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Gedichte

Ihrer Hauptmasse nach sind die im vordern Text gebrachten Gedichte der Sammlung ›Gedichte und Phantasien‹ entnommen, wo sie vermischt mit den Erzählungen und mit Ausgeschiedenem in dieser Reihenfolge gebracht sind: Darthula nach Ossian, Timur, Don Juan, Die Manen, Wandel und Treue, Wunsch, Immortalita, Der Adept, Ein apokalyptisches Fragment, Mora, Musa, Die Erscheinung, Der Trauernde und die Elfen, Die Bande der Liebe, Des Wandrers Niederfahrt, Mahomets Traum in der Wüste, Zilia an Edgar, Liebe, Ariadne auf Naxos, Der Franke in Ägypten. Der Rest stammt aus dem (erstmals 1899 von L. Geiger veröffentlichten Nachlass mit Ausnahme des Gedichts: ›Ist alles stumm und leer ...‹, das schon in Bettinas Buch abgedruckt ist. (Die Autorschaft Günderrodes für dieses Gedicht wurde mit Entschiedenheit angefochten von der Dichterin Helmina von Chézy, die es für ihr Eigentum erklärte, dabei aber wahrscheinlich einem Gedächtnisirrtum unterlag. Näheres darüber: Ernst Jeep, Karoline von Günderrode, Wolfenbüttel 1895. Einige – vielleicht im Original begründete – Abweichungen vom Erstdruck bringt der deutsche Musenalmanach von O. Gruppe 1851.)

Im Text ausgeschieden wurden neben leicht gereimten Gebilden (Zilia an Edgar, Wunsch, Der Kuss im Traum, Lethe, Die Töne) vor allem die grösseren Balladen (Darthula nach Ossian, Don Juan, Piedro), die mehr im Zeitgeschmacke gehalten sind, oder doch (wie die erste der genannten) bei allem Drange noch nicht den vollen Ton gefunden haben. Auch die Reihe der Gedichte mehr christlichen Gepräges (Schicksal und Bestimmung, Vorzeit und Neue Zeit, Verschiedene Offenbarungen des Göttlichen, Das Fest der Maien, Novalis deinen heiligen Seherblicken ..., Wie Tau auch glänzt ..., Die Pilger, An Clemens) gehört deutlich der Peripherie des dichterischen Werkes Günderrodes an und muss (wie die schwärmerisch blassen Sonnette an Novalis und das ›An Clemens‹ gerichtete Widmungsgedicht offen verraten) von der unmittelbaren Nähe der Romantiker her gesehen werden. Die eigene Natur ist darin oft bis zum unwahren Ton verleugnet. Ihre Aufnahme in den vorderen Text hätte den Gesamteindruck der Dichtungen nur geschwächt. Am selbständigsten behaupten sich die beiden ersten Gedichte der genannten Reihe, die als echtestes Zeugnis von Günderrodes schwerer und strenger Natur gelten dürfen, wenn sie auch ihr Ethos noch nicht in letztgültiger Form aussprechen.

Abschliessend finde hier noch ein grösseres (im Vorwurf an ›Wandel und Treue‹ erinnerndes) Gedicht seine Stelle, das mit hoher Wahrscheinlichkeit Günderrode zuzuweisen ist, wenngleich ihre Autorschaft nicht unmittelbar bewiesen werden kann. Das Gedicht erschien ohne Namensnennung im August 1806 in Bertuchs Journal des Luxus und der Mode (Wiederabdruck bei Büsing). Die Vermutung, dass es Karoline zur Verfasserin habe, wurde erstmals mit gewichtiger Begründung von E. Rohde ausgesprochen. (S. 14.)

Der Jüngling, der das Schönste sucht

Eine Vision

Ein rätselhaftes Wesen war der Weise
Vom Berge. Jetzt von weitem sah ihn Horst,
Der lang umher, ihn aufzufinden, irrte.
Ein langes, schwarz Gewand umhüllte ihn,
Bis an die Brust vom weissen Bart bedeckt,
Und auf der Wange blühte noch der Lenz
Der Jugend, blühte um die frischen Lippen.
Versunken in Betrachtung stand er da,
Das Auge fest auf einer Quelle Spiegel
Geheftet. Tiefe Ehrfurcht flösst er ein,
Und Horst, um die Betrachtung nicht zu stören,
Hielt ehrerbietig in der Ferne sich.
Doch jetzt bewegte sich des Weisen Lippe,
Begierig lauschend horchte Horst dem Wort.

Unter dem Schönen
Preis' ich zuerst dich
Strömendes Leben.

Wallender Spiegel
Strahlst du zurück nicht
Meine Gestalt mir?

Sieh und es neiget
Meine Gestalt sich
Liebend dem Himmel!

In unendlicher Tiefe
Ruht er da unten.
Meine Gestalt in ihm!

Heilige Schauer wehen,
Leise Geistersprache!
In die ahnende Seele.

Entsprungen dem Schoss der Nacht,
Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,
Sprich, wohin gehst du?

Entsprungen dem Schoss der Nacht,
Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,
O, wohin geht meine Seele?

Nicht länger hielt sich Horst, es stürzte ihm
Die Glut sich feurig in die Wangen, ungestüm
Schlug seine Brust und trunken rief er aus,
Wie ihm der Jugend kecker Mut gebot:

Das Schönste gehet sie zu suchen, sprich, o sprich,
Du Unbegreiflicher, wo find ich das?‹
›Hast du verstanden, Jüngling, was ich sprach?‹
Da wandte sich das seltne Wesen um:

›Vor meiner Seele dämmert es‹ – rief Horst.

›Vergebens ist's in Dämmerung zu suchen,
Doch sage mir, kennst du das Schöne wohl?‹

›Das zu erkunden eilt' ich her zu dir,
Des seltne Weisheit jede Zunge preist.‹

›Vergebens sucht, wer nicht das Schöne kennt,
Er wird ein täuschend Schattenbild umfassen,
Tritt näher, Jüngling! Sprich, was blicket dich
Aus dieser Quelle reinem Spiegel an?‹

›Mir lächelt draus die eigene Gestalt.‹

Die wirst, ein anderer Narziss, du stets
Umfassen: sich in andern liebt der Mensch.‹

›So soll ich nie das Schönste denn erblicken,
Das dieses glühnden Herzens heisse Sehnsucht,
In Nächten ohne Schlaf, voll wacher Träume,
Stets ungestüm und ungestümer heischt?
Ein tückisch Wesen necket mich mit Schatten,
Und leere Luft umfasst der Arm, den ich
Voll Jugendglut ausstreckte! Meine Seele,
Wonach du lechzest ist der Traum des Traums!
Was in der hehren Stunden heilger Weihe
Zu Tat dich rief, ist Gaukelspiel des Wahns,
Und nimmer wird dein Auge es erblicken.‹

›Nichts Unsichtbares sieht das irdsche Auge.
Verstehst du einst, was vorhin ich gesprochen,
Dann hast du, Jüngling, was du suchst, gefunden.‹

›Verlass mich nicht so, rätselhafter Greis!
Nimm nicht des Herzens Ruhe grausam weg,
Verlösche nicht der Hoffnung schönes Licht!
Gefährlich ist's in Nacht und Dunkel wandeln,
Und dennoch treibt mich vorwärts kühner Mut,
Mich lässt das Herz, mich lässt der Geist nicht rasten.‹
›Ein Wort; bewahr es wohl im tiefsten Herzen! –
Der Widerschein von deinem Wesen ist's,
Was als das Schöne deinem Blick erscheint;
Das höchste Schöne wohnt bei Göttern nur.
Verstehst du nun der Quelle Geistersprache,
Dann wirst du Jüngling, was du suchtest, finden!‹
Und sieh, es schwebte aufwärts die Gestalt,
Von einer Silberwolke leicht getragen,
Ein schöner Schein verklärte rings die Welt.
Und als von oben Horst den Blick herab
Jetzt wieder kehrte, traut' er nicht dem Blick,
Er hatte sich, die Erde sich verschönert.


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