Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Marko Kraljewitsch und die Vile.»Vile« Nymphen, welche auf die Schicksale der Sterblichen oft mächtigen Einfluß ausüben. Sie wohnen – nach der Sage der Serben – im hohen Gebirge, an den Quellen der Flüsse, sind bezaubernd von Gestalt und im Besitze ewiger Jugend. Die Vilen erscheinen dem Menschen immer in blendend weißem Gewand mit fliegenden Haaren. Sie erhalten oft besondere Namen, wie z. B. Xavijoila.

Serbisches Volkslied.

        Mutig zogen einst zwei Waffenbrüder
Über Miroschs herrliche Gebirge.
Marko Kraljewitsch, so hieß der eine,
Milosch, der Wojwod, nannt' sich der andre.
Mann an Mann, auf mut'gen Rossen reitend,
Mann an Mann, die blanken Lanzen tragend,
Einer küßt des andern weißes Antlitz,
Weil sich beide, gleich als Brüder, lieben.
Marko, auf dem Schecken fast entschlummert,
Sprach zu Milosch da, dem tapfern Bruder:
»O mein Bruder, du Wojwode Milosch!
Gar sehr hat der Schlummer mich bewältigt.
Singe Bruder, daß ich mich erheitre.«
Ihm erwidert Milosch, der Wojwode:
»O mein Bruder, o mein tapfrer Marko!
Gerne wollt' ich dir, mein Bruder, singen,
Doch verboten hat es mir die Vile.
Schwurt, wenn sie mich würde singen hören,
Mich mit scharfem Pfeile zu verwunden,
In den Hals und in das Herz, das mut'ge.«
Da entgegnet Kraljewitsch dem Bruder:
»Singe, Bruder, fürchte nicht die Vile.
An der Seite deines Freundes Marko
Und hier meines fernesehnden Scheckens
Und der goldnen sechsgezackten Keule.«
Hub hierauf der Milosch an zu singen.
Ein gar herrlich Lied hat er begonnen
Von den Alten, wie sie besser waren,
Wie jedweder einst das Reich verwaltet
Im gerühmten Lande Mazedonien,
Welchen Ruhm jedweder sich erworben.
Und das Lied war Marko lieb geworden,
Und er stützt sich an den Knopf des Sattels.
Marko schlummert und der Milosch singet.
Hörte ihn die Vile Xavijoila
Und begann mit Milosch wettzusingen.
Milosch singt, es singt die weiße Vile,
Aber schöner klingt des Milosch Stimme,
Als die Stimme klingt der weißen Nymphe.
Drob ergrimmt die Vile Xavijoila,
Springt hinauf in das Gebirge Mirosch,
Spannt zwei Pfeile auf zwei weiße Bogen.
Einer trifft den Milosch in den Nacken,
In sein heldenmüt'ges Herz der zweite.
Rief da Milosch: »Wehe meine Mutter!
Wehe Marko, mir in Gott verbrüdert.
Bruder weh', mich traf der Pfeil der Vile!
Hab' ich dir es nicht voraus gekündet,
Daß ich nicht soll singen durchs Gebirge!«
Riß der Marko sich da aus dem Schlafe,
Schnallte fest den Sattelgurt dem Schecken,
Küßt und halset sein geflecktes Rößlein:
»Wehe Schecke, meine rechte Hand, du!
Hol' mir ein die Vile Xavijoila,
Will mit blankem Silber dich beschlagen,
Blankem Silber und gediegnem Golde.
Will dich bis ans Knie mit Seide decken,
Von dem Knie mit Troddeln bis zum Hufe;
Will die Mähnen dir mit Gold durchflechten,
Will verzieren sie mit edlen Perlen.
Doch so du mir nicht erreichst die Vile
Will ich dich lähmen auch an allen Füßen
Und dich in der Öde hier verlassen,
Daß du irren sollst von Tann' zu Tanne
Wie der Marko ohne seinen Bruder.«
Dann erfaßt sein Roß er an den Schultern
Und durchbrauset das Gebirge Mirosch.
Vile flog am Gipfel des Gebirges,
Schecke schnaubte mitten durch die Wildnis,
Nicht zu sehen war sie, nicht zu hören.
Als jedoch der Schecke sie erblickte
Sprang er an drei Lanzen in die Höhe,
An vier Lanzen aber in die Länge;
Bald hat Schecke eingeholt die Vile.
Als sich also sah bedrängt die Vile,
Flog sie auf gen Himmel in die Wolken.
Da erfaßte Marko seine Keule,
Schleudert sie vielkräftig und behende,
Traf die Vile an die weiße Schulter,
Warf sie so zur schwarzen Erde nieder
Und begann sie mit der Keul' zu schlagen,
Wendet sie zur Rechten und zur Linken;
Schlägt sie mit der sechsgezackten Keule!
»Warum, Vile, daß dich Gott erschlage,
Warum schossest du auf meinen Bruder?
Gib jetzt Kräuter für den wunden Milosch,
Nimmer trägst du sonst dein Haupt von hinnen!«
Vile hub da an ihn zu beschwören:
»Laß um Gott, mein Bruder, tapfrer Marko,
Gott, den Höchsten, um den heil'gen Johann,
Laß' doch lebend mich nur ins Gebirge,
Daß ich Kräuter suche auf dem Mirosch,
Daß die Wunden ich dem Helden heile!«
Marko war barmherzig, Gottes wegen,
Fühlte Mitleid in dem Heldenherzen,
Ließ die Vile lebend ins Gebirge.
Vile pflückte Kräuter auf dem Mirosch,
Pflückte Kräuter, oft sich Marko meldend:
»Bruder Marko, werde alsbald kommen!«
Vile fand die Kräuter auf dem Mirosch,
Heilte bald mit diesen Miloschs Wunden.
Schöner ist des Milosch schöne Stimme,
Wahrlich schöner, als sie je gewesen.
Ging die Vile nieder ins Gebirge.
Und der Marko zog mit seinem Bruder,
In die Gegend zogen sie von Porecs
Wateten durch Timoks gelbe Fluten,
Dort, bei Bregow, bei dem großen Dorfe,
Gingen an die Grenze dann von Widdin.
Sprach die Vile zu den andern Vilen:
»Hört, ihr Vilen, und laßt euch warnen,
Schießt auf keinen Helden im Gebirge,
So vom Marko Kraljewitsch ihr Kunde,
Und von seinem fernhinsehnden Schecken,
Und von seiner sechsgezackten Keule.
Was mußte, Ärmste, ich von ihm erleiden!
Kaum, daß mit dem Leben ich entkommen.«

 


 


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