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Anhang

Biographische Skizze.

Die ausführlichste Darstellung vom Leben Günderrodes gibt Karl Schwartz (in der Ersch-Gruber'schen Enzyklopädie I, 97); dieser vorzüglichen Arbeit sind manche der im folgenden gebrachten Daten entnommen.

Karoline v. Günderrode ist geboren am 11. Februar 1780 zu Karlsruhe als die Tochter des markgräflich-badischen Kammerherrn Hektor Wilhelm v. Günderrode (1755-1786) und seiner Gattin Luise (1759-1819, geborene v. Günderrode, Verwandte aus einer Seitenlinie dieses alten sächsischen Adelsgeschlechts). Sie war das älteste von sechs Geschwistern, von denen drei in jugendlichem Alter an Auszehrung starben (Luise 13-jährig 1794, Charlotte, Karolinens Lieblingsschwester, 18-jährig 1801, Amalie 17-jährig 1802; bloss die Geschwister Wilhelmine und Hektor überleben Karoline).

Die ersten Jugendjahre verbringt Karoline im Kreise ihrer Familie zu Hanau. Im Frühjahr 1797 trat sie – wohl unterm Zwange ihrer keineswegs günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse – in das Cronstetten-Hynspergische evangelische Damenstift zu Frankfurt a. M. ein, wo sie zwei kleine Zimmer (zu ebener Erde nach dem Garten hin) bewohnte. Entgegen den sehr engen und arg beschränkenden Stiftssatzungen scheint Karoline weitgehende Freiheiten genossen zu haben. In der Wahl ihres Verkehrs ist sie kaum behindert; auch begegnen wir ihr während der folgenden Jahre häufig im elterlichen Hause zu Hanau oder dem grosselterlichen zu Butzbach und bei befreundeten Familie in kürzerem oder längerem Aufenthalt (so in Offenbach bei der Familie Brentano, in Marburg und auf Trages bei Savigny, in Sickertshausen bei Würzburg bei ihrer Freundin Karoline von Mettingh).

Zu ihrem engeren Freundeskreis zählte in den ersten Jahren u. a. Karoline v. Barkhaus (geborene von Leonhardi) und deren Schwester Sophie, Susanne von Heyden (eine Verwandte der Klettenbergschen Familie), Pauline und Lotte Servière, Lisette Nees von Esenbeck (geborene von Mettingh; aus dem Romantikerkreis: die Geschwister Clemens und Bettina Brentano, Achim von Arnim, Franz v. Savigny (der bekannte Rechtsgelehrte). Zum letztgenannten fasste die 19-jährige eine lebhafte, durch einige Jahre hindurch genährte Neigung, von der uns neben den Briefen an die Freundin Karoline von Barkhaus gewiss auch manche Dichtungen dieser Jahre zeugen.

Sehr früh schon greift Karoline nach dem geistigen Nahrungsstoff, wie ihn ihr der nähere und fernere Umkreis bot, und gewiss wird man bei der Gesamtbeurteilung ihres dichterischen Werkes das Besondere dieses Bildungsfaktors nicht übersehen dürfen. Neben Herder wirkt vor allem Jean Paul (Siebenkäs, Kampanerthal) und Schleiermacher auf sie ein; auch Hölderlins Hyperion findet sich in frühen Briefen erwähnt. Die Beschäftigung mit Fichte weicht später einem eifrigen Studium Schellings. Ausführliche Studienhefte (des Nachlasses) reden uns von dem unermüdlichen Eifer, der sich abwechselnd auf mathematisch-geometrische, physikalisch-chemische, wie geschichtliche und philosophische Gegenstände werfen mochte.

Karolinens erster Gedichtband erschien – wohl durch die Vermittlung des befreundeten Naturforschers Nees von Esenbeck (des Gatten ihrer Freundin Lisette) – 1804: ›Gedichte und Phantasien‹ von Tian, Hamburg und Frankfurt. Die Aufnahme des schmalen Bändchens war keine ganz ungünstige. Der Rezensent der (von Goethe herausgegebenen) Jenaer Allg. Literaturzeitung 1804 Nr. 163 – offenbar auch der schon genannte Nees von Esenbeck – macht auf viele Schönheiten und Gelungenes dieser Gedichte aufmerksam. (Ein Brief Goethes an Eichberg nennt die Gedichte Tians ›eine wirklich merkwürdige Erscheinung‹, die eine solche Rezension sehr wohl rechtfertigte.) Den ›Gedichten und Phantasien‹ folgten 1805 im Frankfurter Verlag Wilmans die ›Poetischen Fragmente‹ (enthaltend: Piedra; Die Pilger; Hildgund; Mahomet). Im gleichen Jahre brachten die Heidelberger ›Studien‹ (herausgegeben von Daub u. Creuzer) die Dramen: ›Udohla‹ und ›Magie und Schicksal‹; ein zeitlich diesen beiden sicher vorangehendes Stück: ›Nikator‹ erschien erst 1806 im Taschenbuch der Liebe und Freundschaft; die ›Geschichte eines Braminen‹ 1805 in den ›Herbsttagen‹ der Sophie von La Roche. All diese Produkte erfuhren von den Zeitgenossen eine wesentlich ungünstigere Beurteilung als das erste Gedichtbändchen (ausführliche Besprechung des Mahomet durch Nees von Esenbeck siehe Jenaer Allgem. Literaturzeitung vom 13. Juni 1807, wieder abgedruckt bei Schwartz).

Von entscheidender Bedeutung für Karolinens Leben und ferneres (ihren Zeitgenossen völlig unbekannt gebliebenen) Schaffen wurde ihre nahe Beziehung zu dem Heidelberger Philologen und Altertumsforscher Friedrich Creuzer, mit dem sie im Frühjahr 1804 durch Daubs Vermittlung bekannt geworden war.

Über die Liebe Karolinens zu Creuzer ist viel Überflüssiges und wohl auch Unsinniges geredet worden, indem man mit Heftigkeit bald für bald gegen Creuzer Partei nehmen zu müssen glaubte. Der Klatsch ruhte auch dann nicht, als zu Ende des vergangenen Jahrhunderts Creuzers Briefe überraschend auftauchten: Erstveröffentlichung – im Auszug – von Erwin Rohde Heidelberg 1896; vollständig von Preisendanz, München 1913). Hier genüge eine kurze Aufzählung des Tatsächlichen, soweit es sich aus diesen Briefen ergibt und soweit es für die Zeichnung von Karolinens Lebensbild von Belang ist. (Eine nähere Beurteilung der Persönlichkeit Friedrich Creuzers ist an späterer Stelle gegeben.)

Die Neigung scheint von Anbeginn an auf beiden Seiten von gleicher Heftigkeit gewesen zu sein: es ist kaum zu entscheiden, wer der Liebende und wer der Geliebte. Der abenteuerliche Plan einer Ehe wird Ende 1805 aufgegeben, da – neben andern Hindernissen – Creuzers Frau (die zehn Jahre ältere Witwe des Professor Leske, im Briefwechsel die ›Gutmütige‹ genannt) nach anfänglicher Einwilligung einer Ehescheidung widerstrebt. Karoline entsagt dem leibhaftigen, bürgerlich anerkannten Besitz des Geliebten (rührendes Zeugnis hiefür der einzige uns erhaltene Brief an Creuzer), nicht aber dem heiligen und unverletzlichen Rechte auf seine Liebe.

Von der schöpferischen Macht dieses Eros überzeugt auch der flüchtigste Blick in Karolinens letzte Dichtung, das Buch Melete, das uns Spätergebornen wie durch ein Wunder erhalten blieb und das nach Karolinens persönlichstem Geständnisse die Frucht ihrer Liebe zu Creuzer war. Die ›Zueignung‹ deutet unverhüllt auf ihn, die ›Briefe zweier Freunde‹ nennen den Geliebten geradezu beim Namen (›Eusebio‹ ist in den späteren Briefen Creuzers Deckname wie ›der Freund‹ der Karolinens), viele der Gedichte (u. a. der Adonis-Zyklus, Ägypten, Der Nil, Eine persische Erzählung) sind ihr in ihren Motiven von Creuzer, dem gründlichen Kenner und tiefen Deuter alter Mythe geschenkt, so sehr sie als dichterisch Geformtes auch zu ihrem Eigensten geworden sind.

Kein Zweifel: Karoline bedurfte Creuzers, um ihr Verborgenstes ins höchstmögliche künstlerische Bewusstsein zu steigern und ihr Wesen in einer klar erwogenen Reihe tiefer Sinnbilder und mythischer Erinnerungen darzustellen. (Über das wundersame Schicksal des Buchs Melete und den näheren motivischen Zusammenhang mit Creuzers Lebenswerk wird eine spätere Stelle des Anhangs sprechen.)

Auch Karolinens Schicksal reift im Brand dieser Liebe rasch seiner Erfüllung zu. Creuzers letzter Brief ist vom 27. Juni 1806 datiert. Durch fast zwei Jahre hatte der Briefwechsel im schwankenden Auf und Ab von Leidenschaft und Besonnenheit gedauert. Auch die letzten Briefe Creuzers sind durchaus noch zart und gefüllten Tons bei aller gelegentlich sich verratenden zitternden Unruhe und Zweifelsucht, und es ist durchaus falsch und verdeutelnd, wenn man darin ein Gleichgültigwerden und Kälte (bis zur frivolen Biederkeit des Heiratsvermittlers) wahrzunehmen glaubt (wie dies vor allem dem sonst guten und den deutschen Darstellungen durchaus überlegenen Buche der Geneviève Bianquis: K. v. Günderrode – Paris 1910 – vorgeworfen werden muss). Freilich ein Druck lastet auf diesen letzten Briefen, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich diese Schwüle aus einem halb ohnmächtigen, halb verzweifelten Gefühl heraus verstehe, dem Creuzer infolge einer Zwiespältigkeit und tragischen Unzulänglichkeit seiner im tiefern Grunde schönen und edlen Natur preisgegeben war. Der von mühsamster Wissenschaft und der Not des Lebens gequälte und belastete Mann fühlte sich menschlich nicht frei genug und der sieghaften, alles einsetzenden Liebe Karolinens, die ihn selbst zum Gotte erhob, nicht gewachsen. Man höre diese Stelle aus einem der letzten Briefe: ›Deine beiden Lieder sind sehr schön und Tians und Ions würdig. Aber eins betrübt mich bei diesen und allen Deinen Liedern an mich, dass der Mittelpunkt unwahr ist. Ihr Mittelpunkt ist eine Anschauung von einer ganz seligen göttlichen Ruhe, die mein Wesen sein soll. Das ist nun leider nicht wahr, indem ich nur in der Reflexion existiere und im Denken, und alle Ruhe, die etwa in mir sein mag, ein blosses Abstraktum ist, das ich aus Gefühl meiner Verpflichtungen erwerbe; keineswegs jene selige Ruhe, die göttlich in sich selbst über allem Denken hinaus liegt. – Dieser Grundirrtum Deiner Anschauung von mir ist ernsthafter Art und macht mir oft sehr bange.‹

In den letzten Tagen des Juni traf Creuzer noch einmal mit Karoline in Frankfurt zusammen. Näheres über dieses Zusammensein ist nicht bekannt. Zurückgekehrt fiel Creuzer nach wenigen Tagen in eine schwere Nervenkrankheit, dass die Freunde beinahe an seiner Wiedergenesung zweifelten. (Berichte der Freunde siehe Preisendanz: Die Liebe der Günderrode, München 1912.) Sein erster Schritt nach wiedererlangtem Bewusstsein war der dem Freunde Daub in aller Bestimmtheit gegebene Auftrag, Karolinen die Lösung ihrer beiderseitigen Beziehungen mitzuteilen. (Wie Daub sich des Auftrages entledigte, ist uns in einem kurzen – später gebrachten – Briefwechsel zwischen ihm und Susanne von Heyden erhalten.)

Karoline nahm die Absage des Geliebten, die ihr durch einen Zufall unvermittelt in die Hände fiel, nach dem Berichte ihrer nächsten Umgebung mit keinem Zeichen sichtlicher Erregung auf. Nachdem sie eine Zeitlang in ihrem Zimmer sich verweilt und dort die letzten Willensverfügungen getroffen hatte, begab sie sich – scheinbar zu einem Spaziergange gerüstet – zum Rhein hinunter. Dort ward sie am Morgen des 27. Juli 1806 erdolcht von einem Bauern aufgefunden.

Man begrub die Tote an der Friedhofsmauer des kleinen Kirchhofs zu Winkel. Die Stelle ihres Begräbnisses wurde später durch eine mächtige Steinplatte gekennzeichnet, darauf in grossen Typen die schon bekannten Verse eingegraben sind (Erde du meine Mutter ... ), die Karoline noch am Tage ihres Todes – sich einer Stelle der Herderschen Übersetzung eines indischen Weisen erinnernd, doch diese merkwürdig schön verwandelnd – niedergeschrieben hatte.

Der Kirche zu Winkel hat Karoline – einer Urkunde zufolge – 75 Fl. ihrer Barschaft vermacht, »wo von den Interessen denen Schulkindern jährlich den 26. Juli Brod ausgetheilt werden soll.«


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