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Achtes Kapitel.
Das weiße Paket

Sie legte es zitternd auf den Tisch. »Dies hier ist mir soeben von dem Besitzer des Westminster-Hotels zugeschickt worden. Die obere Adresse war an ihn, aber darunter, – sehen Sie, Stanhope!«

Als sie die äußere Hülle entfernt hatte, erblickte er seines Vaters wohlbekannte Schriftzüge.

›An Frau Samuel White
Westminster-Hotel‹

lautete die Aufschrift.

»Er hat es für mich dorthin geschickt, kurz vor der Trauung, in jener Stunde, als die große Veränderung mit ihm vorging. Ich wage nicht, es zu öffnen.«

»Wollten Sie denn nicht nach dem Süden reisen, sondern im Westminster Hotel bleiben?«

»Nur so lange, bis ich mich ganz ausgeruht hätte.«

Des Sohnes Züge erhellten sich.

»So beabsichtigte er also noch dorthin zu gehen, als er dies abschickte. Vielleicht löst es unsere Zweifel auf immer; öffnen Sie das Kästchen, machen Sie der Ungewißheit ein Ende.«

»Ich kann nicht,« beteuerte sie zurückschreckend, »mir ist, als sollte ich einen Toten berühren. Oeffnen Sie es statt meiner – mir fehlt die Kraft.«

Ohne ein Wort der Erwiderung nahm er das Kästchen und befreite es von der Umhüllung; ein kleines Sammetetui mit abgenützten Ecken kam zum Vorschein. Stanhope entfuhr ein Ausruf der Ueberraschung und die Röte stieg ihm bis zur Stirn. »Ich kenne dies Etui,« versicherte er mit leiser Stimme, »meine Mutter pflegte darin ihren Schmuck aufzubewahren.«

Er berührte die Feder, der Deckel sprang auf und ließ eine Brosche und ein Paar Ohrringe in altmodischer Fassung sehen. Es war derselbe Schmuck, dessen sich Stanhope noch aus seiner Kindheit erinnerte.

»Warum schickt er mir dies?« stammelte die junge Frau bestürzt und erregt. »Er hatte mir schon viele andere Edelsteine geschenkt, auch den Diamantschmuck zur Hochzeit. Wollte er vielleicht damit sagen –«

»Lesen Sie, was es bedeutet,« unterbrach sie Stanhope und händigte ihr einen Zettel ein, den er dem Kästchen entnommen hatte. Er enthielt nur wenige Zeilen, die sie rasch überflog. Als sie ihm darauf das Blatt reichte, sah er Thränen an ihren Wimpern hängen.

»Ich war nicht wert, sein Weib zu sein,« flüsterte sie bewegt. »Hier nehmen Sie, es scheint mir ein klarer Beweis zu sein, daß sein Tod durch einen unglücklichen Zufall verursacht worden ist.«

Der Zettel enthielt die folgenden Worte:

Meine innig geliebte Flora!

»Diese Edelsteine, welche einst Stanhopes Mutter trug, widme ich Dir an unserem Hochzeitstage, nicht um ihres Wertes oder ihrer Schönheit willen, sondern als den höchsten Beweis meiner Bewunderung und Verehrung. Dich habe ich gewählt, damit du den Platz in meinem Herzen einnimmst, der bisher der Gattin meiner Jugend gehört hat. Möchtest Du den Schmuck einmal im Jahre an diesem Tage tragen, als Beweis, daß Du das Gefühl begreifst, welches mich treibt, Dir diese teuerste Gabe darzubieten, welche ich zu verschenken habe.« –

»Mir fällt eine schwere Last vom Herzen,« flüsterte Flora nach kurzem Stillschweigen, »nun vermag ich auch zu weinen. Aber es war doch ein seltsamer Gedanke, mir den Schmuck zu schicken, und tragen kann ich ihn nie. Behalten Sie ihn,« fügte sie rasch hinzu, als sie sah, wie Stanhope noch einmal den Deckel hob, um das Geschmeide zu betrachten, das so viele Erinnerungen in ihm wachrief. »Von Rechts wegen gehören diese Steine Ihnen, und in Ihrem Besitz sind sie am besten aufgehoben.«

»Ich danke Ihnen,« versetzte er und ließ das Kästchen in seine Tasche gleiten. »Das Gedächtnis meiner edlen Mutter ist mir heilig und teuer.«

Floras Augen füllten sich mit Thränen. »Werden Sie jetzt glücklicher sein?« fragte sie ernst.

»Ich hoffe es. Der Brief, den Sie die Güte hatten mir zu zeigen, soll mir ein Beweis sein, daß ich über meines Vaters Gemütszustand und die Ursache seines plötzlichen Todes im Irrtum war. Er sah nicht dem Tode entgegen, sondern dem Leben – einem Leben an Ihrer Seite.«

Sie seufzte schwer. »Bis das Begräbnis vorüber ist, werden wir einander kaum wiedersehen. Leben Sie wohl!«

*


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