Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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Eben damal als ich hinkam / stige ein alter Moßbart ab / der mich dem Bart und seiner Kleidung nach an die Antiquität selbsten ermahnete; der Hauß-Knecht führet sein Pferd in Stall / er aber marchirte der Stuben zu / und ich kame mit ihme hinein / darinn sasse der Wirth und lase in zweyen Büchern zugleich / weil er eben so wenig Gästen auffzuwarten hatte / als der zum schwartzen Roß; Grüß ihn GOtt / (sagte der alte zum Wirth / ) Grüß ihn GOtt Herr Schrepfeysen / wie so gar in doppelter Andacht begriffen? Er wird gewißlich dencken mit doppelter Kreyden geschrieben / also auch doppelt gebetet? Aha! antwortet der Wirth / willkommen mein rechtschaffener ehrlicher Herr Simplex! woher so unversehens? Jch habe gesorgt gehabt er sey gestorben / daß ich ihn so lange nicht mehr gesehen; Ach! antwortet der Alte / ich wäre noch nicht hier / wann mich meines Sohnes Angelegenheiten nicht hieher getrieben hätten; Jch habe ihn neulich dem Herrn Prælaten zu N. recommendirt gehabt / der Hofnung / er würde bey Geistlichen auch geistlich gesinnet werden / und in ewigwehrenden Gottesdinst tretten / so hat er mir aber vor etlichen Tagen geschrieben / daß er wiederumb unwissend warum / dort abgeschafft worden; darüber habe ich mich verwundert / und deßwegen in seinem nativitäten-Buch nachgeschlagen / und befunden / daß er umb diese Zeit / vornemblich aber heut wegen seiner Redlichkeit und Neigung jederman bedient zu seyn / auß Neid / Jrrung und Mißtrauen in äuserste Gefahr Leibs und Lebens kommen werde; derohalben habe ich ihm wieder geantwortet / und befohlen / daß er sich auff diesen Tag hier in diesem Hauß einstellen / und meiner erwarten sollen / zu sehen / wie ihm etwann zu helffen seyn möchte; aber indessen was hat der Herr vor zwey Bücher da / in denen er zugleich lieset? Jst vielleicht jenes kleineste der Thomas de Kempis? Wol nein / antwortet Schrepffeysen / ich kenne denselben Thomam noch nicht / diß ist die Assenat und jenes der keusche Joseph; diese beyde lese ich gegen einander / weil beyde Eheleut gewesen seyn sollen / und sehe wie der jüngere Scribent dem älteren so dichte Kappen gibt / mehr die Zeit zu passiren / weil ich jetzt eben keine Gäste hab / als zwischen ihnen beyden ein Urthel zu sprechen.

Der Joseph? sagte der Alte; Ja! antwortet Schrepffeysen; und die Assenat, die eben nicht viel mehrers in sich hält als Joseph selbsten / ohne daß sie ihr Autor zu einer halben Nonn und eines andern Vattern Tochter macht / als Greifnsohn / der deß Josephs Leben beschrieben hat; mein lasts mich sehen / sagte der alte Simplex, holet aber indessen eine gute Maß Wein / damit ich nicht umbsonst da sitze; der Wirth folgte / und indessen er nach dem Wein war / durchschnarchte Simplicissimus beyde Bücher; im Joseph hielte er sich gar nicht auff / aber in der so genannten Assenat desto länger / und zwar so lang als der Wirth außblieb / da der aber wieder mit dem Wein kam / die Kanne auff den Tisch stellete / und hingieng ein Glaß zu schwencken / soffe er den Wein in einem sachten Zug so glat herauß / daß ich nicht glaube / daß ein eintziger Tropffe mehr darinnen verblieben / ohne daß es der Wirth gemerckt.

Gleich darauff wühlet er fort in der Assenat, und sonderlich in deren Annotationibus, noch immerhin so durstig aussehende / als wann er mit Verdruß auff das Glaß hätt warten müssen / wie aber der Wirth mit dem Glaß kam einzuschencken / und nichts in der Kanden fand / lachte der alte Simplex und sagte / wann man auß leeren Kanden einschencken könte / so wäre ich wol ein Stock-Narr so ich im Wirthshauß einkehrte; eine Kande die ich kauffte wäre mir alsdann genug / mein Lebtag den Durst darauß zu löschen / gehet zuvorhin und füllet die Kande selbst / ehe ihr die Gläser darauß füllen wolt; der Wirth wuste nicht ob er vergauckelt war / oder ob er keinen Wein mit sich auß dem Keller gebracht hätte / schüttelte derowegen den Kopff vor Verwunderung / und holete ein andere Maß Wein / auß welcher er einschenckte / und seinem alten bekanten Simplicissimo zum freundlichsten Willkumm eins zubrachte / der sich aber bedanckte / und ihm zuverstehen gab / er hätte den Durst schon auß der vorigen leeren Kanden gelöscht / das mochte Herr Schrepfeysen jetzt auß gegenwärtigen gefüllten thun.

Jndessen durchblättert er immerfort die Anmerckungen in gedachter Assenat, und zwar in solcher hinlässigen Eyl / als wann ers im Verding zu thun gehabt; und als er zum Ende kam / sagte er zum Wirth / ich sehe wol daß der Nachtbar Simplicissimus eben so wol seinen Zoilum hat / als der berühmte Homerus! Wann die Geschicht der Assenat, darauff sich hierinn so offt bezogen wird / vor diesem schon verfast gewest / was ists dann vonnöthen daß sie mit dem auß meines Joseph Lebens-Beschreibung gezogen Federn (er erst nach so vielen hundert ja tausend Jahren) wie deß Horatii Krähe außgezieret oder vielmehr vermummt werde? Der Asaneth Geschichte / so ich zwar nicht gesehen / halte ich vor ein Gedicht irgend eines alten Rabi / dardurch er die jüdische Jüngling zur Tugend und Keuschheit anspornen wollen / damit ihnen GOtt / wann sie darin beständig verharreten / solche so wol als dem keuschen Joseph mit einem eben so keuschen Gemahl belohne; So ist auch nicht zuverwerffen / wann umb dieser Ursach / und deß unvergleichlich-keuschen Josephs eigenen Tugenden und Meriten willen ihme eine so vortrefflich aufferzogene Gemahlin angedichtet worden. Aber daß dieser Autor mir am 395. Blat meinen Jmaus / und anderen ihren Komhares; und aber einem andern seinen Alrian nicht passiren lassen wil / und anders mehr / um willen es wider die Geschichtschreiber / so er hiervon gelesen / wie auch der Asaneth Geschicht und die Verfassung deß Josephs letzten willens streite; ist mir gar nicht gefällig / dann er ja selbst tacitè gestehet / daß er nicht alle Geschichten hiervon gelesen / mit den meisten aber so er gelesen / den zu Josephs Zeiten regierenden Pharaonem Nephrem und auch Tomestor Nemme.

Was ich von der Asaneth Geschichtbeschreibung halte / hab ich schon gesagt / und sage daß ich von den Verfassungen deß letzten Willens der zwölff Ertzvätter auch kein Haar anders / sondern dieses glaube / daß / gleich wie fromme Christen die warhaffte Geschichte deß schmertzlichen Leydens und Sterbens ihres Erlösers heilsamlich betrachten / damit sie die unaussprechliche Liebe GOttes darauß erkennen / ihre Hertzen zu heiliger Gegenliebe und schuldiger Danckbarkeit bewegen / und Demuth / Gedult / Sanfftmüthigkeit und ander Tugenden und ungläubliche Schätze so darinn liegen / begreiffen lernen / und darauß schöpffen: und also das jenige erlangen mögen / worzu sie von GOtt vornemlich erschaffen werden; daß also auch von den klugen Hebräischen Rabinern die gedachte letztere Willens-Verfassungen vor die Jugend auffgesetzt / und gleichsam als ein Spiegel dargestellet worden / in welchem sie zu sehen / wie sie leben / die Tugenden üben und die Laster fliehen solten; in welcher Meinung ihnen nichts daran gelegen gewesen / ob sie in ein und anderer Erzehlung / so viel die Histori selbst anbelangt / der Grund der Warheit so genau erforscht und beobachtet oder nicht.

Daß auch diese beyde Schrifften auß Neid der Juden / wie der Autor in seiner Vorred sagt / so lange verborgen gehalten worden / fält mir schwer zu glauben / wann ich betrachte / daß die Hebreer die Cabalam so geheim gehalten / daß sie vor Esdræ Zeiten niemand schreiben: nachgehende aber / als sie Esdras auß Göttlichem Befelch schrifftlich verfast / nicht ein jeder lesen dörffen; und daß dennoch dieselbe Cabala in 70. Büchern bestehend / nach Garzoni Zeugnüß so gemein worden / daß sie auß Pabst Sixti IV. Anordnung in der Lateinischen Sprach in offenen Druck kommen.

Viel / ja die meiste Hebreer halten darvor / Potiphar habe den Joseph seiner Schönheit wegen zum Mißbrauch erkaufft / und seye deswegen untüchtig worden / ehe er sein sündlichs Vorhaben vollbringen können / solches bezeugt auch die vom Autor am vierhundert und achten Blat angezogene Geschicht der Assenat; Wann nun diesem also wäre / so ist die Verfassung deß Josephs letztern Willens falsch / als welche außdrückenlich meldet / daß Joseph auß Anstalt deß Potiphars Gemahlin erkaufft worden / wie hier bey diesem Autor am 441. 442. 443. Blat und anderswo mehr zu lesen.

Verbleibe dennoch bey meinem gefasten Wahn / daß die Geschichte der Assaneth mit sampt dem verfassen letzten Willen der Ertzvätter er erst lang nach Josephs Zeiten / von einigen jüdischen Rabinern auffgesetzt worden / mehr der Meinung / die Jugend anzureitzen / deß Josephs Tugenden nachzufolgen / als ihnen die Warheit der Geschicht sollen darzu legen.

Welches Potiphars Tochter-Mann Joseph aber worden seye / bezeugt die Heilige Schrifft und der jüdische Geschichtschreiber Josephus so Sonnenklar / daß mich niemand überreden kan / deß erleuchten Augustini Meinung abzustehen / wie mir dann ohne das gebühret / einem so heiligen Mann mehr zu glauben / als denen so die Assaneth-Geschichte / und Josephs letzteren Willen gedichtet; und über diß ist mir allerdings wie dem gelehrten Vossio, mit welchem ich rund nicht fassen und glauben kan / daß der jenig / dem dieser Autor selbst nicht unweißlich das Hermlin zum Sinnbild gibt / seine reine Haut so leicht beflecken / und die jenige heyrathen würde / deren Vatter an ihm zu einem Sodomiten: ihre Stieffmutter aber zu einer Ehebrecherin werden wollen: vornemlich zu der Zeit / als er Herr in Egypten war / grosse Ehr und Reichthumb besasse / und unter allem Frauenzimmer deß Königreichs die Wahl hatte; dahingegen seines gewesenen Herrn Ansehen ohne zweiffel so hoch nicht mehr geleuchtet haben wird (nach dem kundt worden / was gestalten er dann nunmehr so hoch geachten Joseph so lange Zeit unschuldig gefangen gehalten) daß er Ursach gehabt hätte / einiger erheyratheten Hochzeit oder zubringenden Brautschatzes wegen seine bißher verwahrte Keuschheit einer unkeuschen Art zuzubringen.

Daß sich endlich der Autor verwundert an seinem 442. und 443. Blat / daß Potiphar in Josephs Lebens-Beschreibung vor einen Wittwer / dessen Weib Selicha genannt / und vor der Assaneth Verwandte ausgegeben werde; da muß ich mich hingegen über seine Verwunderung verwundern / weil er als ein wolbelesener weißt wie unterschiedlich von dieser Geschichte geschrieben wird; wann er aber auch hörete wie seltzam und unterschiedlich die Persianer / Araber und andere hiervon mündlich discurriren / so würde er sich über das was ich diß Orts geschrieben / gar nicht verwundern; zu dem gebrauchen sich dieselbe Völcker noch zur Zeit keines Drucks / darumben dann die geschriebene Exemplaria bey ihnen selten einstimmig gefunden werden; indessen ist es aber viel zu weit und die Sach nicht so gewichtig / daß man jemand persönlich hinweise / selbst zuerfahren / was vor unterschiedliche Sachen selbige Leute von deß Josephs Histori haben; Wann aber ihr Herr Schrepfeysen auch gern wissen möchtet / woher ich den Nahmen Selicha vor deß Potiphars Gemahlin aufgetrieben so schlaget deß berühmten Olearii Persische Räißbeschreibung auff / darinn werdet ihr finden / daß die Persianer selbiges Weibe nicht anders als Selicha nennen / darauß ihr leicht erachten könnet / daß ich diesen Nahmen von desselben Nation erlernet / und auß keinem Finger gesogen.

Der Wirth hatte biß hieher dem alten Simplicissimo mit offenem Maul / Augen und Ohren stillschweigend zugehöret; nunmehr aber verliesse ihn seine Andacht so gar / daß er überlaut anfing zu lachen / weil Simplex so schellig drein sahe / und mehr Wort gemacht / als sonst sein Gewohnheit zu seyn pflegte; ich hätte nicht geglaubt / sagte er / daß sich der Herr hierüber / als über eine fremde Sach / die ihn nichts angehet / erzörnen solte und wider seinen Gebrauch so viel Dicentes daher macht: Was antwortet der Alte; ich bin deß Josephs Autor, und wie würde euch gefallen / wann jemand euch euer Geld hinweg nehme / und euch hernach außschrie / ihr hättet falsche Sorten? der Kerl zauset mir die Haar auß / und darff hernach allerdings sagen / ich hätte eine falsche Parücke.

Als diese beyde so miteinander redeten / kam die Zeitung / daß man den Wirth zum schwartzen Roß / mit sampt seinem Weib und einem Studenten gefangen genommen / auß welches Beschreibung der alte Simplicissimus abnahm / daß es sein Sohn seyn müste / derowegen war daselbst seines bleibens nicht mehr / sondern er wischte gleich auff und gieng hin die Warheit zuvernehmen / und wessen ermelter sein Sohn bezüchtigt werde; der Wirth gieng mit ihm als seinem alten Bekanten und guten Freund; zu welchem Simplex sagte / was solls gelten / wo nicht mein Sohn auß Mißverstand zum schwartzen Roß gerathen / weil ich ihm geschrieben / er soll meiner zum Rappen erwarten.

So bald sie hinweg waren / suchte ich deß Wirths Schreibzeug / welches ich in einem Nebenstüblein fande / schriebe hernach folgenden Bericht auff den vierdten Theil eines Bogens Papier / so einfältig und klar als ich konte / nemlich also:

Ein Müller brachte einen Sack Meel zum schwartzen Roß / dem gab die Wirthin ein Stück Käß und Brodt / das legte er auff den Sack / biß ihm die Wirthin auch einen Trunck brachte / den Käß ließ er aufm Sack liegen als er getruncken / und gieng seines Wegs / hernach kam der junge Simplicissimus, liesse ihm ein Halbes langen / und als die Wirthin sich vergeblich bemühet / den Sack Meel zum Backtrog zu tragen / trug ihn der Simplicissimus ungebeten hin / über welcher Arbeit beyde sich mit Meel bestäubten / und mit dem Käß beschmirten; als der Wirth darüber in die Stub kam / argwohnete er / beyde hätten etwas unrechts begangen; welche Warheit so wol der Müller als der stumme Meelsack bezeugen werden; worüber jener verhöret / und dieser besehen werden kan.

Mit diesem schriftlichen Bericht folgte ich Simplicissimo nach / weil es aber schon spat war / daß er weder gehöret werden / noch etwas anders ausrichten konnte / als daß man die Sach künfftigen Morgen vornehmen solte / so gieng ich wieder mit ihme zuruck ins Wirthshauß / und den folgenden Morgen auff die Rath-Stub / allwo die Sach verhöret und examinirt wurde.

Der Schwartz Roß-Wirth war Kläger und hatte nichts anders zum Beweiß / daß er ein Hanrey sey / als den faulen stinckenden Käß und den Meelstaub / welches auch bey theil Verständigen vor genugsame Anzeigungen gehalten wurde / daß beyde Beklagte nahe genug mit den Leibern zusammen kommen seyn mochten / vornemlich weil der junge Simplicius ein schöner gerader Mensch war / der aber so wol als die Wirthin ihre Unschuld mit GOtt bezeugten; Jch mochte aber die Sach nicht lang vergeblich hin und her wägen lassen / sondern legte meinen geschriebenen Bericht vor den Richter auff den Tisch / worüber sich jederman verwunderte / er wurde durch den Actuarium abgelesen / und darauff beydes der Müller und Mahlsack geholet / die da bezeugten was ich geschrieben; hierauff wurden beyde Beklagte ledig gesprochen / dem Kläger aber schimpflich verwiesen / daß er sein unschuldig Weib zur Huren / sich selbst aber zum Hanrey machen wollen. Welches doch niemalen ein Mann zu seyn begehrt / und sonst niemal gehört worden.

Jch gieng wieder mit den beyden Simpliciis in ihre Herberg / allwo der Alte von einer Gräflichen Hoffhaltung / wohin er seinen Sohn in Dienste recommendirt, eine Widerantwort erwartet / dieselbe lautet aber nicht nach Wunsch / sondern also: Jnsonders hochgeehrter Herr / wie gern ich dessen Sohn in meines Gnädigen Herrn Diensten sehen mögen / wird mir der Herr Bruder schwerlich glauben können; Seine Gn. waren auch mit meiner hertzlichen Erfreuung gäntzlich entschlossen / ihn anzunehmen / hat aber auch zuvor erkundigen wollen / welcher Gestalt er sich in bewustem Closter verhalten / und warumb er so bald wieder aus demselben hinweg kommen / und eine solche Antwort erhalten / die ihme allen Lust und Willen ihn anzunehmen vertrieben; Jch communicire deß Herrn Brudern Verschwiegenheit im höchsten Vertrauen / daß auff ihne außgeben worden / er hätte die Gewonheit beydes mit der Zung und krummen Fingern spatziren zu gehen; So zwar mein Gn. Herr nicht glaubet / gleichwol aber auch nicht trauet; uns damit allerseits Gottes Schutz empfehlend.

Diß thät mir wehe / geschweige den beeden Simpliciis; dann diß war je grob und unfreundlich gehandelt / daß man mit seiner deß Jungen Außbeissung nicht zu frieden gewest / sondern ihn noch darzu anderwärts verleumdet und vor seinem Glück stunde; doch taugte mirs auch zu einer sonderbahren Freud und Ergötzung / als ich sahe / das sie beyde sich so wol in diese widrige Begebnuß schicken konten; Was? sagte der Alte / wer mein Herr nicht seyn will / dem darff ich auch nicht dienen / die gantze Welt steht uns offen / wir dörffen darinn betteln wo wir wollen; lang zu Hof lang zu Höll; und ist mein Sohn nicht zum Mönchen prædestinirt, so werde er ein Soldat; der ist ein Narr der sich drumb henckt / wann man ihn nicht in ein Gefängnus setzt / denen sich beydes das Hof und Closterleben vergleicht.

Den andern Tag nahm ich meinen Weg weiters / und gieng mit einem wackern jungen Baurskerl in ein Städlein da es schon Polnischen Gebiets und doch noch Teutscher Sprach war; Er tratt dapffer auff die Lappen / so / daß er in Bälde eine junge Baurendirn auß seinem Dorffe einholete / die ein Schweinlin zu Marck triebe; es setzte zwischen beiden in Bälde ein leffelhafftig Gespräch / und der Kerl war auch so keck / daß er sie unter dem Hals herumb ein wenig kützelte / und noch von einer viel niedlichern Sach mit ihr redete; doch liesse ers bey einem passirlichen verbleiben; aber als wir jetzt allerdings aus dem Wäldlein gehen wolten / erinnert ihn das Mensch an das / worvon er ihr gesagt und doch nichts geleistet hatte; mit beygefügtem Anhang daß der Busch daselbst hierzu bequem und niemand vorhanden wäre / der es sehe; der Kerl hingegen röthet sich vor Schamhafftigkeit an / und sagte du leichtfertiger Schleppsack siehet es denn GOtt nicht? GOtt siehst und wird dadurch erzürnet; die Engel sehens und werden dadurch betrübet; der Teufel siehets und wirds am letzten Gericht anklagen; Wann es aber nur Menschen sehen / so wäre es nur umb die zeitliche Schand zu thun / welche du mehr scheuest als die ewige Verdammnis!

Jch verwundert mich umb so viel desto mehr über diese Antwort / weil ich sie hinter keinen solchem Baurnkerl gesucht hätte; Ja sie bewegte mir das Hertz dermassen / daß ich einen Seufftzen nach dem andern darauß holen muste / und diese Wort wol hundertmal bey mir selbst repetirte und je länger je mehr betrachtete; diese Wort / lernten mich in mich selbst gehen / viel besser als wann sie ein Prediger außgesprochen / sie öffneten mir die Augen zu sehen / auß was Ursachen ich so offt und vielmals sündigte / nemlich dieweil ich so gar wenig an die Göttliche Gegenwart gedächte / und ob mir gleich unzehlbar vielmal zuvor gesagt worden / ich solte Gott allweg vor Augen haben / so hatte ich jedoch diese güldene Warnung und Lehr weder recht verstanden / noch ihren Nutz beobachtet vielweniger derselben gefolgt / wie ich ietzo dieselbe verstunde / ihren Nutz vor Augen sahe und derselben hinfort zu folgen beschlosse; da sahe ich daß derjenig Gottloß zu nennen / und Gottlos in Wercken wäre / der nicht immer GOtt vor Augen hat und in seinem gantzen Wandel dessen Gegenwart förchtet;

Solches desto ehender zu fassen und zu behertzigen / machte mich damal sehr bequem / dieweil alle die Thorheiten Fehler / Sünd und Laster / die ich / so lang ich das Vogel-Nest in Handen gehabt / von andern gesehen und gehöret / nicht vorgenommen noch unterstanden / viel weniger vollbracht worden wären / dafern diejenige die solche begangen / nur meine unsichtbare Gegenwart gewust hätten! unangesehen ich nur gleich andern ein sündiger Mensch und noch lang kein Heiliger viel weniger ein Engel gewesen / den solches geschmirtzet: noch ein Teufel / der solches angeklagt haben würde; Jch gedachte an jenen frommen Mönchen / der auff einer leichtfertigen Vettel emsiges Anhalten mit ihr das Werck der Unkeuschheit zu begehen versprach / dafern sie es auff offenem Marck vor aller Menschen Augen mit ihm vollbrächte / die es aber auß Scham solcher Gestalt nicht angehen wolte / sondern ihr verliebtes Rasen in eine heilsame Bekehrung verwandelte.

Ach GOTT! gedachte ich / soll ein schwaches Weibsbilde / ein Weibsbild das wegen ihrer verliebten Passion angefochten / und von den hitzigen Begierden ihres Verlangens angesporet wird! Ein Weibsbild / das mit dieser fast unsichtbaren Kranckheit der Liebe behafftet / und dardurch (wie bey nahe alle Verliebte zu seyn pflegen) gleichsam aller Sinn und rechten Gebrauch der Vernunfft beraubt ist / sich der Gegenwart der Leute vom Sündigen abschrecken lassen? und wir übrige Menschen / die sich besser als leichtfertige Huren zu seyn duncken / scheuen sich nicht in der Göttlichen Gegenwart die allerabscheulichste Laster zu begehen! Vor deinem Neben-Menschen / der vielleicht ein Sünder seyn mag / wie du / scheuest du dich / und vor dem den du mit Sündigen erzörnest / der dir zusihet / zuhöret / und dich umb dein Verdienen abstraffen oder belohnen wird / scheuest du dich nicht.

O grosse erbärmliche Blindheit! O unverantwortliche verstockte Thorheit der Menschen / die da nicht unterlassen zu sündigen / wann es ihr Schöpffer allein sihet / ihnen aber abzubrechen wissen / wann es nur Menschen sehen! Ehrest du den Menschen hier nicht höher als GOtt? zeugst du hier die Creatur nicht ihrem Schöpffer vor? Bist du hier nicht in Warheit ein rechter Abgötterer? Ach wann wir Menschen / wir Christen! doch nur thäten was der weise Seneca in seinem Hercule Furioso spricht / wann er sagt

Sequitur nocentes victor à tergo DEVS:

Das ist so viel

Hüt dich / hüt dich / dann GOtt der HErr
Der siht dir zu und ist nicht ferr.

Wann wir ja dem heiligen Apostel nicht folgen wollen; der uns so treulich vermahnet / wir sollen als am Tage wandeln / das ist / wir sollen alle unsere Werck dergestalt verrichten / als wie diejenige die am hellen Tag in aller Menschen Gegenwart ungescheut zu geschehen pflegen / so stünde unsere Sach noch wol / dann wer böses thut / der liebet die Finsternus und hasset das Liecht.

Wie vermeinest du wol / daß uns Christen jener edle Römer / der doch nur ein Heid war / und den wahren GOtt nicht erkannte / an jenem grossen Tag / daran alle Werck offenbahr werden sollen / beschämen wird / umb willen er nicht gewollt / daß ihm der Bau / oder Werckmeister sein Hauß bauen solte / daß niemand sehen könte was darinn geschahe / sondern im Gegentheil begehrte / solches also zuzurichten / daß jederman schauen und wahrnehmen könte / was darinnen vorgieng.

Solches und dergleichen waren meine Gedanken / biß wir allerdings zu obgedachten Städtlein kamen; und der Schluß den ich darauff machte / war dieser / daß der jenige Mensch alsdann nicht unbillich gottlos und GOttes vergessen zu nennen seye / wann er die continuirliche Gegenwart GOttes auß dem Gedächtnus verliere / oder hindangesetzt seyn lasse; der aber gottsförchtig sey / der solche unläugbare gewisse Gegenwart deß Höchsten unaußsetzlich in allem seinem Handel und Wandel / Thun und Lassen vor Augen habe / observiere und respectire / dieser Weg dunckte mich gar leicht darauff zu einem frommen GOtt wolgefälligen Leben zu gelangen; Mit solcher geringen Mühe / sagte ich zu mir selbst / ist gleichwol ein unschätzbarlicher Schatz / nemlich die ewige Seligkeit zu erobern; und in dem ich so in meiner Betrachtung fortfuhre / kam ich auch darauff / daß GOtt nicht allein äusserlich gegenwärtig sey wie Menschen bey Menschen zu seyn / und einander zugehören und zu zusehen pflegen / sondern daß er auch die gegenwärtige und künfftige innerste Bewegungen / Gedancken und Rahtschläg unserer Hertzen sehe und wisse.

Derowegen setzte ich mir vor ein gantz anderer Mensch zu werden / ich liesse den vorhabenden Anschlag allbereit fallen / einen reichen Juden in Polen zu bestehlen / umb mich selbst mit dem Diebstal zu bereichern; sintemal das siebende Gebot ohne einige Bedingung das Stelen verbeut / und einer zum Dieb wird / er stele gleich einem Juden oder Christen.

Wie ich unter das Thor deß mehrbesagten Städleins kam / fiele unversehens ein grosser Platzregen / weßhalber ich mich in das nechste Hauß darbey in die Trückne salvirte / es wohnte ein zimlich bedagter Schuster darinn / der dort sasse und auff seinem Handwerck arbeitet / sein junges Weib aber spanne Hänffen Tratgarn; von Kindern oder Gesind sahe ich niemand / verstund aber wol auß beyder Eheleute Discurs / daß deß Meisters rechter und der Frauen Stieffsohn auff dem Marck war / und Schuh feil hatte.

Jch war über ein halbe Stund nicht bey diesen zweyen Eheleuten gewesen / als noch ein Kerl hinein kam / der dem Schuster klagte / daß ihn der Schuh so gewaltig am rechten grossen Zehen druckte / mit ersuchen / er wolte doch ümb die Gebühr helffen und rathen / daß er deß Anliegens entübrigt seyn mögte; O ja / antwortet der Meister / nur herauß mit dem Schuh / so will ich ihn ein wenig über den Leist spannen / und dem Ubel bald abgeholfen haben; der Patient folgte mehr als gern / und der Schuh wurde abgezogen / genetzt und ein Leist hinein gezwängt / darinn er etwan eine halbe Stund verbleiben solte / biß der Schuh nur ein wenig wieder trücknete / damit er seine Form behielte; Der Monsieur fragte den Schuster / was es kosten würde; ihm ward geantwortet / ein Maß Wein mache viel Wesens; Wol geben / sagte jener / ihr sehet mir gewißlich an / daß mich eben jetzt durstet; sehet Meister da habt ihr Geld holet ein Maß; gehet Frau / sagte darauff der Schuhmacher / holet ihr / so kan ich indessen fort arbeiten. Solches war aber dem Galanen ungelegen / derowegen sagte er / die Frau muß mir aber auch ein paar Dutzet Pastetlin mit bringen; gar gern / antwortet die Schusterin; aber wie dem sie werden mir vom Regen naß / und zum Mann sagte sie / es siehet auch jeder was ich trage; dem Ding ist bald geholffen antwortet der Schuster / ich will meinen Mantel nehmen / und beydes selbst herholen / gesagt und fortgangen war eins.

Er hatte aber kaum den Rucken verwendet / da brachten beyde hinderlassene die Mäuler so nahe und dichte zusammen / umarmten sich und konten sich auch so gar nicht wiederumb voneinander bringen / daß ich vermeinte / sie wären mit einem Bechknollen zusammen geleimet gewesen; und das war noch nicht genug / sondern der Leimstängler warff noch darzu die gute Schusterin auff das daselbst stehende Lotterbett / und formirte mit ihr so eine werckliche Postur / daraus ein jeder / er hätte den gar ein Schaf seyn wollen / leicht abnehmen können / daß er das Eheliche Weibgen wie der Schuster seinen Schuh zu tractirn vorhatte; Sie wurde zwar gar nicht zornig drüber / aber mich verdrosse es im Hertzen / daß er mir so eine visirliche Kurtzweil da anrichten wolte; derohalben schliche ich unten an die Bettlade / erwischte ihn bey den Füssen und fuhr mit ihm gleichsam wie ein Bauer mit seinem Pflug den langen Weg deß Ackers hinauß über das Fußbrett / woran er sich beydes mit den Händen / und seiner Kirschenhackenmässigen Nase noch erhielte / dann ich hätte ihn sonst weiters und vielleicht gar auff die Gasse hinauß geschleift; Es mag ein jeder selbst gedencken und errathen / was diese beyde hierüber gedachten; Jch zwar weiß es nicht / wolte es sonst auch erzehlen; das aber weiß ich wol / daß sie einander mit Erstaunen ansahen / und vor Furcht / Angst und Schrecken zitterten; das erste / so sie wieder mit einander redeten / war diß / daß je eins das ander fragte und sagte / HErr GOtt was ist das? Jch aber gedachte / hättet ihr beyde so zusammen gesagt / ehe ihr euer verdammliche Gauckel-Fuhr begangen / so wäre es mit einem guten / und nicht wie jetzt mit einem geängstigten Gewissen geschehen;

Jch war mit deß Kerls Nase so unsäuberlich an das Fußbrett gefahren / daß sie ihm blutet schier wie ein gestochene Sau / aber da bekümmert ich mich wenig umb / sondern ich wünschte vielmehr / daß ich allen solchen Hengsten dergestalt zur Ader lassen / und das erhitzte geile ehebrecherische Geblüt vom Hertzen raumen könnte; die Schusterin war hingegen viel barmhertziger / und ließ an ihrem Trost / wischen und waschen nichts ermangeln / so mich abermal in Harnisch brachte / und verursachte / daß ich ihr einen Zuber voll Wasser / der neben ihres Manns Werckstatt stunde / mit samt dem darin weichenden Leder / Schuhen / Bechknollen und Wetzsteinen über den Kopff abgosse; Nach dieser Verrichtung gieng ich meines Wegs / weil es ohne das zu regnen auffgehöret / nicht weiß ich wie diese beyde einander ferners außgeholffen / oder wie sie zu deß Manns Ankunfft die Pastetel miteinander getheilt haben.


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