Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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Unter diesem Gespräch kamen wir wo sich ein Fußpfad bey einem Wald von dem Fahrweg abscheidete / weßwegen meine zween Studiosi in die Wahl geriethen welchen sie unter diesen beyden gehen wolten / und als sie ein wenig dort still stunden / nähert sich ihnen ein Mann / den sie umb den rechten und nächsten Weg nach dem vor uns ligenden Flecken fragten / der wiese sie auff den Fußpfad und sagte / daß selbiger umb eine gantze Stund näher und auch besser als der Fahrweg zu gehen wäre / wie er dann auch gleich jetzt auff demselbigen in den besagten Flecken sich zu begeben willens wäre; derselbe Kerl gieng füran / beyde Studenten folgten ihm / und ich tratt aber hinden hernach! Wir waren kaum eine halbe Stund gangen als ich wahrnam / daß der Weg je länger je ungänger: und der Wald je länger je dicker und wilder wurde / dahero mir dann nichts guts anden wolte; Jedoch verliesse ich mich auff meine Unsichtbarkeit und daß wir mitten in einem Lande wanderten / darinn der Friede grünet; dachte auch beyde Studenten würden keine Kinder oder Memen seyn / sich entweder verführen oder so leichtlich berauben zu lassen / weil jeder einen Degen an Statt deß Steckens in Händen trug! Aber als ich hiermit in meinen Gedancken handthierte / sprang ein Kerl mit einer Phisi hinter mir her / und schrihe meine beyde Gefehrten an / sie solten sich gefangen geben / und in demselben Augenblick als sich diese nach ihnen umbsahen / hatte der förderste / so den Weg gewiesen / dem Theologo den Degen auß der Hand gerungen; der ander als er sich verlassen / und zween Bewehrte gegen sich und seinen unbewehrten Cameraden sahe / erschrack dermassen / daß er außsahe wie Schreibpapier / und das Hertz weis nicht wohin / seinen Degen auß der Hand fallen liesse / neben jenem beyde Mausköpff umb Gnad und Barmhertzigkeit anflehende.

Welche aber wie zween Taube sich stellten / und die arme Tropffen gar abweg und noch besser für sich in den Wald hinein zu gehen müssigten; Jch schliche mit ihnen fort / zu sehen was sie doch endlich mit den beyden guten Lateinern machen wolten / biß wir an einen Ort kamen da sie sich niedersetzen / und selbsten biß auff die Hemder deren jeder drey anhatte / ausziehen musten; da horte ich nun die allererbärmlichste Wort / die jeder vorbrachte sein Leben zu erhalten / wiewol es ihnen die beyde Waldfischer noch nicht außdrucklich angekündet hatten / sondern sie stellten sich wie erstgemeldt / natürlich wie zween Taube und Stumme; Es war nicht genug / daß sich ein jeder biß auff seine drey Hemder ausziehen muste / sondern sie wurden auch gezwungen zwey von denselbigen auszuziehen und nun eins anzubehalten / welches ihnen dann genugsam zu verstehen gab / daß dieses so ihnen gelassen wurde / ihr Grabtuch oder Sterbkittel seyn solte; Derowegen fiengen sie viel eine jämmerliche Klag an als zuvor / also daß es einen Felsen zu Mitleiden und erbärmte hätte bewegen sollen / aber die zween Unmenschen verblieben allerdings gantz unbeweglich; so / daß ich mich darüber verwundern muste! Ach! sagte damals einer zum andern / hätten wir an statt der eitelen Thorheiten / vergeblichen Nachgrüblungen und albern Disputationen gelernet / wie wir wol und seelig sterben solten!

Wie es nun an dem war / daß einer von den Bosch-Kleppern den Hanen zuruck zog / umb dem einen Studioso den Rest zu geben / stunde ich ihm an der Seiten / und risse ihm das Rohr so schnell und ungestümiglich auß den Händen / daß es loß schnappte / und der Schuß vergeblich in den Lufft gieng; ich aber kehrte das Rohr flux umb / und schlug es demselben Strauch-Mörder dermassen für den Kopff / daß er dorthin dürmelte / wie ein Ochs der vom Metzger einen Streich auff die Plasse bekommen; der Schlag! das Hinfallen deß Getroffenen: die Verschwind- und Loßbrennung deß Rohrs: und die Erledigung dessen der da hat sterben sollen / war eins / und geschahe gleichsam alles in einem so unversehenen Augenblick / daß dessen dort in Ohnmächt liegenden Cammerrath darüber erstaunete / und vor dem andern Studenten gantz erplast so stock still stunde / wie ein steinerne Seul; Das bekümmerte mich aber gar nichts / sonder ich gieng hin / und gab ihm mit dem Rohr so tölpische Rippstösse / daß er sich darvon krümmete wie eine Schlang / und endlich seinen Füssen dergestalt zusprach / daß sie ihn so geschwind hinweg trugen / als ob ihn der Teufel entweder gejagt oder selbst fortgetragen hätte.

Jch setzte mich ein wenig nieder / zu sehen / was nun die Studenten machen wolten / dieselbe zogen sich gleichsam auff der Post wiederumb an / und rafften ihre Bagage in solcher Eil zusammen / als wann sie solche stehlen müssen; da sich aber der eine Kerl deß entloffenen Cammeraths / den ich niedergeschlagen hatte / wieder ein wenig erholte / also daß er sich regte und wieder aufstehen wolte / erdappten sie ihre Degen / giengen auff ihn loß / und wolten ihn erst niederspissen / also daß ich sie alle beyde zugleich schwerlich enthalten konte / ihren rachgierigen Willen ins Werck zu setzen; muste derowegen reden / wolte ich anders jenen das Leben erhalten / sagende; Könnt ihr nicht fassen / wann vor dißmal ein Mord zubegehen hier zugelassen worden wäre / daß ihr beyde die erste gewesen seyn sollen / so sterben müssen? wolt ihr aber diesen Menschen umb seinen Frevel gestrafft wissen / so nemmt ihn hin und überlieffert ihn der Justitz! Hiervon erschracken sie / daß sie gleich abliessen / vornemlich als sie auch einen unsichtbaren Gewalt an ihren Armen darbey ich sie gefast hatte / empfanden / der sie an ihrem Beginnen verhinderte; Sie begehrten aber gleichwol den Strauch-Rauber nicht anzupacken / umb ihne der Obrigkeit zu übergeben / sonder liesse ihn in Wald wischen; es war ihnen genug / daß sie vor dißmal dem Tod entronnen / und was gieng es sie an (haben sie vielleicht gedacht) was der Kerl noch fürterhin anstellen würde / also triebe sie auch keine Noth / sich ferner mit ihme zubeladen.

Da sie sich nun wieder angezogen: ihre geringe Päck auffgebündelt: und von dem grossen eingenommenen Schrecken erholet hatten / gedachten sie erst wie wunderbarlicher Weise sie vom Tod errettet worden wären; Sie konten nicht glauben / daß sie ihrer Verdienste wegen würdig wären / von GOTT so augenscheinliche Hülff durch ihren Schutz-Engel zuempfahen; und konten ihnen doch auch nit einbilden / daß der Teufel Mord und Todschläge verhindert haben würde? brachten derowegen abermal allerhand irrige Einfäll und narrische Grillen auff die Bahn / keiner andern Ursachen halben / als weil sie die Würckung meines Vogel-Nestes nicht wusten / dann sonst wäre verhoffentlich ihr Discurs vielleicht anders gefallen; Sie wusten nicht ob ihnen die manes oder lemures: die cœlites oder inferi auß ihrer Noth geholffen hätten / und ich glaube / wann ich noch mehr mit ihnen zu reden kein Bedenckens getragen / ich hätte sie so unsichtbarer Gestalt leicht beschwatzen können / ob wäre ich einer von deß oben gedachten Paracelsi oder Kornmans lufft: oder Erdleuten: oder gar auß deß Luciani Mon-menschen: oder der Geist eines vor hundert tausend Jahren abgestorbenen Præadamiten gewesen.

Demnach liesse ich sie ihres Wegs allein fort passiren / und kützelt mich damit / daß ich als ein ungelehrter Idiot den Grund der beschehenen Begebenheit wuste / sie aber als hochgelehrte Kerl darnach rathen musten / und darvon wie der Blinde von der Farb urtheilten; Das eroberte Rohr schlug ich an einem Baum zu Stücken / weil ich keines Gewehrs bedorffte / und damit wandert ich dem nechsten Marckflecken zu / allwo ich im Wirthshause anlangte / darinn eben ein hochzeitlich Fest mit Essen und Trincken celebrirt: und der Tantz angefangen wurde; zu solchem Ende läerten sich die Tische zimlicher massen mit einem Geträng / weil Mann und Weib / Gesellen und Töchter dem Tantz-Platz zu eileten / biß auff etliche alte Weinbeisser und betagte Mütterlin / die sitzen blieben / davon jene von ihrem Bauerswesen und alten Geschichten / wie es etwan zu ihrer Zeit bey den Hochzeiten hergangen / discurirten / diese aber das truncken Elend zum Theil beweineten / zum Theil aber allerley Leut ledige und verheyrathe ihres Geschlechts Art durch die Hechel zogen / und andeten / daß sich das eine Theil zu köstlich: das ander aber zu schlecht gegen seinen Vermögen in Kleidung herfür gethan und erzeigt hätte; Ein Lust wäre mirs gewesen zuzuhören / wann ich nur die Leute auch gekannt / denen sie ihre Haab so meisterlich anzuschlagen / und ihre Sitten so artlich zu corrigirn und anatomirn gewust; aber weil mirs auß Mangel dessen ein schlechter Spaß war / zwackte ich hier und dar beydes Gebratens und Gebackens von dem Tisch hinweg / und stopffte meinen Magen als den Rantzen so voll darvon / daß ich mich wol vor 8. Tag genugsam darmit proviantirt zu seyn befande / löschte darneben auß deß Wirths Schenckgelte meinen Durst so redlich / als wann ich so wol als ein andrer in der Jrrten oder Zech gesessen wäre; Hernach wischte ich das Maul wie ein anderer Schmorotzer / und fügte mich zu sehen / wie es beym Tantz abgieng / allwo ich mancher künstlicher und vorteilhafftiger Griff warnahm / welche das junge plumpe Baurenvolck so wol konte und anzubringen wuste / als ein funffzig jähriger abgeschliffener Metzger immermehr thun mögen.

Als ich nun deß Dings bald satt gesehen / gieng ich aus der Scheuer / darinn man tantzte / in den Futtergang an einem Stall / und legte mich in das hinterste Eck auff ein wenig Streu den halben Rausch und die Mühdigkeit zugleich zu verschlaffen; Jch war aber kaum eine halbe Stund gelegen / als ein Bauren-Knecht mit einer Magd hinein kam / die der Sprach nach entweder selbst eine Schwäbin: oder doch wenigst lang bey den Schwaben gewest war / ich vermeinte / sie wolten etwan das Vieh futtern / aber sie hatten ein ander Kurtzweil miteinander; so viel ich am Reden abnehmen konte / so kützelt der arge Mauskopff das gute Mensch / daß es immer sagte / höre auff / höre doch auff; aber er liesse gleichwol nicht ab / sondern muthet ihr mit Geberden / meines darvorhaltens (dann weil es finster war / konte ich nicht sehen: und weil er nichts redet / konte ich nicht hören was er machen wolte) etwas fürwitzigs zu / so sie aber nicht gestatten wolte / sondern sagte / wann es so weit komme / so komme er weiters; biß endlich der Kerl hoch und teuer schwur / ja sich verpfändete / er wolte deß Teufels seyn / wann er etwas ferners thun: als so ein bißgen / ich weiß nicht was / ansetzen wolte; Aber der schlimme Vogel hielte der guten Tröpffin dannoch sein Wort nicht; massen sie gleich darnach sagte: Aun jetz bischtus Tuiffals / deß Tuiffals / deß Tuiffals / etc. und solches continuiret sie mit öfftern wiederholen ein ziemliche Länge; Er aber antwortet ihr eben so vielmal / so sey ichs Teufels / so sey ichs / etc. Je länger diß nun wärete / je höher sie ihre Stimmen erhubten / und je geschwinder sie es nacheinander heraus redeten / gleichsam als wann sie es auf der Post zu thun verdingt hätten / welche seltsame Litaney mir so lächerlich vorkam / daß ich mich dessen nicht enthalten konte; So bald ich aber lachte / so bald zerstörte ich auch den Spaß / dann so nahe waren sie zuvor nit zu mir geschlichen / so geschwind lieffen sie jetzund wieder von mir hinweg / und liessen mir gute Ruh / meiner Begierde nach recht auszuschlaffen.

Hingegen muste ich am Morgen den Ars desto früher auffheben / dann als die Magd die Kühe malcke / sang sie darzu daß ich davon erwachte / und als sie selbige vor den Hirten triebe / machte ich mich auff den Weg und kam nach 2. Stunden vor ein lustig Städlein / bey dem es schöne Gärten hatte / so wol zum Lust als zum Nutz gar zierlich auffgepflantzet / derowegen konte ich mir nicht abbrechen / in einen derselben von den schönesten zu gehen / weil die Thür daran eben nur zugelehnet war / der Meinung nicht allein meine Augen darinn zu weiden / sondern auch ein Weil im überschatten Grünen zu faullentzen.

Gleich nach dem Eingang passirte ich einen selbst gewachsenen zierlich ineinander geflochtenen Gang / auff dessen Nebenseiten unterschiedlich Gesinde in aller Eil die Wege in einem schönen blauen Stück / mit Besemen ausstüberten / von denen ich verstunde / daß denselben Mittag ein herrlich Lust-Mahlzeit im Garten gehalten werden solte; Jch gieng weiters / und kam zu einem scheinbarlichen Hause / darinn man ebenmässig auffraumte / eine Tafel deckte / kalt Wasser zurichtete / Gläser schwänckte / und in der Kuchen herrlich zurichtete; Der Saal darinn man speisen solte / war über alle massen lustig accommodirt / die Sessel mit Sammet beschlagen / mit Polstern und Stulküssen von schöner außgenähter / so neuer als alter heydnischer Arbeit belegt / der Boden mit Rosenwasser begossen / und neben der gedeckten Tafel mit allerhand schönen und wohlriechenden Blumen überstreuet und gezieret / die Wände aber an statt der Tapezerey mit den allerkunstreichsten Gemählten behängt; und das Trysur neben den kostbaren und Christallinen Gläsern von allerhand Formen beydes mit güldenen / silbernen und überguldten Trinck-Geschirren übergestellt; Gleichwie mir nun der Garten Paradeises genug gewesen wäre / wann er nur ewig gewähret hätte / und ich immer darin wohnen sollen / also muste ich mich noch ein mehrers über diesen Saal verwundern / in Summa er kam mir vor wie ein Puppenschanck oder Kasten / oder doch wie künstlich Gemähl / also daß ich bey nahe meinen eignen Augen selbst nicht glaubte / sondern vermeinte dieser Augenlust werde mir vielleicht nur durch einen Traum vorgestellet.

Jch hatte meine Schuh ausgezogen / und an Gürtel gehengt / wie ich dann allweg zu thun pflegte / wann ich irgends in ein Hauß schliche / damit man mich desto weniger trappen hörete / und deßwegen machten mich meine Begierden alles in dem Hause zu sehen / desto kühner weiters zu gehen; darauff kam ich in die Kuch / da die Bratspiesse von selbsten herumb giengen / und das Feuer rund herumb mit Häfen besetzt war / alle Wände waren von unten an biß oben auff mit metallen / kupffernen / messenen / und zinnernen so hell geriebenen Geschirren besetzt / daß es schiene / als wann ich in keiner Kuchen / sondern irgends in einem stählinen Berg mich befunden hätte; Uber das gaben mir die nunmehr halb gar gekochte Speisen / ein solchen lieblichen Geruch in die Nase / daß ich einen Appetit zum Essen bekam / ob mich gleich noch nicht hungerte.

Von dannen stiege ich eine Windelstege hinauff / und kam in einen Gang aus dem man in etliche Kammern sehen konte / deren jede mit einer Bettstatt mit köstlichen Umbhängen: einen Tisch mit paar Sesseln versehen: die Wände aber mit Tapezereyen von verguldtem Leder gezieret waren; Jndem ich nun dieses alles so begaffte / öffnet sich ein Thür / aus deren eine Magd mit einer silbernen Glutpfann tratte / sie liesse die Thür offen stehen / darumb schlich ich hinein und kam in eine solche schöne Stub / daß sie gut genug gewest wäre / wann gleich der Taffilet selbst darin hätte wohnen sollen; Ja sie übertraffe den obgemeldten Saal weit / ohne daß hierinn keine Bereitschafft gemacht wurde / wie dorten zu speisen; das / so ich am allerersten darinn wahrnahme / war eine Dame die vor einem grossen Spiegel stund sich zu zieren / doch war sie allerdings fertig / und hatte schier ein halbe Apotheck von allerhand Schmirsel / Pomaden / Tormæ solis, oleum Talci, Zahn- und Haar-Pulver / gebranten Wassern und dergleichen / sie wartete nur biß die Magd wieder mit den Kohlen kam / die schwartze Pflästerlein hin und wieder in das Angesicht zu kleiben; Jndessen hatte sie allerhand Affenspiel vor dem Spiegel / sie neigte sich darvor / und sahe wie ihr das Lachen anstunde; Sie bisse die Lefftzen zusammen / formirte bald das Maul auff andere Manieren wie Hanns Supp seinen Hut / und funckelte mit den Augen / als wann sie ihr eigen Bildnus caressirt / und hatte in Summa so närrische Gauckeley-Possen vor / daß ich mich des Lachens schwerlich enthalden konte; als sie nun mitten in dieser Andacht verzuckt war / erblickte sie unversehens mein heimlich lachende Bildnus im Spiegel / (dann mein Vogel-Nest war nicht der Art daß es einen im Wasser oder in einem Spiegel hätte unsichtbar gemacht / mir aber damals noch unbewust war / ich wolte mich sonst besser in acht genommen haben) weßwegen sie sich alsobald umbschaute / und da sie niemand hinter ihr sahe / wieder in den Spiegel guckte / darinn sie meiner abermal gewahr wurde / darvor sie dermassen erschrack / daß sie einen lauten Schrey liesse / und sich wie ein todte Leich entfärbte.

Sie setzte sich gantz zitternd in einen Sessel / schlug die Hände ineinander / und die Augen über sich / daraus ich unschwer abnehmen konte / daß sie mich im Spiegel gesehen / und vor eine teufflische Erscheinung / so ihrer Hoffart und Thorheit spotte / gehalten habe; Derowegen trollte ich mich aus der Stube weil die Thür noch offen stund / und kam eben zu der Windelstege / als die Magd herauf lieffe / zu sehen was ihrer Jungfer mangelte; dieselbe wolte aber nicht sagen was ihr widerfahren wäre / sondern führte ein jämmerliche Klag / also daß sie ihre Torheit wohl büste; ich aber schumelt mich die Stiege hinunter / und weil alles zulieffe zu sehen / wie es umb die Jungfer stünde / fande ich den Saal von jederman gantz läer / und etliche Kanden mit Wein im kalten Wasser stehen / darvon erwischte ich eine und thät einen schmalen Zug darauß / von ungefehr drey Quärtlein / verfügte mich darauff in den wunderschönen Garten / beschauete die schöne Blumen und rare Gewächs / und werckte in solchem spatziren gern vor die lange Weil ein Stuck Weisbrod und Gebratens auff / dessen ich noch zimlich in meinem Rantzen hatte.

Uber wenig Viertelstunden hernach kamen einige Herren und Frauen an / und sonderlich auch der Jungfrauen Eltern / deren dieser Garte sampt aller Zugehörte / Hauß und alles zuständig war / welche mit grosser Betrübnus vom Gesind vernahmen / daß ihrer Tochter wehe worden wäre; Es lieff alles hinzu ihr hülfflich beyzuspringen / aber weil sie ihr Anliegen und Begegnus niemand offenbarte / so konte auch kein Trost an ihr hafften / sondern sie stellete sich / daß man auß ihrem vielen Seufftzen hätte urtheilen mögen / sie wäre etlicher massen im Kopff verruckt / ihre Reden aber fielen noch zimlich vernünfftig; Man sendet nach dem Medico, welchem die Mutter erzehlte / daß sie ihr liebes Kind frisch und gesund geschickt hätte / die Anordnung zu thun / daß der bevorstehend Jmbs recht zugerichtet würde / so finde sie es aber leider nun so in einem elenden Zustande; Der Doctor hingegen konte sich in ihren Zustand nicht richten / doch sagte er / daß entweder auß übermässiger Sorg / Furcht / oder unvermuthlich eingenommenen Schrecken herrühre; Jch war über mich selbst unwillig / daß meine Gegenwart so einen traurigen Alarm erregt / und eine so herrliche Zech an einem so anmutigen Ort zerstört haben solte; da mich doch alles wie ich anfänglich hinkame / an den Saal dahin die schöne Psyche verzuckt worden / ja die Patientin an die Psyche selbst ermahnt hatte; Ja ich war so schellig über mich / daß ich mich vor einen rechten Unglücks-Vogel hielte; Mein gröster Trost wars / daß alles wider meinen Willen geschehen wäre / wann etwan die Jungfer sterben solte / wie ihr Mutter besorgte.

Jn dieser verwerten Betrübnus langte der jenige Herr an / welchem zu Gefallen die gantze Gesellschaft versamlet war; Als der die dasige Zusammenkunfft veranlast hatte / umb zu sehen und den Augenschein einzunehmen / ob zwischen ihme und offtgedachter Jungfer ein Heyrath getroffen werden könte; er war ein schöner junger Kerl / außgebutzt und staffirt / wie reiche Alamode Galanen jetziger Zeit zu seyn pflegen; Wie er nun bewillkommt worden / und ob man ihn auch gleich zu seiner verblichenen Liebsten gelassen / weiß ich nicht / dann ich gieng noch als im Garten herumb / und liesse mich von meinem Gewissen ängstigen / daß ich so eine schöne und vornehme Dame in Leib- und Lebens-Gefahr gebracht; Es stunde aber gar nicht lang an biß man zur Tafel gieng / da sahe ich / daß die Jungfrau schon wieder so wol auff war / daß sie auch darbey sitzen konte; aber wie mich bedunckte / so war sie noch gar still und traurig / und hatte alle liebliche und liebreitzende Geberden vergessen / die sie kürtzlich vorm Spiegel gelernet.

Alle Anwesende gaben ihr lauter Zuckersüsse Wort / und ehreten sie wie eine Göttin; der Auffwärter servirte ihr wie ein Sclav / und auß Rath deß Doctors musten die Spielleute vor der Tafel auffmachen / damit sich ihre zerrütte Geister wieder colligiren und erholen mögten / davon die gute Jungfer wieder allgemach erquickt / und mit einem feinen Färblein angeblühmt wurde; Jn Summa es schickte sich wieder alles mit ihr viel feiner als ich hätte hoffen dörffen / und fienge es gleich darauff an so toll und lustig herzugehen / daß ich mir diß Leben ein Vorbild seyn liesse deß jenigen / wie etwa der reiche Mann beym Luca am 16. eins geführt; Derowegen wurde ich in meinem Gewissen wieder befriedigt / in mir selbst rechtschaffen lustig und so kühn / daß ich hinauff in die Stube gieng / weil sie von Leuten leer war / mich vor den Spiegel stellte / und also recht erfuhr / daß ich vor selbigem nicht unsichtbar war / sintemal ich selbst meine Gestalt darinn sahe.

Folgends kam ich in eine Neben-Kammer / worinn das Confect stund / welches so kostbarlich zugerichtet war / daß ich mich verwundern muste / weil ich dergleichen noch niemal gesehen / da stunden gantze Thürn und Schlösser von Marcipan / gantze Platten von allerhand Obswerck: Ja Schuncken / Knackwurst und dergleichen Genäsch aus lauter Zucker gemacht / gemahlt / überguldt und mit Blumen geziert / geschweige der kandirten und eingelegten Sachen; Jch stunde wol eine Stund darbey / biß ich alles nach Genügen beschaute; hernach kam ich wieder in den Eß-Saal / da waren die erste Speisen / was nicht gessen worden / bereits abgetragen und andere darvor hingestellt; da sahe ich vielerhand Pasteten / auff einer stunde ein schöner Fassan in seinem natürlichen Gefider / als wann er lebte / und jetzt fort fliegen wolte; auff der andern ein Cappaune / auff der dritten ein Auerhan / auff der vierdten ein paar Hasel / auff der fünfften etliche Feldhüner / und so fortan; auff etlichen guckten nur die Hasen-Füsse / oder Vogelköpffe herauß / und an andern nur die Klauen von den Lauffen deß hohen Gewilds; Jch wurde schier zum Narren darüber / weil es mir so fremd vorkam; Ein gebraten Spanferckel sprach ich glückselich / weil es eine Citron im Maul hatte / welches sonst Dreck hinein genommen / wann es ein rechtes Sau-Alter erlebt; besser und mehrer gute Bissel wurden auff den Tellern abgehoben als man über Tafel asse; ich aber hätte viel lieber eine gute warme Brühe in meinem Magen gehabt.

Derowegen schliche ich in die Kuche / ob mir eine werden mögte / aber es wurde mir nirgends so gut: doch kame ich über eine Frantzösische Batage die Geschwister Kinder mit den Spannischen Olla Batriden sind / derselben sprach ich gewaltig zu / weil sie eben auff einer Glut stunde / dann es befanden sich in derselben gute Brühe unter den Brocken lauter der besten Schleckbissel / vornemblich schlugen mir die Mägen von allerhand Geflügel / die Morcheln und die kleine Partickel vom Spanischen Brod trefflich wol zu / welches ich an statt deß gemeinen Brods / und die Finger an statt eines Löffels brauchte / wie dann diß gute Gefräß insonderheit hierzu accommodirt und zugerichtet worden.

Als ich nun nach Genügen gefüttert hatte / gieng ich auch in Saal zu trincken / und erwischte auff dem Schenck-Tisch einen halbmässigen Becher voll Hippocras / den ich anfänglich vor einen guten rothen Jochem hielte / den leerte ich auß biß auff den dörren Boden; hernach stunde ich und sahe mit Verwunderung zu / wie so wenig und langsam theils Gäste assen / gleichsam als wann sie nichts guts vor sich stehen gehabt / behüt mich Gott / daß ich die Menschen den Mastschweinen nicht vergleiche / aber gleichwol waren hier theils Schmerwänst eben so Maßleidig als jene; sie sassen hier überm Essen / und wurde doch bey so köstlichen Speisen nichts weniger contentirt als der Geschmack; dahingegen die übrige vier Sinn weit bessere Wollustbarkeiten empfanden; dann die Spielleute belustigten das Gehör: der wolgezierte Saal und das Schauessen / das Gesicht: der woltemperirte Lufft und das sanfft sitzen auff Polstern / das Fühlen / und der Geruch von den Speisen / Blumen / Rosenwasser und dem gemachten Rauch / das Riechen.

Jndessen fiengen die Leute an allgemach feine Räuschlein zu kriegen / dann wer wolte nicht / wann man einem den Wein so hüpsch hinunter geiget? Und ob es zwar gut in diesem Saal wohnen war / so hätte ich doch / als ich genugsam abgespeiset gewesen / meine Ruhe irgends unter einem schattigten Baum im Garten gesucht / wann nicht einer mit der Viol de Gampa oder Kniegeige so trefflich gut Geschirr gemacht / so mich aufgehalten / welches auch dem Galanen so wol gefiele / daß er demselben / eine gantze Hand voll funckel neuer Gulden-Thaler / von einem Schlag zuwarff / davon zween so nahe zu mir rollten / gleichsam als wann sie mich baten / ich solte mich ihrer Schöne wegen über sie erbarmen / sie aufheben und zu mir stecken; welches ich auch unverweilt thät; zwar war ich gar nicht gesinnet etwas daselbst zu stehlen / (Geld aufflesen das ein anderer wegschlaudert und hinwirfft / ist ein anders) dann ich hätte ja sonst wol eine Traget Silber-Geschirr aufpacken können; Jch liesse mich aber daran genügen / daß ich deren nur noch etliche ausleerte / und als ich den Tummel darvon im Kopff empfand / bedunckte mich Zeit zu seyn / daß ich mich außdrehen solte; Nam derowegen einen Reheziemer und einen Haasen mit mir / weil sie vielleicht im Wald einander auch Gesellschaft geleistet / vielleicht miteinander gefangen / mit einerley Speck gespickt: an einem Spiesse gebraten: und jetzunder auch miteinander zugleich also gantz von der Tafel abgehebt worden waren.

Diese nam ich von deren Arm / dann mein Rantzen und Hosensäck waren ohne das schon genugsam Victualisirt / wischte damit zum Hauß und Garten hinauß / und als ich vor dem Stadtthor merckte / daß mich die Hund daselbsten schmeckten / ob sie mich gleich nicht sahen / gieng ich neben umb / und kam ungefehr über eine Stund oder anderthalbe zu einem Dorff / allwo ich in einer elenden Hütten / die eines armen Manns Wohnung war / auff den Schopff stiege / und mich in das daselbst ligende dörre Geiß-Futter schlaffen legte / welches mir überauß wol zu statten kam.


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