Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Der Genius.

            Wie sich im raschen Flug die Töne
Der liederreichen Waldkamöne
Dem lauschenden Gehör entziehn:
So wird auch auf dem Rad der Zeiten,
Das wechselnd Glück und Unglück leiten,
Des Jugendfrühlings Dauer fliehn.

Und mit dem früh entschwundnen Lenze
Welkt auch die Pracht der Freudenkränze,
Und dürres Laub nur gibt die Zeit;
Und statt der Kindheit schönen Träumen,
Die stets mit der Erfüllung säumen,
Zeigt sich die schale Wirklichkeit. –

Doch sieh! Da naht aus Himmels Auen
Ein Wesen, schön und hehr zu schauen,
Ein mildgeschaffner Genius;
Und unsrer Träume Luftgestalten
Sieht man sich wieder neu entfalten,
Und alles winket Frohgenuß.

Was wir schon als verloren glaubten,
Was uns des Schicksals Fluten raubten,
Gibt neu uns seine Gegenwart;
Und Wesen, die schon längst entschwanden,
Umfesseln uns mit zarten Banden,
Und Liebe kommt mit Lust gepaart.

Die ausgelösten Feuer glühen,
Und die verwelkten Kränze blühen
In frischen Keimen neu empor;
Das längst verlorne Eden steiget,
Wo sich der holde Genius zeiget,
Bald aus dem Schattenreich hervor.

Wen er im heitern Flug umschwebet,
Der ist ein Gott, ist neu belebet,
Und Freude naht im raschen Schwung.
Willst du den Holden besser kennen?
Soll ich dir seinen Namen nennen?
Er heißt – – Erinnerung.

 


 


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