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23. Kapitel

Bezüglich des Aufsatzes im »Impartial« sagte mir Hervaux:

»Was mich anbetrifft, alter Freund, würde ich an deiner Stelle ganz sicher darauf antworten. Dich auf diese Art beleidigen zu lassen, ohne zu antworten, das macht einen ungünstigen Eindruck …«

Ich hatte nichts davon hören wollen, überzeugt, daß gegen ein Schandblatt solcher Art eine »Schwefelschicht« von Verachtung die beste und würdigste Antwort sei.

Aber es erschienen über unsere Bewegung andere Aufsätze in anderen Blättern … Es war da einer in der Zeitung »La Croix«, der nicht minder nichtswürdig und ebenso flach war wie derjenige im »Impartial«. »Die Depesche« brachte dann selbst mehrere, und diese waren ernster gehalten, denn »Die Depesche« behält, obgleich sie klerikal und den Bourgeois wohlgesinnt ist, Maß und Haltung ihren Gegnern gegenüber. »Die Depesche« ist alles in allem genommen ein sauberes Blatt von einer bedeutenden Auflage. Der erste Artikel, den sie brachte, stammte höchstwahrscheinlich von Herrn Lacaze. Er stimmte auf die Hauptpächter ein allzu überschwengliches Lob an.

»† Sie waren, sind und werden lange noch dem Ackerbau sehr nützlich sein, denn sie bringen in eine Einrichtung wie das Pachtbauersystem ihr Kapital, ihre Intelligenz und ihre beruflichen Kenntnisse mit. Sie nützen bedeutend dem Gedeihen unserer ackerbaulichen Produktion durch die glücklichen Anregungen, die sie ihren Arbeitsgenossen, den Pachtbauern, zu geben wissen. Sie sind hierzuland die Förderer und die unbestrittenen Urheber der allermeisten ackerbaulichen Verbesserungen, zu denen sie die Großgrundbesitzer zu bewegen wußten.

»Sie beschimpfen ihre Mitbürger nicht. Sie streuen keine Flugsaat des Hasses und sozialer Uneinigkeit aus, wie diejenigen, die durch Wort und Schrift tropfenweise den Haß und das Gift in die Herzen der Bauern unserer schönen Provinz einflößen.

(Ein Seitenhieb für Salembier!)

»Der Hauptpächter konkurriert nicht mit den Kaufleuten des Bezirks. Er trägt im Gegenteil durch zahlreiche Aufträge zum Gedeihen des örtlichen Handels bei.

(Steck das ein, Salembier!)

»Wenn einer eine schädliche Rolle unter den Ackerbauern spielt, so ist es derjenige, der durch seine falschen Behauptungen und unredlichen Einschmeichelungen Verwirrung in die Herzen der friedlichen Leute bringt, die nichts anderes wollen, als dem französischen Heimatboden das Maximum abzugewinnen, das er herzugeben vermag, zum Wohle aller.«

(Bezieh das auf dich, Salembier!)

Dieses Mal, ja dieses Mal empfinde ich die Notwendigkeit einer Antwort. Ich verfasse einen Aufsatz mit der größtmöglichsten Sorgfalt, in dem ich dieses beifolgende Thema entwickele: »Die Reichen sind es nicht, die uns Brot geben … An dem Tag, an dem die Bauern die Arbeit verweigern, würden die Hauptpächter und die Besitzer auf ihrem nutzlosen Golde und ihrem ertraglosen Boden Hungers sterben …«

Und in der zweiten Hälfte setze ich ihnen den Syndikalismus auseinander: »Syndikalist sein, ist durchaus nicht, räuberische Absichten haben, es ist, danach streben, mehr Gerechtigkeit ins Wirtschaftsleben zu bringen, den Willen zu haben nach besser besoldeter und mehr geachteter Arbeit – und nichts anderes sonst …«

Der Aufsatz fand Beifall. Die Kameraden des syndikalistischen Bureaus, Guillemet, Roussel und Perotte, besonders bestanden darauf, daß ich zwei oder drei andere solcher Art schriebe, die man dann auf Kosten des Syndikats verbreiten lassen würde in den Gemeinden des ganzen Bezirks, wie man es bei dem ersten getan hatte.

Ich spanne mit Eifer in diese neue Arbeit ein, in der Hoffnung, einige nützliche Wahrheiten klarzulegen und den Zug von Gleichgültigkeit und Zweifelsucht zu bekämpfen, der unserem werdenden Werke hinderlich war – und das nun die Gegenmaßnahmen der Bourgeois auch in bezug auf die Überzeugten gefährden.

Das zweitemal wählte ich einen Gedanken, der mich öfters beschäftigte. Ich beweise, daß man den Bauern für ein niedrigeres Wesen hält und daß er selbst nicht weit davon ab ist ebenso zu denken und daß aus diesem Hauptgrund viele seiner Leiden kommen.

Sicherlich sind daran tiefgründige Dinge schuld, für die man ihm aber die Verantwortlichkeit nicht aufbürden kann. Ich führe Eugène Le Roy an, den berühmten Schriftsteller, der mit so viel Nachdruck und so viel wahrer Sympathie von der Landbevölkerung von Perigord gesprochen hat:

»Die sogenannten höheren Klassen verleumden den Bauer, um Gelegenheit zu haben, ihn zu verachten. Aber seine Fehler kommen aus den sozialen Verhältnissen, in denen er jahrhundertelang gelebt hat.

»Er ist grob und plump …

»Aber wer hat sich auch um seine Bildung gekümmert? Haben denn seine Herren wohl jemals an den demoralisierenden Einfluß des erschreckenden Elends gedacht, in dem zu leben sie ihn die ganze Zeit gezwungen hatten?

»Er ist eigennützig …

»Aber ist denn das nicht erlaubt, wenn jeder Sous für ihn ein unumgänglich notwendiges Stück Brot bedeutet?

»Er ist mißtrauisch …

»Aber hat er denn nicht Grund, so zu sein, er, den man ganze Jahrhunderte hindurch betrogen hat und den man noch heute betrügt?

»Er ist abergläubisch …

»Aber wer hat ihn dazu gemacht, wenn nicht diejenigen, die immerwährend sein Gewissen geleitet haben?

»Er liebt den Boden mit zu großer Gier …

»Das ist wohl wahr, zum Glück für alle die Nachkommen der Männer der Scholle, die die großen Herren spielen und ihre Ahnen im Bauern von heute verachten …«

Ich bemühe mich, mit überzeugender Wärme zu sagen, daß die Bauern von der Hochebene von Baugignoux nicht weiter ungebildet, abergläubisch und mißtrauisch sein sollen, daß sie den Ton der blinden Unterwürfigkeit gegenüber denjenigen, die sie auf Grund des Reichtums, des gepflegten Äußeren, der leichteren Ausdrucksfähigkeit und des befehlerischen Gebarens beherrschen, aufgeben sollen, daß sie die Pflicht haben, an sich selber zu glauben. Um ihnen behilflich zu sein, bis dahin zu gelangen, weise ich sie darauf – mehr nachzudenken und zu lernen. Dann werden sie begreifen, daß die Erde, die sie lieben, sich ihnen nicht dankbar genug erwiesen hat. Dann werden sie in den Sinn der Solidarität und in den Geist der Zusammengehörigkeit eindringen, und sie werden von selbst zum Syndikat kommen, zu diesem notwendigen Werkzeug zu ihrer völligen Befreiung, zum Syndikat, das ihnen erlauben wird, diesen idealen sozialen Zustand zu erreichen, den der Engländer William Morris in folgenden Worten formuliert hat: »Daß jeder Mensch, der arbeiten will, dort gesicherte, ehrliche und passende Arbeit, sein gesundes und schönes Heim und Muße für den Körper und Geist finden wird.«

Im dritten Aufsatz kam ich auf das Elend der Bauernwohnungen zu sprechen. Ich bedauerte die Armseligkeit der Bewohner, die zu wenig abwechslungsreiche und zu dürftige Küche und breite mich über die Regelung der Arbeit aus. Da die Maschinen jetzt überall angewandt werden, wäre es nötig, mit der Gewohnheit der erschöpfenden Arbeitszeit von sechzehn Stunden und mehr zu brechen. Es gehörte sich, daß jedem das Recht auf Ruhe und genügende freie Zeit zugestanden wird, selbst dann, wenn die Sonne die Felder mit ihren wohltuenden Strahlen überflutete, selbst wenn, wie man sagt, die Lampe noch Öl hat … Denn wozu wäre sonst der Fortschritt da, wenn er sich doch zum Schluß gegen diejenigen wenden sollte, die bestimmt sind, den Nutzen daraus zu ziehen, oder wenn er die Arbeitsgelegenheiten verringern würde, indem dennoch die Landarbeiter, die der Erde treu geblieben sind, gezwungen sein sollten zu arbeiten, ohne daß sie einen größeren Gewinn von ihrer Arbeit haben?

Im vierten Aufsatz versuchte ich die kaufmännische Frage darzulegen und die Berechtigung unseres Warenlagers zu verteidigen. Wir haben nichts gegen die Kaufleute, aber wir halten die Einrichtung, die sich auf Zwischenhändler zwischen Käufer und Verkäufer stützt, für schädlich, und zwar wenn es sich um Zwischenhändler handelt, deren ganzes Interesse ist, zu leben und sich zu bereichern auf Kosten des einen und des anderen. Warum nicht unsere Geschäfte selbst erledigen, wenn es in unserer Macht steht? Warum sollte man nicht die Arbeitenden von der nur zu gut belohnten Beihilfe dieser Leute befreien? Warum sollten wir uns vom Augenblick an, wo es uns gelingt, bessere Waren zu billigeren Preisen zu erlangen, weigern, den Nutzen daraus zu ziehen? Sie werden wie wir arbeiten müssen, wenn sie von ihren Verkäufen nicht leben können. Im übrigen ist der Kleinhandel dazu bestimmt zu verschwinden. Die großen finanziellen Unternehmen, die überall Zweigniederlassungen eröffnen, werden ihn erdrücken. Ist es nicht immerhin besser, daß sie vor den immer zahlreicher werdenden und aufblühenden Genossenschaften weichen müssen, als vor den unter falschen Namen auftauchenden Warenhäusern fremder Kapitalisten?

Und was auch immer ich für einen Gegenstand behandelte, bemühte ich mich hier und da einen Satz über die nötige Würde mit einfließen zu lassen, indem ich die Abgeschmacktheit und die niedrigen Gesinnungen tadelte – denn mir lagen immer noch die diesbezüglichen unwürdigen Reden Descombes auf unserer Rückfahrt von Carivanne im Sinn.

Was mich anbetrifft, so brachten sie mir eine gewisse Befriedigung, diese meine Aufsätze, aber was war ihre wirkliche Wirkung? Waren sie selbst wirklich richtig verstanden worden von der Masse meiner Kameraden? Wenn auch meine Syndikatskollegen manchmal über sie in einer ziemlich richtigen Art und Weise sprachen, so waren die Meinungen, mit denen sich die anderen zuweilen hervorwagten, von einer Naivität, die einen außer Fassung bringen konnte.

»Ah! du, deine kleinen Komplimente an die Zeitung, die kommen wie gesucht!«

»Bei uns lesen sie alle deine Stücke, wo du die nur hernimmst, aber nett sind die Dinger …«

Währenddessen zergliederte der »Impartial« meine Prosa, hob die ungeschickten Sätze hervor, meine paar Sprachfehler, kurzum alles, was man so als Anfänger falsch macht, wenn man nicht die Übung des Schreibens hat. Er verdrehte auch den Sinn mancher Absätze zum Zweck, mich selbst mit mir in Widerspruch zu bringen, um mich lächerlich zu machen. Alle diese aufgetischten Bissen waren in derselben Art niederträchtig und gemein aufgemacht wie der erste Aufsatz.

Ich hatte gut auf mich einreden, um mich einzupanzern gegen diesen Jammer, aber ich konnte doch nicht ein Gefühl des nervösen Schauders unterdrücken, wenn ich jeden Sonntag das verfluchte Lügenblatt entfaltete.

Andere Blätter des Kreises hingegen von gemäßigter Richtung widmeten unserer Bewegung kleine Artikel als Sympathiekundgebungen. Man sprach vom guten Beispiel, das die Landleute von Baugignoux gegeben hätten durch den Geist ihrer Vereinigung, die frei von jeder unerfreulichen Gewaltstimmung wäre; man wagte es selbst zu behaupten, daß es weise von den Grundbesitzern wäre, den Wünschen dieser Leute Rechnung zu tragen, von denen die meisten ziemlich berechtigt zu sein schienen.

Auf Grund dessen, daß die ganze örtliche und selbst die Provinzpresse es der Mühe wert hielt, sich mit uns zu beschäftigen, hätten viele beeinflußt werden müssen; man übertrieb den Einfluß des Syndikats, und man griff uns um so heftiger an, je stärker man uns glaubte.


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