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Die Erscheinung

Siegreich zog das persische Heer gen Ispahan, durch die südlichen Provinzen zurück. Am Eingang der Bucht von Ormus ward, in einem angenehmen Tale, ein Lustlager errichtet, damit der König sich dort ergötzen möchte, indes die Hauptstadt sich bereitete, den Sieger mit asiatischem Pomp zu empfangen.

Es war Abend. Musik, Gesang und Freude war in allen Teilen des Lagers, nur der König sass einsam unter einem Palmbaum und vernahm nichts, als das ungestüme Brausen der See an den Felsen von Ormus, denn seine Seele war der Freude verschlossen. Da trat Nadira zu ihm. Nadira! die Sängerin süsser Wehmut. Dunkle Locken umflossen wie Trauergedanken die Stirne des Mädchens, das Feuer ihrer Augen erlosch in glänzenden Tränen, leise umschwebte ihre Stimme die bebenden Saiten, leise, wie die Lüfte des Frühlings umschweben die duftenden Blumen, und sie sang:

Die Sonne ist in Purpurfluten versunken, die Mittagswinde kühlen ihre heissen Flügel in den Düften der Nacht, und die freundlichen Sterne steigen herauf und erwecken zu Leben und Freude. Aber! o ihr Sterne! und du, Sonne der Nacht! silberner Mond! warum erweckt ihr nicht Freude im Busen Selimas? Schön war Selima, wie ein Engel der Gnade, aber jetzt ist sie bleich, wild weht ihr Haar, ihr Mund lächelt nicht, ihr Auge ist starr, denn Astor ist dahin! Er wird nimmer gefunden, der schöne Astor!

Astor! Astor! rief der König: O Sängerin! warum hast du meinem Schmerze diesen Namen genannt?

Er raffte sich wild auf und eilte fort durch die Nacht; die Hände ringend, ging er am Ufer auf und nieder und rief noch immer: Astor! Astor! du wirst nimmer gefunden!

Ebn-Allar folgte bestürzt seinem König und redete ihn also an: Warum, o glänzender Jüngling! Liebling der Gottheit! warum vertrauerst du den Frühling deines Lebens? Ruhm und Liebe lächeln dir, und du trauerst? Komm, verlasse diesen düstern Aufenthalt, der Himmel liegt schwer und drohend über der See; komm! verlass diesen Ort.

König: Finsterer als dieser Ort ist meine Seele, blutige Todesengel schlagen ihre schwarzen Flügel um mein Haupt. O, Astor! aus deinem vergossenen Blute steigt ein böser Geist rächend herauf. – Unglückselige Tat! War er der Verräter, warum musste ich der Mörder sein?

Ebn-Allar: Vergiss den Toten und gedenke der Lebenden; er hat dir die Treue gebrochen, sein Tod war Gerechtigkeit.

König: Wenn du jemals mein Freund warst, Ebn-Allar, so gib mir den einzigen Trost, dessen ich fähig bin. Du rühmst dich der Wissenschaft, Tote aus ihren Gräbern zu rufen und ihre verschlossenen Lippen zu öffnen. Wenn du es kannst, so rufe mir jetzt den Geist von Astor.

Ebn-Allar gehorchte. Beschwörungen murmelnd, warf er sich andächtig verzückt, am Meeresstrand nieder.

Die Wogen brachen sich ächzend am Ufer, die Nachtwinde brausten mit wildem Ungestüm und über das Tor des Todes flogen krächzende Nachtvögel. Mit schaudernder Erwartung sah der König hinaus in die Nacht, da vernahm er ein leises Rieseln der Fluten, und aus den Wassern erhob sich langsam ein bleicher Jüngling mit blutigen Locken, ein blasser Mondschein umglänzte ihn, und sein Blick weilte traurig auf dem König.

Geist: Was rufst du mich herauf, König von Persien?

König: Astor! bist du unschuldig oder strebtest du nach meiner Krone und meinem Leben?

Geist: Das Blut, das an deinem Dolche klebt, ist unschuldig, mein letztes Todesröcheln war Vergebung dir, aber du vernahmst es nicht. Immer tiefer in die Wogen hinab sank die bleiche Gestalt, die Wasser rieselten und rauschten endlich dahin über die blutigen Locken.

Vergib mir! vergib mir! ich komme, dich zu versöhnen, rief der König, und streckte die Hände nach dem Verschwindenden aus, als wollte er ihn erfassen an den blutigen Locken oder am Grabtuch. Jetzt öffnete das Meer den weiten Schoss, der König stürzte hinab, und verschlungen von den Fluten war der Jüngling, in der Blüte der Jugend, in dem Glanze des Ruhms.


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