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15. Kapitel

Am Pfingstmontag hatte sich unser Besitzer, der Herr Monternier, aufgemacht, uns in der Waldhütte zu besuchen. Es war eine überraschende Tatsache für uns: Gut drei Jahre mochten es her sein, daß man ihn bei uns zuletzt zu sehen bekommen hatte.

Herr Monternier erwies sich in seinen Beziehungen zu uns immer glatt und angenehm und versuchte nie »aus zwei Uhr zwölf zu machen«. Er hatte mich schon als einen ganz kleinen Buben gekannt und duzte mich immer noch. Wir begleiteten ihn, abwechselnd mein Vater und ich, beim Rundgang durch die Wirtschaftsgebäude und versuchten von ihm die Erlaubnis zu einigen unumgänglichen Ausbesserungen zu erlangen.

Als wir gerade im Begriff waren die Scheune zu verlassen, verabschiedete er sich damit:

»Marcel, ich hätte zwei Worte allein an deinen Vater zu sagen. Willst du uns wohl einen Augenblick unter uns lassen?«

»Das hält nicht schwer!« antwortete ich.

Ich machte mich im Garten an meine unterbrochene Arbeit heran. Sie gesellten sich mir wieder beide zu nach Ablauf einer knappen Viertelstunde.

Mein Vater war der erste, der sprach:

»Weißt du, der Herr Monternier ist nicht recht für die Reparaturen zu bewegen; er wird die Bedachungen ausbessern und das Haus nur verputzen lassen, aber was den Mörtel im Pferdestall und die Vergrößerung des Schweinestalles anbetrifft, davon will er nichts wissen.«

Ich bemerkte den verärgerten Ton seiner Stimme und begriff, daß diese übrigens vorausgesehene Enttäuschung nicht der bestimmende Grund zu seinem Mißbehagen war.

»Das wäre nun aber ganz sicher kein Luxus gewesen!« versicherte ich mit ungeheuchelter Überzeugung.

Der Besitzer gab darauf zu:

»Nicht alles auf einmal … Ich habe im Augenblick recht schwere Lasten … Ihr habt so lange damit ausgehalten, da könnt ihr euch wohl noch eine Weile gedulden. Im folgenden Jahr vielleicht …«

Er willigte ein ins Haus zu kommen und ein Glas Wein zu trinken. Er ging hin, sich das Baby anzusehen, das gerade in seinem Wagen schlief, beglückwünschte meine Frau, unterhielt sich mit uns ganz vertraulich wohl noch eine halbe Stunde, bewilligte meiner Mutter eine Fliesenpflasterung der Milchkammer und einen neuen Ausguß und ging frühzeitig fort, um in Pericourt den Zug zu benutzen, der um 5,36 fuhr.

Im Augenblicke des Abschieds sagte er darauf noch meinem Vater in Gegenwart von meiner Mutter und mir:

»Und denkt daran, Salembier, mir eine bestimmte Antwort und das ohne allzuviel Verzögerung zukommen zu lassen.«

»Versteht sich. Sie können sicher sein! …«

»Was für eine Antwort will er haben?« befragte ihn meine Mutter im Hineingehen. »Was ist das für ein Geheimnis?«

Mein Vater zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und sagte mit belegter Stimme, wie bedauernd:

Das geht dich an, Marcel! Er hat mir gesagt, daß du ihm Unannehmlichkeiten zuzögest … Er liefert viele Tischlerarbeiten für die Schlösser, und mehrere Bourgeois haben ihm über dich gesprochen, indem sie deine syndikalistische Tätigkeit tadelten. Verschiedene haben selbst von ihm verlangt, dich nicht länger mehr auf dem Gut zu behalten. Und da ist es denn dazu gekommen, das hätt' ich nie von ihm geglaubt, daß er Worte ausgesprochen hat, die ich mir gut merke und die ihm nicht vergessen werden, mein leblang … ›Ihr könnt Euch denken‹, hat er mir gesagt, ›daß ich von mir aus auf seine Propaganda und seine Ideen pfeife, aber ich will meine Kundschaft behalten. Ich habe drei Kinder, die ich was lernen lasse, und sie kosten mich viel Geld … darum sehe ich mich genötigt, Euch aufzufordern, Euch von Eurem Sohn zu trennen, wenn es Euch daran liegt, auf meinem Besitz zu bleiben.‹ – So ein Spitzbube! Danach hat er mir zwei- oder dreimal wiederholt, daß er nicht gleich eine Antwort von mir verlange, daß ich mit euch darüber reden sollte und nachdenken; man könnte ihm dann Antwort geben. Natürlich habe ich ihm gesagt, daß das schon überlegt sei, daß ich mich nicht von meinem Sohne trenne!«

Ich antwortete darauf mit Festigkeit:

»Du hast nicht recht getan … Wenn es so ist, daß ich diesen Herrn störe, gehe ich Martini weg, und ihr bleibt in Ruhe hier. Ich will euch keine Unannehmlichkeiten verursachen …«

Meine Mutter zeigte sich im Gegensatz zu ihrer sonstigen Art sehr besorgt.

»Glaub mir, Marcel, laß das alles liegen … Wir sind doch ein zu netter Hausstand, um auseinander zu gehen. Wenn du dich mit nichts mehr davon abgeben würdest, würde Herr Monternier sicherlich nichts Besseres wünschen, als dich zu behalten.«

Und darauf mein Vater:

»Ich habe es dir lange schon gesagt, das habe ich, dich nicht in alle diese Sachen hineinzustürzen. Ich habe es vorausgesehen, daß wir früher oder später daraus Unannehmlichkeiten haben würden. Es hat denn auch nicht auf sich warten lassen!«

Wir waren eingetreten. Jeanne gab, an einem niedrigen Tische sitzend, dem Kind die Brust. Halb nur begreifend, worum es sich handelte, beeilte sie sich, dreinzureden:

»Ich habe ihn genug darum gefleht, das aufzugeben … Seit Anfang schon haben meine Eltern nicht damit aufgehört, mir zu sagen, daß das schlecht enden würde für uns alle. Sie haben sich genug böses Blut dadurch gemacht, und ich dazu …«

Ich hatte ein heiliges Grauen vor langen Auseinandersetzungen und Familienszenen, aber hier gab es keine Möglichkeit auszuweichen. Es war nötig, vom ersten Augenblick an, meinen feststehenden, unbeugsamen Willen zu beweisen. Dieses Gefühl ließ mich mit Nachdruck antworten:

»Ich würde mich in irgendein kleines Häuschen unterbringen, es ist ganz egal wo; ich würde mein Leben als Tagelöhner verdienen, wenn es nötig sein wird, aber den Kampf aufgeben, niemals! Das wäre mir doch etwas gar zu feige.«

In den folgenden Tagen kam mein Vater bei der Arbeit oft auf die Fragen zurück. Unser Pachtvertrag lief erst zu Martini im folgenden Jahr ab. Du meine Güte, ja bis dahin – wenn der Herr Monternier unnachsichtig blieb, würde man auch schon sicherlich anderswo einen Besitz finden, wo dann ebensogut zu leben wäre wie in der Waldhütte.

Das war seine Meinung. Ich bewies ihm klar und deutlich, wie er damit im Dunkeln fischte, wieviel Schwierigkeiten es geben würde, wenn wir uns aufs neue zusammen einrichten wollten. Denn die Bourgeois in ihrer Wut gegen den Apostel des Syndikalismus würden sich untereinander schon aus Instinkt verständigen, uns eine Aufnahme zu verweigern. Selbst diese kleine Rache wäre ihnen angenehm. Es wäre schon besser, wir enthielten uns, sie ihnen zu besorgen. Ich riet ihm also, den Pachtvertrag bezüglich der Waldhütte zu erneuern, indem er mich fahren ließe.

Und es kam die Zeit der langen ermüdenden Tage der Heu- und der Getreideernte. Es war zwischen uns eine unausgesprochene Verständigung, die Zeit der erschöpfenden, mühseligen Arbeit nicht noch durch bitter ankommende Unterredungen zu erschweren. Aber eine große Benommenheit, bewirkt durch das Ultimatum des Besitzers, drückte deshalb doch fortgesetzt nicht weniger auf unser armes Hirn und unsere armen Herzen.

Ein unvorhergesehener Umstand beschleunigte die Trennung voneinander.

Im August gegen Ende der Getreideernte war ganz plötzlich ein kleiner Besitzer aus Baugignoux gestorben, der eigenhändig seine sechs Hektar bewirtschaftete; in einigen wenigen Tagen hatte ihn ein Lungenschlag dahingerafft. Die Witwe konnte allein die Bewirtschaftung nicht besorgen; sie hätte gewiß einen Pächter angenommen, der bereit gewesen wäre, gleich als Nachfolger anzutreten. Der kleine Pachthof la Fayt, der auf halber Höhe am nördlichen Abhang des Plateaus lag, welches das Tal des Frigouzy von demjenigen der Velzette trennt, ist nicht weiter als annähernd 20 Minuten von hier entfernt, wenn man quer durch die Wiesen geht. Ich sagte meinen Eltern, daß das eine einzigartige Gelegenheit sei, mich in passender Weise selbständig zu machen. Und dazu lag der Hof ganz nahe, so nahe, daß man sich selbst bei Gelegenheit untereinander aushelfen konnte. Sie waren damit einverstanden. Jeanne machte auch keine Einwendungen. Es war weniger weit von la Fayt nach Amouraux als von diesem nach der Waldhütte, und mit diesem Augenblick, da sie etwas näher heranrückte an den Besitz von Baugignoux und sie dadurch ihrer Familie näher war, war sie zufrieden.

Vierzehn Tage später nahm ich den Besitz auf sechs Jahre in Pacht, der Preis wurde auf sechshundert Franken festgesetzt. Ein Preis, der im übrigen reichlich hoch war, und es wurde mir hinterbracht, daß mehrere Syndikalisten mich bei dieser Gelegenheit heimtückisch und boshaft verleumdet hatten: »Ist das ein netter Kerl, verspricht dahin zu gelangen, den Bauern bessere Bedingungen zu besorgen, und ist jetzt der erste, ein schlechtes Beispiel zu geben, indem er sich einverstanden erklärt, über den Preis zu bezahlen!«

Worte wie »Prahler« und »Dunstmacher« wurden gesagt.

Derjenige, der sich an die Spitze einer großen Bewegung stellt, müßte sich außerhalb der Zufälle des alltäglichen Lebens halten können, um jedwedem Abbruch zu entgehen, der dadurch den von ihm entwickelten Glaubenssätzen, dem erträumten Ideal geschehen könnte … Sonst wird er gezwungen, sich in Handlungen hineinzubegeben, die von anderen sogleich als Schwäche ausgelegt werden. Und unselige Kritiken sind die Folgen davon.


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