Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Die Brüder.

        Wo Steyers Alpenhäupter nach Krain hinüberspähn,
Hart an der Grenze, sieht man zwei graue Schlösser stehn.
Das eine schattet unten im ufergrünen Strom,
Das andre ragt nach oben, gleich einem Felsendom.

Und in den Schlössern hauste in altem Brauch und Recht
Der wackern Reichenburger altadelig' Geschlecht;
Zur Gruft hinabgesunken, ist schon der Ahnen Schar,
In ihren Schlössern hauset das letzte Bruderpaar.

Und ruhten sie auch beide in einer Mutter Schoß
Und zog dieselbe Pflege die beiden Knaben groß,
So bleiben ihre Herzen doch feindlich stets verkehrt
Des gift'gen Grolles Flamme stets in der Brust genährt.

So saß in Grimm ein jeder auf seinem Schloß zumal,
Der eine auf dem Felsen, der andere im Tal.
Es guckte der von oben zum Fenster einst hervor,
Es blickte der von unten zu ihm aufs Schloß empor.

Die Wange glüht, es rollet das Aug' im wilden Lauf,
Neu lodert wohl in beiden des Hasses Brandstrahl auf –
Und schon hat Feuerröhre der eine hergerafft,
Ein Schuß fällt auf den Bruder, er trifft mit Blitzeskraft.

Des Toten Knechte stürmen zum Schlosse wild empor,
Die Felsburg ist erklettert, in Trümmern liegt das Tor,
Und eh' ihr Herr verröchelt noch hat sein warmes Blut
Kühlt schon des Todes Atem des Mörders freveln Mut.

So starb der Reichenburger altadeliger Stamm,
Nur noch die beiden Schlösser erhalten ihren Nam',
Und in der Burgkapelle, dort auf des Felsens Höhn,
Sind auch der Brüder Häupter zur Stunde noch zu sehn.

Und wütet auch im Leben des Hasses Arm gar schwer,
So weht doch von den Gräbern ein Geist der Liebe her;
Gar friedlich sieht die Häupter man nun beisammen stehn
Und sich unabgewendet ins hohle Auge sehn.

Und hat es wer gewaget und mit der frechen Hand
Feindselig voneinander die Köpfe abgewandt,
So hört man's reuig wimmern und klagen durch die Nacht,
Doch findet sie der Morgen zur alten Stell' gebracht.

 


 


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