Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Zeitklänge.

(Im Sommer 1870.)

I.
          Hoch auf dem Eisendraht am Schienengleise
Ein Vöglein sitzt. Wohin den Blick es wende,
Krönt Gottessegen reich den Fleiß der Hände;
Und heller, freud'ger trillert's seine Weise.

Da wogt die Saat im grünen Wälderkreise,
Dort trägt der Rhein zum Meer die edle Spende,
Hier fließt das duft'ge Gold vom Rebgelände
Wohl klingt sein Lied solch sonn'gen Gaun zum Preise.

Das Vöglein ahnt nicht, daß zu seinen Füßen
Im Draht, unhörbar, Unheilsworte rauschen,
Die bald empor als Sturmgewölk hier steigen;

Nicht wäre sonst sein Lied solch jubelnd Grüßen!
Denn, könnt' es jenen Sturmesboten lauschen,
Sein Haupt in Trauer müßt' es schweigend neigen.

 
II.
Du hörst nicht, wie's im Wort schon vorgewittert,
O Sänger auf dem Telegraphendrahte,
Wie mit der Untat prunkt der Diplomate,
Das Vätererb' um neuen Raub versplittert;

Wie schnöde Ländergier, die Beute wittert,
Sich sonnt im Treubruch, mästet im Verrate:
Wie Schelmenrat mitstimmt im Fürstenrate,
Vor Unrecht nicht, vor größerm Schelm nur zittert.

Wie jener ruft: »Du lügst, bei meinem Eide.«
Und dieser drauf: »Du Lügner selbst!« entgegnet,
Doch jetzt zuerst die Wahrheit sprechen beide.

O Sänger, wie ich fast dein Lied dir neide,
Das fromm sich wiegt im Äther gottgesegnet,
Nichts ahnend von so ungeheurem Leide.

 
III.
Doch nein, o nein! – Wie arg das Leid auch wäre,
Ob um die Wipfel Nebeldünste jagen,
Die Sumpfluft auf den Höhn soll nicht verklagen
Das Tal und seines Stromes Wellenkläre.

Im Tal, bei schlichtem Volke, will ich fragen
Nach Rettern, nach den Rächern deutscher Ehre:
Ha, wie ein Wetterstrahl flammt alle Wehre,
Und eines Sinns die Herzen alle schlagen.

Wo solcher Zorn auf Männerstirnen lodert,
Solch edler Trutz das Recht, sein Recht nur fodert
Verzage hüben, drüben, der Bedränger!

Wer dieses Volkes Ringen und Vollbringen
Einst jubelnd darf den freien Enkeln singen,
Sei mir begrüßt als glücklichster der Sänger.

 


 


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