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9. Kapitel

Wenn ich nach Baugignoux ging, verpaßte ich, für den Fall, daß ich etwas freie Zeit hatte, nicht, bei Marthe André, der jetzigen Schlachtersfrau Madame Laporte, guten Tag zu sagen. Ich wurde von ihrem Gatten herzlich und von ihr liebevoll empfangen. Ich trat in die kleine Küche, die hinter dem Laden lag, als wäre ich da zu Hause, und das kann ich sagen, mit allem Recht und in allen Ehren, weil ich mir keinen einzigen schlechten Gedanken dabei gemacht hatte, daß ich Laporte vielleicht lieber nicht zu Hause getroffen hätte.

Die meiste Zeit war er übrigens auf Geschäftsgängen, denn Sonntags ging er in die Nachbardörfer La Clayette, Firmelière und Cremery seine Wurstwaren zu verkaufen, oder auch wohl ganz aufs Land, wo ihn irgendein Bauer bestellt hatte, der die Absicht hatte, ihm seine Schweine zu verkaufen; man fand ihn wohl auch auf dem Marktplatz, wo er inmitten einer Gruppe Männer das Wort führte. In seinem Wagenschuppen, der in der Entfernung einiger fünfzig Meter vom Haus ablag und ihm als Schlachthaus diente, hielt er sich ebenfalls öfters auf, und schließlich auch im Café. Man sah ihn gar oft dort Weißwein, Rotwein oder auch Schnaps trinken, ein Spiel mit Freunden machen, sitzen und rauchen oder sich als Anführer der Wirtshausgenossen aufspielen.

Seit der schon etwas zurückliegenden Zeit seiner Heirat war er noch mehr in die Runde gegangen, seine Gesichtsfarbe spielte ins Zinnoberrot, sein kurzer starker Nacken hatte glattes, festes Fleisch; er ging als eine kräftige untersetzte massive Gestalt sich aufrecht haltend auf seinen runden Beinen einher, und eine klobige Heiterkeit offenbarte sich des öfteren in einem breiten Lachen auf seinem hochroten Gesicht.

Es herrschte bei ihm eine völlige Anpassung des Geistigen an das Körperliche. Es mußte ihm große Beschwerden machen zu denken. Er hatte ein heiliges Grauen vor Ruhe. Er brauchte Regsamkeit, Bewegung, engeren Verkehr mit anderen Männern und viel Lärm.

Er blieb nie lange im Laden, ausgenommen wenn es an Markttagen galt, einen besonderen Eindruck auf die Kundschaft zu machen. Die Luft wurde ihm zu eng im Laden …

Kam er unerwartet, wenn ich mich mit Marthe unterhielt, bearbeitete er meinen Rücken mit einer Reihenfolge von leidenschaftlichen Knüffen:

»Verfluchter Junge! ich werd' dir kommen, wenn du hier meiner Frau den Hof machen willst. Das sollte doch einmal zugehen, daß das hier nicht so wäre wie sonstwo. Hüte dich vor der Tür, hüte dich vor Laporte! hüte dich vor dem Blutmann!«

Er übertrieb diese billigen Wortspiele.

Dann drehte er sich nach Marthe um mit den Worten:

»Und du, seine Mitschuldige, erbebe vor meiner Wut!« Er preßte sie in seine dicken, kurzen Arme, die ebenso wie seine ganze Gestalt waren, er küßte sie mit breitem Mund und tat, als wollte er ihr feines Gesicht mit dem zarten Teint an seinem kupferroten zerdrücken …

»Bist schon eine gute Frau, geh! sorg gut für deinen kleinen lieben Fred!«

Danach zu mir wieder zurückkehrend:

»Ich wünsche dir gerade so eine. Selbst wenn ich nicht artig bin und böse werde (was mir ebenso passiert wie jedem anderen), schimpft sie nicht, sie pflegt mich und verwöhnt mich … Ich bin dein kleiner Liebling, nicht wahr, kleine Marthe? Na, heda! Du bleibst doch und ißt mit uns einen Löffel Suppe!«

Wenn dann die Zeit des Mittagessens näher kam, lud er mich immer ein mitzuessen. Sonst bot er mir etwas zu trinken an.

»Ein Glas Wein, was? mit einem bißchen ›Schweinerei‹ dazu!«

Es schien mir mehr als einmal, als sähe ich einen Zug von Traurigkeit in dem Gesicht von Marthe, das einen Ausdruck von Vornehmheit und Verschlossenheit hatte. Schließlich gestand sie mir auch ihre große Enttäuschung darüber ein, daß sie keine Kinder hatte. Sie hatte schon jede Hoffnung verloren.

Eines Sonntags abends in diesem Sommer überraschte ich sie, wie sie ihr Gesicht gegen ihr Taschentuch gepreßt hielt, und ich war nun genötigt einzusehen, daß sie auch soeben noch geweint hatte.

Ich hatte immer eine unüberwindliche Scheu empfunden zu versuchen, sie zu Geständnissen über den ehelichen Abschnitt ihres Lebens zu bewegen. Aber in diesem Augenblick glaubte ich, es wagen zu müssen.

»Marthe, du siehst nicht aus, als ob du glücklich wärest?«

»Ach was! Unsinn … Wer dich nur so etwas glauben macht!«

»Manches, das ich gemerkt habe, und deine Augen zeigen ja in diesem Augenblick noch Spuren von Tränen …«

Darauf sagte sie mir nach einem großen Entschluß zur Aufrichtigkeit ganz offen, was sie auf dem Herzen hatte.

Alfred war kein böser Mensch; er bereite ihr keinen Kummer. Aber sie litt daran, ihn immer dasselbe Leben des dicken Hanswurstes führen zu sehen. Sie sorgte sich um seine Gesundheit: öfters klagte er über Schmerzen im Kopf, Reizungen im Hals, dann selbst über Schwindelanfälle. Für diesen apoplektischen Mann wäre eine Lebensweise von strengster Nüchternheit vonnöten gewesen. Er hingegen kehrte jeden Abend angesäuselt nach Haus zurück.

Dann waren sie auch wegen seiner vielen Ausgaben, die er außer dem Hause machte, geschäftlich nicht in gutem Stand. Mit Mühe und Not konnten sie die Enden des Jahresbudgets zusammenbringen, obgleich es doch leicht gehalten hätte Ersparnisse zu machen, ohne sich zu sehr im Hausstand einschränken zu müssen.

Die Ladentür klingelte. Marthe rückte schnell ihre weiße Schürze zurecht, stülpte ihre Armschäfte über und bat mich gleichzeitig:

»Die Hauptsache aber ist, daß du das für dich behältst! Im Grunde, weißt du, sind das vielleicht nur Gedanken, die ich mir mache … Ich hab unrecht, mich zu beklagen: so viele andere sind viel unglücklicher als ich …«

Sie hatte mir genug gesagt, um mich begreifen zu lassen, daß ihr die Zeit unendlich lang wurde. Und mit allzuviel Einbildungskraft vielleicht gefiel ich mich darin, den Zustand ihrer klugen feinsinnigen Frauenseele mir auszumalen, wie sie, wie in einem Märtyrium, durch die plumpe unausgereift-bubenhafte Art ihres Lebensgefährten zerrieben wurde.

Das große vergnügte Gesicht von Alfred Laporte wurde mir beinah verhaßt.

Ich schenkte Marthe natürlich meine Arbeit, »Die Betrachtungen eines Bauers«. Sie las die Broschüre und beglückwünschte mich dazu. Ihr Mann, der wußte, daß ich der Verfasser war, machte sich den Spaß sie durchzulesen und amüsierte sich seitdem damit, mich zu necken, indem er mir prophezeite, ich müßte einmal Deputierter werden.

»Und daß er sich nicht einfallen läßt, der Herr Deputierte, meiner Frau den Hof zu machen. Hüte dich vor Laporte! hüte dich vor dem Blutmann!«

Ich erriet aus diesen losen Spaßereien wohl die ganze Ironie, die dieser oberflächliche, leichtlebige Mensch, der ein Freund des Vergnügens war, für mich, den Mann des Gedankens, empfand, gegen den Träumer von einer besseren Zukunft, der ich war.


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