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Einundzwanzigstes Kapitel.
Stanhopes Plan

Unterdessen hatten unten im Bibliothekzimmer Stanhope und Flora ein ernstes Gespräch miteinander. Daß Mary nicht in die beabsichtigte Verlobung willigen würde, war ihnen beiden klar, auch schien ihr Zögern unter den bestehenden Verhältnissen nur zu leicht begreiflich.

Um diesem für alle Beteiligten so qualvollen Zustande der Dinge ein Ende zu machen, hatte Stanhope den Entschluß gefaßt, noch einmal auf ein Thema zurückzukommen, das er gehofft hatte, nie wieder berühren zu müssen.

»Flora,« sagte er mit sichtlichem Widerstreben, »ich hätte nicht gedacht, daß ich die Umstände, welche meines Vaters Tod begleiteten, je wieder Ihnen gegenüber erwähnen würde; allein die seltsame Lage, in der ich mich befinde, zwingt mich dazu. Wenn ich mit Sicherheit annehmen könnte, daß mein Vater jenen Brief unter einer falschen Voraussetzung geschrieben hat, nur zu dem Zweck, eine Verbindung zwischen uns zu verhindern, die so wie so unmöglich war, dann würde ich keinerlei Bedenken mehr tragen, seinen Wünschen zuwider zu handeln. Es würde mir gelingen, Mary zu überzeugen, daß ich ihr mit ungeteiltem Herzen angehöre und sie sollte nie wieder auch nur den Schatten des Gedankens hegen dürfen, daß sie, um mein Glück zu fördern, mir entsagen müsse.«

Flora sah ihn erwartungsvoll an.

»Aber mich verfolgt die Furcht,« fuhr er fort, »daß der Befehl meines Vaters einem anderen und stichhaltigeren Beweggründe entsprungen ist. Giebt es wirklich eine Nathalie Yelverton und gebietet es meine Ehre, um irgend eines Umstandes willen, sie zu heiraten, so darf ich den Wünschen des eigenen Herzens nicht folgen. Mein Ungehorsam würde vielleicht das Andenken meines Vaters schädigen und dem jungen unschuldigen Mädchen, das mir vertraut, hätte ich schweres Unrecht gethan.«

»Und warum erörtern Sie alle diese peinlichen Fragen von neuem?«

»Nicht ohne guten Grund. Wir glaubten zu wissen, Flora, was meinen Vater in den Tod getrieben hat; aber leicht kann unsere Vermutung irrtümlich gewesen sein. Es ist mir bisher nicht gelungen, den Mann aufzufinden, der die Pistole für meinen Vater gekauft hat und von dem ich Aufklärung zu erhalten hoffte. Der Beschreibung nach war er groß, von starkem Körperbau und hatte Blatternarben im Gesicht. Nun ist in dem Hause, das Mary bewohnte, ehe sie hieher kam, vor kurzem ein solcher Mann gesehen worden. Wenn es derselbe wäre –«

»Aber das ist höchst unwahrscheinlich. Leute mit Pockennarben sieht man häufig.«

»Gewiß; doch habe ich nun einmal das bestimmte Gefühl, daß er es ist.«

»Mich wundert, daß Sie ihn dann nicht ausgesucht haben!«

»Ich that es, habe aber meinen Zweck nicht erreicht. Doch will ich jetzt den Versuch wiederholen. Zwar werde ich den Mann selbst schwerlich in jenem Hause finden, doch erhalte ich dort vielleicht eine Auskunft, die mir auf seine Spur verhilft.«

»Und was gewinnen Sie dadurch?«

»Ich hoffe durch ihn zu erfahren, ob ich auch ferner zu fürchten habe, daß Nathalie Yelverton eines Tages zum Vorschein kommt.«

»Von ihm

»Ich weiß, es klingt unverständig, aber an wen könnte ich mich sonst wenden? Meine Hoffnung, Licht in das Dunkel zu bringen, wird wohl vergeblich sein, aber ich will nichts unversucht lassen. Gleich heute Abend fahre ich nach jenem Hause.«

»Möchten Sie Ihren Zweck erreichen!«

»Flora, es schmerzt mich auch um Ihretwillen, die alten, kaum vernarbten Wunden wieder aufzureißen, aber ich sehe keinen andern Ausweg.«

»Sie haben recht. Denken Sie nicht an mich, Stanhope. Hier handelt es sich um Marys Glück und das Ihre.«

Sie trennten sich. Flora, um nach dem Hause ihrer Eltern zu fahren, Stanhope, um sich zur Mahlzeit in den Klub zu begeben und dann seine Nachforschungen anzufangen. Kaum hatte man beide Kutschen in verschiedener Richtung fortrasseln hören, als Mary im dunkeln Alltagskleid leise die Treppe herabkam. An der nächsten Straßenecke hielt eine Droschke, in welche sie einstieg, nachdem sie dem Kutscher befohlen hatte, nach dem Markham-Platz zu fahren. Kurze Zeit darauf ward an einer andern Gegend der Stadt und aus einem andern Munde der gleiche Befehl erteilt:

»Nach dem Markham-Platz.«

*


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