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Sechsunddreißigstes Kapitel.
Schluß

Wochen vergingen bevor Mary und ihr schwergeprüfter Vater die Folgen jener furchtbaren Stunden auch nur einigermaßen überwanden. Stanhope hatte beide sofort in das White'sche Haus mitgenommen und Flora erwies sich ihnen als treue Pflegerin.

Groß war ihre Freude, sobald sie sah, daß sich Marys bleiche Wangen allmählich wieder färbten und in des Alten glanzlosen Augen das Licht des Geistes von neuem zu leuchten begann. Ueber die Ereignisse am Markham-Platz erfuhr die junge Witwe aus Stanhopes Munde genug, um ihre innigste Teilnahme zu erwecken; nur die wahre Ursache von seines Vaters unglücklichem Ende verschwieg er ihr schonend.

In tiefer Rührung gedachte er selbst aber des Mannes, der in dem furchtbarsten Augenblick seines Lebens dem Tode mutig ins Antlitz geblickt und ohne Zögern die Schuld bezahlt hatte für die Missethat seiner Jugend. Mit welcher Selbstbeherrschung und Geistesgröße hatte sein Vater, die eigene Verzweiflung über sein zerstörtes Leben vergessend, alle Anordnungen getroffen, um den Zurückbleibenden jedes unnötige Leid zu ersparen. In der kurzen Frist, die ihm vergönnt war, hatte er mit klarem ruhigem Sinn für die Seinen gesorgt und gedacht. Er hatte die geliebte Braut noch zum Altar geführt, ihr seinen Namen gegeben und ihre Zukunft gesichert. Des Sohnes Glück glaubte er aber am besten zu fördern, wenn er ihm eine Verbindung mit der Tochter des Mannes anbefahl, dem das gleiche Verhängnis drohte wie ihm. Sie allein in der ganzen Welt würde ihm niemals einen Vorwurf machen können wegen seines Vaters Verbrechen.

Alle Rätsel, die Stanhope so lange gequält hatten, waren jetzt gelöst. Selbst der Umstand, daß Herr White sich in dem letzten Brief an seinen Sohn so dunkel über das Mädchen ausgedrückt hatte, welches er ihm zur Gattin bestimmte, daß er sie Nathalie Yelverton genannt und so ein unglückliches Mißverständnis veranlaßt hatte, fand noch eine natürliche Erklärung.

Frau Delapaine, die alte Freundin von Stanhopes Mutter, kam eines Tages, ihm ihre Glückwünsche zur Verlobung zu bringen. Sie äußerte zugleich noch ihre besondere Freude darüber, daß durch diese Heirat der letzte Wunsch erfüllt werde, den sein verstorbener Vater auf Erden gehegt habe. Auf Stanhopes verwunderte Frage, woher sie das wisse, zog sie einen Brief hervor, den sie nach jenem Unglückstage erhalten – es war der dritte, den Herr White noch vor seinem Tode geschrieben hatte, – und legte ihn in des jungen Mannes Hand. Hier stand es mit klaren deutlichen Worten, daß eine Verbindung seines Sohnes mit Nathalie Yelverton – die jetzt den Namen Mary Dalton trage und bei ihrem Vater auf dem Markham-Platz wohne – Herrn Whites dringendstes Verlangen gewesen war. Er bat die alte Freundin seines Hauses, womöglich eine Bekanntschaft der jungen Leute zu vermitteln. Ein Herzensbund zwischen ihnen wäre ganz nach dem Sinn von Stanhopes Mutter gewesen und er selbst würde die Stunde segnen, in welcher sein Sohn diese Braut heimführte.

»Als ich mich nach dem plötzlichen Tode Ihres Vaters anschickte, seinen Willen zu thun, fand ich, daß die Ereignisse mir zuvor gekommen waren,« erklärte Frau Delapaine. »Als Gefährtin der Frau White hatte Mary Dalton die beste Gelegenheit, den ihr bestimmten Bräutigam kennen zu lernen, und bald erfuhr ich auch, daß sich ohne mein Zuthun die Herzen gefunden hatten.«

Stanhope drückte ihr stumm die Hand, sie hatte ja nicht ahnen können, wie viel Leiden ihm erspart worden wären, wenn er früher erfahren hätte, daß Nathalie Yelverton niemand anders war als seine geliebte Mary.

Der Hochzeitstag war da, die Trauung vorüber.

Der Vater der Braut, Thomas Dalton, wie er sich auch ferner nannte, hatte sich zwar geweigert, der kirchlichen Feier beizuwohnen, aber er erwartete jetzt die Neuvermählten bei ihrer Rückkehr. Noch schwach von der überstandenen Krankheit und zitternd vor freudiger Erregung, stand er mitten im Zimmer, um Mary zu empfangen. Da trat sie ein, umstrahlt von Jugend und Schönheit, im vollen bräutlichen Schmuck, an des Gatten Seite. Ein glückseliges Lächeln flog über des Alten vergrämte Züge. »O,« rief er, »diesen Freudentag zu erleben, verdiene ich nicht!«

Da fühlte er sich von der Tochter Arm liebevoll umschlungen und sie flüsterte ihm leise zu:

»Ich habe dir noch etwas zu sagen, Vater. Mitten in der Trauung, in dem Augenblick, als der Prediger so feierlich fragte, ob irgend jemand ein Hindernis wüßte, das unserer ehelichen Verbindung entgegen stehen könnte, ergriff mich eine thörichte Furcht. Mir war als würde sich sogleich eine drohende Stimme, die wir kennen, erheben, um Einspruch zu thun. Noch zitterte ich bei dem Gedanken, da erblickte ich plötzlich ein Engelsantlitz, – es kann nur Bernhards Antlitz gewesen sein – das sich lächelnd neigte, als segne es unsern Ehebund.«

Der alte Mann schloß sie gerührt in die Arme und eine Zeitlang herrschte heilige Stille in dem Gemach.

 

Ende.

*


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