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Drittes Buch.
Herzenskämpfe.

Vierzehntes Kapitel.
Eine Ueberraschung

Es giebt Ereignisse, welche so tief in unser Leben eingreifen, daß wir fühlen, die Zukunft, wie sie sich auch gestalten möge, könne zu unserer Vergangenheit in keinerlei Beziehung mehr stehen. An einem solchen Lebensabschnitt war Stanhope jetzt angekommen. Während er durch die nächtlichen Straßen seinem Hause zufuhr, sehnte er sich, so schnell wie möglich aus dem Lärm und Gewühl in die Ruhe und Stille seiner eigenen Gemächer zu gelangen. Gleich am nächsten Morgen wollte er sich dann in die Arbeit stürzen und durch rastlose Thätigkeit zu vergessen suchen, was ihm noch vor kurzem als das höchste Glück auf Erden erschienen war.

Der Traum war ausgeträumt; nun galt es eine Entscheidung zu treffen, welchem Beruf er seine Kräfte zuwenden wollte. Vielleicht würde er am besten thun, eine politische Laufbahn zu wählen, wie sie sein Vater in den letzten Jahren mit so großem Erfolg betreten hatte. Die Liebe aber wollte er aus seinem Herzen bannen, nebst allen weichen Gefühlen, die der Hoffnung stets neue Nahrung zuführen.

Unter solchen und ähnlichen Gedanken erreichte er endlich das Ziel seiner Fahrt. Völlig ermüdet von den mancherlei Eindrücken und Aufregungen des Tages, sank er bald in festen Schlummer, der ihm Stärkung und Erquickung brachte.

Als er am nächsten Morgen das Frühstückszimmer betrat, begrüßte ihn Frau White mit so freudigem Ausdruck, daß er sich erstaunt fragte, was das zu bedeuten haben könne; denn jede Lust lag seinem Herzen fern. Sie wandte nun den Blick nach dem Fenster hin und als Stanhopes Auge dem ihrigen unwillkürlich folgte, sah er dort eine blonde, junge Dame stehen mit krausem Haar und lieblichen Zügen, bei deren Anblick ihm alles Blut zum Herzen strömte.

»Meine neue Gesellschafterin,« sagte Flora und fügte dann, der Fremden näher tretend, freundlich hinzu: »Erlauben Sie mir, Ihnen Herrn White vorzustellen, liebe Mary. Herr White, dies ist Fräulein Dalton, deren Bekanntschaft ich meiner Freundin, Frau Delapaine, verdanke.«

Stanhope traute seinen Augen kaum, er fragte sich, ob er wache oder träume; die gestrige Ueberraschung war nichts im Vergleich zu dieser wunderbaren Begebenheit. Da stand das junge Mädchen, das er eben noch unter so ganz anderen Verhältnissen gesehen hatte, als Schützling der Witwe seines Vaters in dem reich ausgestatteten Gemach und blickte ihn vertrauensvoll und glücklich an, als sei nun aller Kummer zu Ende.

Um seine Verwirrung und Bestürzung zu verbergen, verneigte er sich tief und murmelte eine Erwiderung, die verbindlich klingen sollte. Ach, für ihn war dieses unerwartete Wiedersehen kein Glück, nur eine Erneuerung des qualvollen inneren Kampfes, der ihm allen Lebensmut raubte.

Die halbe Stunde, welche sie bei der Mahlzeit zubrachten, dünkte ihm eine Ewigkeit. Er selbst sprach wenig und hörte nur wie im Traum dem Geplauder der beiden Damen zu, welche wie zwei völlig gleichstehende Gefährtinnen traulich mit einander verkehrten. Ihm gegenüber zeigte sich Mary weder schüchtern noch befangen und doch schien auch sie sich an Daltons Worte zu erinnern, daß sie, wenn das Schicksal sie je wieder zusammen führte, einander als Fremde begegnen sollten. Auf seine höfliche Frage, ob sie immer hier am Orte gewohnt habe, erwiderte sie leicht errötend, aber mit ungezwungener Offenheit, sie habe meist in Philadelphia gelebt. Erst vor einigen Monaten sei sie mit ihrem Vater nach New-York gezogen, jedoch in eine weit weniger angenehme Gegend der Stadt als diese.

Ihre natürliche Anmut und die leichte sichere Art und Weise, mit der sie sich den neuen Verhältnissen anpaßte, erhöhten noch Stanhopes Verwunderung. Woher nahm sie diese Kenntnis der Welt und ihrer Umgangsformen? Hatte ihr Vater recht gehabt mit seiner Behauptung, sie sei für höhere Kreise bestimmt? Ihre Anwesenheit hier im Hause, Frau Whites Verkehr mit ihr wie mit einer Standesgenossin, das alles konnte unmöglich ein Spiel des Zufalls sein. Thomas Dalton hatte es zuwege gebracht, aber wie – das blieb für Stanhope ein Rätsel.

»Wie dankbar bin ich der guten Delapaine,« rief Frau White mit sichtbarer Freude, »erst neulich sprach ich mit ihr davon, daß ich eine Schwester, oder wenigstens eine Gefährtin haben möchte zum Trost in meiner Einsamkeit. Sie sagte, sie wisse eine junge Dame, die wie für mich geschaffen sei, und nun hat sie mir dies liebe Mädchen hier geschickt. Erst gestern Abend ist Fräulein Dalton angekommen und schon weiß ich, daß ich mir keine bessere Freundin wünschen könnte.«

Floras Blick ruhte bei diesen Worten mit aufrichtiger Bewunderung auf Mary; sie ahnte nicht, wie seltsam die Schicksalsfügung war, welche gerade diese drei Menschen hier zusammenbrachte.

Um dem Diener einen Befehl zu geben, trat Frau White einen Augenblick in das Nebenzimmer; auch Stanhope war aufgestanden; er griff eben nach der Morgenzeitung als er dicht neben sich Marys Stimme vernahm.

»Mein Vater hat mich hieher gebracht,« sagte sie in leisem aber festem Ton. »Mir ist es gerade so unverständlich wie Ihnen. Ich soll Frau White Gesellschaft leisten, mit Ihr ausfahren, ihr vorlesen. Verraten Sie mich nicht, um meines Vaters willen.«

Die Worte hatte sie sich wohl vorhin überlegt, als sie bei Tische saßen, aber die sichtbare Bewegung, mit der sie die Bitte vorbrachte, ihr liebliches Erröten war der unmittelbare Ausdruck ihres Gefühls.

Einen Moment noch ruhten Stanhopes Augen mit Wonne auf dem goldschimmernden Haar und den geliebten Zügen; dann verbeugte er sich ehrfurchtsvoll und ohne den geringsten Anschein geheimen Einverständnisses. Er legte die Zeitung hin, bat, Mary möge ihn bei Frau White entschuldigen, da seine Geschäfte ihn abriefen und verließ das Zimmer mit freundlichem Gruß.

Die Hand auf ihr klopfendes Herz gedrückt, blickte ihm das junge Mädchen nach. Für sie war dies Wiedersehen ohne Bitterkeit, das las man in ihren glückstrahlenden Mienen.

*


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