Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. IV.

Gar eine ernstliche Leffeley / zwar schier zwo.

NJemand kan glauben / oder ihm selbst einbilden / was ich vor seltzame und wunderliche Grillen und Anschläg unterwegs hatte / da ich heimwärts gieng / auff wie vielerlei Weisen / und an wie vielerlei Orten ich mir nemlich meine Unsichtbarkeit zu Nutz machen wolte! da war ich schon mit meinen Gedancken unsichtbarer Weis Persöhnlich in den Conferentzen / und geheimen Unterredungen der einen und andern Compagnie der allervornehmsten Handels-Herren / und horchte zu / was sie der Handelschafft / und der ein und andern Wahren halber vor hatten / umb mir dasselbe zu Nutz zu machen / und / weil ich mich nicht der geringste unter den Kauffleuten unsers Lands zu seyn bedunckt / meine Segel nach ihrem Wind auszuspannen / damit ich wieder reicher würde / als ich zuvor gewesen; Eben solcher Ursachen halber kam ich nicht allein auch in den Statt-Rath unserer Regiments-Herren / sondern gesellete mich auch so gar zu den geheimen Staads- Consiliis und Rathschlägen großmächtiger Potentaten / umb daselbst zu meinem Vortheil zu vernehmen / was vom Frieden oder Krieg geschlossen / und wie sich diesem nach die Handelschafften: die Abschlag: und Steigerung der Wahren beyläuffig anlassen würden!

Jn solchen Gedancken schetzt ich mich so Glückselig: und sahe meine künfftige prosperität so vortrefflich / daß ich mir selbst schier nicht glauben kondte / daß ich unsichtbar sey / wordurch ich so Glückselig und reich zu werden vermeynte! Jch gedachte offt / wie? Wann dirs aber vielleicht dieser Schwartzkünstler gemacht hätte / wie zween Mahler einem einfältigen Schöps beym Boccatio gethan / die ihn auch mit einem schweren Sack voll Stein beladen überredet / er sey unsichtbar / biß ihn sein Weib darüber heßlich willkommen geheissen: derowegen legte ich mein Naßtüchel offt von mir / die Gewißheit meiner Unsichtbarkeit eygentlicher zu haben / biß ich endlich gewahr wurde / daß mich nicht allein die Wald-Vögelein nicht scheueten / die ich unterwegs antraff / sondern da ich in die Statt kam / auch die Leut beydes bekandte und unbekannte mich weder grüssen / noch wie ich sonst gewohnet war / den Hut vor mir abzogen; geschweige daß ein Bettler ein Allmosen von mir gefordert; Worauß ich dann genugsam versichert worden / daß mich warhafftig niemand sehe.

Derohalben gieng ich gar getrost zum allerersten in mein eygen Hauß / zuforderist zu sehen / wie mein Gesind in meiner Abwesenheit hausete; Mein Weibgen fande ich / meinem Beduncken nach weit betrübter / als ich sie mein Lebtag je gesehen / massen sie ohne unterlaß einen Seufftzen nach dem andern gehen liesse / darauß ein jeder ohnschwer die Grösse ihres Anligens abnehmen konte; und weil ich mir nichts anders einbilden konte / als daß sie sich ohn Zweiffel beydes umb mein bisheriges Anligen bekümmerte / und sich umb mein Abwesenheit so ängstigte / als name ich solches vor ein gewisses und unfehlbares Zeichen ihrer zu mir tragenden hertzlichen Liebe an / welches mich nicht wenig erfreute / ja dermassen erquickte / daß ich vermeynte / ich hätte nunmehr genugsame Ergötzung durch das / was in meinem Naßtüchel verknüpfft war / vor mein verloren Gelt empfangen / und wann mir gleich einer damahl noch so viel als ich verlohren / darvor geben wollen / so hätte ichs doch mit niemand vertauscht; Gleich wie michs nun trefflich kützelte / daß mich mein Weib so hoch liebte / also hatte ich hingegen auch ein grosses Mitleiden mit ihrer bezeugenden Hertzens-Angst / die sie auß solcher Liebe von meinetwegen mit Ungedult gedulden muste / so / daß ich mich allerdings vor ihr hätte sehen lassen / beydes sie zu trösten / und sie mit meiner Gegenwart / die sie so hertzlich wünschte / zu erfreuen / dafern ich anderst nicht auch also unsichtbar mein Haußgesind umb ihr Verhalten außnemmen wollen:

Zu diesem Ende schliech ich überall im Hauß herumber / und fande / daß ein jedes sein Geschäffte so getreulich verrichtete / als es bißhero zu thun gewohnet; Jch paßte wol drey Stund / biß gegen dem Abend in meinem Gaden beym Gelt-Kasten / wohinein man die tägliche Losung zu thun pflegte / umb zu sehen / ob meine Gaden-Diener / deren ich drey unterschiedliche hatte / der Untreu nicht mit mir spielten / ob sie im verkauffen genau / im Gelt einnehmen vorsichtig / und selbiges bey einem Heller an sein gehöriges Ort zu thun / fleissig wären / konte aber das geringste nicht spüren / so mich zum Unwillen bewegen sollen / dann ich fande sie / wie ich sie zu haben wünschte.

Also laurete ich auch in der Küchen / wie es dort her gieng / so wol als im Keller / fande aber an beyden Orten nichts sonderliche vorgehen / das mir grossen Schaden hätte verursachen mögen / ausser daß die Beschliesserin so wol ihr als der Köchin Portzkändel auß meinem köstlichen Neckerwein füllete (nachdem sie zuvor einen zimlichen Dauben-Zug darauß gethan) und hernach das Faß wiederumb auß dem Tischwein voll machte / welches mich zwar nicht groß verdrosse / weil es mir an meinem Vermögen keinen sonderlichen grossen Schaden thun kondte / ob es gleich meinen Neckerwein / wann man ihn vielmahl so heimsuchte / an seiner trefflichen Güte etwas verringerte; die Köchin aber sahe ich mit einer Hand / man kan wol erachten / an was vor ein Ort / den Flöhen nachfahren / und also etliche gefangen nehmen (von denen sie theilen das Land auß ihrem Bann verwiese / theils aber gar hinrichtete) und hernach mit ungewäschenen Händen die so rohe als gekochte Speisen herumb sudelen; was hab ich aber die Tröpffin solches zu verdencken gehabt? Es war halt in der Hitz deß Augstmonats / in welcher diß Unziefer jederman (geschweige deß Weiblichen Geschlechts) plaget; zu dem sagen die Weiber / Würst macht feist; Jtem / wer ein Ding nicht weiß / dem machts auch nicht heiß; Nichts desto weniger fienge mich mehr an zu kotzern als zu hungern / als ich ihr jagen und morden sahe / und wie sie mit denen noch blutigen Nägeln beydes in die Würtz- und Saltzbüchs grieffe / die Speisen geschmacksam zu machen.

Von dar schlieche ich wieder zu meiner Liebsten / welche ich in ihrem Cabinet in einem viel jämmerlichern Zustand fande als das erste mal; dann sie weynet / daß ein Thräne die ander rührte / und von denselbigen hatte sie ihr Fazinet durch stätigs abwischen dermassen angefüllt / daß man es außringen mögen; Jch hatte ein unglaubliches Mitleiden mit ihren zarten Leibfarben Wangen / daß sie umb meiner Abwesenheit willen mit solchen Schmertzens-Zähren überschwemt werden solten; dann in Warheit / wann sie mein Gegenwart gewust haben solte / so würde sie ihres Hertzens Anligen wol nicht herauß gelassen: noch so öffentlich an Tag gelegt haben.

Zuletzt sagte sie mit einem schweren Seufftzen / O Amor! du grimmiger Tyrann? Jst dann kein ander Mittel noch Artzney zu erfinden / deiner unerträglichen Grausamkeit entübrigt zu seyn / es seye dann / daß ich die geliebte Person selbst in Armen habe? So werde ich etwas unterstehen müssen / das mich Gott niemahl geheissen!

Jch gedachte / nun ists hohe Zeit / daß du dich dieser betrübten Seelen dermaleins geschwind erbarmst / dich ihr zu Trost offenbahrest / ihren Schmertzen wendest / sie vor gäntzlicher Verzweifelung errettest / und sie mit deiner ihr höchst-erfreulichen Gegenwart erquickest! Jch hätte auch gleich mein Naßtüchel von mir geworffen / damit sie mich sehen köndten / so fern ich nicht gedacht hätte / es wäre noch Zeit genug / wann sie das Messer oder einen Strick in die Hand nehme / ihr das Leben zu kürtzen; massen alsdann / wann sie an den Bind-Riemen käme / die unversehene Erlösung in ihrer äussersten Noth ihre alsdannige Freud mir desto mehr vervielfältigen würde.

Jndessen hatte sich die Zeit deß Nacht-Jmbs eingestellt / der Tisch war gedeckt / mein Gesind nähert sich darzu / und mein Weib trücknet Augen und Wangen / schiene auch viel frölicher als ich ihr zugetraut / daß sie in bälde so werden würde; sie wolte aber gleichwol nicht essen / dann sie deß Kummers so voll / daß sie leyder Gott erbarms nicht mochte.

Da ich nun an meines Weibs Veränderung mit Freuden abgenommen / und darauß geurtheilt hatte / daß sie sich vor dißmal meinetwegen nicht hencken: und also unvonnöthen seyn würde / umb ihr den Strick abzuschneiden / ihro vor meine Person immerhin auffzuwarten / und ihren selbst-Mord zu verhüten; Siehe / so setzte ich mir vor / meinem Gesind aufzupassen / und zu sehen / was es zwischen der Nacht-Mahlzeit und dem Schlaffengehen beginnen würde: dann ich muß bekennen / daß ich in solchen Sachen zimlich Argwöhnisch bin / und Lieber / wer wolte es gegen solchen Leuten nicht seyn / so den Pflug oder das Ruder unserer Nahrung führen? die einen durch Treu und Fleiß in bälde reich machen / oder im Gegentheil / wann sie Maußköpffe seyn / durch hinschluderige Fahrlässigkeit / Faulheit und Untreu geschwind fertig machen könten biß auffs schwärtzen!

Derohalben wartet ich ihnen allen auß biß auff die Beschliesserin / so gemeiniglich alle vier und zwantzig Stund biß umb eylff Uhr in die Nacht zu schaffen hatte / biß sie alle ihre Schuldigkeiten verrichtet / und eins und anders auff den künfftigen Tag verordnet; dann sie war gar fleissig / die letzte im Bett / und die erste am Morgen frühe wieder darauß; und derohalben das wachende Aug meiner Haußhaltung / oder der Angelstern / darnach sich das übrige Gesind richten muste; Jhr wurde aber umb deßwegen so viel vertraut / weil sie meines Weibs Baas / in dem sie derselben ohngefährlich im zwey oder drey und dreyssigsten Grad verwandt. Und eben dahero war mir vonnöthen / auff die jenige / an deren gleichsam alles Heyl meiner Auffnehmung gelegen / am genauesten Achtung zu geben; dann ich gedachte / wann diese wachtbare Martha / und geschäfftige Unter-Regentin meines Hauses getreu ist / so muß alles übrig Haußgesind zu deiner prosperität cooperiren.

Sie hielte sich wie ichs gern sahe / und dahero gönnete ich ihrs auch redlich / daß sie meinen Neckerwein so hertzlich gegrüsset: Nachdem sie aber schlaffen gehen wolte / und ich ihr nachschlieche (massen ich hiebevor geargwohnet / daß mein mittlerer Gaden-Diener den Narren an ihr gefressen; Zumahlen ich auch nicht glauben konte / daß so ein seltene Schönheit / wie sie mit einer begabt war / ohne Bulschafft / das ist / ohne Auffwarter und eygene Anfechtung leben konte) Siehe! da stund erstermeldter mein Gaden-Diener (den ich wegen seiner guten Gestalt und Phisiognomie, in Hoffnung / etwas rechtschaffenes auß ihm zu haben / auß dem Bettel aufgenommen vnterwegs / und paßte ihr auff; Er gieng zwar nicht weiß / wie die Geister in den Häusern zu erscheinen pflegen / von denen man sagt / wann sie gehen / daß es bedeute / die Mägd würden dicke Bäuch kriegen / sondern er war bekleidet und auffgebutzt / als hätte er an einem lieben Feyertag in der Statt herumb stutzen wollen: über das war er mit seinem Degen an der Seiten armirt, und hatte seine Hirschlederne Winter- Occasion Händschuch an / eben als wann er mit einem Duellanten alsobald in einen Zwey-Kampff hätte tretten wollen: Jch kondte mir nicht einbilden / was dieser Auffzug / und seine vermuthliche Außfahrt so bey Nacht bedeuten möchte: doch bildet ich mir ein / er möchte irgends entweder mit einer Gesellschaft zu einem Schmauß / oder zu einem Holderstock gehen wollen / worbey mein Seckel das beste thun müste / weil er von sich selbst nichts vermochte / und auch ohne seine saubere Kleidungen sonst nichts von mir zu Lohn hatte: Aber ehe ich mich / seine intention zu ergründen / mit fernerer Nachsinnung bemühen dorffte / fragte ihn meine Baas Beschliesserin / wo er so spat hingedächte? sintemal sie wüste / daß sie das Hauß beschlossen / und er darauß nicht kommen könte / er müste dann einen Diebs-Schlüssel haben / solches zu öffnen / so sie aber nimmermehr hoffen wolte!

Zu dir! zu dir! du meines Lebens Auffenthalt / stehet mein Sinn / Gemüth / und auch der Entschluß (antwortet er) entweder das Leben oder den Tod zu empfangen! Ey behüt Gott! was redet ihr? sagte darauff meine Beschliesserin; wie redet ihr so wercklich? Gott hat euch das Leben geben / das werde ich euch nicht nehmen: gehet darvor in euer Bett / und lasset diese Thorheit unterwegen / oder ich schwere euch / werdet ihr euch unterstehen / mich nur im geringsten anzurühren / daß ich ein solch Lermen-Geschrey anfangen werde / daß ihr die Händ überm Kopff darüber zusammen schlagen sollet; dörfft ihr euch einbilden / meines Herrn Vettern Hauß in seiner Baasen Person zu schänden / der euch doch mit so vielen Gutthaten überschüttet? Jch schohne eurer / als seines Dieners den er liebet / ich wolte sonst kurtz zu wegen bringen / daß er euch widerumb vor Sant Velten hinweg jagte: dahingegen euch die Continuation eures wolverhaltens bey ihm zu grossen Glück und Ehren bringen mag! darumb fahret sinnig / und bedenckt kurtz / was ihr tut!

Der Teuffel hol mich mit Leib und Seel (behüt Gott mich und den lieben Leser) so fern ich werde wissen / antwortet er / daß ich eurer Liebe nicht theilhafftig werden solte / wann ich mir nicht alsobalden! sehet da! (mithin seinen Degen beym Gefäß fassende) diß kalte Eysen so gleich in mein vor Liebesflammen allerdings verzehrtes Hertz stosse; und damit euch zugleich eures allergetreuesten Liebhabers: wie meinen Leib seines Lebens beraube!

Darauff zoge er seinen grausamen Froschgicker / seinen Blutdurstigen Degen wolt ich sagen / von Leder / den ich billich grausam nenne / weil er seines eygenen Herrn Lebens nicht verschohnen wolte / und stellete sich damit in eine postur, wie Saul etwan gestanden seyn mag / als er in sein eygen Schwerd fiele: Da ich nun dran stehen / die Beschliesserin aber weiters reden wolte / diesen erbärmlichen Selbst-Mord zu verhindern / da gab mein Weib mit ihrem Glöcklein ein Zeichen / welches bedeutet / daß die Beschliesserin alsobalden zu ihr kommen solte: sie gehorsamte schnell / ich aber folgte ihr allgemach schleichend hernach / beyde den verliebten Narren in seiner Anfechtung verlassende / er mochte sich gleich umbbringen oder nicht.


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