Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Der Brautkuß.

Ballade.

              Was flattern die Raben am Hochgericht?
Was wimmert der Eulen ächzend Gezücht?
Sie wimmern der Sünderin Leichengesang,
Den Totenreih'n flattern die Raben bang.

Was blicket der Mond so bleich herab?
Er blicket traurig aufs frische Grab,
Wo eingescharrt die Verbrech'rin, die heut
Am Rade der grinsende Tod gefreit.

Ein Knäblein, das sündige Liebe gebar,
Rang hilflos das zarte Händepaar;
Statt Lebens gab Tod ihm der Mutter Hand,
Weil treulos der Vater in fernem Land. –

Der zieht nun zur Heimat bei stiller Nacht,
Kein Ahnungsbild ist in dem Falschen erwacht,
Vergessen die Taube, die er verführt,
Weil neue Liebe sein Herz nun regiert.

Und sinnend wallt er in die Nacht hinein,
Hell blinken die Sterne, der Mond so rein;
Da flattert der Raben und Eulen Gezücht,
Und siehe, er steht am Hochgericht.

Dort schimmert im silbernen Mondenlicht
Ein frisches Grab; er kennt es wohl nicht –
Und neben dem Leichenhügel hinab
Senkt tief sich, noch offen, ein anderes Grab.

Da fährt es ihm schaurig und kalt durch den Sinn,
Er starrt auf die beiden Gräber hin,
Und wie er aus seinem Entsetzen erwacht,
Sieht wandeln er eine Gestalt durch die Nacht.

Sie wallet ihm näher, und er erblickt
Ein Mädchen von himmlischer Anmut geschmückt;
Ein Kranz ihr weißrosig die Stirne umschließt,
Von welcher das goldene Lockenhaar fließt.

So steht vor ihm das herrliche Weib,
Ein Band von Demant umschlingt ihr den Leib,
Es streuet der Mond sein Silberlicht
Ihr mild in das bleiche Angesicht.

Und als er ins Antlitz der Wanderin schaut,
Erblickt er erstaunt die betrogene Braut,
Nun lodert der Liebe erstorbene Glut,
Es fließt ihm so wohl durch Gebein und Blut.

»Woher fein Liebchen, so spät bei der Nacht?
Was hat aus dem wärmenden Bett dich gebracht?«
»Ich floh aus der Kammer, da weil' ich nicht gern,
Denn Liebster, ich glaubte dich treulos und fern.

Es ließ im Gemach mir nicht Rast und Ruh,
Drum wallt' ich im Gram deinem Pfade zu.«
»Was deutet am Haupte der rosige Kranz?
Was prangst du so reich in des Schmuckes Glanz?«

»Der Brautkranz, der blüht auf dem Haupte mir,
Das Brautkleid, das ist meines Leibes Zier,
Es harren die Hochzeitsgäste im Haus,
Es blieb nur der Bräutigam zögernd aus.«

»Ich walle, mein Liebchen, zur Hochzeit mit dir,
Doch reiche erst liebend den Brautkuß mir,
Dann eine uns Segen und Schwur am Altar,
Dann schlinge den Reigen der Gäste Schar.«

Er schwellet zum Kusse die Lippe so heiß,
Doch Schrecken, er küßt nur Moder und Eis;
Es rieselt ihm Fieberfrost durch das Gebein,
Es schwindet verlöschend des Auges Schein.

Er sinket, er sinket im Schwindel hinab,
Und taumelnd sinkt er in das offene Grab,
Sein brechend Auge noch statt der Braut
Am Rade ein blaues Irrlicht erschaut.

Und krächzend flattert vom Hochgericht
Hinab auf die Leiche der Raben Gezücht,
Es wimmern die Eulen den Totengesang
Und durch die Nacht widerhallt es bang.

 


 


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