Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Lydia

Drei Tage waren nach den im letzten Kapitel beschriebenen Vorgängen verflossen, als sich eines Morgens auf dem Theaterplatze vor dem Hotel der »Vier Jahreszeiten« eine ziemliche Menschenmenge ansammelte und nach einem der Balkons, ziemlich in der Mitte des breiten, halbrunden Gebäudes, hinaufschaute. Die Neugierde galt auch dieses Mal niemand Geringerem, als dem Expräsidenten von Ecuador, dem General Granero, der mit dem heute morgen eingelaufenen Kriegsdampfer, von Guayaquil kommend, in Callao gelandet und mit ein paar sehr dunkelfarbigen Begleitern im Hotel abgestiegen war.

»Die Ecuadorianer haben gesiegt«, rief man dabei unten im Publikum, »General Flores hat dem Sambo die Jacke ausgeklopft, und jetzt ist er hier und will sich von Castilla füttern lassen!«

Andere Gerüchte durchliefen gleichfalls und zu derselben Zeit die Stadt: der peruanische Dampfer nämlich habe Guayaquil beschossen und die ganze Front der Stadt in Trümmer gelegt, und Flores wäre schon im Anmarsch mit zwanzigtausend Mann, um an Lima Rache zu nehmen. – Es gibt ja in solchen Augenblicken nichts so Unsinniges, daß es nicht auch eine Anzahl Gläubige fände. Im Ganzen herrschte hier aber doch besonders die Neugierde vor, denn von »General Granero«, der Peru in den letzten Jahren so entsetzlich viel Geld gekostet hatte, war so viel gesprochen und erzählt worden, daß man den Mann auch jetzt gern einmal von Angesicht zu Angesicht sehen wollte.

War er das? Eine kleine, dicke, fast braune Gestalt, mit schwarzem, dicht gekräuseltem Haar trat einen Augenblick auf den Balkon hinaus und warf einen Blick auf die unten Versammelten; dann glitt er wieder in das Zimmer zurück und schloß die Balkontür hinter sich.

»Der kleine, dicke Neger kann es doch nicht gewesen sein«, murmelten die Leute unter sich, die indessen eine lautlose Stille beobachtet hatten, »der wäre doch nicht so viel Centavos wert gewesen, wie er Unzen gekostet hat!«

Aber er kam nicht wieder heraus, die Balkontür blieb verschlossen, und die Neugierigen verliefen sich nach und nach.

Als der Platz noch ziemlich belebt war, hielt gegenüber ein Wagen vor dem Theater, dessen Privattür sich jetzt öffnete, und eine junge, reizende Dame, von einer älteren und dem Direktor selber begleitet, kam heraus und bestieg den Wagen. Der Direktor half ihr hinein und grüßte dann auf das freundlichste, als das leichte Fuhrwerk die Straße hinauf der Plaza zu rasselte.

»Das war die neue Sängerin, die morgen auftreten wird«, ging die Kunde von Mund zu Mund, »ein wunderschönes Mädchen. Sie ist mit dem letzten Dampfer von Europa gekommen.« Und der Direktor blieb in der Tür stehen und sah dem Wagen nach, so weit er ihm mit den Augen folgen konnte.

Don Rafael hatte sich indessen einige Tage in der Stadt aufgehalten und war auch nach Chorillos hinausgefahren, um Desterres, den jetzigen Besitzer seiner früheren Hacienda, zu sprechen. Wohl interessierten ihn die näheren Verhältnisse seines eigentlichen Vaterlandes, aber sie waren ihm doch in den letzten sechs Jahren so fremd geworden, daß er sich erst wieder ordentlich hineinleben mußte, und dazu fehlte ihm jetzt die Zeit, denn seine eigenen Angelegenheiten beschäftigten ihn vor der Hand zu sehr.

Fast gleichgültig hörte er auch die Nachricht von der Ankunft Graneros. Was er in Guayaquil von ihm hörte und sah, hatte ihn schon lange darauf vorbereitet, und er freute sich ordentlich, daß die Ecuadorianer den despotischen Usurpator, der ihren Boden jahrelang mit Blut gedüngt, endlich aus dem Lande gejagt hatten. Die Politik Perus gegen Ecuador billigte er überhaupt nicht.

Aber auch von Desterres, einem echten, ausgetrockneten Peruaner mit einem nicht ganz kleinen Bruchteil indianischen Blutes in den Adern, erhielt er keine Auskunft, die ihm einen Einblick in das geheimnisvolle Dunkel gestattet hätte, das auf dem Verkauf seiner Hacienda und dem Tod seines Oheims lag. Bereitwillig hatte Desterres ihm zwar den Kaufbrief vorgelegt, der unleugbar die Handschrift seines Oheims trug; aber dem Auge Rafaels war dabei nicht entgangen, daß hier ein Betrug stattgefunden haben konnte, denn der Name seines Onkels war mit einer anderen Tinte geschrieben, als die Unterschriften der beiden Zeugen (die noch dazu zwei Freunde Desterres' waren und keine Nachbarn; den alten Freund Bertrand hätte er doch gewiß mit hinzugezogen); und als er Desterres, ohne jedoch ein Wort von dem, was ihm aufgefallen war, zu äußern, fragte, wo und in welchem Hause der Kontrakt unterzeichnet worden war, versicherte ihm dieser: in seines Onkels Hause, in dessen Schreibstube, wo sie überhaupt den ganzen Handel abgeschlossen hätten.

Dabei war etwas nicht in Ordnung; aber wie das jetzt herausbekommen, ohne diesen Herrn vor der Zeit mißtrauisch zu machen? Jedenfalls mußte er sich Zeit zum Überlegen nehmen.

Übrigens ersah er aus dem Kontrakt, daß das ganze Inventar, sogar mit den Mobilien, einbegriffen war, und nach dem Tode des Eigentümers, als Desterres ungehinderten Besitz von dem Gute nahm, hatte dieser, wie Rafael schon wußte, die nicht im Verkauf begriffenen Papiere und Kleidungsstücke des alten Herrn in verschiedene Koffer verpackt und an das Haus in Callao gesandt, mit dem der alte Señor Aguila in Verbindung stand.

Wertvolles war jedoch in den Koffern nicht enthalten, wie Desterres bemerkte, die Uhr des alten Herrn ausgenommen und sein Zaumzeug mit ein Paar silbernen Sporen.

Señor Desterres zeigte sich übrigens sehr erstaunt, daß Don Rafael das Geld – die Summe belief sich auf 29 000 Dollars – gar nicht empfangen haben sollte und auch nicht wisse, wo es der alte Herr deponiert haben könne. Möglich sei es aber, daß er darüber in den in den Koffern befindlichen Papieren Aufschluß finde, denn diese seien natürlich im Beisein von mehreren Zeugen, ungelesen und uneröffnet, versiegelt und eingepackt worden.

Don Rafael war nun von vornherein überzeugt, daß in den Koffern kein solcher Aufschluß enthalten sein würde, hütete sich aber wohl, Desterres das merken zu lassen. Er äußerte nur: es sei kaum anders möglich, als daß dem so wäre, gab das Dokument seinem Eigentümer zurück und verließ den Herrn, der ihn noch auf das wärmste seiner Freundschaft versicherte und ihm sein eigenes Haus zur Verfügung stellte, wann auch immer er Gebrauch davon machen wolle.

Das Hirn voll wirrer Gedanken, kehrte Rafael von Chorillos nach Lima zurück, und kam erst eigentlich wieder zu sich selber, als er an einer der Straßenecken eine Anzahl von Menschen vor einem frisch angeklebten Theaterzettel stehen sah.

»Lydia Valière«, der Name fiel ihm augenblicklich in die Augen, »die berühmteste Sängerin Frankreichs«, wie der Zettel sagte, die morgen als »Regimentstochter« zum ersten Male in Lima auftreten und damit ein Gastspiel von zwölf Vorstellungen eröffnen würde.

Lydia – er hatte das eigentümliche Mädchen mit all dem, was ihm heute im Kopf und auf dem Herzen lag, schon beinahe ganz vergessen! Es war eigentlich nicht recht. Er hätte sie wohl einmal besuchen und wenigstens anfragen können, wie es ihr ginge. Und wenn er das jetzt gleich tat? Bis drei Uhr nachmittags, wo ihm sein Freund Gaspar ein paar gute Reitpferde vorführen wollte, hatte er nichts zu tun. Er konnte die Zeit bis dahin nicht besser ausfüllen.

Die Señorita, das hatte er schon vor einigen Tagen erfahren, wohnte in einem französischen Hotel unfern der Plaza, und dorthin lenkte er jetzt seine Schritte. Eben aber, als er das Haus betreten wollte, fuhr, von ein Paar raschen Pferden gezogen, ein Wagen vor und hielt vor dem Hotel. Unwillkürlich trat er zurück, denn er glaubte zuerst, die Pferde wollten in den Torweg einbiegen. Das aber war nicht der Fall; der Wagen hielt und eine lachende Stimme rief ihn an:

»Ah, Señor Confederado; so muß man Sie also auf der Straße abfangen, um Ihrer einmal habhaft zu werden?«

»Señorita«, rief Rafael, indem er rasch an den Wagenschlag sprang und ihn öffnete – »und wenn ich Ihnen nun sage, daß ich eben im Begriff war, Sie aufzusuchen?«

»Wenn Sie die Wahrheit sprächen«, sagte die junge Dame, indem sie die ihr gebotene Hand nahm und leicht aus dem Wagen sprang, »so würde ich es sehr liebenswürdig von Ihnen finden; aber – ich glaube es Ihnen nicht.«

»Auch nicht, wenn ich Ihnen mein Wort gebe?« – Und er bot ihr seinen Arm, um sie in das Hotel zu führen, während der herbeigesprungene Oberkellner ihrer Begleiterin aus dem Wagen half.

»Dann allerdings«, sagte Lydia halblaut und herzlich, »und ich danke Ihnen sehr dafür.«

»Darf ich Sie jetzt hinaufbegleiten?«

»Sie wollen wohl schon wieder fort?« lachte die junge Französin; »das wäre ein sehr kurzer Besuch gewesen. Nein, so geschwind gebe ich Sie noch nicht wieder frei. Sie müssen mir wenigstens erst erzählen, was Sie die ganze lange Zeit in Peru getrieben haben, und wie es Ihnen ergangen ist.«

»Ich kann mir kaum denken, daß das für Sie von Interesse wäre«, sagte Rafael, während sie zusammen die Treppe hinaufgingen.

»Wenn Sie auf eine Schmeichelei von mir warten«, lachte Lydia, »so sind Sie im Irrtum; es war bloße Neugierde, Señor. Aber da sind wir«, fuhr sie dann fort, als ein vorauseilender Kellner ihre Tür weit geöffnet hatte, indem sie in das Zimmer trat und ihren Hut auf einen Stuhl warf; »bitte, nehmen Sie Platz, Señor, und sagen Sie mir, weshalb sich, seitdem wir das Schiff verlassen haben, eine so tiefe und finstere Falte über Ihre Stirn gezogen hat.«

»Unsere Lebenswege sind nicht alle glatt und mit Rosen bestreut«, sagte Rafael, während er der Einladung Folge leistete. »Wer hat an Bord eines Schiffes Sorgen? Für die Zeit der Fahrt übergibt der Passagier sein ganzes Ich der Obhut des Kapitäns und des Mayordomo, und erst wenn er das Land betritt, beginnt er wieder ein selbständiger und selbständig gequälter Mensch zu werden.«

»So haben Sie hier Sorgen gehabt?« fragte das junge Mädchen, und es lag dieses Mal eine so wahre Teilnahme in ihrem Ton und Blick, daß Rafael sich nicht enthalten konnte, – er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und sagte leise:

»Ich danke Ihnen, Señorita, für diese Frage, Sie haben mir wohl damit getan, denn selbst Sorgen tragen sich leicht, wenn man weiß, daß noch irgend jemand in der weiten Welt lebt, der Teil an uns nimmt. Nur allein tragen sie sich schwer.«

»Haben Sie vielleicht jemand Liebes verloren?«

»Ja«, sagte Rafael nach einigem Zögern, indem sein Blick fast unwillkürlich, aber von der Fragenden nicht beachtet, auf den goldenen Reif fiel, den er an der Hand trug, – »aber nicht durch den Tod.«

»Es gibt Fälle, wo das noch weher tun kann«, sagte leise das plötzlich ganz ernst gewordene Mädchen.

»Mancher Schmerz«, sagte Rafael, die trübe Stimmung gewaltsam von sich abschüttelnd, »trägt aber auch wieder in seinen eigenen Ursachen schon ein Heilmittel, wie der Biß mancher Schlangen unschädlich werden soll, wenn man ihr Gift trinkt.«

»Sie sprechen in Rätseln.«

»Ich brauche vor Ihnen kein Geheimnis daraus zu machen. Ich weiß nicht, wie es kommt, ob es Ihr eigenes offenes Wesen gegen mich sein mag, aber mir ist ordentlich, als ob ich vor Ihnen kein Geheimnis haben dürfte.«

»Sind wir nicht alte Verbündete?« lächelte Lydia.

»Gewiß«, erwiderte Rafael, »und wollen es auch bleiben. Meine Geschichte ist übrigens mit einigen Worten erzählt. Ich hatte ein ziemlich bedeutendes Besitztum in der Nähe von Lima und – eine Braut . . .« – Lydias Blick flog jetzt nach dem Ring an seinem Finger. »Während meiner Abwesenheit starb mein Onkel, der mein Gut verwaltete, das, wie ich vermute, durch eine Schurkerei in andere Hände überging, ohne daß ich selber einen Dollar dafür erhielt.«

»Aber wie ist das möglich?«

»Was ist in Peru nicht möglich! Der jetzige Besitzer hat jedenfalls einen Kaufbrief darüber, und meine Braut scheint nicht mich, sondern nur das Gut geliebt zu haben.«

»Pfui«, sagte Lydia verächtlich, »dann hat sie nicht verdient, daß Sie ihr auch nur einen einzigen Seufzer nachschicken! Sind Sie jetzt wirklich ganz arm?« setzte sie mit wahrer Herzlichkeit und Teilnahme hinzu.

»Nein«, lächelte Rafael, »ich besitze Mittel genug, um von vorn zu beginnen; aber mir liegt jetzt daran, den Betrug zu entlarven.«

»Und wer ist der jetzige Eigentümer Ihres Gutes?«

Die Tür ging in diesem Augenblick auf, Lydias Gesellschafterin steckte den Kopf herein und sagte:

»Señor Desterres läßt anfragen, ob es der Señorita genehm wäre, wenn er ihr seine Aufwartung machte.«

»Er meldet sich selber«, lächelte Rafael.

»Wer? Desterres?« rief Lydia rasch und erstaunt.

Der junge Mann nickte nur.

»Es wird mir sehr angenehm sein!« rief sie ihrer Begleiterin zu, und in der nächsten Minute trat Desterres, einen wundervollen Blumenstrauß in der Hand, auf die Schwelle, und eben nicht angenehm überrascht haftete sein Blick einen Augenblick auf Don Rafael. Wenn ihm aber die Gegenwart eines Dritten auch wohl nicht erwünscht sein mochte, so konnte er jetzt doch nicht mehr zurück, und auf die junge Dame zueilend, sagte er:

»Señorita, erlauben Sie mir, Ihnen einige Kinder unserer armen peruanischen Flora zu Füßen zu legen, die erst in Ihrem Besitz einen Wert gewinnen können!«

»Oh, die reizenden Blumen!« rief Lydia, indem sie den Strauß aus seiner Hand nahm und das Gesicht darüberbeugte – »wie dankbar bin ich Ihnen dafür! Aber, was ist das?« sagte sie plötzlich, als sie, um die zusammengebundenen Stiele herumgewunden, einen fremden Gegenstand fühlte und ein kunstreich gearbeitetes goldenes Armband entdeckte.

»Entschuldigen Sie, Señorita«, bat Desterres, »ich konnte keinen würdigeren Gegenstand finden, sie zusammenzuhalten! Aber trotzdem ist er immer noch viel zu unbedeutend, als daß Sie ihn auch nur beachten sollten!«

»Sie sind sehr liebenswürdig, mein lieber Desterres«, sagte Lydia mit gewinnender Freundlichkeit. »Oh, sehen Sie nur, Don Rafael, welch ein wundervolles Armband! Das werde ich jedenfalls bei meinem ersten Auftreten hier tragen!«

»Sie machen mich glücklich!«

»Aber ich weiß noch nicht einmal, ob sich die Herren kennen. Señor Desterres, Ihre vielen Titel habe ich vergessen«, lachte sie – »Señor Rafael Aguila, ein alter Reisegefährte von mir.«

»Ich habe heute morgen schon das Vergnügen gehabt«, sagte Desterres, indem er Don Rafael die Hand bot und sie herzlich schüttelte.

»Aber ich begreife gar nicht«, sagte Rafael nach einer mehr höflichen als herzlichen Verbeugung, »wie Sie von Chorillos hier hereingekommen sind – so rasch folgen doch die Züge einander nicht!«

»Allerdings«, lächelte Desterres, »die Sache ist nur die, daß wir mit einem Zug, nur in verschiedenen Abteilen, gefahren sind und ich noch mit den Blumen aufgehalten wurde, sonst wären wir wahrscheinlich zusammen bei der Señorita eingetroffen. Aber wollen Sie schon fort? Ich würde sehr bedauern, wenn ich Sie gestört hätte!«

Rafael war aufgestanden und hatte seinen Hut ergriffen. Auch Lydias Blick haftete fragend auf ihm.

»Ich habe noch viel zu besorgen«, sagte er, »und war eigentlich nur heraufgekommen, um mich zu erkundigen, wie es dem Fräulein ginge. Zu meiner Freude habe ich mich jetzt selber überzeugen können, daß es ihr gut geht.«

»Fahren Sie vielleicht jetzt nach Callao hinunter?« fragte Desterres.

»Ich? Nein. – Weshalb?«

»Ich glaubte, alle Welt fahre heute nach Callao – es ist der erste Transport von Kulis, südseeländische Insulaner, im Hafen eingelaufen, und man ist sehr gespannt darauf, die Leute zu sehen.«

»Südseeländische Insulaner?« fragte Rafael erstaunt.

»Haben Sie noch nicht davon gehört? Gewiß. Insulaner aus der Südsee, von den verschiedenen Inselgruppen; ich weiß nicht, von welchen. Man will einen Versuch machen, ob sie hier zu Arbeitern zu gebrauchen sind. Ich werde nachher auch hinunterfahren und ein oder zwei Dutzend von ihnen in Vertrag nehmen. Da es ein erster Versuch ist, gehen sie jedenfalls billig weg.«

»Arme Menschen«, seufzte Rafael, »und die sollen hier in dem trockenen, heißen Boden arbeiten? Das ist etwas, was sie daheim noch nicht einmal im Schatten ihrer Palmen versucht haben.«

»Es lernt sich alles«, lachte Desterres; »jedenfalls müssen sie ihren Vertrag acht Jahre einhalten, nachher können sie ja wieder in ihre Heimat zurückkehren und kommen dann als Kapitalisten nach Hause. Wenn sich die Sache bewährt, kann sie für Peru von den segensreichsten Folgen sein.«

Lydia hatte die beiden Männer, während sie zusammen sprachen, schweigend beobachtet; jetzt sagte sie zu Rafael:

»Bleiben Sie noch ein wenig, Señor, Sie können dann gleich noch eine andere Schiffsbekanntschaft erneuern.«

»Señor Stierna?« fragte Rafael, und ein leises Lächeln zuckte dabei um seine Lippen.

»Unser Schwede«, bestätigte die Señorita. »Er ist noch immer der alte; unverbesserlich.«

»Und Sie?«

»Auch immer die alte«, lächelte Lydia, »für alle meine Reisegefährten.«

»Ich bedaure wirklich, Señorita, gerade heute gezwungen zu sein, Ihre freundliche Einladung abzulehnen. Wenn Sie mir aber erlauben, wiederhole ich meinen Besuch.«

»Ich nehme Sie beim Wort«, rief Lydia schnell, und als er sich mit einer Verbeugung empfehlen wollte, schritt sie ihm noch bis zur Tür nach, reichte ihm dort die Hand, und während er einen leisen Druck derselben fühlte, flüsterte sie: »Wir bleiben Verbündete« – und setzte dann laut hinzu: »Auf baldiges Wiedersehen, Señor!«

Rafael stieg wie in einem Traum die Treppe hinab. Er mochte es sich kaum gestehen, wie weh es ihm oben getan hatte, als Lydia das Geschenk des fatalen Menschen mit solcher Freundlichkeit angenommen hatte, und doch war er deshalb aufgestanden und fortgegangen. Und wie vermochte dieses verführerische Wesen ihn mit dem einen Händedruck und Blick und den zwei herzlichen Worten wieder so ganz umzuwandeln! Aber sie spielte mit ihm, wie sie mit all den anderen spielte; denn daß sie diesen vertrockneten Desterres nicht lieben konnte, davon war er fest überzeugt.

»Es ist eine Kokette, eine durchtriebene Kokette«, flüsterte er vor sich hin, »und ich fürchte, sie hat nicht einmal ein Herz. Ich will sie auch nicht wiedersehen – auf der Bühne, ja; aber in ihre Nähe wage ich mich nicht mehr, denn die Motten flattern so lange um das Licht, bis sie sich die Flügel verbrennen, und ich meinesteils bin nicht gesonnen, ihren Triumphwagen mit durch die Welt zu ziehen.«

Mit diesem festen Entschluß ging er die Straße hinab und malte sich dabei im Geist trotzdem schon aus, wie sie sich wohl benehmen werde, wenn er ihr das nächste Mal begegnete.

 


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