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Sechzehntes Kapitel.

Ferdinand Rinkhart lief in Annemaries Zimmer auf und ab, schwatzte, berichtete, schlug Terzen durch die Luft und war aufgeregt fröhlich.

Morsach saß drüben hinter der filzverhangenen Tür am Flügel, hörte das Hallo, ohne etwas zu verstehen, und griff, sowie es stiller wurde, einen kräftigen Akkord, als wolle er jemand aufschrecken.

Annemarie saß in ihrem kleinen Sofa, die gefalteten Hände lagen auf dem Tisch, die Augen folgten Ferdinands Zickzacklauf. Bei seiner Ankunft hatte er gesagt: Die Mama findet es schicklicher, wenn wir nicht im gleichen Hause wohnen. Das verletzte sie wieder, aber nun er die Wohnung hatte und sein erster Weg von drüben ihr galt, wurde ihr weich und warm ums Herz.

›Ich will gut mit ihm sein,‹ dachte sie, ›ich will nicht rechten und feilschen, noch mir Gedanken darüber machen, wie sie es auslegen könnten. Ich will ihn ja nicht an mich ziehen, seine Mutter soll ihn behalten. Aber ich will ihm geben, was er braucht, damit er nicht an fremden Türen betteln geht. Es ist mir lieb und leid, daß er auf dem Helikon untergekommen ist.‹

Als Ferdinand sich vom Professorenberg und von Berlin ausgeschwatzt hatte, wurde er seßhaft, holte das Münchner Vorlesungsverzeichnis aus der Tasche und beriet mit Annemarie, was er belegen mußte und was er außerdem noch genießen könne.

Dabei wurde ihnen beiden heimatlich zumute, denn so hatten sie schon einmal zusammen gesessen in einer großen, lichten Stube, vor deren Fenstern Baumwipfel hin und wieder schwankten, nur daß da noch ein dritter bei ihnen gewesen war. An den dachten sie beide, als Ferdinand sagte: »Ich will ihm Ehre machen.«

Das wollte er wirklich. – Hatte sich Wendelins härtere Natur von dem Vorbild des Lebenden so stark beeinflußt gefühlt, daß er fliehen mußte, um seine Persönlichkeit zu retten, der weichen, blonden Jugend Ferdinands war auch noch der Verstorbene stark genug. Solange er den Blick auf ihn richtete, würde er seinen Weg nicht verlieren: Ferdinand fand seine Zukunft in Hermann Rinkharts Spuren, wollte siegen wie er und leben wie er, auf der Höhe des Professorenbergs – nur die »rechte Hand«, die konnte einem ja dann noch näher am Herzen stehen.

Einmal, in einer reichen Abendstunde, vor des Studenten erster Ausfahrt ins Leben, hatte Rinkhart den beiden erzählt, wie es gekommen sei, daß er allein geblieben war. Eine ganz alltägliche Geschichte, aber für die Jugend »seine Geschichte«. – Die, nach der sein Herz verlangte, in der Zeit, wo der Jüngling zum Manne ward, bekam er nicht. An der Liebeverklärten gemessen, blieben alle anderen unter dem Maß, und später, als er Menschen und Leben wieder mit gerechten Augen zu sehen vermochte, war er in seinem einschichtigen Arbeitsleben zu fest gewurzelt, als daß er es ohne den Trieb der Leidenschaft hätte ändern mögen. Dieser Trieb kam nicht wieder, »aber,« schloß Hermann Rinkhart seinen Bericht und strich Annemarie über die rosige »rechte« Hand, »ohne Dich und Deine lebendige Jugend wäre ich doch wohl ein halber, ein einsamer Mensch gewesen.«

Daran dachte der Student, als er auf dem Ameisenhügel Arbeitspläne entwarf, die weit straffer aufs Ziel losjagten als bisher, und wußte ganz genau, daß er sich nicht würde zur Einsamkeit verurteilen lassen, weil irgend eine – schlechten Geschmack habe. – Was er ja freilich auch gar nicht für möglich hielt.

Dank dieser Überzeugung lag ihm ein sonniges Lächeln um Lippen und Augen, als er auf den Vorsaal voller Kleiderschränke trat und gegen Morsach anprallte.

»Da sind Sie ja,« sagte der grämlich. Er sah aus, als ob er gewartet habe. »Ich komme mit auf den Helikon.«

Ferdinand hatte Morsach gern, denn sowie er ihn sah, spürte er allen Rausch und Glanz des Narrenkappenabends wieder; mit sichtbarer Herzensfreude schüttelte er dem Virtuosen die Hand.

›Dem ist ja mächtig wohl geworden da drinnen,‹ dachte Morsach und redete treppab von Elsabeth Unbereit, was für ein lieber Kerl das sei.

Ferdinand hörte halben Ohres zu. »Ja, die Mädel sind hier alle riesig nett.«

Über die Gasse hinüber, auf der die Aprilsonne brannte, redete Morsach von Josephas Grazie, die dem Betrachter immer neue Überraschungen bereite, weil sie selbst dem lächerlichsten Zufall gewachsen sei.

Ferdinands Blicke kletterten am Nachbarhause hinauf, bis sie die Helikonfenster erreichten. Durch zwei davon konnte Kathinka Birk auf die Straße sehen.

»Josepha? Ist das die Haustochter oben?« Ferdinand wußte kaum, ob die braun oder blond war.

Morsach ließ die Haustür ärgerlich ins Schloß springen, dann redete er treppauf von »den beiden Schönheiten«.

Ferdinand Rinkhart wurde warm: »Nicht wahr? – Ich weiß manchmal wirklich nicht, welche von beiden die Schönere ist.«

›Du weißt nicht,‹ dachte Morsach. ›Ei, bleib du auf deiner Seite!‹ – Und oben, wo er sich zum Kaffee lud, sagte er allen etwas Liebes, Kathinka Birk aber machte er zum Mittelpunkt des fröhlichen Kreises.

Das ging dem Studenten ins Blut, freute ihn, reizte ihn und feuerte ihn an. In dieser Stunde wußte er ganz genau, welche die Schönste war, und als Josepha nach dem Kaffee die Tür ihres Dachgartens öffnete und mit liebenswürdigem Eifer ihre Frühlingshoffnungen vorzeigte, trat Ferdinand an Kathinkas Seite, deutete auf die sprießenden Ranken und sagte mit schwingender Stimme: »Hier sollen uns im Sommer Rosen blühen.«

Kathinka lächelte ihn an. Sie sollen blühen, antworteten ihm ihre Augen. Und dann gingen Blick und Lächeln zu Morsach hinüber, der die alte Dame in den Sonnenschein führte. Kathinka war sie unbehaglich, weil ihr dieses welke, blasse Gesicht, das einst sehr schön gewesen sein mußte, zu sagen schien: Und das ist das Ende.

Morsach aber stand sein Führeramt gut, denn all die liebenswürdige Ritterlichkeit, deren seine Natur in kurzen Anläufen fähig war, kam dabei zutage, und seine Augen schauten warm und ehrlich geradeaus; erst in das alte Gesicht und dann auf das junge Paar.

Ganz genau meinte Kathinka zu wissen, warum er sie heute auszeichnete, und das machte ihr Ferdinand Rinkhart lieb.

›Ordentlich gut sieht sie ihn an,‹ dachte Morsach, ›und dabei steckt doch irgend eine Teufelei dahinter. Sie kann einfach nicht gut sein.

›Kannst du es etwa? Am Fasching wolltest du dies grüne Gemüse vor dem schönen Fräulein Ichsucht behüten, und jetzt möchtest du es ihr ausliefern, nur damit der Bub nicht drüben herumschwärmt. Pah. Man hilft sich wie man kann. Mag er dergleichen tun.‹

›Der Bub‹ verlangte nach keiner Hilfe; er genoß sich und seine Jugend. München lachte ihm, die leichte Helikonluft gab ihm leichte Füße, Annemaries Teilnahme stachelte seine Arbeitslust, und über dem allen leuchteten die Augen, die zu jedem: komm, komm! sagten.

Mit dem, was er über die Gasse trug, tat er Annemarie wohl, denn dies war eine neue Art mit Hermann Rinkhart zu leben – tröstlich, wo sie voll banger Wehmut sah, wie auf Wendelins Tisch der Arbeit für sie immer weniger ward. Tröstlich, wo Wendelin selbst an den Sonnabenden seltener und seltener zu sehen war und seinen Mittagstisch häufig versäumte.

Sie begann sich um die Professoren der Ludwig-Maximiliana zu kümmern und las die Bücher, die ihr des Zwillings Arbeit erläuterten. Sie wendete Mühe und Fleiß an ihn und merkte erst nach geraumer Zeit, daß er seltener kam, und daß, wenn er kam, seine Berichte durch vielerlei Worte verschleiern mußten, wie wenig Gelerntes es zu berichten gab.

Er selber wußte es kaum. Das Bummeln, wuchs so nach und nach auf dem Wege des einmal ist keinmal. – Wenn Kathinka Birk ihm des morgens über seinen Weg glitt wie ein Sonnenstrahl, was wunder, daß er dem nach sah – heute, nach ging – morgen; wir sind allzumal Sonnenkinder.

Und war's am Montag nur ein Umweg, der zehn Minuten Kolleg kostete, so war's am Mittwoch ein Gang über die Brücke, der ein kleines Verlaufen mit sich brachte, und am Sonnabend eine Wanderung in die Pinakothek, wo ihm dann freilich die Zeit in Sprüngen davonlief.

Dort gingen sie von Zimmer zu Zimmer, von Bild zu Bild. Solange Ferdinands Gewissen noch wach war, sagte er: man muß auch diese Dinge studieren, nichts Schlimmeres als ein Mensch, der über die Pappwände seines Fachs nicht hinausschaut.

Schlief das Gewissen erst, dann sah er überhaupt kein Bild mehr. Sah nur Kathinka, wie sie durch prunkende Säle wanderte und durch trauliche Zimmer voll Glanz und Lieblichkeit; ging, wo sie ging, und schaute nicht, was sie schaute.

Deutete sie zu den lebensfrohen Gestalten Tizians hinauf oder zu Karlo Dolcis schmachtenden Frauen und sagte: »Sind sie nicht schön?« – so antwortete er, ohne den Blick zu heben: »Lebendiges ist schöner.«

Dann lachte sie lieblich und sah ihn schelmisch an. Wenn ihn aber die Lieblichkeit mutig machen wollte, dann ließ sie all ihren Übermut, all ihre Wandlungsfähigkeit vor ihm spielen und entkam seinem Ernst, wie die Motte durch flirrenden Flug der Gefahr entrinnt.

Und weil sie seinem strahlenden Selbstvertrauen dennoch sicher war, und seine reine Jugend dabei doch so glückselig bescheiden blieb, folgte er nur immer leichter und fröhlicher, wohin sie lockte.

Sie aber konnte gar nicht genug von ihm haben, seine Anbetung, die er prahlend zur Schau trug, wie das Burschenband im ersten Semester, tat ihr wohl. Sie beruhigte ihr leises Sehnen nach Wendelins Bewunderung und ihr heißes Verlangen nach Morsachs Leidenschaft. Beruhigte und nährte die Hoffnung. Morsach hatte recht gesehen, sie war ›dem blonden Bub‹ wirklich gut. Und es freute sie, wenn er um ihretwillen seinen ›Zwilling‹ vergaß, an dem sie im Guten und Bösen bisher so wenig Freude gehabt hatte.

Es dauerte lange, ehe Annemarie begriff, was an Ferdinands Zerstreuung schuld war; dann aber hatte sie wieder das unheimliche Gefühl der Schlangennähe und zog sich mit stiller Abwehr von ihm und ihr zurück. Sie machte sich Vorwürfe darüber, sie rief sich ihre guten Vorsätze ins Gedächtnis, aber sie konnte es nicht überwinden.

Morsach hatte seine Freude daran.

»Ihr Zwilling ist ein Windhund,« sagte er in behaglichster Stimmung und kränkte sich dann darüber, daß Annemaries Augen traurig wurden.


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