Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XXIV.

Wie der elende Tropff auß seinem jämmerlichen Zustand erlöst / und wieder zu recht gebracht worden.

ALs ich mitten in meinem erbärmlichen Elend und Jammer mit jetzt erzehlten Gedancken umbgieng / die mir ohn allen Zweiffel mein guter Engel auß einem sonderbaren Göttlichen Gnadenblick eingeben / sahe ich umb mich / und wurde gewahr / daß keine / oder doch sehr wenig würgende Soldaten mehr / sondern beydes Seelen- und Leib-Aertzt auff der Walstatt / ich wolte sagen / ein Priester und etliche Feldscherer oder Barbierer vorhanden waren / davon jener die abscheidende Seelen der Sterbenden / diese aber die Wunden der beschädigten Leiber zu curiren und zu verbinden sich bearbeiteten; Jch erhub meine Stimme sehr kläglich gegen ihnen / insonderheit aber gegen dem Pater, schreyende: Ach edler Christ! Ehrwürdiger Vatter / erbarmet euch meiner / und laßt mir durch eure Hülffe gedeyen / daß / gleich wie euer Wol-Würden auß getreuem Seelen-Eyfer sich auffs fleissigst dahin bemühen / damit die hinziehende an den seligen Ort gelangen möchten / daß mir auch durch eure Hülff und Cooperation durch gegenwärtige Wund-Aertzte am Leib geholffen werden möchte; und als er sich darauff zu mir näherte / sagte ich zu ihm / ich bin einer auß den Holländern / ob zwar kein geborner / die zu Beschützung ihres Vatterlands sich freywillig hieher begeben / und habe / wie der Herr Pater vor Augen siehet / den Lohn meines Frevels und vermessenen Thorheit empfangen / umb willen ich wieder die Sieghaffte Waffen deß Aller-Christlichsten Königs gantz unbesonnener Weise / und ohne allen Nothzwang Kriegs-Gewehr in die Hände genommen / 1000. Reichth. will ich zu dem ersten Kloster / so euer Orden zu erbauen vornehmen wird / umb die Wolthaten / so ich von eurer Wolwürden empfahe / darschiessen / so fern ich anders mit dem Leben darvon komme / und ein ander 1000. Reichsth. will ich vor meine ranzion, item zu contentirung der Wund-Aertzt erlegen / und mein Kost-Gelt über diß alles absonderlich bezahlen; Jch kriegte gnädige Ohren / und gutwillige Feldscherer / ohne Zweifel wegen so ansehenlicher promessen, jeder Theil wolte der erste seyn / die Geschäffte seines Beruffs an mir zu üben; demnach ich aber noch frisch redete / zumahlen die Feldscherer den Pater versicherten / daß es mit mir noch keine Lebens-Gefahr hätte / zumahlen ich mich in deß Paters Schutz ergeben / ohnangesehen es dessen Profession nicht war Gefangene anzunehmen / siehe / so wurde ich auff 4. Piquen gelegt / und zu deß Geistlichen Bagage in Sicherheit getragen / allwo die Barbierer nit allein meine Wunden verbanden / sondern auch meine blaue Mähler beydes / welches mir die Pferde getretten / und die Kugeln geschlagen / als ich noch fest gewesen / überall übersalbten und Tränck eingaben / das gerunnen Blut zu zertheilen und außzuführen / also daß ich bessere Sach überkam / und mehrere Wolthaten von dem Feind genosse / als ich mein Lebtag weder umb Gott noch die Frantzosen verdienet / worzu viel geholffen / daß ich mit ihnen parliren konte / mein Gelt / das ich bey mir trug / und erst den vorigen Tag erbeutet hatte / welches in lauter Louisen d'Or bestunde / theilte ich mehrentheils unter die Wund-Aertzt auß / weil der Pater nichts darvon anrühren wolte / so / daß ich unbesucht verbleibe / und die Kunst / mich unsichtbar zu machen / in meinem Gewalt behielte.

Uber ein paar Tag hernach kam mein Pater in Utrecht zu ligen / eben als der Schmertz meiner Wunden am grösten war / und ich anfieng schwartz gerunnen und gestockt Blut außzuwerffen wie Wamst-Ermel / und weil mein Pater deßwegen vermeynte / ich würde aufffliehen / so vermahnet er mich zur Beicht / worzu ich umb so viel desto williger war / weil mich die Wund-Aertzt beredeten / ich wäre mit einer falschen vergifften Kugel geschossen worden / die noch wol meinen gantzen Schenckel entzünden / und mich also wider ihr ersteres bessers vermuthen endlich auffopffern dörffte; Jch war von Hertzen geneigt / wie gemeldt / nicht nur wegen Forcht deß Todes / oder auß Sorg daß ich sterben möchte / zu beichten / sondern vornehmlich darumb / weil ich nunmehr Handgreifflich zu mercken begunte / daß ich / seyt mir mein Gelt außgemauset worden / gleichsam mit Leib und Seel in Gewalt deß leidigen Teuffels gewesen / der meine seyther gehabte unterschiedliche Begierden (vielleicht auch im Anfang) erregt / bewegt / gestärckt / und mir zu ihrer Erfüllung verholffen gewesen / biß er mich / wie an einer Ketten / auß einer Sünd in die ander / ja durch den Abgrund und tieffsten Sünden-Schlamm auff den Campum Martis, wie die Gaiß auff das Eyß geschleppt / allwo ich seiner Meynung nach den Lohn meiner Thorheit empfahen / und ihm als ein fetter Braten in seine Höllische Kuch auffgeopffert werden sollen / allein sorgte ich / ich würde dem guten Herrn Pater, wann ich ihm alle meine Ehebrecherische Huren-Hängstereyen / greuliche Zaubermässige Teuffels-Künste / und andere Schelmenstück und Diebsgriff erzehlen solte mit ihren Umbständen / daß ihm die Zeit zu lang werden / und alle Gedult / an welcher die gute Ehrbare Beicht-Vätter sonst gar keinen Mangel haben müsten / darüber außgehen werde.

Aber ich fande mehr Langmütigkeit als ich mir immermehr einbilden dörffen / und verspürte bey ihm eine sonderbare Freud / die er hatte / umb willen ich von selbst die Grösse und Abscheulichkeit meiner Sünden / wie tieff ich gefallen / und auff was vor einem gefährlichen Zweig ich gesessen / beyläuffig ermaßte / ob er gleich solche Freud vor mir verbarg; Was soll ich aber lang dem Leser viel darvon herschwetzen / wie es in der Beicht hergieng? Jch hoff nimmermehr / daß er so unbescheiden seyn werde / mir zuzumuthen / daß ich ihm etwas darvon sagen soll? Uber das hab ich ja sonst dem Leser / so viel meiner begangenen Boßheiten in dieser meiner Histori von selbsten so offenhertzig daher erzehlt / daß er ihm selbst wol einbilden kan / was ich und mein Beicht-Vatter miteinander in der Beicht tractirt haben möchten / zumahlen man ohne das nichts auß der Beicht schwätzen soll; Aber diß wisse von dieser meiner Beicht / und glaube mirs sicherlich / daß mir / nachdem ich solche abgelegt / und die absolution empfangen / so leicht worden / als ob ich hätte fliegen mögen / wiewol mir zuvor so schwer gewesen / als ob mir ein grosser Mühlstein auff dem Hertzen gelegen wäre.

Was aber nach der Beicht zu meiner Aufferbaulichkeit mit mir gehandelt worden / das will ich dem großgünstigen Leser von Hertzen gern zu seiner nutzlichen nachricht erzehlen; Es bestund aber das gantze Wesen Hauptsächlich in diesem kurtzen Unterricht / daß ich / nachdem ich durch Gottes überflüssige Gnad und Erbarmung vor dem zeitlich- und ewigen Tod erhalten / von dem gethanen schweren Fall wiederum ausgerichtet / und auß dem allertieffsten Schlamm und Sündenpful der allerabscheulichsten Laster / darinnen ich biß über die Ohren versuncken gewesen / widerumb gezogen / und verhoffentlich in den Stand der Gnaden Gottes gesetzt worden / daß derowegen ich solches die Tag meines Lebens mit aller-demütigster Danckbarkeit gegen Gott und meinen Schutz-Engel behertzigen / ja all Augenblick und Minuten zu Gemüth führen / und durch solche Erinnerung / sampt Anruffung deß Göttlichen Beystands / mich dahin bearbeiten / und den eyferigsten Fleiß anlegen solte / daß ich nimmermehr (wie ein geschwämt Schwein in ihren vorigen Morast zu thun pflegt) auff vorigen Weg der Greuel verfallen oder gelangen / sondern biß in mein End in dem weissen Kleid der Unschuld / so ich im H. Tauff empfangen / und jetzt wider durch die Buß in dem Blut deß Lamms gewaschen / beständig verharren / und die widerumb erhaltene Gnad Gottes nimmermehr verschertzen möge. Die Barmhertzigkeit Gottes / sagte mein Beichtvatter / seye zwar unergrundlich tieff und Bodenloß / aber gleichwol würden die frefle Sünder / welche auß lauter Boßheit mit ernstlichem Vorsatz sündigten / wie ich gethan / derselbigen nicht allweg theilhafftig / was mir wiederfahren / wäre ein absonderliche Gnad von Gott gewesen.

In die Höll hinab zu rennen /
    Jst fürwahr ein schlechte Kunst /
Aber darauß zu entrinnen /
    Da ist alle Müh umbsunst.

Die Utrechter / welche schlechte Mägen hatten / unter dem Aller-Christlichsten König zu wohnen / gleichwol aber durch den geschwinden Lauff seiner Sieghafften Waffen übereylet und gezwungen worden / mit Leib und Gut in ihrer Statt / und deß Uberwinders Gewalt zu seyn / die waren gemeiniglich dahin bedacht / wie sie ihre Baarschafft / so viel möglich / anderwerts heimlich in Sicherheit bringen möchten / unter welchen meines Paters Haußwirth auch einer war / dieser / als er erfahren / daß ich einer / und zwar nicht der geringste von Heldenmässiger Dapfferkeit (wann man anderst die Toll-Kühnheit eines verwegenen Schwartz-Künstlers / der sich auff seine Künste verlassend / Blind drein gehet / eine Dapfferkeit nennen dörffte) auß den Freywilligen gewesen / der sein Leben so unverdrossen vor das Vatterland gesetzt / faßte nicht allein ein sonderbare Vertraulichkeit gegen mir / sondern auch ein wunderbarliche affection, Krafft deren er mir die beste Bissel zurichtete / die zu bekommen waren / er besuchte und unterhielte mich auch gar offt mit seiner freundlichen Conversation, und verhölete mir nicht / daß er nichts mehrers verlange / als seine Baarschafft / davon er noch etlich tausend Thaler bey sich hätte / sonst irgendswo in Sicherheit zu wissen / ein tausend zu Amsterdam / sagte er / wären ihm allbereit lieber / als zweytausend in Utrecht / als worvon er nicht eine Stund versichert wäre / daß es sein Eygenthumb sey; Solches nun war ein erwünschte Sach vor mich / dieweil ich das jenig / was ich zu Amsterdam hatte / gern bey mir gehabt / meinem Pater die 1000. Reichsthaler / und was ich sonst versprochen / darauß auszurichten / als ich ihm solche meine Meynung sagte / war er froh / einen Wexel mit mir zu treffen / und bote mir 10.  pro Cento zu geben / worauff ich ihm Brieff an meine dortige Freund gab / die das Meinig in Verwahrung hielten / mit Befelch / solches alles / ohne die Klenodien / und was ungemüntzt war / meines Hauß-Wirths Gevollmächtigtem darzuzehlen / und sich über die Außgab bescheinen zu lassen / und also brachte ich mein Gelt von Amsterdam zu mir nach Utrecht / welches sich sampt dem Lagio, so mir mein Haußwirth gab / bey 3000. Reichsthalern belieffe.

Darvon gab ich dem Pater zu einem neuen Kloster zu verwenden 1000. Rsthl. item ihme vor mein ranzion, dann ich war ihm vom Obristen geschenckt worden / 300. Reichsth. / den Feldscherern / und denen / welche mich auff 4. Piquen getragen / gab ich zur Verehrung 200. Reichsth. mehr ihnen meine Wunden zu heylen / beydes vor ihr Müh und Artzeney 100. Reichsth. / deß Patern Diener / umb willen er mir fleissig auffgewartet / 30. Reichsth. / unserm Wirt wolte ich auch etwas vor meine Kost entrichten / aber der Pater wolte es nicht haben / und der Hauß-Herr wolte auch nichts annehmen / weil ich umb deß Vatterlands willen in diß Unglück gerathen; Ja er versicherte mich / wann sich der unglückselige Status Vereinigter Provintzen wieder ändern / und ich mich deßwegen künfftig anmelden solte / daß er dran seyn wolte / daß mir nicht allein umb meinen erlittenen Schaden eine Ergötzung / sondern auch wegen meiner bezeugten Treu und erzeigter Dienste andern zum Exempel ein ansehenlicher recompens widerfahren solte / und dieser mein Hauß-Wirth hat auch dißfalls auß keinem lären Hafen geredet / dann heutigs Tags lebt kein Volck unter der Sonnen / welches die jenige / so sich umb ihren Staad verdient machen / neben den Venetianern so danckbarlich und ruhmwürdig bedencket / als eben die Holländer; Sie haben vor Jahren einen Schiff-Capitain gehabt / welcher ihm einen Weg durch das Eyß-Meer zu öffnen / sich zwo grosse eyserne Seegen beiderseits an sein Schiff fest machen lassen / und damit weit hinein in das gefrohrne Meer geseglet / und ob er gleich der Weite deß Wegs / und dem gar zu dicken Eyß nichts abgewinnen mögen / so hat er doch so viel gethan / daß man sich drüber verwundern müssen / als aber nachgehende die Holländer mit Portugall zu kriegen bekamen / welches mit seiner Flott zu Gibralter lag / und die See zu seinem Vortheil mit einer grossen eysernen Ketten gesperrt hatte / machte dieser Capitain seine Seegen an sein Schiff / seegelte damit die Kette entzwey / und war seinen Principalen damit eine Ursach zu einem herrlichen Sieg / und ob er gleich das Leben drüber einbüste / so waren nichts desto weniger die Holländer danckbar / und liessen öffentlich anschlagen und verkünden / welcher diesem Capitain die kürtzste und schönste Grab-Schrifft machte / der soll 400. fl. zur Verehrung haben / darauff übten sich viel Sinnreiche Poetische Köpff / worunter folgende zwo Zeilen beydes den Preiß / und die 400. fl. darvon trugen.

Der durchs Wasser / durchs Eyß und Eysen was sterben
Ligt hier begrabn; Ließ vor Gibralter das Leben.

Es laut aber weit schöner im Nider-Teutschen / und wird man diese Grab-Schrifft in schwartzem Marmor mit güldenen Buchstaben zu Amsterdam in der Haupt-Kirchen zu ewigem Gedächtnus eingehauen finden.


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