Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XVI.

Wie sich Eraßmus verhielte / und wie er auß seinen Anfechtungen erlöst wurde.

JCh bildete mir ein / nunmehr das Hertz Eraßmi so wol durch freundliche Beywohnung und tägliche Conversation, als meine Freygebigkeit / die ich gegen ihme immerhin verspüren liesse / dergestalt gewonnen / und gegen mir zur Vertraulichkeit angereitzt / oder wol gar verbunden zu haben / daß ich viel verwetten dörffen / er hätte mir all sein Anligen vertraut und offenbahrt / massen er auch in vielen Stücken thät / aber nachdem der gute Mensch von einigen seiner alten Bekandten auß der Synagog benachrichtigst worden / was das außerwehlte Volck Jsrael vor gewisse Nachricht und sichern Trost wegen ehister Ankunfft ihres Messiæ (durch die Zettel nemlich / so ich ohne sein Wissen außgestreuet) vom Himmel empfangen / wurde er zwar mit grosser Traurigkeit hefftig angefochten / umb willen er eben kurtz vor der Zeit / in deren sich der Juden Elend enden / und ihre höchste Glückseligkeit anfahen solte / von ihnen abtrünnig worden / er sagte mir aber drumb sein schweres Anligen nicht / sondern beflisse sich / solches vielmehr vor mir zu verbergen / so gut er konte / ohnangesehen ich nun auß seiner so gähen Veränderung / und den vielen Seufftzen / die er wider seine vorige Gewohnheit und lustigen Humor so häuffig fliehen liesse / leicht merckte / wo ihn der Schuch trucken möchte / so liesse ich ihn doch in seiner Qual stecken / biß er auch Zeitung kriegte / was Elias vor Wunder gethan / und daß Eliezers Tochter Esther allbereits gewißlich mit dem Messias schwanger gienge / auch deßwegen gantz bestürtzt / und in seinem angenommenen Christenthumb gar wanckelmütig wurde / da bedauchte michs Zeit / und eine höchste Nothwendigkeit zu seyn / dieses neuen Christen Seele / welche durch meine angestellte Schelmerey zum Fall und Untergang untergraben worden / zu unterstützen / massen ich seine gewisse Wieder-Umbsattlung / die er im Sinn habe / hierauß argwohnte / daß er eine schöne Gelegenheit seinem Verlangen nach in Ost-Jndien zu schiffen / sampt einer profitablen Condition, so ihm angebotten wurde / nicht annahm.

Neben dem war er auch gar kaltsinnig worden / mir / wie ehebevor / so viel von der Juden Jrrsal und Fehlern in ihrer Religion zu erzehlen / welches mich auch keine geringe Anzeigung zu seyn bedunckte / daß er nicht mehr wie hiebevor beschaffen seyn müste; Damit ich nun mit guter Manier an ihn kommen möchte / ihn auff einen andern Laun zu bringen / fienge ich einsmals an / mit ihm von ihrem falschen Messia Sabatai Sevi, und seinem Propheten Nathan / welche sich Anno 1666. hervor gethan / zusprachen / und endlich zu sagen / wann ich seiner Verschwigenheit versichert wäre / so wolte ich ihm ein artlichs Stücklein erzehlen / auff was Weis ich erst neulich die Juden geäfft; Als er nun schwur reinen Mund zu halten / sagte ich ihme die gantze Histori von den Zetteln die ich gemacht / und in die Juden-Schul geblasen / da ers aber schwerlich glauben wolte / wiese ich ihm auch die Abschrödtlein vom Pergament / und etliche Exemplaria der Zettel selbsten / die mir im schreiben nicht zierlich genug gerathen / sampt dem langen Blaß-Rohr / so ich hierzu gebraucht; Er verwundert sich drüber / und antwortet / diß wäre wol etwas / aber gegen dem jenigen / so er von dergleichen Sach neues wüste / (welches ihm nun eine Zeithero seltzame Gedancken gemacht) und mir communiciren könte / wann ich gleichfalls schweigen wolte / wäre es ein gar geringes; Jch versichert ihn nicht weniger / als er mich aufrichtiger Verschwigenheit / und er sagte mir darauff / was ich allbereit zuvor besser wuste als er selbsten / nemblich / daß Esther / Eliezers eines reichen Juden Tochter mit dem Messia schwanger gienge / welchen sie auß Göttlichem Befelch von einem Himmlischen Geist empfangen / über das erzehlte er mir noch einen gantzen Hauffen Lügen von grossen Wundern / die Elias in kurtzer Zeit gewürckt haben solte / welche ich zwar nicht alle gestiftet / sondern die Juden zu den meinigen erdichtet / und zuletzt henckte er daran / daß ihn allein diese geschwängerte Esther neulich von der Ost-Jndianischen Räise abgehalten / umb zu sehen / ob deß Messiæ Geburt auch so wunderbarlich zugehen würde / wie dessen Empfangnus?

Da konte ich nun leicht gedencken / mit was vor Versuchungen der gute Eraßmus angefochten wurde / dannoch getraute ich ihm nicht alles zu offenbahren / durch was Mittel ich selbst über der Esther gewesen / umb ihne dardurch von seinem Anligen zu entledigen / unterliesse aber nichts desto weniger gantz nicht / die Sach mit einem höhnischen Gelächter anzuhören und aufzunehmen / mit Versicherung / daß abermal hinder dieser Messiasschafft / wie schon öffters geschehen / ein Betrug und vergebliche Hoffnung steckte / so er / als ein wol fundirter Christ / und belesener verständiger Mann von selbsten leichtlich erachten könte; Ja ich liesse mich gegen ihme in Ernst und Schertz so weit herauß / daß er / als ein schlauer verschlagener Kopff der Sach weiters nachgedachte / und endlich sagte / wann es müglich seyn könte / daß der kluge Eliezer / und seine so wol verwahrte Tochter / deren Keuschheit von ihrer Mutter mit Lux-Augen verwacht wurde / betrogen werden können / so könte er solchen Betrug keinem andern Menschen zutrauen / als eben dem jenigen / der den Juden ins gesampt den ersten Possen mit den außgeblasenen Zetteln gespielt.

Jch gedachte / wett Fritz / du hasts errathen / und weil ich solches abermal mit einem grossen Gelächter anhörete / setzte ich ihn noch in einen grössern Zweifel / in welchem ich ihn auch stecken liesse / biß die Esther an statt deß Messiæ nur eine Schlitzgabel zur Welt brachte / damit erreichte zwar Eraßmi Anfechtung ihre Endschafft / mit denen er bißhero der Religion halber gequälet worden / hingegen aber vermehrt sich bey ihm der Argwohn je länger je mehr / daß ich in dieser Sach ohnfehlbar interessirt seyn müste / auff was Weis solches aber geschehen können / vermochte er / wie gescheid er auch war / von ihm selbsten nicht zu ersinnen / weil er gar nichts von meiner Unsichtbarkeit wuste / und auch an so nichts gedachte.

Unterdessen hatte ich ihn gar in meine Dienste genommen / und ihn mit überhäuffter Verehr: oder Schenckungen dermassen eingenommen / daß ich seine grosse Treu in der Handelschafft / worinn ich ihn dann brauchte / täglich spürte / und so weit kam / daß ich ein Schloß auff ihn bauen dörffen / massen er mir auch die innerste Heimlichkeiten seines Hertzens / und die heimlichste Angelegenheiten seines Gewissens besser zu vertrauen anfieng / als mancher seinem Beichtvatter / unter andern aber vornemlich auch diß / daß er schier der Juden Meynung Beyfall gebe / welche sie von der Esther Tochter hätten / daß nehmlich vielleicht Gott / daß sie Männlichs Geschlechts und der Messias sey / unter der Gestalt / als wann das Kind ein Mägdlein wäre / vor den Christen verberge / biß es zu seinen Jahren komme / und verrichten konte / worzu es geboren worden; ich muste / wie leicht zu gedencken / der armen Einfalt deß sonst schlauen Eraßmi hertzlich lachen / und weilen er / was ich ihme der Zettel halber vertrauet gehabt / heimlich gehalten / zumalen auch sonst viel Proben gethan / die einen versicherten / daß ihm viel grössere Heimlichkeiten kühnlich zu vertrauen wäre / siehe / so resolvirte ich mich / ihme den gantzen Handel zu offenbaren / wie ich dann auch thät / und ihm sagte / er solte sicherlich glauben / daß ich selbst deß geschlitzten Messiæ Vatter wäre / wie ich aber darzu kommen / oder durch was vor Vortheil und Betrug ich so wol die Esther als ihre Eltern überlistet / darumb bate ich / wollte er Eraßmus sich nicht bekümmern / welches ich ihm auch zu sagen / noch zur Zeit bedenckens trüge / es solte ihm aber mit der Zeit unverborgen bleiben.

O mirum! sagte hierauff Eraßmus / ich hätte nimmermehr geglaubt / daß ein Christ / ein Christ sage ich / der durch den heiligen Tauff zum Ewigen Leben wiedergeboren / und zu der Himmlischen Freud durch das allerköstlichste Blut Christi so theuer erkaufft worden / sich mit einer Judin vermischen solte / als welche von den Christen in gemein nicht vor viel besser als Hunde geschetzt / und von ihnen auch (sie werden dann durch den Heil. Tauff gewaschen / und der Christenheit einverleibt) Hunde genannt werden; Jch habe mir sagen lassen / daß an einigen unteutschen Orten Gewinsichtige Juden etlichen gailen Huren-Hengsten auß den Christen (ich mach mich schier der Schand theilhafftig / daß ichs als ein nunmehr getauffter Christ sage / aber wer kan vor leichtfertige Leut / wann sie unsere Mitbrüder seyn) Judendirnen zugeführt / als wären solches gemeine Weiber auß Christlichem Geschlecht gewest / und hernach damit glorirt / daß sie solche Sünder so Meisterlich übervortheilt / und mit ihres Geblicks / die sie Hündin schelten / betrogen / sagende / wann sie Hunde / und nicht so wol Menschen als die Christen wären / so würde ja ein Christ / wann er eine Jüdin beschlieffe / leicht mercken können / daß er mit keinem Menschen / sondern mit einer Hündin zu thun / er könne demnach nicht glauben (henckt er weiter daran) daß ich so Gewissenloß und leichtfertig gewesen sey / ein so grobe Sünd / die vor Geschwister-Kind mit der Sodomiterey zu halten / zu begehen.

Hier traff mir zwar Eraßmus das lebendig / und rühret mir das Gewissen dermassen / daß ich gewaltig in mich selber gieng / und im Sinn an die Brust schlug / vornemlich / daß ich diesen neuen Christen geärgert / und vor begangener Sünde die Grösse derselben nicht besser erwogen und betrachtet hatte / sondern erst von einem gewesten Juden lernen muste / aber ich entschuldigte mich gegen ihme darmit / daß mich die unerträgliche Liebe gleichsam verblendet / und darzu gezwungen / hingegen sagte mir Eraßmus / daß ich eine Creatur / die in ihrem gegenwärtigen Stand der ewigen Seligkeit so wenig / als ein unvernünfftig Vieh fähig / höher als Gott geliebt / eine kurtze schnöde Wollust der ewigen Himmlischen Freude vorgezogen / und mich damit der ewigen Verdammnus werth gemacht hätte / die mir auch wiederfahren würde / wann keine rechtschaffene Buß folgte / ein rechtschaffener Christ solte wider sothane Laster auß allen Kräfften streiten / umb seinen Schöpfer nicht zu erzürnen / der ihme auch seinen Beystand hierzu versprochen / damit er den Sieg erhalten / und ihne hernach der gerechte Kampff-Meister nach der Uberwindung desto herrlicher krönen möge.

Diese kurtze / doch scharpffe Predigt gieng mir / wie oben gemeldt / trefflich zu Hertzen / aber gleich wie einer nicht auff einmal gähling zum Schelmen wird / sondern gleichsam nach und nach Staffelweis darzu gelangt / also bekehret sich auch selten einsmals der Sünder (sonderlich ein solcher / der allbereits vorlängst / wie ich war / in allen Lastern ersoffen) von gantzem Hertzen / es seye dann / daß ihne ein absonderlicher Gnaden-Glantz von Gott erleuchte; Jch verbliebe halt der ich war / und legte alle Schuld auff die Liebe / wie andere unsinnige Phantasten mehr zu thun pflegen / die ihre Begierden / oder vielmehr sich selbst zu überwinden / keinen rechten Ernst und Fleiß anlegen.


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