Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schluß

Auf dem kristallhellen Wasser der Reede von Callao lag mit qualmenden Schornsteinen der englische Dampfer. Am Heck wehte die Flagge; der erste Signalschuß, das Zeichen der Abfahrt kündend, war schon gefallen.

Vom Land ab eilte noch eine Menge von Booten dem rauchenden Ungetüm zu, um Passagiere, die den letzten Augenblick abgewartet hatten, an Bord zu bringen. In einem von ihnen stand vorn im Bug allein ein junger Mann und wehte schon mit dem Tuch Grüße hinüber, die in gleicher Weise von Bord aus erwidert wurden. Es war Rafael, und oben auf Deck stand Lydia mit Deringcourts und einem Schwarm ihrer peruanischen Anbeter, die ihr hier noch das letzte Lebewohl sagen wollten.

»Ich glaubte schon, Sie würden nicht Wort halten!« rief ihm das junge Mädchen entgegen und ergriff die ihr gebotene Hand.

»Haben Sie das wirklich geglaubt?«

»Nicht so recht«, lächelte Lydia mit herzlichem Ton; »aber Sie zögerten so lange.«

»Mein Pferd stürzte unterwegs und verletzte sich am Knie, so daß ich den halben Weg zu Fuß gehen mußte.«

»Das nenn' ich Aufopferung!« rief Lydia mit einem dankenden Blick – »und was für Abenteuer haben Sie indes wieder erlebt!«

»Nicht viel, aber eine Neuigkeit kann ich Ihnen wenigstens bringen: den Señor Perteña hat sein Schicksal erreicht – er fiel von der Hand seines eigenen Mordgehilfen, der mir auflauern wollte, und dieser, ein Cholo, von seinen Wunden und einem zweitägigen Säuferwahnsinn an Geist und Körper gebrochen, hat jetzt die umfassendsten Aussagen über den Verbrecher gemacht. Er war es wirklich, der im Karneval den Raub bei Ihnen ausführte.«

»Ich wußte es«, sagte Lydia zusammenschaudernd, »als ich nur sein Lachen hörte – aber fort, fort mit diesen entsetzlichen Erinnerungen, die sollen uns die letzte Stunde nicht verbittern! Ah, was ist das?« rief sie, als die meisten der an Bord Befindlichen nach der anderen Seite des Decks hinüberdrängten, wo eben eine französische Fregatte, die leichte Brise benutzend, mit Hilfe der Schraube und geblähten Segeln die Reede verließ, »oh, wie schön das aussieht!«

»Das ist die ›Glourieuse‹, die jene armen Insulaner wieder in ihre Heimat zurückführt. Sie hat so lange warten müssen, weil noch einzelne im Land zerstreut waren.«

»Und das ist Ihr Werk«, sagte Lydia herzlich, »daß die unglücklichen Menschen ihrer Heimat wiedergegeben werden!«

»Doch nicht so ganz«, lächelte Rafael; »ohne Sie, den französischen Konsul und des Präsidenten guten Willen wäre das kaum so rasch geschehen. Ich habe nur die Hand mit angelegt.«

»Aber die erste, und das Bewußtsein, diese Menschen glücklich gemacht zu haben, wird Sie belohnen! – Aber jetzt muß ich mich noch einen Augenblick der Gesellschaft widmen – die Herren werden sonst eifersüchtig, wenn ich mich mit Ihnen so lange unterhalte!«

»Und von wem haben Sie den wundervollen Blumenstrauß? War Ihr Lieferant auch noch hier? – Ich sehe ihn nirgends«, fragte Rafael.

»Nein«, flüsterte Lydia mit einem verstohlenen Lachen, »der ist von einem neuen Verehrer an Bord, dem ersten Offizier – aber verraten Sie mich nicht! Oh, ich habe schon wieder brillante Aussichten auf eine sehr interessante Reise und«, setzte sie hinzu, indem sie sich zu ihm überbog, »hätte Sie eigentlich vorher um einen kleinen Vorrat von Locken ersuchen sollen! Apropos, wissen Sie wohl, daß es sehr ungalant von Ihnen ist, mich nicht einmal um eine gebeten zu haben?«

»Mit der Warnung«, lachte Rafael, »die ich an dem armen Schweden genommen habe . . .«

»Hahaha, unser guter Stierna – denken Sie, er hat mir noch gestern, wahrscheinlich um mich unglücklich zu machen, seine Verlobungskarte geschickt.«

»Ob er wohl noch meine Locke trägt?«

»Schwerlich!«

Das Gespräch wurde hier unterbrochen. Der zweite Kanonenschuß fiel, ein Zeichen für die nicht Mitreisenden, in ihre Boote zu steigen und den Dampfer zu verlassen, der anfing, seinen Anker zu heben.

»Was ich Sie noch fragen wollte, Señor«, wandte sich Lydia noch einmal an Rafael, »können Sie mir nicht sagen, was aus Señor Desterres geworden ist und welche Strafe er erleiden wird, da er um die Vergiftung Ihres Onkels doch jedenfalls gewußt hat?«

»Zufällig habe ich eben auf der Bahn nach Callao jemand gefunden«, erwiderte Rafael, »der mir genaue Auskunft darüber geben konnte. Señor Desterres ist zum Präfekten einer der bedeutenderen Städte des Innern ernannt worden.«

»Zum Präfekten?«

»Die oberste Gerichtsbehörde eines Distriktes.«

»Ja, aber wie ist das möglich?« rief Lydia erstaunt – »der Präsident weiß doch . . .«

»Daß Señor Desterres sehr viele einflußreiche Freunde in Lima hat, die durch eine genaue Untersuchung sämtlich sehr in Verlegenheit geraten könnten, und da er doch Beamte haben muß, so hielt er es für besser, den Herrn aus dem Weg zu schicken.«

»Als Präfekt!« rief Lydia, die sich von ihrem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte.

»Wären Sie länger in Peru gewesen, so würden Sie das gar nicht so außerordentlich finden«, lächelte Rafael. »Es fallen da oft noch viel merkwürdigere Sachen vor.«

»Unerklärlich!« sagte Lydia, »aber wissen Sie, daß mir der Präsident noch gestern meinen ganzen Verlust, den ich im Karneval erlitt, aus seiner eigenen Kasse hat vergüten lassen?«

»Das sieht ihm ähnlich«, sagte Rafael; »er zahlt gewöhnlich selber, um nur Ruhe zu haben. Aber auch Sie sind mir noch etwas schuldig, Lydia, Ihre Adresse«, sagte Rafael. »Erinnern Sie sich nicht, daß Sie mir versprachen, mir den Namen Ihres künftigen Gatten zu nennen, damit wir Ihnen einmal nach Frankreich schreiben können?«

»Meines künftigen Gatten?« sagte Lydia erstaunt, »ich weiß mich wirklich nicht zu erinnern, daß ich von dem je gesprochen hätte.«

»Aber Sie sagten mir doch selber, daß Sie einen Bräutigam in Frankreich hätten!«

»Einen Bräutigam? Ja, – aber hatte ich Ihnen auch gesagt, daß es ein Mensch sei?« flüsterte Lydia, und ihre Augen nahmen einen ganz eigentümlichen Glanz an. »Es ist kein Mensch, Don Rafael, es ist ein Gott, und«, setzte sie jetzt wieder mit ihrem alten Lächeln hinzu, »meinem Geschmack dürfen Sie schon zutrauen, daß ich mir den schönsten der Götter ausgesucht habe – er heißt Apollo!«

»Lydia!«

»Meine Herrschaften, der Anker ist auf – das Schiff fährt gleich ab und Sie werden mit in See genommen!« tönte der Warnungsruf über Deck, denn das Abschiednehmen hört in solchen Augenblicken gar nicht auf.

»Lydia, meine liebe Lydia, leb' wohl!« rief Adele und flog dem jungen Mädchen noch einmal um den Hals. Alles drängte herbei, der Sängerin zum letztenmal die Hand zu schütteln und ihr eine glückliche Reise zu wünschen. Dann kletterten die Leute hastig in ihre Boote hinab, um aus dem Bereich der schon langsam arbeitenden Räder zu kommen.

Rafael, der sein eigenes Boot allein für sich hatte, war bis zuletzt an Bord geblieben. Jetzt, als auch die letzten von der Sängerin Abschied genommen hatten, reichte er Lydia noch einmal die Hand und sagte leise und tief bewegt:

»Leben Sie wohl, Lydia, und wo Sie auch immer weilen, seien Sie versichert, daß hier in Peru ein Herz mit treuer Freundschaft Ihrer gedenkt!«

»Ich weiß es«, lächelte das junge Mädchen, und Tränen glänzten in ihren Augen – »leben Sie wohl, Don Rafael, seien Sie glücklich, und diesen Kuß bringen Sie noch Ihrer Juanita von mir! Sie dürfen ihn ihr bringen, denn es ist der Kuß einer Schwester«, und ihr Antlitz zu ihm hebend, berührte sie leise seine Lippen mit den ihrigen. Dann trat sie zurück und winkte ihm freundlich zu. Im nächsten Augenblick stand Rafael in seinem Boot, das von Bord abstieß. Die Räder griffen mit voller Kraft ein, und nach Norden hinauf schnaubte der Koloß seinem fernen Ziel entgegen.

 

Ende

 


 << zurück