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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

In später Nachmittagstunde kam eine Botschaft von draußen in das stille Krankenzimmer, wo das Leben gleichsam den Atem anhielt. Eine Botschaft, die Annemarie daran erinnerte, daß die Stunden weiter rannen und den Menschenkindern ihre Last an Lust und Leiden hinwarfen wie an jedem Tag, ob sie danach verlangten oder nicht.

Vom Ameisenhügel wurde geschickt, es sei eine Dame da und verlange nach Fräulein Rügemer.

Natürlich Albertine. Sie saß wartend in dem kleinen Empfangszimmer und begrüßte Annemarie heiter mit offenem Herzen.

Als sie dann hinübergegangen waren in das Zimmer, dessen Fenster ins Grüne sahen, sagte sie lebhaft: »Es steht gut mit uns. Zuerst erschrak er freilich bei meinem Anblick. Als ich ihm aber sagte: Ich weiß alles und wir wollen's zusammen tragen! fiel doch ein Stück Last von ihm ab. Er weinte wie ein Kind, das sich im Dunkeln gefürchtet hat, und dann wurde er ruhiger und offener, als ich ihn seit Jahr und Tag gesehen habe. Auch ließ er sich zum Niederlegen bewegen, ruhte und sprach, wie ihm zumute war. – Ich habe wirklich ein klein wenig Hoffnung, und morgen um die Sprechstundenzeit mußt Du zu uns kommen, dann entschlüpf' ich und gehe heimlich zum Arzt. – Aber warum bietest Du mir keinen Sitz an? Ich habe eine ganze Stunde für Dich. Du mußt Doktor Wendelin nicht allzusehr verwöhnen – laß ihn getrost einmal auf Dich warten.«

Annemarie überlegte schon, seitdem sie gerufen worden war, wie sie es Albertinen sagen sollte. Nun antwortete sie: »Ich komme von Ferdinand.«

Die Worte sagten nichts, aber der Ton bereitete vor, was gesagt werden mußte.

Als die beiden sich eine Stunde später unten an der Haustür trennten, war Annemarie leichter ums Herz, Albertinen aber ging das Blut warm und schnell durch die Adern: Joachim helfen, die Eltern trösten, Annemarie Liebes erweisen – sie dachte nicht mehr an ihren Wert und ihre Rechte.

Joachim empfand zuerst eine starke Erschütterung darüber, daß Ferdinand hatte wegwerfen wollen, was er trotz aller Weltschmerzstimmungen, als ein gieriger Bettler aufheben würde, wie und von wem es ihm zugeworfen werde: Das Bröckchen Leben.

Aber dann tat es ihm sogar gut, denn es zwang ihn wieder einmal an andere zu denken.

»Die arme kleine Mama,« sagte er, »ich bin ihr nicht viel, aber Ferry, ihr Ältester, ihr Stolz und Herzblatt! Wie soll sie das tragen?«

»Es ist Hoffnung, Joachim.«

»Jaja; solange der Atem aus- und eingeht, ist Hoffnung. – Aber wir müssen ihr helfen, ich will sie empfangen – ich hoffe, sie kommt, Albertine.«

Sie kam. Joachim aber hatte die doppelte Erschütterung des letzten Tages so erschöpft, daß er zu Hause bleiben mußte, um die Eltern nicht auch noch durch seinen Anblick zu erschrecken.

»Wendelin muß mich auch hier vertreten, wie bei Onkel Hermann. Ich bin nichts nütze – Onkel Hermann ist allzeit unheimlich hellsichtig gewesen.«

Das hatte Wendelin schon manch liebes Mal gedacht, und er dachte es wieder in der Nacht, die er wachend auf dem Helikon verbrachte. Wachend mit Annemarie, die als Ferdinands Verwandte bleiben durfte, obgleich der Arzt »nicht für Liebhaberkräfte« war.

Aber die ruhige Sicherheit, mit der sie ihm sagte: »Hier ist mein Platz,« – und das Zwingende, das ihr eigen war, sobald sie wußte, was sie wollte und mußte, besiegte sein Mißtrauen. Erst als er ihr nicht mehr gegenüberstand, kräftigte sich's wieder, und da schickte er denn doch noch in später Stunde eine Schwester. »Zum Beistand« ließ er höflicherweise sagen.

Also wachten sie zu dritt, und Wendelin hatte in dieser Nacht nicht viel mehr zu tun, als die beiden ungleichen Frauengestalten beim matten Schein des Krankenlichtes zu betrachten.

Dabei schien ihm Annemarie ganz fremd, bis er merkte, daß sie vielmehr wieder die war, die sein staunendes Auge zuerst auf dem grünen Rasen des Professorenbergs gesehen hatte: das Wunder, die unzeitgemäße Schönheit.

Liegt das in der ruhigen Güte, mit der sie den Kranken beschwichtigt? In der Freundlichkeit, die sie für die Helferin hat? Ist sie jetzt in Kampf und Schrecken aus eigener Kraft die geworden, die sie damals auf ihrer sicheren Höhe gleichsam durch des Seniors Hypnose war?

Was es auch sein mochte: ›Ich brauche Dich!‹ rief sein Herz. ›Deine Wärme, Deinen Glauben, Deine Liebeskraft. – Auch darin war Hermann Rinkhart mein weiser Freund, daß er fühlte, was meiner Natur fehlt. Du hast's! Ich brauche Dich!‹

Und er meinte, wenn nicht die Schwester mit ihrem grauen Kleid und dem etwas stumpfen Gesicht dort neben ihr gesessen hätte, würde er ihr dies jetzt auch laut gesagt haben, in sicherer Erwartung einer guten Antwort.

Als er aber am anderen Morgen mit Albertinen auf dem Bahnsteig stand, lag die Erdenluft schwer auf seinen Schultern, und beider Mienen sahen nach Gram und Kummer aus. Mut konnte ihr Anblick den Einfahrenden nicht machen.

›Auch Albertine,‹ dachte der Medizinalrat, ›es steht schlimm.‹

Die kleine Mama aber rief: »Mein Junge ist tot!« und fiel der Schwiegertochter aufschluchzend in die Arme.

»Sei ruhig, Mama,« sagte Albertine mit einem warmen Ton, den Rinkharts noch nie von ihr gehört hatten. »Es ist wirklich Hoffnung, und Annemarie behütet ihn.«

Aber da schluchzte die kleine Frau wieder hell auf.

»Nein, nein! Annemarie soll ihn nicht pflegen. Annemarie ist schuld an dem Unglück, Annemarie hat ihn nach München gelockt.«

Der Medizinalrat öffnete den Droschkenschlag. Er sah unzufrieden aus, aber er widersprach seiner Frau nicht.

Als sie dann alle vier saßen, widersprach dafür Albertine.

»Ich muß es Dir gleich sagen, Mama, wir haben Annemarie unrecht getan. Ich kannte sie damals gar nicht, jetzt kenn' ich sie. Und wenn ihr Hiersein die Ursache des Unheils sein soll, dann sind wir beide schuld daran, denn wir haben sie vom Professorenberg vertrieben. – Oder nein –« setzte sie hastig hinzu, und das Blut stieg ihr brennend ins Gesicht. »Ich bin schuld daran, ich habe mich von meiner Eifersucht dazu verblenden lassen.«

Keine andere Art von Genugtuung hätte Albertinen soviel gekostet, wie dies Geständnis in Wendelins Gegenwart. Aber sie gab sie auch um seinetwillen, und es tat ihr und den anderen gut.

»Ihr habt sie vertrieben?« fragte Heinrich Rinkhart, und seine Stimme klang zum erstenmal etwas lebhafter. Denn obgleich seine Gedanken unbeirrt bei dem Sohn waren, kam ihm doch scharf und deutlich die Erinnerung an den Begräbnistag, der ihm Annemarie entfremdet hatte. Er tat einen tiefen Atemzug. – »Wir haben kein Glück mehr gehabt, seitdem sie weg ist.«

»Vaterchen,« sagte die Mutter leise und strich ihm reuevoll verschämt über die Hand: »Wollen wir sie bitten, daß sie wieder mit heim kommt? Uns zum Trost und unserem Jungen zur Freude? Soll es wieder werden wie sonst, wo uns die Sonne bis in alle Winkel schien und wir immer am Morgen wußten, was der Tag von uns verlangen würde, und wir niemand böse zu sein brauchten, – auch uns selber nicht?«

Ihr Reden war zuletzt zum Flüstern geworden, und der Professor legte seine Hand fest und beruhigend auf die streichelnde seiner Frau.

»Ja, ja, wir nehmen sie mit – sie wird einsehen, daß wir sie brauchen.«

– ›Also das ist das Ende,‹ dachte Hartmut Wendelin. ›Sie kehrt zurück, Hermann Rinkharts nachgelassene Werke sind im Druck, der Professorenberg ist mir in die Wolken entrückt, und ich bin wieder der alte Herr, der weise Narr der Ameisen und Helikonasten, der mit seinen Schellen klingelt, auf daß keiner seine Seufzer höre.‹

Das Jahr war vorbei, in dem er sein Glück hatte schmieden sollen, das Jahr, dessen Mittelpunkt Hermann Rinkhart gewesen war.

Annemarie hatte es genützt, sie stand wieder im Hellen, er aber stieß sich den Kopf an dunkeln Wänden, und wenn er sich's hell machen wollte, gab es für ihn nur das bescheidene Licht seiner Studierlampe. Bei deren Schein mochte er nun aufs neue an die eigene Arbeit gehen. Er konnte den Staub von seinen Retorten blasen, konnte in Laboratorien und auch in der Anatomie nach Erkenntnis suchen, konnte am Mikroskop der Natur Geheimnisse ablocken, kleinspärliche Brocken, die sie ihrem Schüler spöttisch vor die Füße wirft, um ihm die Hauptsache desto sicherer zu verweigern.

Oder, wenn ihm das nüchterne Ja und Nein nicht mehr genügte, das sie auf seine Versuche antwortete, fein säuberlich nachzuzählen, so konnte er Hypothesen spinnen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen auswerfen, hinüber in die andere Welt, wie Fanghaken, ob einer davon das Unbekannte greifen möge – es würde ihn fürder nichts mehr hindern und stören.

Wendelin dachte das in der Unruhe dieses Tages, an dem Hunderterlei zu berichten, zu helfen, zu beraten war, und dachte das gleiche am nächsten Morgen, als er, überflüssig geworden für die Familie Rinkhart, wieder an seinem Schreibtisch saß: ›dem einzig vernunftgemäßen Platz für einen deutschen Gelehrten, dem Platz, auf dem er zu Ruhe kommen würde.‹

Nur täte er gut, das rote Sesselchen in den Winkel zu stellen und Annemaries Tischchen an die Wand zu rücken, denn es war töricht, wenn er sich an sie erinnern ließ. Heute reiste sie ab – sein Jahr war vorbei.

Er gönnte ihr den Professorenberg, er gönnte ihr den Frieden der alten Heimat, er gönnte ihr selbst ihre Spittelleutchen – wenn er nur hätte darunter sein dürfen. Aber sie nicht mehr sehen, nur an all das denken müssen, was ihn täglich beglückt hatte, wie an etwas Gestorbenes –

Wendelin sprang auf und ging durch die Zimmer, über denen das schwere Licht eines grauen Tages lag.

Nicht doch – sie lebte ja. Die Lebenden begleitet die Hoffnung.

Nur er hoffte hier nicht mehr. Seit er gesehen hatte, wie sie Heinrich Rinkharts Hände faßte und hielt, wußte er, daß sie gern ging, und daß der Professorenberg noch heute ihre Heimat war.

›Gib dich darein.‹

Wendelin griff nach seiner Post, die noch ungelesen dalag, wie seine Wirtin sie hereingeschoben hatte. Darauf setzte er sich wieder an den Schreibtisch und schnitt die Briefe auf.

Als er aber eben anfing, seine Gedanken an den Zügel zu bekommen, klang draußen leise die Klingel, Frau Kartlmayer stapfte zur Tür, Frau Kartlmayer stieß Töne des Behagens aus, Frau Kartlmayer entfaltete eine Beredsamkeit, die Wendelin endlos deuchte, und doch stand zwei Minuten später Annemarie auf seiner Schwelle.

Auch sie hatte einen Tag voll Hast und Unruhe hinter sich, der ihr nur flüchtige Gedanken gönnte. Wenn aber das, was sie empfand, aus der Tiefe heraufstieg und sich zu Worten verdichtete, war's immer nur das eine: ›Du hast wieder eine Heimat. Du bist wieder die alte Annemarie, unter deinen Füßen ist fester Grund.‹

Als sie dann am Abend allein gewesen war und Stück für Stück die Koffer füllte, die mit ihr in der Fremde gewesen waren, gingen die Gedanken dies letzte Jahr entlang. Da war es ihr, als liege die Zeit jenseits des Waldfestes hinter Dämmerungsschleiern verborgen, was aber danach gekommen war an Kampf und Sieg, stand im hellen Tageslicht vor ihr. – Der Schrecken war wie ein Stoß gewesen, der sie von ihrem schwankenden Steg hinabgeworfen hatte aufs feste Land.

Nur an eins durfte Annemarie nicht denken in dieser nachtschlafenden Zeit, nicht an das rote Sesselchen, und nicht, daß sie noch einmal zu Wendelin mußte – weil sie es ihm versprochen hatte.

›Wenn ich Albertinen mitnähme?‹ dachte sie am Morgen, als die Stunde kam.

In demselben Augenblick wußte sie auch, daß ihn das kränken würde, und daß nicht feige sein darf, wer festen Grund unter den Füßen hat.

Da sagte sie der kleinen Mama, die in Kathinkas Zimmer untergebracht war, Bescheid und ging schnell hinunter. Der wortreichen Frau Kartlmayer gab sie einen freundlichen Blick, ohne etwas von ihrem Gerede zu verstehen, mit einem Stoßgebet öffnete sie Wendelins Tür.

»Da bin ich,« sagte sie leise, und weil sie ihm ansah, daß er sie nicht mehr erwartet hatte, setzte sie hastig hinzu: »Ich hatte es Ihnen versprochen.«

›Das ist der Abschied,‹ dachte Wendelin und stand auf wie ein alter Mann. Darauf schauten sie einander an, beinahe feindlich sah es aus, und endlich fragte er, weil er sie mit jedem anderen Wort zu verscheuchen fürchtete, wie Morsach sie an der Quelle verscheucht hatte: »Sie kommen von oben?«

»Ja,« antwortete sie schnell. »Es ist alles abgeredet und geordnet. Mit dem Nachtzuge reisen wir. Wir haben einen durchgehenden Wagen, wo Ferdinand im Schwebebett liegen kann. Er ist mit allem zufrieden, er ist wie einer, der nach schwerem Fieber die Welt wieder sieht, wie sie ist. Joachims bleiben hier. Vater und Sohn haben sich ausgesprochen. Onkel Heinrich hat mit dem hiesigen Professor geredet. Ich glaube, ihm ist lieb, wenn er hier nicht selber den Arzt machen muß –« sie hatte immer hastiger gesprochen, nach immer Neuem gesucht, was sie noch sagen könnte – nun ihr nichts mehr einfiel, holte sie tief Atem und endete langsam: »Ich aber gehe heim.«

Annemarie sah an Wendelin vorbei, als sie das sagte, nicht nur mit ihren natürlichen Augen. Sie sah über den Kamm des Thüringer Waldes hinüber in das heimische Tal. Ein Glanz war in ihrem Blick, beinahe wie von Tränen – aber die Lippen lächelten ja, warum hätte sie weinen sollen.

»Sie gehen heim,« sagte Wendelin, »und wir haben Sie verloren.«

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, ging ohne sich umzusehen zu ihrem Platz, setzte sich in das rote Sesselchen: »Sie brauchen mich nicht mehr – die Arbeit ist fertig. Bitte, lesen Sie mir den Schluß Ihrer Arbeit vor.«

Hatte das bitter geklungen?

Wendelin schob die Briefschaften beiseite und nahm sein Manuskript aus dem Kasten. Wie er zu lesen begann, zitterte seine Stimme, aber bald wurde sie fest, und dann las er mit leidenschaftlichem Ausdruck, als ob er damit um die Geliebte werben wolle.

Und er warb auch. Die Worte, die er Hermann Rinkhart nachrief, taten's, die warme Stimme tat's, die Lilien in dem Glasschaft halfen ihm und der kleine Sessel, der seine Arme um Annemarie legte. Alle lieben Erinnerungen, die dieser Raum umschloß, warben mit, und die anderen Erinnerungen an den frohsten und an den traurigsten Tag des Professorenbergs drängten sich heran und ließen sich nicht mehr von diesem Mann und von diesem Schreibtisch trennen.

Ging sie wirklich heim? Ging sie nicht vielmehr wiederum in die Fremde? Verlor sie heute nicht Hermann Rinkhart zum zweitenmal?

Das Lächeln erlosch, und der Glanz ihrer Augen wurde wirklich zu Tränen.

»Ich danke Ihnen,« sagte sie leise, als er zu Ende war, »ich danke Ihnen sehr.« Aber schon, während sie noch sprach, stand sie auf. Der Gedanke: ›Du gehst heim; wenn du auch den Liebsten verlassen mußt, du hast doch eine Heimat!‹ hatte ihr vorübergehend Sicherheit gegeben. Nun das verflogen war, fühlte sie sich wieder hilf- und haltlos in diesem Raum. Das Vorlesen war zu Ende, sie mußte fort, sonst würde sie sich verraten.

Sie war schon bis zur Tür. Plötzlich schämte sie sich ihrer Flucht, blieb stehen und wandte sich zu Wendelin zurück.

Und wenn er's erriete! – Er würde sie nicht darum verachten.

Wendelin lehnte am Schreibtisch und sah ihr nach.

Als Annemarie stehen blieb, atmete er tief auf. Dann sagte er in leidenschaftlicher Hast: »Sie können mich nicht schnell genug verlassen, und Sie sind ja im Recht – ich habe Ihnen so viel zuleide getan. Was hilft, daß ich es gut meinte, was hilft, daß ich bereue. Hoffärtig glaubte ich klüger zu sein als Hermann Rinkhart, aber ich bin ein Stümper gewesen. Ich wollte Ihrem Idealismus ein schreckhaftes Aufwachen ersparen. Ich wollte Ihren Glauben und Ihren Jugendmut zur Selbstverteidigung wappnen und habe Sie in den Kampf gestoßen, ehe die Waffen geschmiedet waren. Ich habe die Natur gelästert, um Ihrer Schwärmerei Widerpart zu halten, und sie selber ist doch weder gut noch böse. Zwei Gesichter hat sie wie Janus, je nachdem wir sie anschauen, werden wir sie finden; auf unsere Augen und auf unseren Weg kommt es an – Sie gingen die sichere Straße, ich aber habe Sie dahin gerufen, wo Ihnen die Fratze entgegen starrte.«

Die Heftigkeit, die seiner Natur so fremd war, machte Annemarie ruhig.

»Grämen Sie sich nicht,« sagte sie sanft, »irgend einmal wär' es mir doch begegnet – das werd' ich wohl haben lernen müssen. Und ich finde mich wieder zu der zurück, die meine und des Verewigten Freundin war. Ich werde hinter den bunten Nebeln die einfache Schönheit wiedersehen und die warmen, stillen Sommerwiesen ohne den schreckenden Panskopf. Nun ich ihn kenne, wird er mich nie wieder verwirren.«

»Ja, Sie werden. Ich aber, der ich Ihnen helfen wollte, kann mir selber nicht mehr helfen, und Sie gehen von mir in Ihrer Kraft und Schönheit.«

»Nein,« sagte Annemarie leise, »nicht so; ich gehe mit Dank und Sehnsucht. Wissen Sie nicht mehr, wie ich hier ankam? Verschüchtert und hilflos, im engen Kerker des Kummers, zwischen den verschlossenen Toren unseres kleinen Lebens? – Sie zeigten mir das Fenster mit dem Blick hinaus und hinauf in die Ewigkeit. – Und als ich zum andernmal hilflos vor den sinnverwirrenden Spukgestalten stand, da haben wieder Sie mir die Waffen in die Hand gegeben, mit denen die sich verscheuchen ließen.«

»Sie sind großmütig, Annemarie,« gab er leise zurück.

»Und dann haben Sie mir das gegeben, was dort auf dem Schreibtisch liegt, ein Stück von Ihm und von Ihnen untrennbar verbunden. Und wenn ich nun gehe –«

Sie brach ab, er aber fuhr mit trockener Stimme an ihrer Statt fort: »Sie gehen auf den Professorenberg, und Ihre Augen strahlen, wenn Sie an die Heimat denken, der nichts auf Erden gleicht.«

Leise schüttelte sie den Kopf. »Sie haben mir einmal offene Augen gewünscht, ich sehe jetzt auch dort manches anders als ehedem. Ich hielt mich für tapfer und gut und die vom Berg hielt ich für ein edles Geschlecht, das mit sicheren Füßen auf den Höhen der Menschheit wandelt. Auch als sie mir wehtaten, klagte ich nur die beiden Fremden an – die Frauen, die von draußen gekommen waren. Aber auf der Höhe wandelte nur der eine. Seit seinem Tod versagen wir anderen. Ich – habe mir nicht allein ins Helle zu helfen gewußt, und die Vettern sah ich klein und schwach. Unter denen aber, die ich für niedrige Talgeschöpfe hielt, fand ich in der hageren Minna verstohlene Opferbereitschaft, in der blassen Lore liebesstarken Todesmut, und die kleine Elsabeth bezwingt mit tapferem Stolz Herzweh und Enttäuschung. – Ich werde auf unserem Berg nicht wieder finden, was er mir damals war und was unwiederbringlich dahin ist. Aber ich gehe doch gern, denn sie sagen, daß sie mich brauchen –«

»Und hier braucht Sie keiner?«

War das eine Frage gewesen? – Eine heiße Glückshoffnung trieb ihr das Blut in die Wangen, eine schreckhafte Angst, sie könne ihn mißverstanden haben, machte ihre Kniee zittern.

»Hier?« sagte sie leise, und ihr Blick glitt über die Lilien in der Sehnsuchtsvase.

Dieser Blick gab Wendelin endlich Gewißheit.

»Darf ich Dich vom Professorenberg holen,« rief er, »Dich holen, Annemarie, herunter ins Tal, ins Gedränge, in die Arbeit –«

Da war das Zittern vorüber und der Schrecken verflogen. »Komme bald,« sagte sie.


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