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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Der Galvanoplastiker

Statt den Gang unserer Erzählung rasch weiter zu verfolgen, müssen wir nun leider erst einige Wochen zurückgreifen, um Näheres über Stefan Hufe und seinen Einzug in die Wohnung am Markham-Platz zu berichten.

Nachdem Thomas Dalton mit seiner Tochter auf so rätselhafte Weise verschwunden war, trat zwei Tage darauf ein alter Mann in die bereits erwähnte Apotheke, ließ sich den Wohnungsanzeiger geben und begann darin zu blättern. Er war wie ein Handwerker gekleidet, doch schienen seine seinen Gesichtszüge nicht zu der wettergebräunten Haut zu passen, auch der gänzliche Mangel an Augenbrauen gab ihm ein so seltsames Aussehen, daß der Gehilfe, welcher die Kunden bediente, ihn von Zeit zu Zeit verwundert betrachtete.

»Ich suche eine Wohnung,« sagte er jetzt aufblickend, »die ich mir zur Werkstatt einrichten kann für meine galvanoplastischen Arbeiten. Dort drüben hängt ein Zettel heraus, sind die Zimmer zu vermieten?«

»Das kann wohl sein; wenigstens hat sich der frühere Bewohner aus dem Staube gemacht,« lautete die Antwort.

»Und das Eckhaus daneben ist wohl eine Druckerei mit Maschinenbetrieb? Da könnte ich mir die Motor-Kraft, die ich brauche, mit geringen Kosten verschaffen. Ich will die Wohnung doch einmal ansehen.«

»Sie scheinen mir jetzt nicht gerade in einer Verfassung, um viel zu arbeiten,« bemerkte der Gehilfe mit einem bedeutsamen Blick auf des Mannes Hände, die er beide in Leinwand verbunden trug.

»Ach, das geht bald vorüber,« entgegnete jener, »ich habe sie mir neulich unvorsichtiger Weise mit Schwefelsäure verbrannt, aber die Salbe, welche ich brauche, wird sie schnell wieder heilen.«

Der Gehilfe nickte und wandte sich einem eintretenden Kunden zu, ohne sich weiter um den Alten zu kümmern. Dieser verließ den Laden und während er auf die andere Straßenseite hinüberging, spielte ein Lächeln der Befriedigung um seine Lippen. Er klingelte an dem Hause Nummer 6 und verlangte die Zimmer zu sehen. Der Hausverwalter war bereit sie zu zeigen, doch bemerkte er, es ständen Sachen des vorigen Mieters darin, die noch etwa einen Monat an Ort und Stelle bleiben müßten, wenn der alte Dalton sie nicht schon früher abholen ließe.

»Die werden mir Wohl im Wege sein,« murmelte der Fremde, »aber wir wollen sehen.«

Kurtis, der Hausverwalter, schloß die Wohnung auf. »Kommen Sie,« sagte er, »es liegt und steht noch alles genau so, wie die Leute es verlassen haben.«

Der Fremde trat ein, sah sich hastig um, und sein erster Blick traf den Vorhang, hinter dem der Tisch mit Thomas Daltons Modell stand. Der Raum war düster, kalt und wenig einladend, dem Mieter schien er jedoch zu behagen.

»Hier am Fenster könnte ich meine Platten und Abdrücke bearbeiten, dort drüben wäre ein guter Platz für den Behälter mit der Kupferauflösung und meine Maschine. Wenn man mir nur erlaubt ein Loch durch die Wand zu bohren, da, wo im Nebenhaus die Druckmaschine steht, so daß ich sie als Motor benützen könnte, dann wäre für alle meine Bedürfnisse gesorgt. Es war gerade die Nähe der Druckerei, die mich auf den Gedanken brachte mich hier einzumieten. Herrn Daltons Sachen würde ich einstweilen dort an die Wand stellen; auf das Brett oben kämen die fertigen Bestellungen, bis sie abgeholt werden. – Was ist denn hinter dem Vorhang? Vielleicht ein Platz um Kleider aufzuhängen?«

»Nein, da steht eine Maschine,« versetzte Kurtis, »es muß ein gefährliches Ding sein. Mein Vorgänger hier im Amt, Braun hieß er, hat mich ausdrücklich gewarnt, es ja nicht anzurühren. Da Sie Techniker sind, verstehen Sie sich vielleicht auf dergleichen.« Er hatte den Vorhang zurückgezogen und der Fremde betrachtete mit funkelnden Augen das noch unvollendete Modell, welches auf einem Tischchen vor ihm stand. In allen seinen Teilen prüfte er es mit den Blicken, als suche er den Zweck jedes einzelnen zu ergründen. Er wandte sich erst ab, als Kurtis den Vorhang wieder fallen ließ.

»Nun, was halten Sie davon?« fragte der Hausmeister.

»Irgend eine verrückte Erfindung,« erwiderte der Fremde, eine gleichgiltige Miene annehmend, und setzte dann die Besichtigung der Zimmer fort.

Er entschloß sich endlich, die Wohnung zu mieten, und richtete in dem Vorderzimmer seine Werkstatt ein. Sobald er die Hände wieder brauchen konnte, begann er seine Arbeit und bald hörte man Tag für Tag das große Rad am Fenster schwirren und sah die hagere, gebückte Gestalt darüber geneigt und beschäftigt, bald diesen, bald jenen Gegenstand abzuschleifen oder zu polieren. Die Bestellungen, welche zuerst nur spärlich einliefen, nahmen bald zu, je mehr die Erzeugnisse der neuen Industrie Anklang fanden; nach zwei oder drei Wochen war der alte Galvanoplastiker schon eine bekannte Persönlichkeit in der Nachbarschaft.

Pünktlich um acht Uhr abends stand das Rad am Fenster still und der Rollvorhang wurde herabgelassen, aber drinnen hörte man es noch immer schwirren und summen bis spät in die Nacht hinein.

Daß Stefan Huse keine sehr gesellige Natur war, hatten die Nachbarn bald herausgefunden. Wortkarg und meist in Gedanken versunken, nahm er wenig teil an dem, was um ihn her vorging, und selbst Kurtis, der Hausverwalter, gab es endlich auf, sich mit ihm in ein Gespräch einzulassen. Man sah ihn stets fleißig bei der Arbeit und bald fiel es niemand mehr ein, sich weiter um sein Thun und Treiben zu kümmern.

Hätten ihn die Leute jedoch beobachten können, wenn er, vor jedem Späherauge verborgen, beim Schein der Lampe hinter den fest verschlossenen Fenstern saß, sein verändertes Wesen wäre ihnen sicherlich aufgefallen. Das war nicht mehr der einfache Handwerker aus niederem Stande, ein höheres Geistesleben sprach aus seinen Zügen, er nahm eine straffere Haltung an, alle seine Bewegungen waren schneller und kräftiger.

Den ersten Teil des Abends verbrachte er mit Zeitungslesen, doch schienen ihn weniger die politischen Ereignisse und Leitartikel zu interessieren, als vielmehr Familiennachrichten und zwanglose Plaudereien aus den reichen und vornehmen Gesellschaftskreisen, zu denen er doch schwerlich je Zutritt gehabt hatte. Sein einfaches Mahl bereitete er sich selbst auf einem kleinen Kochofen; hatte er es verzehrt und vielleicht noch einen kurzen Gang ins Freie gemacht, so begab er sich wieder an die Arbeit. Er gönnte sich keine Erholung und mußte wohl auch wenig Ruhe bedürfen, denn oftmals fand ihn die Morgendämmerung noch in voller Thätigkeit.

Was ihn Nacht für Nacht wach erhielt und ihm alle Müdigkeit vergessen ließ, war aber nichts anderes, als seine unausgesetzte Arbeit an Thomas Daltons Modell, welches er allem Anschein nach zu vollenden beabsichtigte. Daß er den Zweck der Maschine gleich erkannt hatte und ihm auch die Gedanken des Erfinders nicht verborgen waren, bewies die Sicherheit und Entschlossenheit, mit der er ans Werk ging. Auf den ersten Blick entdeckte er das geheime Fach, in dem sich alles vorfand, was er noch zur Fertigstellung der Maschine brauchte, sowie sämtliche Werkzeuge, deren er bedurfte. Nun arbeitete er rastlos, aber wie es schien mit angsterfüllter Seele; bei jedem unerwarteten Geräusch, das durch die nächtliche Stille tönte, schrak er zusammen, als ob ihn eine Schuld bedrücke und er sich vor Entdeckung fürchte; auch warf er von Zeit zu Zeit forschende Blicke nach der Thür und dem Fenster, um einen etwa verborgenen Lauscher zu erspähen.

Zuweilen sprach er auch mit der Maschine, als wäre sie ein lebendiges Wesen, dem er sein Geheimnis anvertrauen könnte. Es mußten wohl furchtbare Worte sein, die er ihr zuflüsterte, denn seine Stimme bebte dabei und er zitterte an allen Gliedern. Endlich aber war die Stunde gekommen, da das Werk fertig vor ihm stand, und er betrachtete es mit triumphierenden Blicken. Prüfend drückte er bald auf den blanken Messingknopf, der an der einen Seite des Apparats angebracht war, bald auf einen ganz gleichen an der entgegengesetzten Seite, – aber niemals auf beide zugleich, nein, das vermied er sorgfältig. Wußte er doch, welche furchtbare Kraft die Maschine besaß und was für eine entsetzliche Wirkung entstehen würde.

Der Gang des Apparats schien ihn zu befriedigen; er seufzte erleichtert auf, beendigte seine Versuche, unterbrach die Leitung, nahm den Riemen ab, der zu der magneto-elektrischen Maschine gehörte, und verbarg das vollendete Werk wieder hinter dem dunkeln Vorhang.

Zur Ruhe begab er sich jedoch nicht. Die ganze Nacht hindurch schritt er wie ein gequälter Geist im Zimmer hin und her. Was er erstrebt und gehofft hatte, war erfüllt, aber es schien ihm nur Grauen zu bereiten. Erst als das Licht des anbrechenden Tages die schwarzen Schatten verscheuchte, schlugen seine Pulse nicht mehr so heftig und seine wilde Erregung besänftigte sich.

Drei Wochen waren verflossen bis zu dieser ereignisreichen Nacht, seit er in seiner Werkstatt arbeitete, etwa zwei Tage später hatte er ein entsetzliches Erlebnis, einen Schrecken, der ihm Mark und Bein erschütterte.

*


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