Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Kulihandel

Auf dem Quarterdeck angekommen, fühlte Felipe sich indessen bald beruhigt, daß seine eigene Sicherheit hier nicht gefährdet war. Er traf lauter unbekannte Gesichter, was ihm doppelt angenehm war, denn alle Erinnerungen schienen ihm fatal zu sein.

Auf dem etwas erhöhten Deck stand nur noch der Kapitän der Brigg und ein anderer Peruaner, der Supercargo, wie sich später herausstellte, und beide hielten, als er nach oben kam, Ferngläser in der Hand, mit denen sie das Ufer bis dahin beobachtet hatten.

»Kapitän, hier ist der Mann«, meldete jetzt der Steuermann seinem Vorgesetzten, »ein Italiener, der etwas Spanisch spricht. Wenn Sie nicht mit ihm auskommen sollten, habe ich aber den Pablo von vorn rufen lassen. Er steht unten und kann zur Not aushelfen.«

»Gut, Steuermann. Haben Sie ihn schon um unsere Angelegenheit befragt?«

»Nein«, sagte der Seemann, und als er sich abdrehte und zur Seite trat, brummte er leise vor sich hin: »Geht mich auch nichts an! Das kannst du und dein Compañero mit ihm abmachen!«

Der Steuermann war unstreitig der am anständigsten Aussehende der ganzen Gruppe, ein Spanier vom alten Lande und ein tüchtiger Seemann, der sich seine Lebenszeit auf dem unruhigen Element herumgeschlagen hatte. Es war eine hohe, kräftige Gestalt, mit vollem, schwarzem Bart und nicht unschönen, ja selbst edlen Gesichtszügen, von Wind und Sonne dunkel gebräunt. Sein Anzug, ein rotwollenes Hemd und blaue Leinwandhosen, mit einem leichten Strohhut auf den dunkeln Locken, war ebenfalls sauber gehalten und stach dadurch um so merklicher gegen die unsaubere Schar seiner Untergebenen ab. Ihm sah man den Seemann auf den ersten Blick an, seinem Kapitän nicht, der, mit einer großen, goldenen Tuchnadel und einem ebensolchen Siegelring, weit eher in einen Kaufmannsladen gepaßt hätte und sich überhaupt wenig von seinem Supercargo unterschied.

Beide waren unstreitig peruanische Cholos,Cholo, der peruanische und auch ecuadorianische Name für Mestizen; Leute mit nicht rein weißem, sondern halb indianischem Blut in den Adern. mit einem viel dunkler gefärbten Teint, als man sich von der Sonne gefallen läßt, und beide trugen jenen harten, schlauen Zug im Antlitz, der sich bei keinem Volke so scharf ausgeprägt findet, wie bei den Peruanern und Yankees. Dennoch war der »Kapitän« hierbei noch im Vorteil, denn seine freieren, lebendigeren Bewegungen gaben ihm etwas Offenes in seinem Wesen, während der Supercargo, weit stiller und zurückhaltender, dadurch den Fremden noch mehr abstieß, daß er die unangenehme Gewohnheit hatte, seine überdies schon dünne Unterlippe zwischen den Zähnen zu halten und zu kauen.

Hübsch waren sie übrigens alle beide nicht und hätten gut für Brüder gelten können.

Diesen sah sich jetzt unser Italiener gegenüber, und als nach des Steuermanns Anrede beide die Fernrohre von den Augen nahmen und zusammenschoben, blieb des Supercargos Blick fest und forschend auf den Burschen geheftet, während der Kapitän das Gespräch anscheinend gleichgültig einleitete.

»Lebt Ihr hier auf der Insel, Señor?«

»Si, Señor«, nickte der Mann mit einer halben Verbeugung, indem sein Blick rasch und suchend von einem zum andern der beiden flog. »Ich habe mich hier vor der Hand niedergelassen.«

»Vor der Hand nur?«

»Lieber Gott, unsereiner bindet sich nicht leicht an einen Fleck! Höchstens solange, bis man etwas Besseres findet.«

»Wie lange wohnt Ihr schon hier?«

»Sieben Jahre.«

»Ihr seid hier verheiratet?«

»Hm«, brummte der Bursche, »was man hier so verheiratet nennt, aber es hat eben nicht viel zu bedeuten; übrigens läßt sich's aushalten auf den Inseln, denn zu essen gibt's genug. Das einzige, was fehlt, ist Tabak; ich weiß schon gar nicht mehr, wie Tabak aussieht, und einen Schluck Branntwein habe ich seit Monaten nicht gerochen.«

Der Kapitän war auf derartige Anliegen vorbereitet, denn sie wiederholten sich, wohin er kam. Auf der einen Bank am Skylight stand auch schon ein zu drei Vierteln mit Branntwein gefülltes Wasserglas, und ein großes Stück amerikanischen Kautabaks lag daneben. Mit einer einladenden Bewegung deutete er dorthin, und des Burschen Augen funkelten vor Freude, als er den dort für ihn aufgespeicherten Schatz entdeckte. Lange nötigen ließ er sich übrigens nicht; mit einem Dios se lo pague! war er im Nu neben der Bank, und während er mit der Rechten das Glas faßte und an die Lippen hob, sicherte sich die Linke schon den Tabak und hob ihn in die Höhe, um zum Hineinbeißen gleich fertig zu sein, sowie nur der Branntwein beseitigt worden war. Er stürzte auch den Inhalt des Glases auf einen Zug hinunter, und der Supercargo wandte sich mit Ekel ab, denn welche Untugenden der Südamerikaner auch haben mag, unmäßig im Trinken ist er nur in Ausnahmefällen.

Der Kapitän war schon eher an etwas Derartiges gewöhnt. Um seine Lippen zuckte nur ein halb verächtliches Lächeln über die Gier des Menschen; er ließ ihn ruhig austrinken und dann noch ein Stück Tabak abbeißen, was Felipe in einer ähnlichen Art tat, wie eine halb verhungerte Hyäne ein plötzlich gefundenes Stück Beute anreißen würde. Erst dann, als er die Befriedigung über den Genuß auf dem Gesicht des Burschen las, fuhr er fort:

»Wie mir scheint, möchtet Ihr also wohl einmal wieder ein anderes Leben führen, Señor? Wie aber steht es mit den braunen Burschen auf der Insel? Sollte man die wohl einmal bereden können, ihr Glück für eine kurze Zeit in einem anderen Lande zu versuchen?«

Felipe warf ihm einen raschen, forschenden Blick zu; da aber der Kapitän bei dem Vorschlag keine Miene verzog, schüttelte er, indem er sich mit dem linken Hemdärmel den Mund wischte, langsam den Kopf und sagte:

»Nein, Señor, mit denen ist nichts anzufangen. Vor sechs oder acht Jahren hatte einmal ein Walfischfänger einen von ihnen mitgenommen und drei Jahre an Bord behalten, und als der arme Teufel, dem es wohl bei der schweren Arbeit oben im Eismeer nicht besonders gefallen haben mag, wieder zurückkam, erzählte er so schreckliche Geschichten von dem, was er ausgestanden hatte und wie er behandelt worden war, daß er den übrigen Angst genug einjagte. Seit der Zeit hat keiner wieder beredet werden können, die Insel zu verlassen; und verdenken kann ich's ihnen auch nicht, denn der Unterschied zwischen dem Leben an Bord eines Walfischfängers und dem hier unter Palmen und Brotfruchtbäumen ist doch ein wenig zu groß.«

»Aber wenn man sie nun auf gar keinen Walfischfänger haben, sondern nur in ein anderes Land bringen wollte, wo ebenfalls Palmen sind, und wo sie noch außerdem viel Geld verdienen könnten, – sollten sie darauf auch nicht eingehen?«

Der Italiener sah eine Weile schweigend und nachdenklich vor sich nieder.

»Nach Peru, meint Ihr, Señor?« sagte er endlich.

Der Kapitän nickte, aber Felipe schüttelte den Kopf und das Stück Tabak betrachtend, das er noch immer in der Hand hielt, als ob er es nicht einmal seiner Tasche anvertrauen wollte, meinte er endlich:

»Nein, sie tun's nicht.«

»Und wenn Ihr ihnen nun einmal in vernünftiger Weise den Vorschlag machtet und ihnen das Leben in Peru ein bißchen lebendig ausmaltet? Es sollte Euer Schaden nicht sein, Compañero, Ihr sollt für jeden gesunden Mann, den Ihr dazu bringt, fünf Dollars erhalten.«

»Es geht nicht«, sagte aber der Bursche, »und wenn Ihr mir fünfzig versprächet. Gutwillig gehen sie nicht fort von hier, denn was weiß das Lumpengesindel von Geld! Und was sie sonst brauchen, haben sie eben an Land und verlangen nicht mehr.«

»Schade«, meinte der Supercargo, der indessen wieder herangetreten war und dem es nicht entging, daß das Anerbieten auf den Italiener seinen Eindruck trotzdem nicht verfehlte, »Ihr hättet Euch dabei mit leichter Mühe eine hübsche Summe Geld verdienen können. Aber wenn's nicht ist, müssen wir es eben aufgeben.«

»Aber wenn nun –« wollte der Kapitän einwenden, als er dem Blick seines Supercargos begegnete, und er brach mitten in seiner Rede ab. Der Italiener sah zu ihm auf, aber er hatte sich von ihm fortgedreht und ging mit auf den Rücken gelegten Händen auf dem Quarterdeck auf und ab.

»Wie ist es, Kapitän«, nahm da Felipe das Gespräch nach einer kurzen Pause wieder auf, »haben Sie nicht ein paar Handelsartikel mitgebracht, um Früchte dafür einzutauschen? Wir könnten hier alles brauchen, besonders Tabak und Kattune. Es ist lange kein Schiff auf dieser Seite der Insel gewesen, und die Früchte wären billig.«

»Tut mir leid«, nahm der Supercargo für den Kapitän das Wort, »für uns selber haben wir schon mehr als genug, denn wir werden, wenn wir hier keine Arbeiter bekommen können, ein paar andere Inseln anfahren. Macht, daß Ihr wieder in Euer Kanu kommt, denn sowie die Brise ein bißchen auffrischt, gehen wir in See.« Damit stieg er, ohne sich umzusehen, in seine Kajüte hinunter.

»Wollt Ihr nicht einmal mit den Insulanern über meinen Vorschlag sprechen?« fragte der Kapitän jetzt den Italiener, der noch immer an Deck stand und nachdenklich auf die Planken niederstarrte.

»Wenn ich denen ein Wort davon sage«, meinte der Italiener aber kopfschüttelnd, »so sind sie im Augenblick in ihren Kanus unten, und keiner ist mehr herauszubringen. Nein, überreden lassen sich die Burschen dazu nicht, und wenn Ihr einen Haufen Gold vor sie hinleget. Ich kenne sie zu genau.«

»Schade«, sagte der Kapitän, indem er sich ebenfalls abwandte, »Ihr hättet dabei eine günstige Gelegenheit gehabt, wieder nach einem zivilisierten Land zu kommen, denn in Callao und Lima sind Massen von Euren Landsleuten, und eine bessere Gelegenheit, eine runde Summe Geld zu verdienen, findet Ihr auch im Leben nicht wieder; aber wenn es eben nicht geht, geht es nicht. Steuermann«, wandte er sich dann an diesen, der immer noch an der Starbord-Reeling lehnte und dem Gespräch zugehört hatte, ohne aber ein Wort zu reden oder eine Miene zu verziehen, »laßt den Tabak und Branntwein nur wieder wegstauen, wir brauchen jetzt nichts mehr davon«, und mit den Worten folgte er dem vorangegangenen Supercargo. Um den Italiener bekümmerte sich niemand mehr.

Felipe, ein so roher und wüster Bursche er auch sonst sein mochte, war doch schlau genug, zu fühlen, daß des Supercargos und Kapitäns Gleichgültigkeit bei dem abgebrochenen Handel keine natürliche sein konnte. Es steckte mehr dahinter. Auch der Befehl, Tabak und Branntwein wegzustauen, war mit Absicht in seiner Gegenwart gegeben worden, und hätte das Fahrzeug jetzt wirklich gleich wieder die Insel verlassen wollen, so hinderte es gar nichts daran. Die Brise war allerdings, besonders hier, vom Land gedeckt, nur sehr schwach, aber doch genügend, um die Segel zu füllen und mit der günstigen Strömung die Brigg bald wieder in offene See hinauszubringen. Weshalb wurde also der Befehl noch nicht gegeben? Weil die beiden jedenfalls noch etwas im Hinterhalt hatten – aber was war das?

Felipe ging nachdenklich auf das Mitteldeck hinunter, wo sein Kanu an einer der Pardunen befestigt hing. Indessen waren noch mehr Insulaner mit beladenen Kanus angekommen und riefen jetzt hinauf, ob sie an Bord kommen sollten und ob der fremde Kapitän handeln wollte. Felipes Schwiegervater und Schwager waren ebenfalls dabei. Er antwortete hinunter, sie sollten noch warten, er wüßte es noch nicht, und setzte sich dann auf die dort befestigten Notspieren unter das große Boot. Der Kapitän würde, wie er sich dachte, schon wieder zu ihm schicken. Aber niemand kam, und der Mann stand endlich wieder auf und ging ungeduldig an Deck auf und ab.

Keinen Branntwein weiter? – Er hatte eben den Geschmack davon bekommen – keinen Tabak mehr? Monate dauerte es vielleicht, bis wieder einmal ein anderes Schiff hier anlegte! Und was für ein Hundeleben führte er überhaupt hier auf der langweiligen Insel, zwischen lauter Brotfruchtbäumen und unter den ewigen Palmen? Satt hatte er's schon lange; und seine Familie? Bah! Was ihm im Anfang Vergnügen gemacht hatte, war ihm schon lange zum Überdruß geworden! Außerdem saß ihm die braune Obrigkeit, von den Missionären gehetzt und unterstützt, unablässig auf dem Kragen wegen Mißhandlung seiner Frau, und was ging seine Frau die Missionäre an! Bekümmerte er sich darum, wenn sie die ihrigen prügelten? Gewiß nicht!

Das Glas Branntwein, das er in den nicht mehr daran gewöhnten Körper so rasch hinuntergestürzt hatte, tat seine Wirkung. Der Kopf wirbelte ihm ordentlich von den darin sich kreuzenden Gedanken; er mußte mehr trinken, so konnte er das Schiff nicht wieder verlassen, und entschlossen wandte er sich jetzt nochmals dem Quarterdeck zu.

Weder der Kapitän noch der Supercargo hatten sich dort wieder blicken lassen, und als er den Steuermann nach ihnen fragte, lautete die Antwort nur: »Unten.« Weiter bekümmerte sich der Seemann nicht um ihn.

Felipe stieg nochmals auf das Quarterdeck hinauf und stand dort lange unschlüssig. Sein Blick streifte bald nach der Insel hinüber, die alles für ihn barg, was eigentlich den Inbegriff von Glück für einen Menschen hätte bilden sollen, bald nach den Segeln hinauf, die nur eben genug ausblähten, um das Schiff in der unmittelbaren Nähe der Einfahrt zu halten. Da klirrten Gläser unten in der Kajüte. Er sah durch das Skylight hinab, wie der Steward eine Flasche auf den Tisch setzte, und mit einem zwischen den Zähnen zerbissenen Fluch sprang er die Kajütentreppe hinab, um den Kapitän dort unten aufzusuchen.

Es dauerte lange, bis er wieder nach oben kam, und die Insulaner hätten indessen schon Ursache gehabt, ungeduldig zu werden, wenn jenen wunderlichen Menschen das Gefühl nur bekannt wäre. Ungeduld setzt immer einen Begriff von Zeit und deren Wert voraus, und den haben sie entschieden nicht. Ist der heutige Tag verschwunden, so kommt morgen ein anderer; zu versäumen ist natürlich nichts dabei; weshalb sollten sie also böse werden, wenn sie einmal ein paar Stunden an Bord eines Schiffes oder dicht daneben in ihren Kanus schaukelnd verträumen konnten – war es doch eine Abwechselung gegen das einförmige Leben an Land, das sie morgen und übermorgen, ja, das ganze Jahr zur Genüge haben konnten! Mit dem größten Vergnügen hätten sie tagelang so ausgehalten.

Endlich kam Felipe zurück, machte, ohne sich weiter an Deck umzusehen, sein Kanu los und stieg hinein.

»Nun, Felipe, wie ist es?« fragten ihn die paar Insulaner, die an Deck geklettert waren. »Kaufen die weißen Männer unsere Früchte?«

»Ja«, sagte der Bursche, »aber heute nicht. Sie müssen erst die Waren hervorsuchen, die sie dafür geben wollen. Morgen früh ist ein großer Markt, und ihr sollt Tapa, Kokosschalen, Matten und Früchte mitbringen, was ihr habt, und dafür oben euch aussuchen, was ihr mitnehmen wollt.«

»Und wohin gehst du?«

»Nach Hause, so schnell ich kann, um von dort alles herbeizuholen, was ich an die Fremden verkaufen kann. Das ist ein reiches Schiff, wie wir noch keins an unserer Küste hatten.«

Und damit saß er in seinem Kanu und ruderte durch die Einfahrt der Küste zu, um dort erst einmal den Leuten von dem morgen an Bord des fremden Schiffes zu haltenden Markt zu erzählen und dann so rasch er konnte nach seinem eigenen Haus zurückzukehren.

Blitzschnell lief indes die Kunde, daß das Schiff Matten und Tapa kaufe, von Haus zu Haus; besonders geschäftig waren jetzt die Frauen, an solchen Sachen vorzusuchen, was sie eben hatten; sie wußten, daß sie dafür bunte, prächtige Stoffe und blitzende Glasperlen eintauschen konnten.

Nur die Männer nahmen es kaltblütig. Ihre Früchte, die sie zum Handel hinüberbrachten, pflückten sie morgen früh; was sie sonst noch hatten an jungen Schweinen und Hühnern, war ebenfalls in kurzer Zeit in ihre Kanus gepackt; was sollten sie sich da heute noch bemühen? Und vor Sonnenuntergang schaukelten sie mit ihren Kanus wieder im Binnenwasser der Riffe, um Fische für ihr Abendbrot zu fangen, hingen die Knaben wieder in ihren Bastschaukeln an den Wipfeln der Palmen, hetzten sich die Mädchen wieder auf dem Korallensand umher, und tanzte das junge Volk wieder glücklich und sorglos bei dem Schalle einer alten, einmal von einem französischen Schiff eingetauschten Soldatentrommel, und lauschte dann später beim vollen Mondlicht dem donnernden Toben der Brandung, die unermüdlich ihren nutzlosen Kampf gegen die Riffe kämpfte und, tausendmal zurückgeschlagen, tausendmal den Angriff erneute.

Der Morgen kam, aber mit ihm dieses Mal ein ungewohnt geschäftiges Leben in die muntere Schar, überall waren junge Leute beschäftigt, ihre Kanus flott zu machen, und was sie am Ufer schon mit Tagesanbruch aufgespeichert hatten, hineinzutragen. Lachend und singend verrichtete jeder seine Arbeit, und mit Kichern und Jubeln stiegen heute auch hier und da einzelne in buntfarbige und sauber gewaschene Kattunkleider gehüllte Mädchen oder Frauen in die Kanus, um ihre Matten oder Tapastücke selber für Sachen einzutauschen, die sie gebrauchen konnten, denn aus Erfahrung wußten sie, daß die Männer kaum etwas anderes von den Schiffen zurückbrachten als Tabak oder vielleicht einmal ein Messer oder ein Beil.

Felipe mußte ebenfalls früh von Hause aufgebrochen sein, denn noch ehe das letzte Kanu zur Abfahrt gerüstet war, kam er schon in dem seinigen herangeschwommen, in dem er heute ausnahmsweise einen Burschen aus der Nachbarschaft mitgenommen hatte, der darin bleiben sollte, während er an Bord ging und den Handel für die Insulaner überwachte. Wo so viele Kanus dem Schiffe angehängt wurden, meinte er, könnte leicht eins gegen das andere gestoßen und beschädigt werden, und das wollte er doch zu verhüten suchen.

Und jetzt ruderten sie hinaus – ein ganzer Schwarm fröhlicher, glücklicher Menschen.

Langsamer, aber dicht hinter ihnen folgte Felipe. Still und düster lehnte er in seinem Kanu, und als die kleine Flotte mit schäumendem Bug über das Binnenwasser glitt, ruderte er wie zögernd hinter ihnen drein und schickte, endlich an Bord angelangt, sein Kanu mit dem Knaben an Land zurück. Es waren so viele beladene Boote herübergekommen, daß er nachher recht gut mit einem der geleerten wieder zurückkehren konnte.

An Bord sah es indessen heute lebendiger aus als gestern, denn »midships«, inmitten des Schiffes, zwischen den beiden Masten und um das große Boot her war eine Menge von Waren ausgebreitet, die von den Kajütsdienern und Steuerleuten überwacht wurden und gegen die mitgebrachten Artikel der Eingeborenen eingetauscht werden sollten.

Die Brigg, die über Nacht ein Stück von der Insel zurückgetrieben war, um aus der etwas zu gefährlichen Nähe der Riffe zu kommen, hatte jetzt wieder aufgekreuzt, lag aber noch immer, wie gestern den ganzen Tag, vor kleinen Segeln, bald über diesen, bald über jenen Bug. Aber die Insulaner achteten darauf schon gar nicht mehr, denn jetzt nahmen die kostbaren Waren, die vor ihren Blicken aufgespeichert lagen, ihre Aufmerksamkeit so vollständig in Anspruch, daß sie für weiter nichts Augen hatten und nur fortwährend darum herum gingen und sich bald für dies, bald für jenes entschieden, was sie für ihre Erzeugnisse verlangen wollten. Wie bei Kindern zog das Bunteste ihre Blicke auch immer zumeist an.

Felipe war indessen in die Kajüte gerufen worden und hatte dort eine lange Unterredung mit dem Kapitän. Als er wieder an Deck kam, kreuzte die Brigg eben aufs neue gegen die Einfahrt zu, bis die Brandung fast unter ihrem Bug schäumte.

Jetzt neigte sich der Bug des Fahrzeugs langsam von den gefahrdrohenden Korallenfelsen ab; die Brigg ging über Stag und lag nach Süden hinüber.

An Bord wurde indessen der Handel lustig betrieben, und der Untersteuermann, ein rauh genug aussehender Geselle von Panama, unterstützte dabei vorzüglich den Supercargo, um den Wert für die gebotenen Matten, für Kalabassen mit Kokosnußöl, für Stücke Tapa, für geflochtene Bastseile und andere Arbeiten dieser einfachen Menschen zu bestimmen. Und wie genügsam zeigten sie sich dabei und gaben gern um einen bunten, wertlosen Glasperlentand, um ein paar Ellen schlechten und nur bunt gefärbten Kattuns Sachen her, an denen sie Tage und Wochen gearbeitet hatten, während die Händler in immer wachsender Gier nie genug für ihren Plunder bekommen konnten, den sie hier zum Verkauf ausgelegt hatten. Und doch wußten sie, daß sie in Callao von fremden, heimkehrenden Schiffen das Zehn- und Zwanzigfache der ausgelegten Kosten mit Leichtigkeit erhalten konnten.

Jetzt wurde auch um die Früchte gehandelt und Tabak unter die Eingeborenen verteilt, dessen Genuß sie alle schon kannten. Sie säumten auch nicht, sich ihm so rasch wie möglich hinzugeben, und ein paar von ihnen schnitten sich ohne weiteres ein Stück ab, wickelten es in schon zu dem Zweck mitgebrachte und eigens zubereitete Bananenblätter und liefen dann nach der Kambüse, um sich dort Feuer geben zu lassen.

Jetzt brannte die Zigarre, und stolz und selbstzufrieden blies der Insulaner den blauen Rauch in die Luft und warf dann unwillkürlich einen Blick nach seiner Insel hinüber. Er dachte schon im stillen daran, mit welchem Behagen er sich dort heute abend vor seiner Hütte ausstrecken und den aufwirbelnden Dampf in die Luft blasen werde. – Aber wo war die Insel? Unwillkürlich stieß er einen Ausruf des Erstaunens aus, und wenige Augenblicke später standen sämtliche Insulaner wie ein geschrecktes Rudel Wild mit gereckten Hälsen und scheuen Blicken aufgerichtet an der Reling und schauten nach dem Land zurück, das sie mit einer frischen Brise schon weit, weit zurückgelassen hatten.

»Felipe! Felipe!« tönte ihr Ruf aber bald nach dem Dolmetscher, denn die rasch hintereinander folgenden Fragen, die sie an die Mannschaft richteten, blieben natürlich unbeantwortet. »Felipe, wohin fährt der Kapitän? Er geht weit ab, wir können mit unseren Kanus nicht mehr zurück!«

Felipe schritt zwischen ihnen durch, aber er war ruhig und unbefangen.

»Ich habe den Kapitän eben gefragt«, sagte er; »da die Brise frischer wurde, fürchtete er, so dicht unter der Insel liegenzubleiben. Er dreht jetzt gleich wieder um. Bis euer Handel beendigt ist, hält er wieder vor der Einfahrt.«

Die Männer beruhigten sich damit, denn sie waren schon manchmal auf einem Schiffe vor ihrer Insel auf und ab gekreuzt; aber die Frauen schienen ängstlich geworden zu sein und das Interesse an ihrem Handel verloren zu haben. Die meisten Gegenstände waren überhaupt abgesetzt, und sie sehnten sich zurück nach ihrem Land, nach festem Boden, zu den Ihrigen.

Der Supercargo hatte ihnen indessen eine Überraschung aufgespart, und zwar ein grell rotes Stück Zeug mit schwefelgelben Streifen, das ihnen außerordentlich in die Augen stach. Für kurze Zeit fesselte er ihre Aufmerksamkeit dadurch auch wirklich vollkommen, und die wenigen, die noch etwas zu verkaufen hatten, konnten der Verlockung nicht widerstehen. An andere wurden schmale Stücke, die etwa zu einem pareu oder Lendentuch hinreichten, als Geschenke verteilt, und alles drängte sich um ihn her; aber das Schiff hatte noch immer nicht gewendet, um nach ihrer Insel zurückzukehren, und sich inzwischen so weit davon entfernt, daß unter dem Horizont schon das flache Palmenland verschwand und die grünen Berge eine bläuliche Färbung annahmen.

Wieder wurde Felipe gerufen und zu dem Kapitän gesandt, und kam nach einer Weile mit der Meldung zurück, daß der Kapitän einen Sturm fürchte und vor Nacht nicht wagen dürfe, die Insel wieder anzulaufen.

»Dort geht ein Kanu!« lief da ein Schrei über Bord, und als sich die Augen der Eingeborenen dorthin richteten, sahen sie eins der losgerissenen Kanus auf den Wogen schwimmen, und während sie auf die Reling sprangen, um nach den übrigen zu sehen, trieb wieder und wieder eins davon.

Die Brise, die bis jetzt nur schwach gewesen war, hatte bei den wenigen Segeln, welche die Brigg führte, diese nur langsam vorwärts getrieben, so daß sich die leichten Kanus wohl so lange halten konnten. Jetzt aber waren mehr Segel gesetzt, die Brise hatte ebenfalls an Kraft zugenommen, und die leichten Boote konnten sich nicht mehr über Wasser halten. Sie schlugen um, füllten sich mit Wasser, und die dünnen Baststricke vermochten dem Druck nicht mehr standzuhalten. Ein Kanu nach dem andern löste sich und trieb ab.

Wieder wurde jetzt Felipe nach dem Kapitän gesandt, dieses Mal aber mit der Drohung, daß sie sein Schiff selber zurücklenken würden, wenn er jetzt nicht umdrehe, um sie heimzufahren. Dieses Mal aber kehrte der Verräter nicht zurück, denn er hielt sich zwischen den gereizten Insulanern nicht mehr sicher. Jedenfalls mußten sie sich erst wieder beruhigen und in das Unvermeidliche fügen lernen.

Eine unbeschreibliche Szene der Verwirrung entstand jetzt an Bord, denn zum erstenmal ahnten die Männer, daß sie verraten worden waren. Aber die wenigsten waren noch imstande, sich auf den Füßen zu halten, denn sonderbarerweise übte fast auf alle diese Leute, die von Jugend auf gewohnt gewesen waren, in ihren Kanus auf den Wogen zu schaukeln, die ungewohnte fremde Bewegung des großen Fahrzeugs ihre unheilvolle Wirkung aus. Sie wurden ernstlich seekrank, und während sich die Frauen auf Deck warfen und im Gefühle ihrer Krankheit und ihres Elendes winselten und wehklagten, kauerten die meisten Männer in stummem Jammer auf den Planken nieder, und nur wenige, von der Krankheit verschont, griffen die eben eingehandelten Beile und Messer auf und wollten die Kajüte stürmen.

Jetzt erst zeigte der Peruaner seine wahre Farbe. Acht oder zehn mit Musketen bewaffnete Matrosen sprangen vor und drohten, jeden niederzuschießen, der nicht augenblicklich seine Waffe an Deck werfe. Die Insulaner aber, die diese Drohung einesteils gar nicht verstanden, andernteils nicht achteten, warfen sich in blinder Wut auf das Gesindel, und ehe die Burschen, die mit Feuergewehren ebenfalls nicht besonders umzugehen wußten, von ihren Waffen ordentlich Gebrauch machen konnten, stürzten schon zwei oder drei, von den wütenden Beilhieben der Wilden getroffen, nieder.

Aber der Kapitän und der Supercargo waren auch keine müßigen Zuschauer geblieben, denn sie wußten recht gut, daß ihr Leben besonders gefährdet blieb, wenn die zur Wut gereizten Eingeborenen das Schiff nahmen. Mit Doppelgewehren bewaffnet, schossen sie rechts und links unter die Unglücklichen, von denen mehrere unter den scharfen Schüssen stürzten; selbst viele von denen wurden verwundet, die sich an dem Kampf gar nicht beteiligt hatten und krank in einem Winkel lehnten.

Den gefürchteten Feuerwaffen waren die Insulaner nicht gewachsen. In wilder Angst flüchteten sie nach vorn, und die Matrosen hatten jetzt leichte Arbeit, alle wehrhaften Männer zu binden und in das schon für sie hergerichtete Zwischendeck zu schaffen. Was dort die Nacht aus ihnen wurde, blieb sich gleich; jetzt galt es vor allen Dingen, das Deck wieder von den Spuren des Kampfes zu reinigen.

Umstände mit den Toten konnte man in dem heißen Klima überhaupt nicht machen. Sowie nur die Insulaner nach unten geschafft und die Luke geschlossen worden war, warf man die Leichen der Insulaner sowohl wie die der beiden Matrosen einfach über Bord. Dann wurde das Deck wieder abgewaschen und jetzt bewaffnete Wachen verteilt, die vollkommen genügten, jeden erneuten Versuch der hilflosen Insulaner unschädlich zu machen.

Alle Segel waren dabei gesetzt, und die »Libertad« lag mit einem starken Seitenwinde vollen Südkurs an, um so bald als irgend möglich die Passate zu verlassen. Erst dann durften sie hoffen, die amerikanische Küste, und zwar in der Nähe von Chile, anzulaufen, wo sie nachher die scharfen und regelmäßigen Südwinde trafen, die sie bald an der Küste hinab zu dem Ort ihrer Bestimmung, nach Callao, brachten.

 


 << zurück weiter >>