Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. X.

Räis in die Leipziger Michaeli Meß / und von dannen nach Amsterdam.

ES schickte sich gar fein / daß eben damahl ein Feyertag einfiele / welcher den beyden künfftigen Eheleuten so wol zu statten kame / daß sie umb acht Tag ehender als sonsten dorfften Hochzeit halten / weil sie in 8. Tagen dreymal nacheinander über die Cantzel geworffen werden konten; dann ob man gleich den neu-angehenden Weibern 4. Wochen pflegt nachzusehen / und zum besten zu geben / so ists doch in diesen Fällen / da man Gefahr zu besorgen / am besten / daß man den sichersten Weg zu gehen erwehle; Nachdem ich und mein Weib ihnen nun mit dieser feinen Manier ins Creutz geholfen / giengen wir ihr weiter an die Hand / so / daß der Fritz einen kleinen Kram-Laden ausrichten konte / mit Schachern sein Glück zu suchen. Jch aber hatte damahl meinen grösten Spaß mit meiner Unsichtbarkeit / welcher damahl mehrentheils nur darinn bestund / daß ich die Vögel beschliech / und sie mit den Händen von den Zweigen hinweg fieng / welches allein mich dermassen delectirte / daß ich mein Naßtüchel / und was darinn war / abermal umb aller Welt Gut nicht hingeben hätte.

Mithin hatte sich die Zeit genähert / darinn ich meiner Geschäfften halber in die Leipziger Michaeli Meß räisen muste / ich hätte mein Naßtüchel gern mitgenommen / wuste aber nicht auff was weis / dann wann ichs bey mir hatte / so war ich unsichtbar; was wolte ich aber mit jemand haben handlen können / wann man mich nicht sehen könte? Jch übersteppte es in der Form eines grossen Ballen / damit ja nichts von dem darinn enthaltenen Genist / und also auch vielleicht das rechte Stück / so die Krafft hatte / nicht verloren werden möchte; Jch dorffte nicht sorgen / daß mir dieser Ball leicht gestolen würde / dann wann ich ihn von mir legte / so konte man ihn nicht sehen / aber wol greiffen oder fühlen; Jch hatte eine Sattel-Tasch / worinn ich nach Gelegenheit der Zeit pflegte Gelt über Land zu führen / wann ich irgends hin meiner Handelschafft nachräisete / dasselbe nam ich mit mir in meinen Garten / umb neben andern Sachen von Anemoni-Wurtzlen und Blumen-Zwiebeln auch mein Naßtüchel hinein zu packen / sintemal ich mein Weib beredet / daß ich solche Garten- raritäten einem von meinen guten Freunden und Beförderern in Leipzig zu verehren / versprochen / so bald ich nun das Naßtüchel hinein gethan / siehe / da konte ich dieselbe Sattel-Tasch nicht mehr sehen / aber wol fühlen oder greiffen / nam ichs dann wieder herauß / so sahe ich sie wieder / das probirte ich etlichmal / und nachdem ich mich also der Sachen Art und Würckung versichert gemacht / hätte ich auch gern wissen mögen / ob man auch mich nicht sehe / wann ich die unsichtbare Sattel-Täsch bey mir trüge. Jch probirte am ersten an den Vögeln / und befande / daß sie meiner nicht warteten / wie sie thäten / wann ich das Naßtüchlein allein bey mir hatte; Nachgehends stellte ich mich vor die Garten-Thür an Weg / und erfuhr an der vorüber gehenden Leute Begrüß- und Ehr-Bezeugung / daß ich gesehen wurde / und sich also die Krafft der Unsichtbarkeit nicht weiters / als in dem Begriff der Sattel-Täschen erstreckte.

Dieser Gestalt brachte ich meine Unsichtbarkeit sichtbarer Gestalt in meiner unsichtbaren Sattel-Taschen nach Hauß / allwo ich der Sach ferner nachsonne / und befande / daß mein Naßtüchel in einem ledernen Seckel verwahret / zwar den Seckel / aber nicht den der ihn bey sich hätte / unsichtbar machte. Und also nun konte ich meine Unsichtbarkeit bey mir tragen / und ohne solches hinweg gethan mich sehen lassen / oder damit unsichtbar machen / wenn ich wolte; allermassen ich mir selbst hierzu einen sonderbaren ledernen Beutel zurichtete / und den Ballen / welchen ich mir auß dem Naßtüchel formirt hatte / darinn verwahrt bey mir trug.

Eben damahl / als ich in meinem Garten-Häußlein mit Erkundigung erst-angeregter Art meines Naßtüchleins geschäfftig war / hörete ich in dem zu nächst neben mir gelegenem Garten / welcher einem vornehmen und reichen Herrn von der Feder zustunde / ein Weibsbild mit weynen und seufftzen ihr Unglück beklagen; sie war etwas zu weit von mir / und redet ihre Klag-Wort so heimlich / daß ich sie nicht verstehen konte / und der Platz / allwo sie lamentirte / lag just hinder einer Johannes-Träubel-Hecke / daß ich sie auch nicht sehen mochte / weil ich aber gleichwol gern gewüst hätte / beydes wer sie gewesen / und was ihr angelegen ware / als nam ich mein Naßtüchel zu mir / und schliech hin zu ihr in Garten; Siehe / da war es der jenigen Frauen Jungfrau Baas und Kostgängerin / deren Ehe-Herrn dieser Garten zuständig. Ich wuste nicht zu ersinnen / umb was anderst sie sonst bekümmert seyn könte / als daß sie vielleicht verliebt seyn müste: dann weder an Reichthumb / Jugend / Schönheit noch andern Stücken / so einer jungen Damen vom Glück in dieser Zeitlichkeit verliehen werden mögen / gieng ihr das geringste nicht ab / sie gebrauchte (wiewol sie sich stattlich hielte) jährlich nicht die halbe Einkünfften zu ihrem Unterhalt von ihren Gütern und Gefällen / die ihro bereits vor 7. oder 8. Jahren von ihren verstorbenen Eltern hinderlassen worden; allem äusserlichen Ansehen nach lebte sie in einem vergnügten Stand / daß schwerlich jemand hätte errathen können / was vor einen bessern sie ihr hätte wünschen sollen; und hatte über das nicht nur ein halb dutzet rechtschaffener und wol- qualificirter Auffwarter / deren jeder ihre Liebe zu erwerben verhofften / massen sich bey so reich und schönem Frauen-Zimmer beydes Wittwer und Junge Gesellen eben so häuffig finden lassen / als Wespen und Mucken bey einem fetten Honig-Hafen; Zu dem hatte sie die Wahl unter so vielen / ob gleich der Geringste unter allen so beschaffen gewesen / daß sie ihn vor ein Ehe-Gemahl zu nehmen / ihr gar kein schwer Gewissen machen dörffen.

Jch hatte mich kaum an den Ort gestellt / wo ich dieser Damen weiters aufflaustern wolte / als ich in einem andern Eck ihre Frau Baas hocken sahe / die ihr ebenmässig heimlich zuhörete / diese hatte ihre Hände ineinander geschlagen / gleichsam als wann sie selbst die Klag führete / und sahe ihre Jungfrau Baas durch den dastigen Rosenhaag so starr an / daß man leicht darauß schliessen konte / daß sie deren Anligen allbereit mit Entsetzung verstanden / und mit seltenem Mitleiden daran participirte; Jndessen weynete jene noch immer fort / daß kaum eine Thräne der andern auff ihren Roßfarben Wangen entrinnen konte / ohne daß sie mehrere außtrückliche Wort hätte lauffen lassen / darauß ihr Anligen abzumercken gewest wäre / als daß sie sich über einen leichtfertigen Pamphilum beklagte / dessen Gottlosen Ehr-Vergeßlichkeit sie mehr Treu und Glauben zugetraut / als sie thun sollen / und er meritirt Hoho! gedacht ich / gewißlich hat deine Jungfrauschafft Schiffbruch gelitten / was ich gedachte / das wars auch / und nicht nur diß / sondern noch wol ein mehrers / nemlich der Lohn / den das Frauen-Zimmer auff solche Arbeit bisweilen im Bauch darvon zu tragen pflegt. Jch wurde desselbigen auch gleich versichert / dann als die Frau Baas sich einbildet / ihr Jungfrau Bäßlein würde nichts weiters und deutlichere schnellen / als was sie auß ihren bereits genugsam-Teutsch-außgetruckten Worten schon vernommen (gestalten sie sich nunmehr nur mit weynen behalff / und damit bekräfftigte / was sie zuvor geredet) ruckte sie auß ihrem Hinderhalt hervor / und erwischte der so schmertzlich weinenden Madamoisellen mitten im Nachtruppen ihrer Anfechtung die Hand im Sack / als sie weder den Lauff ihrer Seufftzen / noch auf den Fluß ihrer übermässigen Zähren hemmen konte; Was ist das? Jungfer / oder vielmehr Frau Baas? sagte sie / in was vor einem Zustand finde ich euch? in welchem ich euch nimmermehr anzutreffen mich versehen? nun bin ich versichert / daß ich die Ursach eigentlich weiß / die ich bißher nur geargwohnet / umb welcher willen euch kürtzlich etlich mal so übel worden; gestehet mir die Sach nur bald / und sagt mir / wer der Vatter ist / damit wir bey Zeiten Rath schaffen / und euch vor künfftiger Schand bewahren / verhölet mir als eurer besten Freundin in der Welt nur nicht das geringste / dann gleich wie man zu geschehenen Sachen das beste reden soll / also werde ich auch hierbey thun / was eurer nächsten Anverwandtin zu thun gebührt / als die beydes an eurer Ehr oder Schand Theil haben muß;

Die gute allzubarmhertzig: oder zu leichtglaubig gewesene Jungfrau heulete hierauff noch eine gute Weil hernach / ehe sie sich zu reden erholen konte / endlich aber sagte sie / mein Hochgeehrte Frau Baas hat mich zwar niemahlen geheissen was ich begangen / hingegen aber auch nicht vor dem jenigen gewarnet / was mir begegnet / sondern vielmehr verhängt und zugelassen / daß durch allzugrosse Freyheit und Gemeinmachung mit ihren Kostgängern Stroh und Feuer zusammen kommen / dardurch ich armes / junges und unverständigs Ding leichtlich in die Ehrverzehrende Flamme meines Verderbens gerathen; der eben so dapffere und ansehenliche / als leichtfertig und Ehrvergessene Cavalier Monsieur N. ists / der mich durch Vorgebung unerträglicher Liebe / und Versprechung Ewig-wärender Treu betrogen / und nachdem er mit grausamen Schwüren mir die Ehe zugesagt / mich meines Jungfräulichen Kräntzleins beraubt / und mir also das / so ich von ihme empfangen / gleichsam eingelogen hat! Als er neulich so schnell von hinnen verräiste / schwur er mir hoch und theuer / daß es darumb geschehe / umb unsere Eheliche copulirung zu beschleunigen; aber heut empfahe ich ein Schreiben von ihm / darinnen er mir notificirt / daß seine Hoch-Adeliche Freundschafft / deren auch dieser Zeit Fürsten verwand / nimmermehr zugeben wolle / daß er mich eheliche / und solte ich gleich noch so reich seyn / wie er dann jetzt genöthigt werde / ein Fräulein auß einem hohen Gräflichen Hauß zu heyrathen / deren gewaltige Anverwandte er nicht vor den Kopff stossen dörffte / welches aber ohn Zweiffel mit Gefahr seines Lebens / und Verlust seiner ansehenlichen Lehen geschehen würde / wann er eine Person von niderer Geburt ihrer Mumen vorzöge.

Wie sie dieses also herauß gebeichtet hatte / fienge sie wieder an zu weynen / als wann sie verzweifeln wolte / ihre Baas muste sie derowegen auch desto besser trösten; Potz Macht! Bäßgen / sagte sie / man muß sich drumb deßhalber nicht häncken! Jhr seyd nicht die erste / und werdt ohn Zweifel auch nicht die letzte seyn / welche durch Treulose Mannsbilder betrogen worden / man muß es diesem boßhafftigen Geschlecht wieder wett spielen / und selbiges mit gleicher Müntz bezahlen / habt nur ein gut Hertz / liebes Bäßgen / und lasts euch zum besondern Trost dienen / daß ichs meinem Mann auch so gemacht / dann ich wurde auch ledigs Stands geschwängert / und zwar nicht von meines gleichen / oder einem vornehmern / der mich nicht heyrathen wollen / sondern von meines Vettern Knecht / der sich nicht hinsetzen dorffte / wohin ich meine Schuh stellete; Zwar auch nicht von einem der mich verführt / sondern von einem / den ich selbst darzu angereitzet habe: Als meine Mutter Seel. nun den Braten schmäckte / und mir hinder die Brieff kam / schickte sie mich auff eins von ihren Land-Gütern / allwo ich heimlich niderkam / und das Kind durch unsere Hof-Frau oder Meyerin vor einen Fündling an ein Ort verschaffen liesse / allwo es nach erzogen / und nunmehr ohngefährlich bey 9. Jahren alt seyn wird; Ihr könt wol gedencken / daß mir vor meiner Hochzeit (ob ich gleich wuste / daß alles was geschehen / jederman verborgen war) auch auff die erste Nacht angst gewesen / auß Sorg / mein Hochzeiter möchte vielleicht was mercken / aber meine selige liebe Mutter war viel zu vorsichtig / sie machte mir die Brüste wieder so steiff / als wann sie niemal kein Mannsbild berührt / geschweige ein Kind gesogen hätte / und richtet mich im Übrigen auch so zu / daß mein Mann eine dünnere Nase hätte haben müssen / wann er etwas anders / als eine unbefleckte Jungfrau hätte riechen sollen; Jch weiß die Recept noch / und dieselbe sollen euch wol zu Paß kommen. Solte nun jetzt jemand die Warheit wissen ausserhalb obengedachter unserer Meyerin / die bey der Geburt gewesen / und meinem Mann viel darvon sagen / oder mir auffrücken wollen / so weiß ich / daß er selbst vor mich schweren / einen solchen Anbringer als den Ärgsten Verleumbder verfolgen / und ihn die Lugen vor die Warheit durch einen Widerruff zu bekennen zwingen würde.

Jch muß offt selbst lachen / wann ich daran gedencke / wie artlich mir der Betrug abgangen / und wie mitleidenlich sich mein Mann gestellet / als ich mich die erste Nacht bey ihme im Bett so übel gehube: und also liebs Bäßgen / müst ihrs nur auch machen / dann ich sehe hierzu einmal kein ander Mittel: Jch will euch zu meiner und eurer Mutter Seel. verwittibten Schwester nach N. schicken / bey welcher ihr euch heimlich aufhalten könt / biß ihr eurer Leibs-Bürde entladen seyn / und wiederumben eine lebhaffte Farb bekommen haben werdet / sie wird das Kind schon versorgen helffen / alsdann könt ihr wieder zu mir hieher kommen / und irgends mit einem auß euren Auffwartern einen ehrlichen Heyrath treffen / dem wir alsdann / gleich wie ich meinem Mann gethan / schon das Aug verkleiben wollen.

Die junge Dame höret diesem Discurs mit solcher Andacht zu / daß ihr das weynen allerdings darvon vergieng / sie bedanckte sich deß gegebenen guten Raths gegen ihrer Frau Basen / und versprach demselbigen getreulich Folg zu leisten: Jch aber betrachtete die vielfältige Betrügereyen des arglistigen Weiber-Volcks mit Verwunderung / die ich so wol von meinem eygenen Weib und ihrer Beschliesserin / als dieser so ansehenlichen Frauen / Krafft meiner Unsichtbarkeit / in so kurtzer Zeit wahrgenommen; Jch gedachte aber gar nicht daran / auch mich selbst zu straffen / und zu bedencken / wann kein leichtfertiger Bub wäre / daß alsdann auch keine Huren seyn würden; Sondern ich setzte mir vor / mich der Gemeinschafft aller Weiber hinfort zu entschlagen / und damit ich ein Zeitlang von der meinigen seye / nicht allein ehistens nach Leipzig in die Michaeli Meß / sondern auch von dorten eine Zeitlang gar nach Amsterdam zu räisen / allwo ich ohne das bekand war / in dem ich daselbsten von neundten biß in das siebenzehende Jahr meines Alters aufferzogen worden / und den Anfang / die Kauffmanns-Handelschafft zu lernen / den Grund allda gelegt.

Jn dieser kleinen Welt / worinn man bey nahe die gantze grosse Welt biß auff ein Ding sehen kan / langte ich 6. Wochen nach meiner Abräise an / nachdem ich zuvor den Apothecker unterrichtet / wessen er sich biß zu meiner Wiederkunfft gegen meinem Weib / meiner Handelschafft und gantzem Haußwesen zu verhalten / zumahlen so viel Gelts zu mir genommen hatte / als ich indessen nöthig zu haben vermeynte.


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