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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Angriff und Verteidigung

An jenem ereignisreichen Abend war Stanhope, wie wir wissen, nach dem Markham-Platz gefahren, um den Aufenthaltsort des Mannes zu erkunden, der nach seiner Meinung einzig und allein im stande war, das Geheimnis aufzuklären, das seines Vaters Tod umgab. Als auf sein Klingeln an dem Hause Nro. 6 nicht die geschwätzige Frau Braun ihm öffnete, sondern Kurtis, der neue Hausverwalter, sah er ein, daß er seinen Zweck schwerlich erreichen würde.

Eben war er im Begriff, unverrichteter Sache wieder heimzukehren, als er gegenüber in dem hell erleuchteten Apothekerladen einen großen Mann von mächtigem Körperbau, eine wahre Reckengestalt, stehen sah, dessen ausdrucksvolle Gesichtszüge durch tiefe Blatternarben entstellt wurden.

War es möglich – betrog ihn sein Gefühl nicht – konnte dies der Mann sein, den er suchte? Unwiderstehlich trieb es ihn, sich Gewißheit zu verschaffen.

Stanhope trat in den Laden und Oberst Deering wandte sich nach ihm um. Es war eine Begegnung zwischen zwei einander völlig fremden Menschen, aber der erregte Blick, den sie wechselten, ließ dies kaum vermuten. Während der Oberst sich eine Zigarre anzündete, fuhr er fort, den andern mit der ihm eigenen überlegenen und stolzen Miene zu betrachten.

Stanhope's Herz klopfte fast hörbar. »Sie werden entschuldigen,« sagte er sich jenem nähernd, »aber, wenn ich nicht irre, sind Sie der Herr, nach welchem ich schon seit mehreren Wochen suche.«

Der Oberst schien auf eine so direkte Anrede nicht gefaßt, er vermochte dem jungen Mann mit den offenen fesselnden Zügen nicht sogleich frei ins Angesicht zu sehen; dann aber erwiderte er, mit dem freundlich verbindlichen Ton, der für die meisten etwas Einnehmendes hatte, »ich bin Oberst Deering und wohne in Brevoort Haus, wo mich jeder finden kann, der mich sucht.«

»Und mein Name ist Stanhope White.«

Wäre der Oberst darüber im Zweifel gewesen, man hätte ihm doch vielleicht einige Bestürzung angemerkt; allein er wußte, wen er vor sich hatte und verbeugte sich nur mit vollendeter Höflichkeit.

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte er. »Ihres Vaters Name ist mir natürlich nicht fremd und ich schätze es mir zur Ehre, mit dem Sohn zu verkehren.«

»Also kannten Sie meinen Vater?«

Der Oberst blies den Rauch seiner Zigarre in die Luft. »Um Vergebung – wer hat denn Ihren Vater nicht gekannt?«

Alles Blut wich aus Stanhopes Gesicht. Er sah, daß sie allein im Laden und unbeachtet waren, denn der Gehilfe hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen. Rasch erwiderte er: »Ich meine, Sie waren persönlich mit ihm bekannt. Kamen Sie nicht in das Haus am Morgen seines Todes?«

Der Oberst betrachtete ihn mit kühlen Blicken.

»An jenem Morgen haben wohl viele Personen Ihr Haus betreten. Wenn ich auch dort war, so ist das nichts Besonderes.«

Stanhope stand dem Oberst an Größe nicht nach, wenn er auch schlanker von Gestalt war; das Bewußtsein seiner reinen Zwecke aber gab ihm Mut und Stärke. Unerschrocken entgegnen er, jedes Wort scharf betonend: »Ich frage danach, weil Sie es waren, der ihm an jenem Morgen die Pistole gebracht hat, aus welcher der verhängnisvolle Schuß kam, der ihm das Leben raubte.«

»Ach, das wissen Sie?« Des Obersten Stimme klang ruhig, ja rücksichtsvoll, aber er war doch erschüttert und außer Fassung gebracht, wie Stanhope deutlich erkannte, obgleich jener es nicht merken lassen wollte. Dies erregte seinen Argwohn und von ganzem Herzen wünschte er Jack herbei, damit er ihm in diesem wichtigen Augenblick mit seinem klaren Urteil beistehen könne.

»Sie geben also zu, daß meine Behauptung auf keinem Irrtum beruht? Sie haben die Waffe in der Nassau-Straße gekauft und sie meinem Vater am Hochzeitsmorgen übergeben?«

»Gewiß; warum sollte ich nicht?«

»Hatte er Sie darum gebeten?«

Er zögerte mit der Antwort. »Nein,« sagte er dann in gelassenem Ton. »Vielleicht wußte er nicht einmal, daß ich mich in der Stadt befand. Ich wollte ihm ein Geschenk machen, welches ihn an unsere Kameradschaft in frühern Zeiten erinnerte. Daß so verhängnisvolle Folgen daraus entstanden sind, hat mich natürlich aufs Schmerzlichste berührt. Ich ergreife daher die Gelegenheit, Ihnen mein Beileid auszusprechen, daß ein unglücklicher Unfall diesem so gemeinnützigen Leben ein allzufrühes Ende bereitet hat. Den Verstorbenen kann das freilich nicht wieder auferwecken, aber es erleichtert mir doch das Gemüt.«

»Sie haben recht lange gezögert, sich diese Erleichterung zu verschaffen.«

»Das gebe ich zu; ich würde den Gegenstand überhaupt nicht berührt haben, hätten Sie mich nicht dazu veranlaßt. Meinem Gefühl nach wäre es besser gewesen. Sie hätten nie erfahren, daß meine allzu eifrige Freundschaft Ihrem Vater Unheil gebracht hat.«

So sehr Deering auch bestrebt war, seine innere Erregung unter einem dreisten unbefangenen Wesen zu verbergen, Stanhope ließ sich nicht täuschen.

»Ich muß Sie bitten, Herr Oberst,« sagte er mit mühsam erzwungener Selbstbeherrschung, »mir eine längere Unterredung an einem Orte zu gewähren, wo ich die Fragen an Sie stellen kann, welche ich auf dem Herzen habe. Wichtige Gründe nötigen mich, mir über das traurige Ende meines Vaters völlige Klarheit zu verschaffen. Wollen Sie mich in den Klub begleiten? Wir werden dort völlig ungestört verhandeln können.«

»Aber ich habe Ihnen ja schon alles gesagt, was ich weiß,« entgegnete der andere verwundert. »Ich kann nur wiederholen, daß ich die bewußte Pistole am Hochzeitsmorgen als Geschenk für Ihren Vater im Hause abgegeben habe, zur Erinnerung an frühere Zeiten. Was könnte ich sonst noch hinzufügen?«

»Vieles. Sie haben meinen Vater gesehen, gesprochen –«

Der Oberst hatte die Asche seiner Zigarre fallen lassen und klopfte sie jetzt sorgfältig von seinem sauber gebürsteten Rock.

»Also diese Thatsache ist auch zu Ihrer Kenntnis gelangt,« sagte er, »Sie müssen die Angelegenheit recht gründlich untersucht haben, was unter den Umständen nur natürlich ist.«

»Mit Ihrer Hülfe hoffe ich der Wahrheit auf den Grund zu kommen,« rief Stanhope in leicht begreiflicher Aufregung. »Wollen Sie mich in den Klub begleiten?«

Deering war kein Mann von schnellen Entschlüssen, er überlegte erst lange und bedächtig. Was ihn an jenem Abend nach dem Markham-Platz geführt hatte, war der Wunsch, Stefan Huse, den Galvanoplastiker, noch einmal aufzusuchen. Ihr neuliches Gespräch, während der Mann bei der Arbeit saß, hatte ihn nicht ganz befriedigt. Daß er diese Absicht aufgeben sollte, war jedoch nicht die einzige Ursache seines Zögerns. Noch aus einem andern und weit triftigeren Grunde kam ihm Stanhopes Vorschlag ungelegen. Wenn er darauf einging, so wurden gewisse Thatsachen ans Licht gezogen, die er gehofft hatte, stets geheim halten zu können; andererseits durfte er aber auch, ohne Verdacht zu erregen, dem jungen Mann ein so natürliches Verlangen nicht abschlagen. Sicherlich würde er nicht eher wieder Ruhe haben, als bis er sich zu einer Art Erklärung herbeigelassen hätte. Nachdem er alles wohl erwogen hatte, hielt er es für das Beste, Stanhope gleich den Willen zu thun.

»Wenn Sie es wünschen,« sagte er in wahrhaft väterlichem Tone, »so steht meinerseits nichts im Wege.«

Die Fahrt nach dem Klubhaus wurde schweigend zurückgelegt; beide Männer waren vollauf mit ihren eigenen Gedanken und Plänen beschäftigt. Erst unmittelbar vor dem Halten des Wagens nahm Stanhope das Wort. »Hätten Sie etwas dagegen einzuwenden,« sagte er, »wenn mein Freund, Jack Hollister, unserer Unterhaltung beiwohnte, oder würde die Anwesenheit eines dritten Sie weniger geneigt machen, sich offen auszusprechen?«

»Wenn Sie Zuhörer zu haben wünschen,« lautete die gelassene Antwort, »so ist das Ihre Sache. Ich würde Ihnen jedoch raten, das Gespräch lieber unter vier Augen abzumachen. Meiner Ueberzeugung nach sollten dergleichen Dinge so wenig wie möglich an die Oeffentlichkeit gelangen.«

Stanhope schwankte einen Augenblick, ob er diesem Rate Gehör geben, oder seinem eigenen Gefühl folgen solle. Er beschloß, einen Mittelweg zu wählen.

»Gut, lassen Sie uns die Unterhaltung allein beginnen,« versetzte er; »ich behalte mir jedoch vor, meinen Freund herbeizurufen, sobald mir seine Gegenwart wünschenswert erscheint.«

»Wie Sie wollen,« erwiderte Deering gleichmütig.

Im Klubhaus angelangt, ließ sich Stanhope ein Privatzimmer anweisen und beauftragte den Diener zugleich, Herrn Hollister, der sich im Lesesaal befand, zu bitten, in das Nebengemach zu kommen, da er ihn noch vor dem Fortgehen zu sprechen wünsche.

Das Zimmer, welches er nun in Deerings Begleitung betrat, war reich möbliert. Gerade der Thür gegenüber hing ein hoher Pfeilerspiegel, der ihr Bild in ganzer Größe zurückwarf; Stanhopes Mienen verrieten seine innere Erregung, das Gesicht des Obersten war ungewöhnlich blaß.

Sie standen einander jetzt Auge in Auge gegenüber.

»Sie haben meinen Vater am Morgen seines Todes gesehen, Herr Oberst,« begann Stanhope, jede Einleitung verschmähend, »und zwar allein in seinem Studierzimmer; gewiß haben Sie auch einige Worte mit ihm gewechselt.«

»Ganz recht; wir hatten ein kurzes Gespräch.«

»Ich befinde mich in einer seltsamen Lage, Oberst Deering! Ihnen – einem Fremden gegenüber – bin ich gezwungen, mein wichtigstes Geheimnis zu enthüllen, das mir nicht über die Lippen kommen sollte. Es betrifft meines Vaters Tod. Die Welt, die öffentliche Meinung, unsere Freunde, sind der Ueberzeugung, daß die Pistole zufällig losgegangen ist; aber wir, das heißt seine Frau und ich, fürchten, mein Vater habe sich selbst erschossen, um eines geheimen Kummers willen, oder aus irgend einer andern bis jetzt unaufgeklärten Ursache. Hierüber suche ich mir Licht zu verschaffen.«

»Ich werde Ihr Geheimnis bewahren,« versetzte Deering, »doch begreife ich nicht, warum Sie es mir anvertrauen. Daß Ihr Vater durch mich in einem so kritischen Augenblick in den Besitz der Waffe gelangt ist, lastet mir schon schwer genug auf der Seele.«

»Sie wissen nicht, um was es sich für mich handelt. Mein ganzes Lebensglück hängt davon ab, ob sich ermitteln läßt, in welcher Gemütsverfassung mein Vater an jenem verhängnisvollen Morgen war. Fiel der Schuß nicht mit Vorbedacht oder fiel er aus einem Beweggrund, der zu Ihrer Person in keinerlei Beziehung steht, dann bin ich berechtigt, meinem Herzen zu folgen und die Gattin heimzuführen, welche die Vorsehung für mich bestimmt zu haben scheint. Sind Sie dagegen auf irgend welche Weise in jene Angelegenheit verwickelt, dann ist dieselbe für mich noch von tausend Rätseln umhüllt. Ich müßte mich scheuen, einen entscheidenden Schritt zu thun, dessen Folgen unberechenbar wären, sowohl für mich selbst, als für das unschuldige Mädchen, das ich liebe.«

»Ihre Behauptungen sind mir unverständlich,« entgegnete der Oberst schroff und abwehrend. »Was veranlaßt Sie denn zu glauben, daß ich irgend welchen Einfluß auf Ihres Vaters Gemütsstimmung an jenem Morgen gehabt habe?«

»Ich rede nicht ohne guten Grund. Wir wissen, daß Sie etwa um zehn Uhr bei meinem Vater waren. Vorher erschien er heiter, glücklich und lebensfreudig, wie sich das an seinem Hochzeitstag nicht anders erwarten ließ. Als ich ihn wiedersah und zu ihm in den Wagen stieg, fand ich ihn blaß, schweigsam und höchst niedergeschlagen. Was ist wohl natürlicher als anzunehmen, daß Ihr Besuch etwas mit dieser Wandlung zu thun hat – einen andern hat er nicht empfangen.«

Der Oberst war unruhig auf und ab gegangen, jetzt blieb er Stanhope gegenüber stehen und blickte ihn lange und forschend an, als wolle er des jungen Mannes ganzes Sein und Wesen ergründen, samt der Zukunft, die vor ihm lag. »Sie hatten nicht unrecht, dies in Betracht zu ziehen,« äußerte er endlich in bedächtigem Ton, »doch werden Sie weitere Nachsuchungen anstellen müssen, um die Ursache zu finden, die Ihren Vater, einen so bedeutenden Mann, in den Tod getrieben hat, wie Sie argwöhnen. Was mich betrifft, so hatte ich nur den Zweck, ihm mein Geschenk zu überbringen, und die wenigen Worte, die wir dabei wechselten, waren nichts als die Begrüßung zwischen zwei alten Kameraden.«

»Wirklich – nichts anderes, Herr Oberst?«

Deerings Selbstbeherrschung war nicht leicht zu erschüttern. doch fühlte er, daß ihm die Röte in die Wangen stieg.

»Sie zweifeln an der Wahrheit meiner Rede, Herr White? – Entweder, Sie haben triftige Gründe dazu, oder, Sie sind nicht der Ehrenmann, für den ich Sie hielt.«

Statt der Antwort schritt Stanhope nach dem andern Ende des Zimmers und klopfte an die Wand.

»Ich wünsche, daß mein Freund bei unserm ferneren Gespräch zugegen ist,« sagte er, seine Aufregung gewaltsam bezwingend.

Als gleich darauf Jack Hollisters schlanke, vornehme Gestalt in der Thüröffnung erschien, wartete Stanhope in seiner Ungeduld, das Gespräch wieder aufzunehmen, des Freundes Fragen gar nicht ab. »Schenke mir deine Aufmerksamkeit, Jack,« begann er stürmisch. »Oberst Deering verlangt zu wissen, warum ich bei meiner Ansicht beharre, daß er genauere Auskunft über meines Vaters letzte Lebensstunden zu geben vermag, aber nicht dazu geneigt ist. Ich möchte, daß du als Zeuge zugegen bist, wenn ich hierauf Antwort erteile. Willst du mir den Gefallen thun?«

Jack sah die Reckengestalt des Fremden, das Gesicht mit den Blatternarben und wußte, wen er vor sich hatte. Deerings flüchtiger und herablassender Ton bewies dagegen, daß er den modisch gekleideten jungen Herrn für zu unbedeutend hielt, um ihn seiner Beachtung zu würdigen. Dieser Umstand war sehr günstig für Jack, denn er erleichterte ihm die Rolle, die er zu spielen gedachte.

»Ich stehe gern zu Diensten,« sagte er in gleichgültig schläfrigem Ton und streckte sich behaglich in den bequemsten Lehnstuhl aus. »Sage dem Herrn nur, was du ihm mitzuteilen hast.«

Stanhope kannte seinen Freund und ließ ihn gewähren. Er wandte sich nun dem Obersten wieder zu.

»Ich wiederhole die Behauptung,« sagte er, »daß Sie meinem Vater eine Mitteilung gemacht haben müssen, die ihm plötzlich alle Lebenslust und Freude raubte, wenn nicht vielleicht schon Ihr bloßer Anblick in ihm eine furchtbare Erinnerung wach gerufen hat, die im stande war, einen Mann darnieder zu schmettern, den weder Schmerz noch Enttäuschung je zu bezwingen vermochte. Wie erschütternd die Wirkung Ihrer Unterredung war, beweist schon der Umstand, daß mein Vater unmittelbar darauf seine letzten Verfügungen traf. Auch scheint Ihre Gegenwart häufig Schrecken zu verbreiten. Ich kenne einen andern Mann, dem vor einer Begegnung mit Ihnen so sehr graut, daß er in seiner Angst aus dem Hause entflohen ist, um nie mehr dahin zurückzukehren.«

»Sie sind wirklich gut unterrichtet,« erwiderte Deering mit bedeutsamem Lächeln. »Fast scheint es mir, Sie wissen ebenso viel von meinen Angelegenheiten, als ich schon längst von den Ihrigen weiß.«

»Durchaus nicht. Ich weiß nichts Näheres über Sie. Aber Thomas Dalton kenne ich. Weshalb verfolgen Sie ihn und warum brachten Sie meinem Vater an seinem Hochzeitsmorgen eine Pistole zum Geschenk?«

Der Oberst schien auf jeden Angriff vorbereitet.

»Die beiden Menschen, die Sie da in einem Atem nennen,« sagte er, »haben nichts mit einander gemein.«

»Und doch bestand eine Aehnlichkeit zwischen ihnen; ich erinnere an die seltsame Narbe auf der Fläche der linken Hand. Sie behaupten, ein früherer Kamerad meines Vaters gewesen zu sein. Waren Sie nicht auch ein Kamerad von Thomas Dalton?«

Bei dieser Frage fuhr der Oberst sichtlich zusammen, auf seiner Stirn lagerten sich düstere Falten und der drohende Blick seiner Augen schien Stanhope warnend zuzurufen, er solle nicht weiterforschen.

»Das steht in keinerlei Beziehung zu der Sache, welche wir besprechen,« entgegnete er. »Samuel White ist tot und die Vergangenheit sollte füglich mit ihm begraben werden. Wenn aber Sie, sein Sohn, mich drängen, Ihnen dieselbe wider meinen Willen zu offenbaren, so bin ich bereit, Rede und Antwort zu stehen, soweit die Sache ihn betrifft. Ueber mein Verhältnis zu Thomas Dalton haben Sie jedoch kein Recht, Auskunft von mir zu verlangen.«

»Sei es drum. Mir scheint, wir werden schon genug Trauriges zu hören bekommen, wenn das Geheimnis Ihrer früheren Beziehungen zu meinem Vater enthüllt wird. Es muß sich um Ereignisse handeln, die fast dreißig Jahre alt sind, denn ich zähle 25 Jahre und solange ich lebe, habe ich in unserm Hause Ihr Gesicht niemals erblickt.«

»Die Rechnung stimmt, Herr White. Vor 29 Jahren hat meine Hand zum letztenmal diejenige Ihres Vaters berührt.«

»Also nicht bei jener Begrüßung an seinem Hochzeits- und Todestage?«

Der Stoß war gut gezielt und traf. Zum erstenmal verlor der Oberst die erzwungene Fassung völlig und mußte sich abwenden, um seine Verwirrung zu verbergen. Stanhope erkannte seinen Vorteil und zögerte nicht, ihn zu benutzen.

»Sie sind ein Kamerad meines Vaters gewesen,« sagte er, »aber waren Sie auch sein Freund? Oder war Ihr Verhältnis nicht vielmehr ein erbittertes, feindliches, wie die Wahl jenes unseligen Hochzeitsgeschenkes vermuten läßt?«

Ein Augenblick hatte genügt, um Deering seine ganze Ruhe zurückzugeben. Mit verbindlichem Lächeln trat er wieder auf Stanhope zu und würde ihm vielleicht seine Bewunderung und Hochachtung für den verstorbenen Staatsmann ausgesprochen haben, hätte sich Jack nicht unerwartet in das Gespräch gemischt.

»Dein Gegenstand reißt dich zu weit fort,« sagte er in gleichmütigem Ton, indem er die Hand beruhigend auf des Freundes Arm legte. »Wenn der Herr Oberst deine letzte Frage nicht beantworten will, so würde ich an deiner Stelle nicht weiter in ihn dringen. Ob er Gefühle des Hasses oder der Freundschaft für den Verstorbenen hegte, hat an und für sich keinen praktischen Wert. Ich glaube, du thätest besser, die Unterredung heute Abend nicht weiter fortzusetzen; meinst du nicht auch, Stanhope?«

Der also Angeredete hatte Mühe, seiner Erregung sogleich Herr zu werden, aber als er des Freundes Auge so ernst und fest auf sich gerichtet sah, fügte er sich ohne Widerrede.

»Wenn du meinst, Jack,« murmelte er, »du bist bei kühlem Blut und ich habe mich vielleicht über Gebühr erhitzt.«

»Nur noch eine Frage könntest du an den Herrn Oberst richten, deren Beantwortung mir von Wichtigkeit scheint, nämlich, um welche Zeit er Herrn Whites Haus an jenem Morgen verlassen hat.«

»Das wissen wir ja bereits,« entgegnete Stanhope, »um zehn Uhr ist er dort gesehen worden. – Sie haben sich nicht länger im Hause aufgehalten, nicht wahr, Herr Oberst?«

»Nur wenige Minuten,« lautete Deerings Antwort. »Ist das nun alles, was Sie zu wissen wünschen?«

»Für heute Abend, ja. Ich werde mir erlauben, Sie morgen früh wieder aufzusuchen; mir bleiben noch viele Rätsel zu lösen übrig.«

»Sehr wohl. Sie haben meine Karte; ich wohne im Brevoort-Hause.«

Jack verwandte kein Auge von dem Manne, der mit unbeweglicher Miene sich höflich verbeugend das Zimmer verließ. Die Thür hatte sich kaum geschlossen als Stanhope hastig auf seinen Freund zueilte.

»Warum hast du unser Gespräch unterbrochen?« rief er. »Weshalb wolltest du nicht, daß er die Frage beantworten sollte, ob er meines Vaters Freund sei?«

»Er hatte sie schon beantwortet.«

»Nicht möglich; ich habe nichts gehört.«

»Ich auch nicht, aber desto mehr gesehen. Dir war sein Rücken zugekehrt, aber mir nicht, und als du die Frage stelltest, trat plötzlich ein Ausdruck von so bitterem, tödlichem Haß in seine Züge, daß ich wußte, es war deines Vaters Feind, der vor uns stand. Im weitern Verlauf der Unterhaltung wäre vielleicht seine Schuld ans Licht gekommen und das wollte ich nicht.«

»Seine Schuld? Wie meinst du das, Jack? Jetzt bist du selbst in Aufregung – was für eine Schuld?«

»Höre mich, Stanhope – nein, sieh nicht nach der Thür, ich lasse dich nicht fort, bis er sicher das Haus verlassen hat. – Ich bin fest überzeugt, das heißt so fest, wie man es von einer Sache sein kann, die man nicht mit eigenen Augen gesehen hat, daß jener Mann die tödliche Waffe damals nicht nur in das Haus gebracht, sondern sie auch abgefeuert hat. Dein Vater ist eines gewaltsamen Todes gestorben und Oberst Deering war sein Mörder.«

*


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