Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XII.

Das beste Mittel vor die Kriegs-Läuffe wird gesucht und gefunden / das schlimste aber wird erwöhlet.

NAchdem ein jeder darvor hielte / es würde einen Krieg zwischen Franckreich und Holland setzen / der sich endlich über gantz Europam ausbreiten dörffte / schiede meine Gesellschaft von mir / und ich gedachte auff Mittel und Weg / durch welche ich sicher dessen gefährlichen Läuffen entrinnen mochte; Jch hatte von einem alten Practicanten gehört / daß sich umb diese zeit unsers Seculi ein Krieg in Teutschland anheben / und zuletzt in Franckreich enden / auch daß der Römische Käiser dem Aller-Christlichsten König 6. harter Streich versetzen würde / derowegen gedachte ich wol / solcher Krieg würde auch das Römisch Reich / und also auch mein Vatterland betreffen / deßwegen ich umb so viel desto Sorgsamer war / und spintisirte / wie ich eine namhaffte Summa Gelts in Goldsorten / das sich genau zusammen packen läst / zur Zehrung zuwegen / und sampt mir und den meinigen in die allerbeste Sicherheit bringen könte / so ich vermittelst meiner Unsichtbarkeit auch wol ins Werck zu richten getraute / zu welchem Ende ich ohnverweilt meinen Anschlag auff einen reichen Portugesischen Juden macht / der / wie man ins gemein darvor hielte / die Summa seines grossen Vermögens selbst nicht wuste.

Jch machte mich unsichtbar / und kam in sein Hauß / darinnen außzuspüren / wo die beste Schätze lägen / dorffte gleichwol aber nicht so laut seyn / als wann ich darinn daheim gewest wäre / damit meine unsichtbare Gegenwart nicht vermerckt / und also mein Anschlag zu Wasser werden möchte / ehe ich noch zum Hauß kam / höret ich folgenden Anfang von einem Liedlein singen / welches ich vor ein ohnfehlbares Omen hielte / daß der Krieg eygentlich vor der Thür seyn müste / und darumb ward ich auch desto geflissener / mich bey Zeiten zu besacken / das Lied hub also an:

1.
            Der Simplex und der Spring ins Feld
Die Kerles haben beyd kein Gelt /
    Und will ihn auch kein Wirth mehr borgen /
    Drumb leben sie all beyd in Sorgen.
2.
Jhr Brüder habt ein guten Muth /
Eur Sache wird bald werden gut /
    Man spührt es an der Leute Leben /
    Daß es bald muß ein Krieg abgeben.

Der nachfolgende Jnhalt erzehlet allerhand Stands-Personen Gottloses Leben / und machte endlich den Schluß / daß ohne Krieg / Pest und Hunger die Welt nicht wiederumb gebessert werden möchte / und ob gleich die Reimen von schlechter Kunst / auff gut Hans Sächsisch geschmidet / so war doch der Jnhalt so Vernunfftmässig / daß ich sie / wie eine unfehlbare Prophezeyung zu Hertzen ziehen muste / wiewol ich sonst nicht so gar Aberglaubisch zu seyn pflege.

Da ich nun hin und wieder im Hauß / so ich gar wol einen Pallast nennen kan / herumb schliech / fande ich dasselbe gespickt mit allem dem / was reiche Leut zu haben pflegen / nur das baare Gelt konte ich nicht zu sehen bekommen / weil selbiges sampt vielen Klenodien in einem Gewölb auffgehoben / und von etlichen deß Schlossers starcken Hunden verwahrt war / und derowegen muste ich bedacht seyn / die Schlüssel darzu beym Kopff zu kriegen / zu welchem Ende ich alle Zimmer durchschneuckte / und in deren einem ein Weibs-Bild ein Wehr-Gehenck mit Gold / Silber und Perlen sticken fande / über deren unvergleichlichen Schönheit ich allerdings erstaunete / dann sie war so außbündig und unbeschreiblich schön / daß ich mich nimmermehr überreden lassen / oder glauben kan / daß ein Mahler in der gantzen weiten Welt zu finden sey / der ein schöner Bild mahlen könne / ihre schwartzbraune Augen strahleten dermassen mit Liebreitzenden Blicken / daß sie genugsam gewesen wären / die gantze Welt mit Liebes-Flammen zu entzünden / so fern dieselbe nur so wol auff die Augen der Manns-Bilder / gleich wie auff die schöne Perlen Arbeit ihrer Alabasternen Hände loß gangen wären; Dann gleich wie sie selbsten über solcher ihrer außbündigen Arbeit oder vielmehr Künstlerey eine Freud und hertzlichs Wolgefallen hatte / also gab sie derselbigen / als einem Ding / das sie hertzlich liebte / gleichsam mit lächlendem Angesicht manchen inniglichen Blick / welche so beschaffen waren / daß ihre Kräffte in einem nun durch die Augen deren / so sie auffgefangen / in das innerste der Hertzen tringen müssen / selbige mit Liebe zu fesseln / und solten sie gleich von hartem Stal / ja gar von kaltem Crystall und Diamant gewesen seyn; Als ich gleich im ersten Anblick / da sie eben in solcher Andacht gegen ihre Arbeit begriffen / und deßwegen Stockstill sasse / warnam / wie künstlich und schön die Hochweise unter die liebliche Rosenfarb in ihrem / ohne das überauß auffs schönste gebildete Angesicht gemengt und außgetheilet war / zumalen sahe / daß ihre Lippen wie mit hoch Spanisch Leibfarb gemahlet hervor schienen / gedachte ich / das gantze Bild möchte irgends eines Kunstreichen Meisters bestes Kunst-stück seyn / wie man dann dergleichen Bilder in Lebens Grösse von Wax bossirt / und herrlich gekleidet / ehemahlen in Teutschland herumb geführt / und umb Gelt sehen lassen / aber als sie sich wider bewegte und zu sticken begunte / war mir vor Verwunderung nicht anderst / als etwan dem Pygmalione gewesen seyn mag / da seinem schönen Jungfräulichen Bild / so er selbst auß Helffenbein zum fleissigsten verfertigt / von der Venere eine lebendige Seele eingegossen worden; Jch stund gantz entzuckt / oder in Warheit besser zu sagen / gantz vernarrt da / und konte mich an dieser übermässigen Schönheit weder satt sehen / noch mich genugsam darüber verwundern! nichts Jüdisches konte ich an ihr abnehmen / als etwas gar wenigs an ihrer wolformirten Nase / welches ihr aber in meinen Augen mehr vor eine treffliche Zierd taugte / als daß es vor die Signatur einer Jüdischen Physiognomie gehalten hätte werden sollen; Jhr Geschmuck in den Haaren / umb den Hals / ihre Ohrgehenck / Ring und Armbänder waren von hohem Werth / ihre Pantoffel wie das Wehr-Gehenck das sie stickte / und ihre Leibs-Bekleidung von solchem Zeug / dergleichen Privat-Personen nicht alle Tag zu tragen pflegen / ihre Zucker-Ballen hatte sie hinlässig eingepriesen / und dahero belustigt mich deren auff und nidersteigen am allermeisten / wann sie athmet / und in dem ich solcher massen den Vorwitz meiner Augen contentirt / soffe ich mit den stärcksten Zügen gantz unvermerckt das süsse Gifft der Liebe / und wurde solches nicht ehender gewahr / als biß ich weg gehen wolte / und doch das außbündige Bild bey nahe nicht auß den Augen lassen konte;

Jch war bereits verehelicht / und hatte mein Tage schon manche Bulschafft bedienet / welche Geschäffte dann gemeiniglich auß Anregung der Liebe getrieben werden / massen ich auch / dieweil ich also mit der Leim-Stange geloffen / genug mit derselben und ihren Passionibus zu schaffen gehabt / aber lauter Schertz und Kinderspiel deuchte michs gewesen zu seyn / gegen dem / was ich jetzunder überstunde! dann nachdeme ich diese Jüdische Jungfer einmal gesehen / hatte ich weder Tag noch Nacht keine Ruhe mehr / kein Schlaff kam mehr in meine Augen / alle lustige Gesellschafften / die ich doch mit Fleiß suchte / meinen Kummer zu vergessen / waren mir zu wider / mein gantzes Thun war / mich mit Schmertzen zu speisen / mit schwermütigen Gedancken zu schleppen / mit allerhand Klagen eyteler Mühe / Verdruß / mancherlei tieffen Nachsinnungen / und sonst mit tausenderley Phantastischen Thorheiten und närrischen Anschlägen / meiner Geliebten zu geniessen / mich abzuarbeiten; Sonst aber liesse ich alle eheliche Geschäfften / und mein gantze Handthierung ein gut Jahr haben / und gleich wie mir hierdurch Witz und Verstand stumpff und untauglich ward / also namen auch das Fleisch / sampt den Kräfften meines Leibs ab / gleichsam als wann ich die Schwindsucht am Hals gehabt hätte; Also erfuhr ich erst spat / was vor eine Beschaffenheit es umb eine rechthefftige Lieb habe / da ich doch als ein Verehelichter Virgilij nutzliche Lehr betrachtet haben solte / wann er sag

        Vina sitim sedent, natis Venus alma creandis
    Serviat: hos fines transiluisse nocet:

Das ist:

Der Wein zum Durst / Venus zur Zucht /
Wer drüber schreit / hat wenig Frucht.

Dieser mein Zustand / welcher täglich ärger wurde / wäre zwar mehr als genugsam gewesen / mich nach und nach außzumerglen / und endlich gar dem Tod auffzuopffern / aber so gnädig wolts (wie es schiene) nicht abgehen / die Beschaffenheit meines Verhängnuß liesse sich viel grausamer an / und die unüberwindliche Verhindernussen und Jrrungen mein Verlangen zu erfüllen / waren so gewaltig / daß sie mir die endliche Verzweifelung antroheten / allermassen ich anfienge mir allgemach selbst den Tod zu wünschen / also daß ich wol mit jenem Jtaliäner klagen konte:

O notte, ô cielo, ô mare, ô piaggie, e monti,
Che si spesso m'vdite chiamar morte,
       

Jst Teutsch:

         O Nacht / O Himmel / O Meer / O Berg und Thal /
Wie offt hört ihr mein Wunsch / zu leiden Todtes-Qual.

Ja ich liesse es hierbey noch nicht bleiben / sondern ergrieff den äussersten Wunsch der erbosten und verzweifelten Buler / nemlich daß Himmel und Erden gar ineinander falle / damit ich meines Jammers ein End sehen möchte / welchen Wunsch Alphenus Perusinus in Jtaliänischer Sprach also geben:

Piouan dal ciel con tempestosa furia,
Folgori ardenti, che ciascun sommergano,
       

Cantalicius hat ihn also in die Lateinische Sprach übersetzt:

Totum terribili quatiatur turbine cœlum,
    Cunctaque dispereant corpora fulminibus,
   

Mag Teutsch lauten:

                Himmel und Erd zugleich fallen in einen Hauffen /
Daß solcher Ungestümm kein Mensch nicht könn entlauffen.

Zwar / daß meine Geliebte eine Jüdin war / gab mir die geringste Anfechtung und Bekümmernus; dann einem solchen Gewissen / das sich einmal entblödet / durch deß Teufels Hülff wieder zu seinem verlornen Gelt zu gelangen / gilts auch gleich / ob die Viehische Begierden an einem getauften oder ungetaufften stück Fleisch vollbracht werden; diß hingegen machte mir das gröste Hertzenleyd / daß ich wuste / wie genau und vorsichtig die Juden ihre Weibs-Bilder vorm Fall zu bewahren gewohnt seyn / und zwar sonderlich die Jungferschafften; Zweytens war mirs auch nicht der geringste Kummer / als an diesem Ort durch Gelt und Gaben / welches sonst überall durchtringt / alle Berg und Thal eben macht / und jeder Orten victorisirt / nichts auszurichten; sintemal ihr Vatter dem gemeinen Ruff nach / dessen so viel hinweg zu werffen hatte / ohne sonderbare Schmälerung seiner unaussprechlichen Reichthumb / als ich mein Lebtag zusammen zu bringen mir einbilden dörffen; Zum Dritten war mirs ein scharffer Dorn in Augen / daß die Juden / so wol Weibs- als Manns-Bilder uns Christen gleichsam von Natur hassen / und sie gegen ihnen / dem Samen Abrahams / der sich noch Gottes außerwehltes Volck zu seyn einbildet / und dermaleins unter ihrem künfftigen Messia die gantze Welt zu beherrschen hofft / nicht viel besser in ihrem Sinn als Hund æstimiren; Vierdtens machte mirs nicht wenig graue Haar / und eingefallene Backen / daß ich an diesem Ort weder durch Cuppler noch Cupplerinnen zuzukommen getraute / welcher Art Leute berühmter Verschlagenheit / arglistigen Betrügerey / und täglich neu-ersinnenden Fünden sonst keine Jungfrau zu keusch und züchtig / keine Wittib zu vorsichtig / keine Frau zu klug / kein Vorsatz zu steiff / keine intention zu fest / und keine continentz zu standhafftig seyn kan / auch kein Felsen so hart und fest zu finden / der nicht durch ihr stätigs Ansetzen bewegt werde / worwider weder Gewalt noch List / weder Fürsichtigkeit noch Weisheit / weder Geschwindigkeit / Kunst noch Geschicklichkeit etwas außzurichten vermag / je besser mir nun dieser Leute dexterität bekand war / je mehrers schmerzte michs / daß ich mir dieselbe nicht zu Nutz zu machen wuste; Fünfftens sahe ich mich in einer Statt / darinnen mit Gewalt nichts auszurichten / dieweil die Juden daselbsten unter dem allersichersten Schutz wohnen / und durch List etwas zu unterstehen deuchte mich unmüglich seyn / dieweil wie oben gehört / die Juden ihr Weiber-Volck so genau bewahren / mich mit ihr bekand zu machen / und ihr als ein Serviteur auffzuwarten / ob ich etwan heimlich und unvermerckt den Bahner anbringen könte / bedeuchte mich eben so spöttisch als gefährlich zu seyn.

Jch glaube / daß der leidige Sathan die jenige Leute / so sich schon auß einer Sünd in die ander zu weltzen gewohnet / mit den allergrössesten Anfechtungen zu versuchen / viel mehrern Gewalt habe / auch unverschämter dieselbige anfalle / als bey den jenigen / die sich nach äusserstem Fleisses vor den Lastern gehütet / dann siehe / ohne Zweiffel / auß dieses Ertz-Feinds Eingeben / kriegte ich die Gedancken / daß ich zu mir selber sagte: Wie wär ihm / wann du dich beschneiden liessest? Massen solches zu Amsterdam nichts neues ist; So bald empfand ich aber diesen Gedancken nicht / daß ich nicht auch eben so bald seine greuliche Abscheulichkeit gesehen hätte; Nein / sagte ich / dieser Einfall und Vorschlag ist vom Teufel / du solst tausendmal lieber sterben / als Christum deinen Heyland verläugnen; hätte ich damahl meine Vernunfft noch frisch und gesund gehabt / so hätte ich auch leicht gedencken können / und schliessen sollen / daß die Liebe / die ich gegen der Jüdin hegte / auch sonst von niemand / als vom Teufel her ihren Ursprung haben könte / umb mich dardurch umb mein Christenthumb / und also umb die ewige Seeligkeit zu bringen; Aber ach! Jch liesse es bleiben / und vermeynet genug / und eine ritterliche Christenthat begangen zu haben / daß ich Christum nicht offentlich verläugnen wolte / da ich mir doch hingegen gar kein Gewissen machte / der Jüdin Bildnus in meinem Hertzen all Augenblick anzubeten / und ihr viel tausend Liebes-Seufftzen zu schencken.

Die eintzige Erquickung meines Trostlosen und trübseligen Lebens war diese / daß ich fast täglich unsichtbarer Weise hingieng / meine Liebste zu sehen / und meine Augen in ihrem wunder-schönen Angesicht zu weyden / aber was nenne ich diese Thorheit eine Erquickung / die doch nichts anders als Oel in mein Feuer war / worvon meine Liebes-Flammen je länger je grösser wurden. Also liebte ich ohne Hoffnung deß Genusses / und quälte mich mit Nachsinnungen / obs nicht müglich seyn könte / meinem Elend auff den einen oder den andern Weg abzuhelffen; aber da war keine expedientz zu finden / ich hätte mich dann selbst hencken oder erträncken wollen / welches mir aber noch zur Zeit gar nicht annehmlich seyn wolte; Jndessen erlernete ich deß Juden / und aller seiner Haußgenossen Namen / und machte mir alle Winckel im gantzen Hauß so bekand / als wann ich darinn geboren und erzogen worden wäre; Jch fande auch den Ort / wo deß Juden Baarschafft / Silber-Geschirr und Klenodien lagen / welches in Warheit ein solcher Schatz war / dergleichen bey manchem Grafen in Teutsch- und Welschen Landen nicht zu finden; Aber ich liesse alles unverruckt / weil nicht deß Hauptreichen Eliezers Gold / Silber und Edelgestein / sondern seine schöne Tochter Esther vor dißmal der Schatz war / nach dem ich verlangte.

Einsmals an einem Freytag Abends befand ich mich auch in Eliezers Behausung / und sahe zu / wie er Eliezer als Haußvatter nach den gesprochenen Lobsagungen / die sie Haudila nennen (welches eine Absonderung bedeutet / nemblich deß Sabbats von den andern unheiligen Tägen) in seinem Damastenen / mit Martern durchfüttertem Schlaff-Beltz / einen grossen überguldten Becher voll Wein durchs gantze Hauß vertröpffelte / und jeweils darzu sagte / der Prophet Elias / der Prophet Elias / der Prophet Elias komme bald zu uns mit dem Moschiach / Gottes und Davids Sohn / der Prophet Elias / etc. Welche Ceremonien mir Ursach und Gelegenheit gab / das jenig zu ersinnen / so mir hernach in meiner Liebe Vergnügung geben.


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