auch nicht Gewissensbisse, so doch gewisse Bedenken.

Beim Verlassen des Kaffeehauses begegnete er zufällig seinem Pächter des Liandais. Er ging auf den biederen Mann zu, zog aus seiner Brieftasche eine Fünfzigfrankennote und reichte sie ihm hin.

»Hier, Vater Renard, da habt Ihr das Geld, das ich Euch als Strafe zurückbehalten habe, ich geb es Euch wieder, als Dank dafür, daß Ihr mich da in die Zeitung habt setzen lassen.«

»In die Zeitung? Oh, Herr! das bin ich sicherlich nicht gewesen,« beteuerte der Alte. »Ich bin im Gegenteil genug erzürnt gewesen, als ich gehört hab, daß das da dringestanden hat.«

Er nahm aber doch das Papier, und der Herr machte sich fort, ohne längere Erklärungen abzuwarten.

Dieser glückliche Ausgang bereitete mir viel Genugtuung und sogar ein bißchen Stolz. Und weil es mir mit dem Anfang so gut geglückt war, versprach ich mir, künftighin alle Unbilligkeiten anzuzeigen, von denen ich Kenntnis bekäme.

Mein Vater hatte mir angeraten, zu Hause nichts zu sagen, daß dieser Artikel in der Zeitung von mir sei, weil man nicht wissen könnte, wen man noch einmal nötig hätte, aber nachdem der Auburtin das Geld zurückgegeben hatte, konnte er es nicht unterlassen, mehreren Leuten zu sagen, daß sein Junge schlauer wäre, als er aussähe und daß sich Renard bei ihm bedanken könne, wieder in den Besitz seiner fünfzig Franken gekommen zu sein.

Das Geheimnis hatte keine große Mühe gehabt, hindurchzusickern.

Eines Sonntags saß ich in Gesellschaft mehrerer Kameraden im Wirtshaus von Fustier in Cremery, als ein Bursche, genannt Charles Hervaux, aus der Nachbarortschaft Petit-Moussais, an uns herantrat und mich ohne alle Umschweife auf die Schulter klopfte und sagte:

»Sieh mal an! alter Freund, über dich hab ich mich getäuscht. Teufel auch, das hätt ich wissen sollen, daß du das warst. Die Sache mit Auburtin macht ihren Gang; von wo das herausgekommen ist, weiß man ja.« Und er sah mich mit großen Blicken einer einfältigen Bewunderung an, während die anderen uns ganz sprachlos voll Staunen fragend anstarrten.

Nach diesem Zwischenfall kam Marthe André nach der Waldhütte auf zwei Tage, und ich teilte ihr meinen Erfolg mit. Sie besaß eine schwärmerische und etwas romantische Seele; Ungerechtigkeiten empörten sie. Darum war sie über mich voll Lob … Es schien mir, daß ich bei ihr an Achtung gewonnen hatte und daß sie anfing, mich als eine wichtige Persönlichkeit anzusehen, ja, daß sie selbst den Wert meiner Handlung übertrieb. Ihr Verdienst, sich um diese Sachen zu kümmern und sich durchaus nicht bloß aus kindlichem Egoismus so zu haben, war um so mehr anzuerkennen, da sie gerade gekommen war, uns ihre nahe bevorstehende Hochzeit anzuzeigen. Sie heiratete einen Schweineschlachter, aus Teilleville gebürtig, der Alfred Laporte hieß und in Baugignoux das Geschäft von Vater Crozet gekauft hatte. Ich neckte sie und fragte sie aus, ob sie ihren Bräutigam auch wirklich gern hätte.

Sie antwortete mir darauf sehr ernst.

»Aber sicher! er ist ein netter Bursche, über den man nicht trübsinnig zu sein braucht, das kannst du mir glauben. Na, und nebenbei schafft mir das eine gesicherte Stellung.«

Ich war betroffen von diesen letzten Worten und auch durch den flüchtigen Schatten, den ich über die schwarzen Augen meiner lieben Freundin huschen sah, wie über den Zug von Traurigkeit, den in diesem Augenblick ihr ernstes schönes Gesicht zeigte.

»Durch all das kannst du jetzt nun aber nicht mehr meine Ausbildung fortsetzen,« warf ich ein.

Sie hatte es sich nämlich in den Kopf gesetzt, mich im Tanz zu unterrichten; seit sechs Monaten besuchte ich häufig das Café de l'Univers in Baugignoux, das der Musiker Pardieu hielt und in dem jeden Sonntag Tanz war, und wirklich hatte sie es erreicht, aus mir einen leidlichen Tänzer zu machen, bis auf den Walzer, an den ich mich noch nicht heranwagte …

»Oh doch, du bist schon weit, und du wirst dich noch einüben, daß du damit bis zur Hochzeit zurechtkommst,« entgegnete sie mit ziemlicher Fröhlichkeit. »Ich werd' schon mein bestes dafür tun.«

Tatsächlich war sie bestrebt, sich für die Tanzgelegenheiten am Tag der Hochzeit sowie auch am folgenden Tag so viel wie möglich für mich frei zu halten.

Alfred Laporte, ein kräftiger Bursche von blühendem Aussehen und leicht zum Spott aufgelegt, blieb nicht, ohne die Sache zu merken. Und bei einem gegebenen Augenblick, um den Gästen Spaß zu machen und sich über meine Schüchternheit zu amüsieren, kam er auf mich mitten im Saal zu, stemmte mir seine Fäuste auf die Schultern und sagte mit grobem Spott:

»He, du da, Grünschnabel, du sollst mir nicht meine Frau abspenstig machen! Du tanzt mit ihr in einem fort; du mußt dabei deine schlechten Absichten haben. Ich will das nicht länger mitansehen, verstanden? oder nimm dich wegen deiner Ohren in acht!«

Der Scherz war mir peinlich, und das Lachen der Anwesenden verschärfte noch meine Bestürzung.

Die Braut mischte sich ein:

»Sag ihm doch, diesem eifersüchtigen Bösewicht, daß er richtig geraten hat und daß du mich ihm ganz sicher wegnehmen wirst, wenn er mich nicht glücklich macht … Und inzwischen tanz nochmal mit mir.«

Ich lächelte dumm, ohne es zu wagen eine Antwort zu geben, und litt darunter, mich lächerlich zu finden. Mein Herz war so bedrängt, daß ich mich am liebsten in die Arme der jungen Frau geworfen hätte und ihr weinend gesagt im Beisein aller:

»Oh! Marthe, liebe Marthe! verbiet es ihm doch, sich über mich lustig zu machen … Ich habe dich doch so lieb, Marthe, wie eine liebste Schwester …«


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