Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Auf dem Turme von Cremona.

(Aus einem größeren Gedichte.)

        Auf dem Turme von Cremona
Hallt's von Schritten, daß in Schrecken
Dohlenscharen, lust'ge Strolche,
Flattern scheu aus den Verstecken;

Gleichwie menschlich Nachtgevögel,
Diebsgesellen ihresgleichen,
Wo der Wächter Tritt zu spüren,
In beschwingter Flucht entweichen.

Des Gesetzes höchste Wächter
Jetzt hinan die Stufen schreiten,
Eine der drei Majestäten
Eine der drei Heiligkeiten.

Seltsam fruchtbar sind die Jahre,
Schwerer Segen drückt die Erde:
Deutschland hat drei Römerkön'ge,
Drei der Päpste Christi Herde.

Auf dem Turme von Cremona
Schweift der Blick entzückt ins Weite;
Dort steht Sigismund der König,
Papst Johann an seiner Seite;

Stehn wohl an derselben Stelle,
Wo der Rotbart, der sie baute,
Über Welschlands Gartenfluren
Nach den deutschen Alpen schaute.

Anders als gemeinem Schauen
Spiegelt sich des Bilds Entzücken
In den Augen eines Königs
Und in eines Papstes Blicken.

Sigmund sprach: »Die Gauen preis' ich,
Die getränkt von deinem Segen!«
Still doch denkt er. Wenn die Arme
Sich nach in meinem Wink bewegen.

Drauf der Papst: »Die Reiche segn' ich,
Die geschirmt von deinem Degen!«
Still doch denkt er: Wenn die Seelen
Dienstbar folgen meinen Wegen.

Sigmund sprach: »Mein heil'ger Vater,
All mein Stolz ist der Gedanke,
Daß ich heile unsre Kirche,
Die an Haupt und Gliedern kranke.

Ohne Zucht sind Lai'n und Priester,
Klöster die Herberg' der Sünde,
Und der Kirche Lichter leuchten
Prunkvoll durch des Lasters Gründe.

Doch wenn unterm heil'gen Hute
Sich zugleich drei Köpfe drängen,
Muß es, mein' ich, die Tiare
Oder eure Schädel sprengen.

Drum des Seelenheils Doktoren
Ins Konzil zu rufen eile,
Hör' den Spruch ehrwürd'ger Väter,
Daß er rate, strafe, heile!«

Drauf Johann: »Mein großer König,
Wer in eines andern Hause
Ordnung schaffen will, der spähe
Erst, wie's steht in eigner Klause.

Hört' ich doch von einem Sigmund,
Den die eigenen Magnaten
Hinter Schloß und Riegel sperrten,
Kaum wohl ob glorreicher Taten.

Und das Spottbild heil'ger Dreiheit
Saß auch auf german'schem Throne:
Mühlos auf dem Träumerhaupte
Blieb jetzt einem nur die Krone;

Weil vom Todesbolz getroffen
Gegner Jobst vom Thron gesunken,
Und vom Sitz der faule Wenzel
Zechend stürzte weinestrunken.«

Sigmund höhnt: »So kleine Mühen
Freilich ließ nicht jener gelten,
Der nicht hieß Baldassar Cossa,
Den sie Papst Johann jetzt schelten:

Erst ein Kräutlein mußt' er suchen,
Erst ein Tränklein macht' er schäumen,
Eh' ihm wollt' ein zäher Vorfahr
Der drei Plätze einen räumen.

Lag er nie im Kerker, leider,
Trieb er's toll doch als ein Freier,
Als in der Piratenbarke
Einst er flink geführt das Steuer.

Ja, in eines Raubschiffs Segeln,
In der Mordgesellen Mitte,
Lernt man Christi Schifflein führen
Nach dem Kompaß reinster Sitte.«

Da aufbäumt des Priesters Grollen,
Wie der Tiger, sich zum Sprunge,
Der Piratendolch von damals
Fährt vom Gürtel in die Zunge:

»Herr von Luxemburg, o pred'ge
Reine Sitten du vor allen,
Der durch Üppigkeit und Untat
Längst dem Fluch und Bann verfallen!

Stahlst, ein Mägdlein zu beschleichen,
Nachts dem Gastfreund die Gewande,
So auf ihn, den edlen Friedel,
Lenkend schlau Verdacht und Schande.

Nahmst zu Thron und Bett dann eine,
Wie sie ziemend dem Verlognen,
Barbara, die üpp'ge Schöne,'
Rächerin all der Betrognen;

Schmückst der neuen Messaline
Mit dem Diadem die Stirne;
Gut zum Hahnrei auf dem Throne
Taugt ja die gekrönte Dirne.« – –

Als die beiden heil'gen Schwerter
Grimm so aufeinanderklirrten,
»Steck' es in die Scheide Peter!«
Mahnt ein innrer Ruf den Hirten.

Eiseskalt, hochaufgerichtet
Schließt Johann mit Ruh' und Würde:
»Eines wisse, der du spottest
Unsrer Freiheit, dir nur Bürde;

Wir all dreie sind nur Sünder,
Staub und Hauch, der Zeit zum Raube,
Unvergänglich doch die Kirche,
Unerschütterlich der Glaube;

Wir zerspalten und zerfallen,
Sie die Ew'ge, einzig Eine,
Ob die Mächt'gen auch und Weisen
Scheiden aus der Christgemeine.

Unser bleibt das Heer der Starken,
Das uns dient mit Glut und Treue:
Armut, Kummer, Einfalt, Elend,
Sünd' und ihr Gefolg, die Reue;

Und mit diesem Jammerhaufen,
Und mit dieser Krüppelherde
Schlagen wir all eure Helden,
Alle Weisen dieser Erde!« –

Während die zwei Christenhäupter
Sich im Tausch die Sünden beichten,
Steht ein Finstrer hinter ihnen,
Dessen Augen wetterleuchten;

Der nun gern die beiden Frommen
Ihrer Sünden absolvierte;
Der Despot war's von Cremona,
Der zum Turm die Gäste führte.

Gabrie Fondolo stand lauschend,
Die Gedanken in Bedrängnis,
Armverschränkt und stirnerunzelnd,
Gleich dem lauernden Verhängnis:

»Wie, wenn diese beiden Schächer
Jetzt ich packte an der Kehle,
Und mit solcher Guttat sühnte
Meine mordbeladne Seele?

Wenn die Welt ich, statt von Guten,
Jetzt vom schlimmsten Paar befreie,
Und vom Turm die beiden schleudre
Höllenwärts, zermalmt zu Breie?«

Doch wie sich zum Meuchlergriffe
Schon die Riesenfäuste ballen,
Da im Umsehn streift sein Auge
Das Gefolge von Vasallen:

»Soll ich diese Schelme lehren,
Wie man so im Augenwinken
Flügel schmiedet für Tyrannen?«
Bangend läßt den Arm er sinken.

Noch im Volke geht die Sage,
Wie's nach Jahren an ihm nagte,
Wie's das Sterben ihm verbittert,
Daß er jene Tat nicht wagte. –

Papst und König schreiten friedlich
Jetzt herab des Turmes Stufen,
»Sehn uns bald in Kostniz wieder«,
Hörte man den König rufen.

Auf dem Turme von Cremona
Ist es öd' und stille heute,
Und es fanden nie sich wieder
Dort vereint so schöne Leute.

Mächtig hallen seine Glocken
Heut im gleichen Ton wie gestern,
Und die Dohlenscharen nisten
Ruhig in den alten Nestern.

 


 


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