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Mahomed

(Probe aus dem zweiten Zeitraum)

Sofian: Du, Mahomed, gibst dich für einen Propheten aus, du sagst, der Gott der Israeliten und der Christen habe dich zu uns gesandt; wenn es wahr ist, so bekräftige deine Sendung durch Wunder. Ich schwöre dir, wir wollen dir glauben, wenn du in der Wüste einen Garten blühen lässest oder dem Berg Thaur gebietest, dass eine Quelle in seinen Felsen entspringe.

Mahomed: Der Gott, der die Himmel trägt, umgibt euch mit Wundern, er kann grössere tun als die, welche ihr begehret. Aber ich bin nur ein Mensch, gesandt, die Tore des Himmels für euch aufzutun. Was würde es euch helfen, wenn ich den Thaur Quellen sprudeln hiesse oder der Wüste geböte, sich grün zu bekleiden, würde darum die Wahrheit wahrer oder das Schlimme gut werden? Ein böser Geist könnte mir die Macht gegeben haben, solches zu tun.

Kaled: Wenn du, o Mahomed, ein Seher göttlicher Geheimnisse bist, so beantworte mir eine Frage. In den heiligen Büchern der Juden stehet geschrieben von einem grossen Überwinder, der da kommen und sich den Aufgang und Niedergang unterwerfen würde. Sage uns, wer ist dieser Überwinder?

Mahomed: Ich will es dir sagen, Kaled! höret mir zu, ihr Männer von Mekka! Es liegt ein Land auf dem Herzen der Erde, die Meere umfangen es brünstig mit ihren Armen und seine Bäche fliessen glänzend wie Silber und süss wie Honig durch die Ebenen. In der Wüste dieses Landes erzeugte der Hauch des Himmels einen Knaben, der bald heranwuchs zum starken Manne; sein ungeheures Haupt war mit dichten Schleiern bedeckt und sein Kleid rosinrot, wie das Blut der Opfertiere; er sass auf einem Stuhle, den Cherubim trugen, in seiner Linken hielt er eine Gesetztafel, in seiner Rechten ein goldenes Zepter und hundert Lippen sprachen Worte der Weissagung unter den Schleiern hervor. Aber die Kinder der Welt traten zu ihm, zerbrachen die Tafel in seiner Linken und entrissen seiner Rechten das goldene Zepter; da veraltete der Mann auf dem Stuhle, er ward schwach und die Lippen der Weissagung verstummten. Aber Gott gebot, da erwuchs ihm ein Sohn, der hatte nur ein Auge, das er immer gen Himmel richtete und die Erde nicht sehen konnte; sein Herz war sehr gross und voll weicher Tropfen; in seiner Linken trug er eine Dornenkrone, in seiner Rechten ein Kreuz, und so durchwandelte er die Erde wie ein Pilgrim, der an den Hütten der Dürftigen und Niederen anklopft. Und Gott gebot abermals, da erwuchs dem Greise noch ein Sohn, der ist gross und stark, er hat zwei Augen, das eine richtet er gen Himmel, das andere zur Erde; zwei Hörner, gekrümmt wie die Sichel des Mondes, sind auf seinem Haupte; das Mark des Löwen ist in seinen Gebeinen, und in der einen Hand trägt er ein Buch, in der andern ein Schwert; dies ist der Held, von dem geschrieben steht: Er wird sich den Niedergang unterwerfen bis zum äussersten Westen, wo die Sonne untergeht in einem Meere von Dunkelheit, und er wird sich den Aufgang unterwerfen bis zu den Völkern, über deren Häuptern die Sonne senkrecht steht. Dies ist der Überwinder. Einst wird es euch klar werden nach dieser Zeit, jetzt aber bleibt es euch noch dunkel.


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