Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Der Jüngling im Walde.

Allegorie.

                Ein Jüngling, den Wanderstab in der Hand
Durchwanderte schier die halbe Welt,
Von Pole zu Pole, von Belt zu Belt
Und suchte immer der Heimat Land;
Doch was er suchte konnt' er nicht finden;
Es schien vor seinen Tritten zu schwinden.

Und wie sich mit Sehnsucht die Hoffnung stets paart,
So führte sie ihn auch zu Land und zu Meer;
Und heut' es zu finden vermeinet er
Dem er vergeblich gestern geharrt.
So wandert er fort mit munterem Schritte,
Und lenket durch einen Wald seine Tritte.

Und Nacht wird es nun, finstere Nacht,
Die Eule krächzet, der Nordwind erbraust,
Und durch die Blätter des Waldes saust
Der donnernde Sturm mit Riesenmacht;
Die Luft erglüht in Schwefeldämpfen,
Und die Elemente verheerend kämpfen.

Es blicket der Jüngling nach oben auf;
Und achtet des fallenden Hagels Gewicht
Und Stürme und Dornen und Wunden nicht,
Und eilet fort im irrenden Lauf;
Doch endlich ermattet sinkt er darnieder,
Und kalter Schweiß bedeckt ihm die Glieder.

Zum Himmel ringt er die Hände und ruft:
»O schleudre auf mich deiner Blitze Strahl,
Doch ende, o ende nur meine Qual,
Und mache den Forst mir zur Totengruft;
Denn konnt' ich noch immer das Teure nicht finden,
So lasse die Leiden mit mir entschwinden.«

Und sieh, durch die Zweige, in Nacht und Graus
Strahlt ihm in der Ferne ein freundliches Licht,
»Ist dort« ruft er froh »die Heimat nicht?
Ist dort nicht des Vaters glückliches Haus?
Dorthin soll die letzte Kraft noch ringen,
Nicht soll mich der Stürme Toben bezwingen.«

Zum Lichte hin treibt ihn der Hoffnung Strahl:
Er achtet die Stürme, den Hagel nicht mehr;
Das Flämmchen doch täuschte den Armen gar sehr.
Denn bald auf den Höhn, bald wieder im Tal,
Bald ihm zur Rechten, bald wieder zur Linken,
Sieht er es lockend entgegenblinken.

Doch kämpfend strebt er stets näher hin,
Und wenn er mit sinkendem Arme ringt,
Ist es nur das Licht, das ihm Stärke bringt;
Doch immer noch scheinet die Heimat zu fliehn.
Der Morgen ergrauet, die Nächte schwinden;
Die Heimat doch konnte er nimmer finden.

 


 


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