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An Karoline v. Barkhaus

(den 10. Juli)

Sehr lieb war es mir, meine Liebe, dass Sie meinen Brief so bald und so teilnehmend beantworteten, und gerne möchte ich noch recht viel mit Ihnen darüber sprechen. Ich fühle es nur zu sehr, wie weit ich von dem Ideale entfernt bin, das sich ein S. erträumen kann, als dass ich hoffen dürfte; gewiss wird er ein Mädchen finden, das seiner Liebe würdiger ist als ich, und beinahe liebe ich ihn zu sehr, zu uneigennützig, um zu wünschen, er möchte sein Ideal nicht finden. Ich weiss selbst nicht, was im Innern meines Herzens vorgeht, mit welcher Hoffnung ich mich trotz jenem traurigen Bewusstsein hinhalte, aber doch ist's so: ich kann mir es nicht verbergen, ein leiser, dunkler Glaube ist noch in mir. –

Kaum glaubte ich mich aus den Stürmen der Leidenschaft gerettet, glaubte mich sicher, und ich sehe mich wieder verstrickt: ich liebe, wünsche, glaube, hoffe wieder, vielleicht stärker als jemals. Wie freute ich mich an einem Morgen in Lengfeld, wie wir Geschwister wurden! Bruder nannte ihn meine Seele mit einer heiteren Innigkeit, die nicht grösser, nicht reiner hätte sein können, wenn ich ihn Geliebter genannt hätte. Seien Sie nicht böse, Liebe, dass ich so schwärme; sehen Sie, ich schweige schon, weil mir einfällt, ich könnte Ihnen lästig sein.

Wie vergnügt mögen Sie jetzt in dem Kreise der Ihrigen in Haslau sein, denn heute sind Sie wohl dort angekommen. Gewiss wird es da ähnliche Spaziergänge wie unsere berühmte Besteigung des Ozbergs geben; und doch bedürfen Sie bei so vielen glücklichen Familienverhältnissen kaum eines äusseren Anlasses, um glücklich zu sein. Wenigstens ist das mein Urteil über Ihre jetzige Lage, deren feinste Schattierungen ich freilich noch nicht so genau kennen kann. Doch glaube ich bemerkt zu haben, dass viel Harmonie und Friede in Ihrem Charakter ist, und dies ist wohl die Anlage zum wahren Glück, das unabhängig von Zeit und Umständen ist und bleibt.

den 13.

Der Tag meiner Abreise von hier ist noch nicht bestimmt; gewiss wird es aber erst gegen Ende der künftigen Woche geschehen. Nicht wahr, Sie schreiben mir noch einmal? Empfehlen Sie mich den Ihrigen.

Ihre Freundin
Karoline G.


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