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26. Kapitel

Es war, glaub ich, am folgenden Sonnabend. Das Wetter war schön, die Sonne schien und ein frischer Wind wehte. Das erfüllte mich mit Entzücken, denn wir hatten eine schlechte Zeit voll Kälte und Regen hinter uns, die alle Arbeiten der Jahreszeit verzögert hatte. Es ist neun Uhr morgens; ich eile mich, ein kleines Stück Feld umzupflügen, das an meinen Hof stößt, und auf dem ich Mais aussäen will.

In diesem Augenblick kommt ein Herr, der ein Fahrrad mit sich führt, über den kleinen Übergang voll Schneisen und Kieselsteine, der von dem naheliegenden Gemeindeweg auf meine Behausung zuführt.

Ich hake aus Vorsicht die Kette, die meine beiden Kühe an den Pflug schirrt, los und begebe mich in den Hof, dem Fremden entgegen, der nur meinetwegen gekommen sein kann.

Seine schlanken Glieder stecken in einem Anzug aus maulwurfsgrauem Samt, seine schmiegsamen Gamaschen und sein Hut mit einer flachen Krempe passen sich dem ganzen Kostüm an. Meine Überraschung ist groß, in diesem Bourgeois mit dem gepflegten Äußeren und angenehmen Ausdruck Herrn Paul Doulon-Meuget aus Verneuil wiederzuerkennen, den ich auf dem Marktplatz von Baugignoux einmal flüchtig zu sehen Gelegenheit hatte.

Er bittet mich um die Erlaubnis einer Unterredung, sich dabei wegen der Störung und der Mühe, die er mir bereite, entschuldigend.

Ich versichere ihm, daß ich immer über einen Augenblick freie Zeit verfügen kann, um das Vergnügen zu haben, mich mit ihm zu unterhalten. Und ich führe ihn ins Haus, meinerseits mich über die wahrscheinliche Unordnung entschuldigend, die wir drinnen um diese frühe Tagesstunde finden würden.

Wirklich ist auch die Stube nicht gefegt. Und Jeanne, ungekämmt, im primitivsten häuslichen Negligee, arbeitet dicht an der Tür vor einem Zuber voll Seifenwasser, indem sie gleichzeitig Maurice überwacht, der in seinem kleinen Stuhl sitzend mit Ausdauer die Seiten aus einem alten Katalog der Samaritaine herausreißt.

Auf die neuen sehr höflichen Verneigungen und Entschuldigungen des Eintretenden antwortet Jeanne in unfreundlichem, fast unwirschem Ton, ohne sich irgendwie stören zu lassen.

Ich befürchte, daß ihre schlechte Laune sich noch steigern könnte und daß sie nicht einmal die einfachsten Rücksichten gegenüber diesem Besuch von Stand walten lassen wird. Ich halte es für nötig, sie aufzuklären.

»Das ist der Herr Paul Doulon aus Verneuil … Du weißt wohl, der Sohn von Herrn Doulon, bei dem die Eltern deiner Patin ehemals gewohnt haben.«

Die Bemerkung macht Eindruck.

»Ah! Ja,« beeilte sie sich, »meine Patin sprach immer viel Gutes von dem Herrn Doulon; aber es tut mir ja sehr leid, Herr, daß Ihr das Haus so in Unordnung findet. Man kann niemals fertig werden am Morgen …«

»Oh! das macht weiter nichts aus, Madam, das ist eine Kleinigkeit … Sie haben da einen lieben kleinen Tyrannen, der doch zuerst an die Reihe kommen muß.«

Und er bückt sich, um das Kind zu streicheln, das sich dieses ziemlich gnädig gefallen läßt.

Darauf meint er:

»Er hat schöne, große, sanfte Augen, eine gut ausgebildete Stirn, und sein Gesicht ist auch schon recht ausdrucksvoll; er wird es mit seinem Vater aufnehmen können, und auch mit der Mama …«

Ich wehre etwas auf Umwegen ab:

»Maurice, man muß dem Herrn Antwort geben, man muß sagen: Mein Herr, Ihr schmeichelt mir zu viel, und auch dem Papa und der Mama.«

Der Kleine gehorcht, er vereinfacht aber den Satz:

»Herr, schmeichel viel … Papa, Mama …«

Paul Doulon amüsiert sich über dieses Geplapper und bittet ihn, den Satz noch einmal zu sagen. Aber aus den Babys ist nicht klug zu werden: Das genügt für sie, daß man von ihnen etwas begehrt, damit sie sich gleich darauf versteifen, nichts zu verstehen, oder zu tun als ob sie nichts verständen. Und so will Maurice denn von nichts weiterem mehr etwas wissen, als von seinem: »Herr, schmeichel viel …«

Währenddessen hat meine Frau sich diesen Zwischenfall zunutze gemacht, um ihren Zuber und ihre Wäsche hinauszuschaffen, die Mitte des Zimmers mit dem Besen etwas aufzufegen und über den Tisch mit dem Wischtuch zu fahren; der Eindruck ist jetzt schon besser. Darauf setzen wir uns, ich und der junge Bourgeois, jeder an eine Seite des kleinen Tisches, und er, um leichter zu seinem Thema zu kommen, beginnt jetzt von seinen Vorfahren zu sprechen.

»Sie wissen, daß mein Vater und mein Großvater keinen zu schlechten Ruf hierzulande hinterlassen haben und daß sie recht wohlwollende ›Ausbeuter‹ waren.«

Er lacht, indem er das letzte Wort mit einem leichten Schimmer von Spott ausspricht, der, wie ich errate, mir verständlich machen soll, daß ich in meinen Versammlungen und meinen Aufsätzen ein wenig Mißbrauch mit diesem Wort getrieben hatte.

Na ja, Teufel auch, ich wußte das! Der Vater Doulon war ein von Grund aus guter Mann – von einer Güte, die an Schwäche grenzt. Er war selbst nach allen Richtungen ausgenutzt worden durch Kaufleute, Arbeiter, Lieferanten und selbst durch seine Pächter, von denen einige mit einer völligen Unverfrorenheit und einem Mangel an Selbstgefühl ihm etwas vorklagten, um immer neue Zugeständnisse zu erlangen, die er ihnen niemals verweigerte, woraufhin sie ihn hinter seinem Rücken einen Dummen nannten. Der Großvater war zu seiner Zeit auch ein vorzüglicher Mann gewesen, der kaum etwas fester in seiner Art war. Ich konnte also diesen Bemerkungen nur beipflichten:

»Sicherlich, Herr … wenn alle Besitzer nach den Anschauungen dieser Männer handeln würden, hätte keiner das Recht sich zu beklagen …«

»Ich glaube wohl … aber sie würden dann Gefahr laufen, ihre Besitztümer nicht lange zu behalten … Das Vermögen meiner Ahnen ist schnell zerronnen, das wissen Sie wohl, und das ohne daß sie großen Staat gemacht hätten oder große Verschwender gewesen wären. Sie besaßen zwölf Pachthöfe im Bezirk von Verneuil; sechs sind verkauft worden und zwei sind verpfändet. Auburtin, der Sohn eines der ehemaligen Kleinpächter meines Großvaters, ist jetzt viel reicher als ich …«

»Der wäre wohl nicht dazu gekommen, sich über den Ausdruck zu ärgern, den Sie mir soeben zum Vorwurf gemacht haben.«

»Lassen wir das … da er es jetzt ist, bin ich doch nicht mehr der reiche Besitzer. Ich habe die Rechte studiert, ich könnte beim Gericht oder in der Verwaltung eintreten und weit ab von hier ein weit angenehmeres Dasein führen. Aber ich halte darauf, die Traditionen meiner Familie fortzusetzen und auf meinem Grund und Boden zu wohnen, in der Hoffnung, dort auch beruflich nützlich zu sein, denn ich habe zwei Jahre lang eine Ackerbauschule besucht, in der Hoffnung, nebenbei gesagt, die Arbeit eines sozialen Erziehers zu verrichten.«

»Wie etwa würden Sie die soziale Erziehung verstehen?«

»Wie? Nun, indem ich immer wieder auf die Vorteile der Solidarität hinweise, indem ich Syndikate gründe, nicht etwa solche wie das Ihre, aber solche, in denen sich alle guten, willigen Elemente der ländlichen Welt zusammenfinden: Die Grundbesitzer, große und kleine Pächter, Meier, Tagelöhner und Landarbeiter. Der Devise ›Des Kampfes ums Dasein‹, die Sie zu der Ihren gemacht zu haben scheinen, stelle ich diejenige ›Der Einigkeit zur Daseinserleichterung‹ entgegen, die mir weit besser gefällt. Von diesem Syndikat als der Urzelle sehe ich als Ausstrahlung eine ganze Anzahl nützlicher Werke kommen: Kreditkassen, Sparkassen, Feuer-, Hagel-, Viehversicherungen usw. usw. Mit einem Wort, gegenseitige Hilfsbereitschaft unter jeglicher Gestalt durch Zunutzmachung der mehr oder weniger noch unbeachteten Vorteile, die uns der Staat gewährt, indem man noch nötigenfalls einen Druck auf die öffentlichen Mächte ausübt, um die nötigen Vorteile zu erlangen, die wir für unerläßlich halten.«

Er spricht langsam, mit einem leichten Zögern hin und wieder, vielleicht damit beschäftigt, die geeignete Fassung zu finden, um mich zu überzeugen. Der Augenblick scheint hier gekommen zu sein, einen Einwurf zu wagen:

»Ich glaube, mein Herr, daß die Mitglieder eines Syndikats wenigstens ziemlich ähnliche Interessen haben müssen. Der arme ›Erdarbeiter‹ kann sich nicht dem dreisten Großpächter anschließen, der ihn bedrückt und manchmal selbst bestiehlt, auch nicht dem Besitzer, der ihn nur allzuoft einzig und allein als Arbeitstier betrachtet. Und die Tagelöhner, die behandeln uns ihrerseits mit Mißtrauen, weil wir bei Gelegenheit auch die Arbeitgeber sind, die ein Interesse daran haben, so wenig Lohn wie möglich zu zahlen.«

Herr Doulon ließ mir kaum die Zeit, meinen Satz zu vollenden:

»Aber, Verzeihung, die Syndikate, die ich für wünschenswert halte, gehören schon lange nicht mehr zum Reiche der Einbildung, es bestehen in Frankreich schon einige tausende, besonders im Süden und Osten des Landes. Sie haben sich große Verdienste erworben und sind jeden Tag immer wieder von großem Nutzen, in bezug auf den Einkauf von Mastfutter und die nötigen Hilfsmittel, die zum Ackerbau und Weinbau dienen. Ich glaube, daß sie Besseres leisten könnten, und zwar: sich als Schiedsrichter aufstellen, wenn sich zwischen ihren Mitgliedern strittige Fragen zeigen sollten, Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, Streite schlichten und Werke ins Leben rufen, von denen ich eben sprach.«

Ich bestreite die Möglichkeit dieser Verwirklichungen und erkläre, daß nach meiner Ansicht die Anwesenheit der Herren in den Organisationen genügen würde, um alle Natürlichkeit, alle echte Tatkraft und alle Freiheit höchstwahrscheinlich zu lähmen. Daß solche Verbindungen günstige Kaufverträge abschließen, für die landwirtschaftliche Tätigkeit vorteilhafte Maßnahmen erwirken könnten, wäre schon möglich, aber wenn der allgemeine Zustand ein günstiger ist, ziehen die Besitzer die Schraube gleich etwas fester an: ihre Einnahmen steigern sich dadurch, und die Bauern sind weder in eine bessere Lage gekommen, noch werden sie reicher, geachteter oder glücklicher. Inzwischen belebt sich mein Widersacher immer mehr:

»Hören Sie einmal, ich glaube, mich von allen selbstsüchtigen Beweggründen genügend befreit zu haben, um völlig unparteiisch über die Dinge reden zu können, die ich kenne. Und wenn man mich einmal enteignen sollte, um meine Güter zu nationalem Eigentum zu machen, versichere ich Ihnen, daß ich weder empört, noch außer mir sein würde. Ich erkenne ganz freiwillig an, daß die Grundbesitzer nicht ohne Vorurteile sind und daß die Pächter, die die Mittelspersonen spielen, auch nicht fehlerfrei genannt werden können. Aber alles dieses selbst zugegeben, glaub ich doch, offen gestanden, daß Sie darin etwas weit gehen und daß Ihr sie für Euren Zweck noch schlechter macht, als sie sind …

»Ich halte wie Sie einige Neuerungen für sehr dringend. Ich bin für behaglichere Wohnungen, für die Abschaffung der Abgaben, die eine gewisse Art von Unbilligkeit an sich haben, wie es die vielfachen Lasten der Fuhren und der Aufzucht einer Reserve sind usw., und dazu noch für die Verringerung der zu hohen Bodensteuer.

»Nur kann sich das alles in Harmonie und Frieden durch Annäherungsversuche abwickeln. Und Eure Syndikate mit ihrem kriegerischen Gehabe lassen nur die Mißverständnisse zahlreicher werden, führen zum Widerstreit und graben den Abgrund um so tiefer, der die verschiedenen Klassen voneinander trennt. Das alles sind nur die Werkzeuge zu einem sozialen Krieg …

»Merkt Euch wohl, daß man die Bauern nicht mit den Fabrikarbeitern zusammenwerfen kann, oder mit den Arbeitern der Hüttenwerke. Selbst wenn man die Pachtbauern gewissermaßen für Besoldete und nicht als Teilhaber ansieht, so haben sie doch keinerlei Ähnlichkeit mit den Industriearbeitern. Sie leben, könnte man wohl sagen, von dem Ertrag ihrer Arbeit selbst, ohne daß Geld die vermittelnde Rolle spielt. Sie stehen mit ihren Herren in einer unmittelbaren, ständigen Verbindung, und die Verträge, die sie binden, ändern sich von Betrieb zu Betrieb.

»Das ist es, warum mich Ihre Propaganda etwas ängstlich stimmt, ich glaube, daß sie zu Widersinnigkeiten führt und daß, wenn so mit dem Feuer gespielt wird, Sie sich durch Anfachen der schlechten Instinkte eine recht schwere Verantwortlichkeit aufladen!«

Jeanne bringt mir das Kind hinein, das sie so lange draußen bei sich behalten hatte, und indem ich es nun auf meinem Knie tanzen lasse, wage ich eine mutige Verteidigungsrede zugunsten meines Feldzuges.

»Man ist jedermann die Wahrheit schuldig, Herr. Es ist gut, daß ein jeder sich bewußt ist über seine genaue Stellung in der menschlichen Gesellschaft. Und die Ungerechtigkeit muß mit allen Mitteln bekämpft werden …«

»Das sind schöne Grundsätze, ersichtlich wäre es falsch, da nicht zuzustimmen … aber die Anwendung der bewundernswertesten Grundsätze ist nicht möglich ohne ernste Schwierigkeiten zu bereiten, und man könnte nie genug Freisinn hierin an den Tag legen: Die Resultate sind zuweilen, wie Sie wissen, ganz davon verschieden, was man erhoffte. Vielleicht treten Ihnen schon in Ihren Versammlungen Unbesonnene entgegen, die sich Ihrer Grundsätze bemächtigen, um Vorschläge zu machen und Handlungen zu predigen, die Sie gewiß verdammen würden? Auf jeden Fall wird es noch dazu kommen, das kann ich Ihnen versichern …

»Etwas anderes noch … Sie werden sich weder ausbreiten können, noch nützliche Werke schaffen, denn Sie werden nur ausnahmsweise unter Ihren Kameraden Menschen finden, die fähig sind, ein Syndikat oder überhaupt ein Unternehmen zu verwalten. Sie haben diese Erfahrungen schon gemacht, indem sie zu einer Zentralgruppe alle im Entstehen begriffenen Gruppen einziehen mußten, die Sie versucht haben im ganzen Kreis zu gründen.

»Das Syndikat von Baugignoux wird vielleicht dank Ihrer Aufopferung und Ihren Fähigkeiten leben. Aber außerhalb Ihrer unmittelbaren Inangriffnahme ist nichts zu erwarten.

»Während aber, wenn die Grundbesitzer nicht ausgeschlossen wären, sich zwischen ihnen Männer mit gutem Willen finden würden, die im Besitz der nötigen Kenntnisse und der freien Zeit wären, um in jeder Gruppe die ganzen Verwaltungsarbeiten auf sich zu nehmen. Wohl verstanden, sie dürften sich nicht als Herren aufspielen, sondern ohne jeden Hintergedanken am gemeinsamen Werk mitarbeiten.«

Maurice fängt an ungeduldig zu werden, ich muß ihn, um ihn zu beruhigen, ganz hoch schnellen lassen, bis seine Füßchen die Höhe meines Gesichtes erreichen und muß jeden Aufstieg mit einem Ausruf begleiten: »Hop! Hop! Hop! Hop! lala! …« was ihm immer das Herzchen vor Freude schneller schlagen macht und ihn in ein lautes Lachen ausbrechen läßt.

Indem ich nun also in Zwischenräumen weiter fortfahre, mich mit diesem lärmigen Spiel zu befassen, geschieht es, daß ich die These meines Gegenredners als mir logisch unklar zurückweise. Ich bleibe dabei, daß es besser ist, für sich allein vorzugehen, trotz des Herumtappens, der Übelstände und der nicht ausbleibenden Fehler, als die Mitarbeit von Leuten anzunehmen, mit denen man eines oder des anderen Tages sich heftig auseinandersetzen wird. Der erste Versuch würde genügen, bei den Kameraden die aufrichtige Begeisterung zum Verlöschen zu bringen. So aber würden sich vielleicht nach nicht gar zu langer Zeit dennoch in jeder Geschäftsstelle mehrere finden, die entschlossen wären, gleich mir sich ihrer Ruhezeit und ihrer Mußestunden zu entäußern und Zeit zur Erledigung der administrativen Syndikatspflichten und der ihnen zukommenden gemeinnützigen Geschäfte zu erlangen.

Lange noch zog sich unsere Unterredung hin. Es kam die Rede auf den Herrn Duvernay, auf Herrn Trochère, auf den Sozialismus und auf die Politiker, dann auf das Evangelium und die Kirche, auf das kräftige rationelle Leben unserer Zeit und die Notwendigkeit eines Ideals, das ein jeder im Herzen tragen müsse … und ich dachte dabei an meine beiden armen Kühe, die da draußen auf dem Acker unter ihrem Joch verblieben waren, wo es ihnen doch so wohl getan hätte, sich frei auf dem Kleefeld zu ergehen, wohin ich sie immer zum Grasen hinbrachte, wenn sie nicht mehr zu arbeiten brauchten.

Jeanne hatte das Kind zu sich genommen, das in unserer Gesellschaft ganz unmöglich wurde, und neben dem Herd sitzend, gab sie ihm die Brust und versuchte es einzuschläfern.

Herr Doulon-Meuget versicherte mir gerade die Tiefe seiner christlichen Gefühle, als die Uhr elf schlug. Da erst begann er zu begreifen, daß sein Besuch sich allzusehr in die Länge gezogen hatte:

»Sapristi, wie spät es schon ist! Ich müßte schon seit langem wieder unterwegs sein … Das ist aber sicher, daß ich von unserer Rücksprache den allergünstigsten Eindruck mit mir nach Hause nehme. Und wissen Sie, daß ich Sie zum Gegensatz von einer Anzahl gewisser Menschen weder für einen ehrgeizigen Gernegroß, noch für einen Kriecher halte, sondern daß ich an Ihre volle Aufrichtigkeit glaube und Ihre großen und seltenen Verdienste vollauf anerkenne. Es scheint mir nur, daß Ihr Ausgangspunkt unrichtig ist und daß man Sie dahin mit fortreißen wird, wohin Sie nicht gehen möchten.«

Ich meine lächelnd:

»Nehmen Sie sich in acht, Herr, Sie werden sich vor Ihren Freunden vom ›Impartial‹ bloßstellen, die, wie Sie wissen, mich jeden Sonntag in den Dreck treten.«

»Der ›Impartial‹!« prallte Herr Doulon zurück. »Mit dem Blatt hab ich nichts gemein und will nichts von ihm wissen, ebensowenig wie von ›La Croix‹, bei der ähnliche Handhaben gebräuchlich sind. Diese Zeitungen tun der Sache, der sie zu helfen wünschen, den größten Schaden an …«

»Sie stellen wohl aber doch die gute Presse vor, denn die Geistlichkeit rühmt sie, verkauft sie und Ihre Freunde verbreiten sie, wo sie können.«

»Ich bin nicht der letzte, den das betrübt. Hören Sie, lassen Sie sich als Zugeständnis von Mann zu Mann sagen, daß wir beide, Sie und ich, Besseres zu tun haben als in den Zeitungen herumzuzanken. Sie als gebildeter Arbeiter haben sich gegen den Geist der systematischen Gewaltsamkeit zu erheben, der bei gewissen Ihrer Kameraden vorhanden ist; Sie müssen ihnen beibringen, was moralischer Stolz ist und was Würde bedeutet, und ich will Ihnen darin gerecht werden, daß Sie dieses auch schon in mehreren Ihrer Aufsätze versucht haben. Ich hingegen muß an der sozialen Bildung der bürgerlichen Klasse arbeiten; ich werde nicht ruhen, mich immer wieder gegen ihre Sorglosigkeit und ihren Egoismus zu wenden, um ihnen die Dringlichkeit der notwendigen Zugeständnisse klar zu machen.«

Der Vater Duplessis, mein Nachbar, zeigte sich in diesem Augenblick im Türausschnitt.

Ein kleiner Raubvogelkopf, der durch einen sehr langen dürren Hals mit einem mächtigen, knochigen Körper verbunden war, dergestalt wirkte auf uns der Gute in seinem schmutzigen verwitterten Arbeitsanzug.

»Ah! guten Tag, die Gesellschaft,« meinte er. »Verzeihung, daß ich störe …«

»Aber nein doch, nein, kommt nur herein, Vater Duplessis.« Er machte drei Schritte vorwärts.

»Ich bin gekommen wegen Marcel, weil ich dich fragen wollt, ob du nicht heute abend etwas hinüber kommen könntest, um mir zu helfen, meine Färse vorzuspannen. Es sind schon mehr als drei Wochen her, daß sie kein Joch auf dem Nacken gehabt hat, und ich scheue mich, ganz allein an sie heran zu gehen, um sie anzuschirren. Wenn man alt wird, sollte man keine jungen Tiere mehr einlernen: Man hat nicht die Kräfte dazu und auch keine Beweglichkeit, man ist nicht beherzt genug für so etwas.«

»Aber sicher komme ich. Unter Nachbarn schlägt man doch nicht so eine kleine Gefälligkeit ab … setzt Euch doch, Alter! Herr Doulon, wir wollen einmal zusammen anstoßen. Willst du mir mal die Flasche mit dem Quittenlikör und die Gläser hergeben, Jeanne?«

»Ich bin zwar schon verspätet,« bemerkte der Besitzer. »Aber ich will es Ihnen nicht abschlagen, ich weiß, daß es auf dem Lande Sitte ist …«

Er stieß voller Wohlwollen an, um sodann sehr höflich Abschied zu nehmen, indem er sich noch entschuldigte, so mir nichts dir nichts gekommen zu sein, ohne ein Nehmt-Euch-in-acht zu sagen und mich dadurch veranlaßt zu haben, meine Zeit zu verlieren, dabei sprach er die Hoffnung aus, daß unsere Beziehungen sich nicht auf diesen Besuch beschränken sollten.

Nachdem er fort war, sagte mir Vater Duplessis:

»Ist das öfter so, daß du Besuch hast, Salembier? Der Herr da hatte jedenfalls die Zunge auf dem rechten Fleck, ich hab Freude daran gehabt, ihm zuzuhören.«

»Besuch? … Ja, den habe ich oft, viel zu oft. So etwas stört immer. Aber dieser, der da weggegangen ist, ist kein gewöhnlicher Besuch, das war ein Bourgeois, Herr Doulon-Meuget aus Verneuil. Ihr müßtet wohl von seinem Vater haben sprechen hören, das war ein so guter Herr, daß er dem Ruf nach selbst hier herum bekannt war.«

»Doulon-Meuget? … Oh ja! ich besinne mich darauf … ein ehrenwerter Mann! Er war sehr beliebt. Aber, mag es sein wie es ist, sage du mir bloß eins, wenn du jetzt so weit bist, mit den Bourgeois dich zusammenzutun, wird es wohl bald nicht mehr möglich sein, an dich heranzukommen. So ein Mordskerl, sieh mal an! … Na, denn vorwärts, ich mach mich wieder auf den Weg. Bis auf nachher, wenn dich das nicht stören sollte.«

Ich ging schnell zu meinen Kühen hinüber, während mir Jeanne, auf der Schwelle stehend, nachrief:

»Zwei Stunden, daß sie da hinter der Hecke in der baren Sonne Wache stehen. Die werden schön Milch haben, heute abend, die armen Tiere!«


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