Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Trennung.

        Wie all die Fluten, die zum Meere streben,
Nicht eines Weges durch die Erde ziehn,
Wie sich geteilt des Stammes Äste beben,
Wo lohe Flammen hierher, dorthin sprühn;
So soll auch in des Menschen ernstem Leben
Was heute sich gepaaret, morgen fliehn,
Im Buch des Schicksals steht es so geschrieben –
Und nichts auf Erden ist vereint geblieben.

Der Jüngling glaubt oft schon gekrönt sein Streben,
Weil sie ihm hold, die frei sein Herz erwählt,
Doch scheiden muß sie, und mit ihr entschweben
Sein Glück, sein edles Hoffen, seine Welt;
Und in das trübe, sturmbewegte Leben
Sieht er ganz einsam sich dahingestellt,
Denn nur Erinn'rung blieb an schönre Stunden,
Die ihm so selig, doch zu schnell entschwunden.

Ein Nebelband fühlt er sein Aug' umschlingen,
Zu düster strahlt ihm selbst des Tages Schein,
Er wünschte sich des freien Aares Schwingen
Und über Seen, Berge, Tal und Hain
Wollt' er ins Land, wo sie verweilet, dringen,
Zum Eden würden ihm selbst Wüstenei'n;
Doch öde sind ihm Paradiesesauen,
Kann er ihr allbelebend Bild nicht schauen.

Des Äthers Barden ziehen durch die Luft,
In fernem Land erst senkt ihr Flug sich nieder;
Doch wenn des Lenzes milder Hauch sie ruft,
Dann kehren sie zum Heimatlande wieder,
Und wie der Frühling neuen Blütenduft,
So bringen sie uns neue Freudenlieder; –
Der Mensch allein ist's, den kein Ruf belehrt,
Ob er zur Heimat jemals wiederkehrt.

Ihn rafft die Zeit in wogenden Geschicken
Mit Riesenmacht in ihre Wirbel hin,
Und sieht er auch mit hoffnungsvollen Blicken
In Sturmesnächten mildre Sterne glühn,
Sie können nie auf ewig ihn beglücken,
Ein schwarz Gewölke wird sie bald umziehn,
Denn unser Leben wie des Meeres Wallen
Ist nur ein ew'ges Steigen, ew'ges Fallen.

 


 


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