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Wandel und Treue

Violetta

Ja, du bist treulos! lass mich von dir eilen;
Gleich Fäden kannst du die Empfindung teilen.
Wen liebst du denn? und wem gehörst du an?

Narziss

Es hat Natur mich also lieben lehren:
Dem Schönen werd' ich immer angehören
Und nimmer weich ich von der Schönheit Bahn.

Violetta

So ist dein Lieben wie dein Leben, wandern!
Von einem Schönen eilest du zum andern,
Berauschest dich in seinem Taumelkelch,
Bis Neues schöner dir entgegenwinket –

Narziss

In höhrem Reiz Betrachtung dann versinket
Wie Bienenlippen in der Blume Kelch.

Violetta

Und traurig wird die Blume dann vergehen,
Muss sie sich so von dir verlassen sehen!

Narziss

O nein! es hat die Sonne sie geküsst.
Die Sonne sank und Abendnebel tauen.
Kann sie die Strahlende nicht mehr erschauen,
Wird ihre Nacht durch Sternenschein versüsst.
Sah sie den Tag nicht oft im Ost verglühen?
Sah sie die Nacht nicht tränend still entfliehen?
Und Tag und Nacht sind schöner doch als ich.
Doch flieht ein Tag, ein andrer kehret wieder;
Stirbt eine Nacht, sinkt eine neue nieder,
Denn Tröstung gab Natur in jedem Schönen sich.

Violetta

Was ist denn Liebe, hat sie kein Bestehen?

Narziss

Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen;
Betrachten will sie alles Treffliche.
Hat sie dies Licht in einem Bild erkennet,
Eilt sie zu andern, wo es schöner brennet,
Erjagen will sie das Vortreffliche.

Violetta

So will ich deine Lieb als Gast empfangen;
Da sie entfliehet wie ein satt Verlangen,
Vergönnt mein Herz ihr keine Heimat mehr.

Narziss

O sieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe!
Er lächelt wonnig, freundlich und das trübe
Gewölk des Winters, niemand schaut es mehr!
Er ist nicht Gast, er herrscht in allen Dingen,
Er küsst sie alle, und ein neues Ringen
Und Regen wird in allen Wesen wach.
Und dennoch reisst er sich aus Tellas Armen
Auch andre Zonen soll sein Hauch erwarmen,
Auch andern bringt er neuen, schönen Tag.

Violetta

Hast du die heilge Treue nie gekennet?

Narziss

Mir ist nicht Treue was ihr also nennet,
Mir ist nicht treulos was euch treulos ist! –
Wer den Moment des höchsten Lebens teilet,
Vergessend nicht, in Liebe selig weilet,
Beurteilt noch und noch berechnet, misst,
Den nenn' ich treulos, ihm ist nicht zu trauen,
Sein kalt Bewusstsein wird dich klar durchschauen
Und deines Selbstvergessens Richter sein.
Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande,
Dem ich mich gebe in der Liebe Bande,
Wird alles, wird mein ganzes Wesen sein.

Violetta

Gibts keine Liebe denn, die dich bezwinge?

Narziss

Ich liebe Menschen nicht, und nicht die Dinge,
Ihr Schönes nur – und bin mir so getreu;
Ja Untreu' an mir selbst wär andre Treue,
Bereitete mir Unmut, Zwist und Reue,
Mir bleibt nur so die Neigung immer frei.
Die Harmonie der inneren Gestalten
Zerstören nie die ordnenden Gewalten
Die für Verderbnis nur die Not erfand. –
Drum lass mich, wie mich der Moment geboren.
In ewgen Kreisen drehen sich die Horen
Die Sterne wandeln ohne festen Stand,
Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder,
Der Strom des Lebens woget auf und nieder,
Und reisset mich in seinen Wirbeln fort.
Sieh alles Leben! es ist kein Bestehen,
Es ist ein ewges Wandern, Kommen, Gehen,
Lebend'ger Wandel! buntes reges Streben!
O Strom! in dich ergiesst sich all mein Leben!
Dir stürz ich zu! vergesse Land und Port!


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