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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Frau, die weiß und kann und sich doch von dem Herzen regieren läßt. – Es war das Letzte gewesen, was sie von Wendelin gehört hatte. Kaum gehört, als er es sagte, und doch nun im Nachklang, als sei es das Einzige, was er ihr je gesagt habe.

›Das erwarteten sie von Dir – und wie sehr hast Du sie enttäuscht.‹

Bitter war diese Erkenntnis, aber sie half ihr jetzt wenigstens, mit dem Gewittertag fertig zu werden; half ihr Morsach bei Tisch mit kühler Gelassenheit zu ertragen.

Daß Wendelin nicht herüber kam, tat um so weher, tat ihr in der eigenen und in Joachims Seele zugleich weh. Als sie aber endlich allein in ihrem Zimmer war, hörte sie doch wiederum nur jenes letzte Wort, und ihr war, als habe sie ein Vermächtnis Hermann Rinkharts empfangen, spät, doch noch nicht zu spät.

Sich vom Herzen regieren lassen – ob ihr einer weh tat oder wohl, ob sie einer verstand oder mißverstand, ob einer recht hatte oder unrecht, ob etwas schwer war oder leicht – sich vom Herzen regieren lassen: es klang so einfach, es war wie ein Zauberstab, der alle Lasten heben und jede Verwirrung ordnen konnte. Ja – nun galt es nur, ihn dem buntscheckigen, scharfeckigen Leben gegenüber zu gebrauchen, dann –

Da klopfte es, und Fräulein Minna trat linkisch verlegen bei ihr ein.

Annemaries Lächeln überwand die Verlegenheit, das hagere Fräulein setzte sich in das blaugrüne Sofa, legte die Hände übereinander und sagte: »Ein schönes Gesicht ist wirklich eine Gottesgabe. Weil es seine Nebenmenschen froh macht. Das heißt – nein. Es ist nicht immer so, und weil es nicht immer so ist, bin ich hier.«

»Hab ich jemand etwas zuleide getan?« fragte Annemarie traurig.

»Sie?« rief Fräulein Minna entrüstet. »Aber helfen könnten Sie mir. Wollen Sie Ihren Vetter Studenten bereden, daß er herüber zieht? Es täte ihm gut. Und auch die Unbereit macht mir Sorge. Ich möchte Herrn Morsach kündigen.«

»Ferry bereden?« Annemarie erschrak und rief heftig: »Nein, das kann ich nicht!« Gleich darauf tat es ihr leid. Fräulein Minna sah aus wie jemand, der sein ganzes Herz hingehalten und es aus der Hand geschlagen bekommen hat, wie schlechte Ware.

Also faßte Annemarie diese Hand und sagte bittend: »Verstehen Sie mich nicht falsch! Dem Jungen wär's gut, und er wäre gut bei Ihnen aufgehoben, aber seine Mutter weiß uns nicht gern in demselben Haushalt.«

Fräulein Minnas hageres Gesicht lächelte sich jetzt sogar eine Art Verklärung an, und vorsichtig legte sie ihre Rechte auf Annemaries warme Hand, dabei sagte sie heiter: »Nun, so kündige ich Morsach ohne das. Es freut Sie doch, Fräulein Rügemer? Ich habe heute Mittag gemerkt, daß er Ihnen zu viel ist. Wir verlieren eine Einnahme, aber es gibt zweierlei Art Rechnung zu führen. Mich freut's auch, wenn er draußen ist.«

›Sie freut's,‹ dachte Annemarie, als sie wieder allein war, ›und ihre Schwester wird ihr Vorwürfe machen. Wenn ich nur einen Ersatz wüßte.‹

Indem sie überlegte, unter welchem Vorwand sie Morsachs Zimmer als zweites für sich mieten könne, klopfte es, und die Magd meldete »den Herrn Studenten«.

Sonst hatte Annemarie den in ihr Zimmer kommen lassen, heute war ihr das unmöglich. Sie sah ihn immer wieder, wie sie ihn am Libellentümpel gesehen hatte, und das machte ihr ihn zu einem fremden Mann.

»Was fällt Dir denn ein?« sagte er verdrießlich, als Annemarie in das schmale Empfangszimmerchen kam. »Hier kann man ja kein Wort reden.«

»Hast Du etwas Besonderes?«

»Ich brauche dich allein. Deinen Rat brauch ich – deine Teilnahme –«

Er rannte ungeduldig in dem schmalen Gelaß hin und her, ohne Annemarie anzusehen, die still an der Tür stand und an Hermann Rinkharts Vermächtnis dachte.

»Wollen wir ein Stück zusammen gehen?« sagte sie nach kurzem Kampf. »In den Englischen Garten?«

»Das ginge. Aber gleich, mach Dich schnell fertig! Ich warte unten.« Er griff nach seinem Hut und rannte voraus.

Als Annemarie nachkam, stand er mit Kathinka Birk mitten im Weg. Sie lächelte, und er hatte einen roten Kopf.

Kathinka streckte Annemarie mit gnädiger Geberde die Hand hin. »Ihr habt es gut, Ihr könnt ins Grüne; ich soll bei unserer guten Böhning studieren, und es ist so heiß.«

»Sie treiben es jetzt so ernstlich«, sagte Annemarie mit teilnahmloser Höflichkeit.

»Ja, sehr. Drei Rollen studier' ich; wenn ich diese drei Rollen gespielt habe, dann rücke ich meinem guten Papa mit dem fait accompli ins Haus, und das Lenbachsche Porträt nehme ich ihm als Beruhigungstropfen mit.«

Dazu lachte sie hell und fröhlich wie ein Kind, das einen niedlichen Schabernack plant.

Annemarie nahm sich zusammen. »Ich wünsche Ihnen alles Gute dazu,« sagte sie freundlich und meinte eine Entschuldigung für Kathinkas sprunghaftes Wesen gefunden zu haben. »Ich kann mir denken, wie schwer das gewesen ist, bis die Liebe zur Schauspielkunst die allerlei Vorurteile Ihrer Erziehung besiegt hat.« Kathinka lachte hell auf. »Ach nein, Fräulein Rügemer, so ist die Sache nicht. Nie hatte ich daran gedacht, überhaupt an keinen Beruf, ehe die Böhning von meinem Talent phantasierte. Aber das Leben ist so langweilig, immer dasselbe, und wenn man älter wird, hört es ganz und gar auf. Das Theater hält jung, und ich soll ja so wie so alle Stunden eine neue interessante Rolle spielen. Nicht wahr, Herr Rinkhart? Es sagen's alle, Freund und Feind, Sie haben's ja auch gesagt.« Sie blinzelte schelmisch übermütig zu ihm hinüber, der entzückt und verstimmt neben den beiden Schönheiten stand.

»Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr zu solchen Kindereien, jetzt studiere ich die Adelheid, Rautendelein und Gretchen.«

»Ob Sie das Gretchen spielen können?« sagte Annemarie unwillkürlich.

Da war Kathinka kein lachendes Kind mehr, die schlanke Gestalt reckte sich, es blitzte hochmütig in den flimmernden Augen. »Wenn ich nicht alles kann, kann ich gar nichts.«

»Natürlich kann sie es,« sagte Ferdinand heftig, als Kathinka außer Hörweite war. »Aber ist das nicht Wahnsinn? Der Vater will nicht, die Mutter will nicht, ich will nicht« –

»Du?«

Ferdinand errötete.

»Ja, Annemarie. Das wollte ich dir eben erzählen, daß ich da etwas zu wollen habe und sie auf mich hören muß, und« –

»Weil Ihr euch im Walde geküßt habt?« Annemarie sprach es sehr leise, ohne ihn anzusehen.

»Wenn du es weißt,« rief er, »wie kannst du fragen!«

Sie rannten nebeneinander im schnellen Schritt über die Ludwigstraße. Atemlos er, atemlos sie. Und in dieser Atemlosigkeit erzählte er ihr, wie er schon lange fühle, daß Kathinka ihm gut sei, daß er's seit dem Waldfest wisse, daß diese Studiererei eben auch nur eine Rolle sei um ihn zu necken, weil sie necken müsse. Daß er sich aber nun mächtig mit dem Examen eilen wolle, sofort danach sich mit Vaters Hilfe habilitieren und mit der Geliebten den Professorenberg beziehen.

»Und an unsere Eltern will ich schreiben und dem Bienenstock will ich die Braut vorstellen, damit dieser Rattenfänger, der Morsach, seine verdammte Kurschneiderei läßt. So etwas wie gestern Abend und heute Morgen ertrag ich nicht. Aber sie wehrt sich. Sie wolle nicht Braut genannt werden, sagt sie, ihre Mutter werde sofort nach ihr telegraphieren, sagt sie, und es sei aus mit uns, wenn ich indiskret sei. Das ist doch Wahnsinn, Annemarie, wenn man sich lieb hat! – Und mit der Mutter läßt sich natürlich reden, die lockt man her und schmeichelt ihr's ab. Du aber, – tu mir den Gefallen, Annemarie, – Kathinka hält viel von Dir, sie ist ja anfangs sehr zuvorkommend gegen Dich gewesen, aber Du warst so kühl – sei jetzt ein wenig nett mit ihr, ja? Und setze ihr das alles verwandtschaftlich auseinander.«

»Ich?«

»Du mußtest doch zu Hause allzeit mit dem reden, der keine Vernunft annehmen wollte. Damals wehrtest Du Dich nie.«

›Damals,‹ dachte Annemarie, ›als ich noch oben wanderte auf meiner Glückshöhe und noch an mich glaubte. Aber nun bin ich selber unten im Gedränge, wo man von der Sehnsucht lebt und die Wege nicht mehr übersieht, wo einem die besten Worte nichts helfen.‹

»Annemarie!« sagte Ferdinand dringend.

Da raffte sie ihre Gedanken zusammen und antwortete ihm: »Aber, Ferry, mir scheint, sie hat recht.«

»So,« brauste er auf, »das findest Du? Du meinst, so dürftet ihr Frauen mit uns umgehen: Hoffnungen wecken und dann wegwerfen wie alte Handschuhe. Deshalb mußte Nöhring enttäuscht und bekümmerten Herzens nach Hause fahren.«

Nöhring? Annemarie erschrak. Das sollte ihr auch noch auf der Seele lasten? Nein, sie schob es von sich, mochte jeder mit seinen eigenen Torheiten fertig werden. Und Ferdinand mußte das auch.

»Kathinka hat dennoch recht,« wiederholte sie fest. »Mag sie vorher unrecht gehabt haben. Wie kannst Du Dich binden, ein Knabe, der noch nicht weiß, was er in zwei, drei Jahren fühlen wird.«

»Ich bin kein Knabe mehr.«

Annemarie blieb stehen und sah ihn an. Er war verändert, ein schöner blühender Jüngling stand vor ihr, den die Kraft seiner Liebe hoch über den Pfaden der Wirklichkeit hinfliegen ließ, aber kein Mann, der nüchtern praktisch mit dem Leben fertig werden konnte, als ein guter Hausvater. Und wie oft würde er sich noch verwandeln!

Über diesem Anschaun fing das Herz wieder an zu reden. Sie vergaß den Libellenwinkel; er wurde ihr wieder der Kinderfreund vom Professorenberg, und ihm verging vor ihrem gütigen Blick die Empfindlichkeit über ihr »Mißverstehen«. – Sie war es ja doch: seine Annemarie, sein Zwilling, dem er alles sagen konnte.

Und nun kam im Weitergehen eine lange traurige Klage über seine große Liebe und über all die wundervollen und quälenden Eigenschaften seiner Angebeteten. Alles, alles kam, was liebende Herzen fühlen, nur kein Zweifel daran, daß auch er von einem großen flammenden Herzen geliebt werde.

Anfangs hörte Annemarie zu, mit Rührung und Verwunderung, dann aber, als in ewig gleichem Rhythmus das gleiche Hohelied erklang, kamen die eigenen Gedanken wieder. Wie war doch selbst diese große Liebe klein und leicht zu nehmen gegen das Gespenst, das Joachim bedrohte! Alles andere hatte Zeit, und wo Zeit ist, ist Hoffnung. Entweder Kathinka liebte Ferdinand und wartete auf ihn, oder er überwand seine Schwärmerei. Das war so einfach. Joachim aber –

»Willst Du mir die Liebe tun und Thinka als Schwester begrüßen und behandeln, Annemarie?«

Sie hörte nur den Frageton und sah Ferdinand verständnislos an. Da brauste er auf. »Wenn du nicht willst – wenn du nicht einmal zuhörst –!«

Brach wieder ab, lief mit großen Schritten in den nächsten Seitenweg und verschwand.

Annemarie war's, als sei ein tosender Wasserfall plötzlich verstummt. Sie stand im Schatten einer blühenden Linde, der feine Duft umhüllte sie, der Rasen leuchtete wie Edelstein im Sonnenlicht. Ein kleines klares Wasser bewegte sich langsam durchs Gras, und drüben stand buntes Laub, Rotbuchen bei Silberpappeln, dunkle Tannen bei lichtem Birkengehänge. – Wie schön war die Welt, – und Joachim war fertig mit dieser schönen Welt, ehe denn er fertig geworden. Wohl hatte sie durch das Fenster hinausgeschaut in die himmlische Herrlichkeit; aber sie blendete den Blick wie das strahlende Sonnenauge, das dort über den Tannen dem Horizont zuglitt. Und wußte sie, Annemarie, denn, ob das düstere Tor, das sich Joachim weit und bedrohlich öffnete, der Weg zu jenem Glanze war? –

Ein Pfauenauge schwebte schweren Flugs über die Wiese, zwei Zitronenfalter flirrten kosend höher und höher ins Blau, und aus dem Busch kam ein leises verschämtes Zirpen: junge Brut, die ihre Kehlen prüfte.

Eine tiefe schmerzliche Sehnsucht nach dem heimischen Berggarten kam über sie. Dort auf der Bank sitzen, vom Grün geborgen, und hinaus sehen über die weichen Höhen, die sich im Abendlicht röten, und fühlen, daß im Hause Frieden und Freude auf einen warten. Und keine Aufgaben, denen weder das Wissen noch das Können gewachsen ist. – Das Blut stieg Annemarie ins Gesicht. Sie wußte auf einmal, wie verkehrt sie es mit Ferdinand angefangen hatte, weil sie mehr an ihr Mißbehagen über Kathinka gedacht, als an ihn, und nun fiel ihr auch noch ein, was im Ameisenhügel auf sie wartete und was sie um keine noch so friedliche Schönheit der Welt warten lassen durfte.

Schnellen Schrittes ging sie der Stadt zu. Dabei überholte sie eine Spaziergängerin, die langsam durch die Sonne schlich.

»Sie sind es, Fräulein Hierling,« fragte sie erstaunt. »Haben Sie sich den Fuß verletzt?«

Die blasse Lore wurde für einen Augenblick dunkelrot, dann sah sie Annemarie mit verlegenem Lächeln an.

»Nein – es ist nur – wenn Dore mich nicht sieht, lasse ich mich ein bißchen gehen.«

Jetzt erschrak Annemarie; das sagte so viel. – Hatte das kleine Ding denn schon immer so krank ausgesehen und keiner ihrer übereifrigen Mitmenschen hatte es gemerkt?

»Wollen wir uns ein wenig setzen, ehe wir weitergehen?« fragte sie zögernd.

Lore gab nach, und als sie saß, schloß sie die Augen, müde, ganz müde. Annemarie betrachtete die jungen hübschen Züge, die so welk und leidend aussahen und doch so still und ergeben.

»Wollen Sie mir nicht sagen, was Ihnen fehlt?« sagte sie endlich mit der Stimme, die so sanft und mutig klingen konnte, sobald sie sich selber vergaß.

Lore öffnete die Augen und sah Annemarie an. Sah Kraft und Schönheit und dachte: wer den Kopf an deine Brust legen dürfte, der wäre geborgen. – Aber auch in ihre Augen sehen und reden war Erquickung, reden können – einmal reden! –

»Ja, ich will es Ihnen sagen. Ich hab' einen freien Nachmittag, da konnt' ich allein ausgehen und war beim Arzt. Ich hätte danach gleich nach Hause gesollt, aber wir haben's so heiß, und ich dachte, das Grün und die Luft machen doch Kräfte.« Sie schüttelte den Kopf. »Beinah traurig hat mich's gemacht. Das ist alles so schön, und es bleibt doch dabei, mir ist nicht zu helfen. Nur, Dore soll es nicht eher merken als nötig ist. Meine arme lustige Dore! – Denken Sie nicht schlecht von mir, sonst bin ich tapferer. Der Sonntag war zu anstrengend für mich; wenn man sehr matt ist, wird man feige.«

»Aber Fräulein Lore,« flüsterte Annemarie, »liebe, kleine Lore, Sie fangen Grillen. Sie sind noch so jung.«

Lore schüttelte den Kopf. »Eben weil ich so jung bin. Mir ist nicht zu helfen. Ich bin auch schon fertig damit. Ich habe viel Schönes erlebt, und die Bienen jetzt und die Ameisen – wenn ich mit denen zusammen bin, ist mir, als lese ich in meinem Gedichtbuch. Nur um Dore sorg ich mich noch, um meine lustige Dore – aber auch das –« Lore sah in die Ferne hinaus mit einem Ausdruck tiefen Vertrauens, das ihre kleine kranke Gestalt zu rührender Schönheit verklärte. »Das Rechte wird für sie kommen.«

›Die ist damit fertig geworden,‹ dachte Annemarie, ›dies kleine armselige Ding in seinem heißen Stübchen, das Gott weiß wie jämmerlich ist, in Last und Plagen, unter Arbeit und Entbehrung, im Angesicht aller ungenossenen Freuden des Lebens ist sie damit fertig geworden – und Joachim – und Ferdinand – und ich –‹

»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?« fragte sie dann hastig.

»Ich?« Lore sah plötzlich fast froh aus.

»Ja, mir und Fräulein Minna, Elsabeth und vielleicht auch Ihrer Dore.« Und dann bot sie den Schwestern eine Sommerfrische in Morsachs verwaistem Zimmer an.

Das Blut stieg Lore in das schmächtige blasse Gesichtchen. Alle Vorteile, die ihrem kleinen knappen Haushalt dadurch erwuchsen, die kühleren Nächte, die Ablenkung für die Schwester, kamen ihr mit einem Schlag vor die Seele. »Ach«, stammelte sie, »ach ja – aber dies viele Geld, liebes Fräulein Rügemer.«

»O Kind,« sagte Annemarie, »das Geld! Ich habe Geld genug und kann mit meinem Geld weder Ihnen noch Elsabeth noch – den andern helfen.«

Lore nahm Annemaries Geschenk an, wie Sterbende nehmen: sie wehrte sich nicht mehr gegen das Gute, was ihr kam, und dachte nicht mehr an Vergelten und Ersetzen; alles Kleinliche war schon von ihr abgefallen.

Fräulein Minna murrte zunächst. »Sie wollen mir wohl Schelte ersparen? Reden Sie mir keine Lügen vor – ich kenne Sie. Aber der Blaubart ist fort, und die Dinger können kommen.«

Annemarie mußte lachen, lachend schüttelte sie Fräulein Minna die Hand. Da lachte auch die in tiefen fröhlichen Tönen und ging lachend in ihre Küche.

Tante Pinchen sah ihr staunend nach: »Wir bekommen südliches Klima, die Gletscher schmelzen!«

Nun war eine sanfte Freude in Annemaries Herzen, als sie mit Joachim und Elsabeth ins Theater fuhr, aber die kleine Freude blieb nicht lange am Leben, Joachim sah allzuübel aus und seine Laune war gallig. Er hatte sich den Tag über zuviel zugemutet und wollte sich nicht zugeben, daß Wagners Siegfried, den er erzwungen hatte, an seinen Nerven reiße.

Annemarie hörte nichts von der Musik. Angstvoll beobachtete sie Joachim, suchte in seinem Gesicht nach den Spuren der Krankheit und in seinem Wesen nach den Zeichen der Seelennot. Mimes Gewimmer und Wodans Weisheit gingen ihr verloren, erst als Siegfried Nothung schmiedete, das neidige Schwert, kam etwas von dieser Kraft und Siegesstimmung über sie.

Elsabeth tat es gut; Elsabeth glühte und jubelte. Solange noch ein Ton aus der Tiefe dieses wunderbaren Orchesters heraufklang, war Guido Morsach vergessen.

Joachim aber sagte, als der letzte Ton verklungen war, bitter: »Das hat er ganz fein herausgearbeitet, der Hexenmeister von Bayreuth. Erst fällt Mime über uns her, die tückische Verkörperung des ekeln Alltags. Dann zerreißt die Doppelliebe unser Leben, weil wir über der klugen Gutrune die Feuerbraut unseres Herzens vergaßen, und am Ende trifft uns hinterrücks das tückische Ungeheuer Tod.«

»Prr!« rief Elsabeth fröhlich. »Was haben Sie für eine grimmige Phantasie! Aber so ist es gar nicht: am Ende ziehen wir jubelnd über die siebenfarbige Brücke in Walhalla ein, und alle irdische Unvollkommenheit ist von der heiligen Flamme verzehrt.«


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