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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Daltons Erfindung

Ueber eine dringende Arbeit gebeugt, die noch am nämlichen Tage abgeliefert werden mußte, saß Stefan Huse, mit dem Rücken der Stube zugewendet, an seinem Rade. Er arbeitete mit emsigem Fleiß und war ungewöhnlich heiter gestimmt, sei es nun, daß ein Hoffnungsstrahl in seine verdüsterte Seele gefallen war, sei es, daß er den Segen nutzbringender Thätigkeit empfand, die jede Sorgenlast tragen hilft. Da vernahm er plötzlich hinter sich im Zimmer eine Stimme, bei deren Klang ihm alles Blut in den Adern stockte; wie erstarrt saß er da, außer stande auch nur ein Glied zu rühren.

Es war eine weiche, volltönende Stimme, aber todbringend für Stefan Huse. Ihm war, als drücke eine kalte Hand ihm die Kehle zu und er meinte zu ersticken. Sollte seine letzte Stunde gekommen sein? Er horchte atemlos, ob er den Laut noch einmal hören würde.

»Nein, nein,« dachte er in wilder Verzweiflung, »es kann nicht sein, ich täusche mich; er ist es nicht. Jetzt bin ich nicht vorbereitet, nicht äußerlich und nicht innerlich. Ich habe die Stimme nur im Traum gehört, er ist es nicht.«

Aber es war kein Traum, es war Wirklichkeit. Wieder vernahm er die volltönende Stimme, es schüttelte ihn wie Fieberfrost, er fuhr krampfhaft zusammen, aber er wandte den Kopf nicht und sah sich nicht um.

Das längst erwartete Ereignis war so urplötzlich gekommen, es raubte ihm alle Selbstbeherrschung, er war seiner Sinne kaum mächtig. Oft schon hatte er es sich vorgestellt; wachend und träumend hatte er die Begegnung, den ganzen Auftritt, wohl hundertmal durchlebt. Aber nun die Stunde da war, überraschte sie ihn völlig wie ein Donnerschlag aus blauer Luft. Niemals hatte er geglaubt, sie würde so ganz ungeahnt kommen, ohne daß er in Bereitschaft sei – und gerade wenn an der Maschine hinter dem Vorhang der Riemen abgenommen war. – In seiner Not kam ihm plötzlich ein rettender Gedanke. War er denn nicht Stefan Huse, der alte Galvanoplastiker, dem keinerlei Gefahr drohte? Diese Gewißheit gab ihm die verlorene Fassung zurück und seine Erstarrung wich. Schon im nächsten Augenblick hatte er seine Arbeit wieder aufgenommen; mechanisch hielt er den zu glättenden Gegenstand an das schwirrende Rad, während er dabei mit allen Kräften bestrebt war zu erlauschen, was hinter ihm vorging. Bald vermochte er auch die Worte zu unterscheiden, welche die so fürchterliche Stimme hinter ihm sprach. Daß sie nicht an ihn gerichtet waren, gewährte ihm die größte Erleichterung, offenbar mußte der Hausverwalter ebenfalls eingetreten sein.

»Aha, Sie haben also eine Werkstatt aus dem Zimmer gemacht,« bemerkte der Fremde, »das sieht ja aus, als erwarteten Sie den früheren Mieter nicht zurück.«

»Ein Vogel in der Hand ist besser als zehn auf dem Dach,« entgegnete Kurtis lachend. »Herr Huse bezahlt pünktlich und läßt des andern Habseligkeiten ruhig im Winkel stehen.«

Der Fremde warf einen forschenden Blick im Zimmer umher; er war groß und breitschulterig gebaut, eine imposante Persönlichkeit, neben der wohl die meisten Männer klein und unbedeutend erschienen. Noch auffallender wurde aber seine Erscheinung durch den Umstand, daß sein Gesicht über und über mit Blatternarben bedeckt war.

»Gehen Sie nur wieder an Ihr Geschäft,« sagte er jetzt, zu seinem Begleiter gewendet. »Ich will unterdessen einmal mit Herrn Huse sprechen. Während Kurtis nun das Zimmer verließ, schritt jener langsam nach dem Fenster hin. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und betrachtete alle Gegenstände auf dem Tisch oder auf dem Wandbrett, die seine Aufmerksamkeit erregten, ja, er nahm wohl auch dieses oder jenes in die Hand, um es genauer anzusehen. Dem Manne, der während dieser Besichtigung fast vor Todesangst verging, wurden die wenigen Minuten zur Ewigkeit.

Die magneto-elektrische Maschine war in vollem Gange und in der Kupferauflösung hingen allerlei Gegenstände von verschiedener Form und Größe. Vor dem Behälter stand der Fremde still und streckte eben die Hand danach aus, als eine scharfe durchdringende Stimme vom Fenster her ihm Einhalt gebot.

»Nehmen Sie sich in acht,« rief Huse in schrillem Ton, »es ist gefährlich, an einem Ort herumzustöbern, wo eine galvanische Batterie steht.«

»Man könnte einen Schlag bekommen, meinen Sie,« erwiderte der Unbekannte lachend, während er mit großem Interesse die Sachen in der Lösung betrachtete.

»Ja, einen Schlag,« wiederholte Huse, ohne den Kopf zu wenden.

Der andere richtete sich hoch auf; die breite Brust, der starke Gliederbau, sprachen von unbezwungener männlicher Kraft. »Ein Schlag von dem kleinen Ding da,« sagte er verächtlich »würde mir kaum so viel schaden wie ein Mückenstich.«

»Möglich, aber doch sage ich: kommen Sie ihm nicht zu nahe!« Huse war aufgestanden; den Blick scheu zum Boden gewendet schritt er an seinem Besucher vorbei, nahm rasch den Riemen von der magneto-elektrischen Maschine und trug ihn nach dem Vorhang hin, der Daltons Erfindung verhüllte. Sein Gesicht war aschbleich, wildes Entsetzen malte sich in seinen Zügen, die Augen drohten aus ihren Höhlen zu treten. Er zitterte wie im Fieber, während er den Riemen auf die neue Maschine legte.

Dem andern entging des Galvanoplastikers Aufregung völlig. Er war dicht an seine Seite getreten.

»Was haben Sie denn da für ein Ding?« fragte er neugierig.

»Eine neue Erfindung, eine Art dynamo-elektrische Maschine,« lautete die kurze Erwiderung. Dann nahm Huse seinen Platz am Polierrad wieder ein, scheinbar nur mit seiner Arbeit beschäftigt. Dennoch lauschte er mit verhaltenem Atem auf jeden Ton, der von drüben an sein Ohr schlug, und namenloses Grauen erfüllte seine Seele.

Der Fremde betrachtete die unbekannte Maschine mit augenscheinlichem Interesse, sah die rasende Schnelligkeit ihrer Bewegung und betastete prüfend bald den, bald jenen Teil. »Ich bin nicht bewandert genug in diesen Dingen, verstehe zu wenig davon. Was mag zum Beispiel der Zweck der Messingknöpfe sein?« –

Was für ein seltsamer Ton war das?

Stefan Huse hatte ihn ausgestoßen, – es klang, als wolle er ersticken. Dachte er, der unwillkommene Eindringling, den er offenbar kannte und fürchtete, werde beide Knöpfe zugleich berühren und durch die Kraft des Stroms tot zu Boden geschmettert werden? Konnte er ihn nicht warnen vor der grausen Gefahr, weil ihm vor Schrecken die Stimme versagte oder – wollte er es nicht? Wünschte er, das Verhängnis möchte jenen ereilen, oder schauderte er doch zurück vor der fürchterlichen Entscheidung? Seine Spannung sollte nicht von langer Dauer sein. Mit einem kurzen sorglosen Lachen gab der andere seine Beobachtung auf, näherte sich Huse von hinten und berührte seine Schulter.

»Entschuldigen Sie,« sagte er, als jener zusammenfuhr, »ich habe einen Auftrag für Sie.«

Der Galvanoplastiker hielt in der Arbeit inne, schüttelte den Kopf und murmelte ziemlich unverständlich, er habe schon mehr Aufträge als er auszuführen vermöchte und könne nichts Neues übernehmen.

»Es handelt sich nicht gerade um eine Bestellung,« fuhr jener fort, »doch würden Sie ein gutes Stück Geld dabei verdienen. Ich suche nämlich nach der Gelegenheit zu einer Unterredung mit Thomas Dalton, in dessen Zimmer Sie jetzt wohnen, wie Sie wissen.«

»Das geht mich nichts an,« entgegnete Huse, wieder eifrig weiter arbeitend.

»O doch.« erwiderte jener. »Der Mann ist plötzlich verschwunden –«

»Ich weiß,« fiel ihm Huse in's Wort, »ich habe ja hier all seinen Plunder noch stehen.«

»Eben deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.« Wie einschmeichelnd der Ton seiner Stimme klang und wie hoch seine gewaltige Gestalt den kleineren Mann überragte! »Wenn Dalton nicht tot ist – und ich glaube er ist noch am Leben – so wird er eines schönen Tages hierher kommen, um seine Sachen zu holen. Wahrscheinlich ganz im Geheimen, so daß außer Ihnen niemand etwas davon erfährt. Sollte dies der Fall sein–« Er zog eine Banknote heraus, um sie Huse einzuhändigen. Als dieser jedoch keine Miene machte das Geld anzunehmen, fuhr der Fremde unbeirrt fort: »Dalton ist ein früherer Kamerad von mir; doch hat er kein rechtes Glück gehabt in der Welt; nun läßt es mir keine Ruhe, bis ich ihm eine alte Schuld abgezahlt habe, die mich seit lange drückt. Sie könnten mir dabei helfen, wenn Sie mir Nachricht geben wollten – sagen wir telegraphisch – sobald er sich hier einstellt.«

»Sie wollen ihm ein Leid anthun,« murmelte der andere, »sonst würden Sie mir kein Geld anbieten.«

»Wie kommen Sie auf den Gedanken? Ich sage Ihnen ja, daß wir Kameraden waren und ich meine alte Schuld bezahlen will. Das Geld können Sie ruhig nehmen – ich habe keinen Mangel daran.«

Stefan Huse legte die Banknote hin und nahm seine Arbeit wieder auf. »Ich werde Ihnen telegraphieren,« murmelte er.

»Sie thun mir einen Gefallen,« sagte jener mit herablassendem Lächeln. »Nur ein Wort und an diese Adresse. Dalton selbst wird es Ihnen Dank wissen, wenn die Begegnung zustande kommt, ohne daß er vorher darum weiß. Nicht wahr, wir verstehen uns?«

Statt der Antwort steckte Huse die Banknote in die Tasche und legte die Karte, welche jener ihm reichte, auf den Fenstersims. Da er nun eifrig weiter arbeitete, ohne sich noch nach dem Fremden umzusehen, lachte dieser kurz auf, wie belustigt über den sonderbaren Kauz. »Also, ich verlasse mich auf Sie,« wiederholte er und schickte sich zum Fortgehen an.

Bald darauf hörte Huse erst die Zimmerthür, dann die Hausthür gehen. Kaum wußte er sich sicher vor seinem Feinde, so sprang er auf, ein wildes Feuer glühte in seinen Blicken, er zog die Banknote heraus, zerknitterte sie in den Händen und riß sie in Stücke, die er in den Kehrichtkasten schleuderte, welcher im Winkel stand. Mühsam schleppte er sich dann zu Daltons Maschine hin und entfernte den Riemen wieder. »Also nicht heute!« murmelte er, »wird es denn morgen geschehen? Und wenn es kommt – wird man es Mord nennen oder –«

Das Wort erstarb ihm auf der Lippe. Die furchtbare Erregung der letzten halben Stunde hatte seine Kräfte erschöpft, er sank bewußtlos zu Boden.

Als er wieder zu sich kam war die Dämmerung bereits hereingebrochen. Er trat an das Fenster, um es zu öffnen und frische Luft zu schöpfen; da fiel sein Blick auf die Karte, die ihm der Fremde gegeben. Beim letzten Abendschein las er den Namen, der darauf gedruckt stand.

Oberst Robert Deering.
Brevoort-Haus

*


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