Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Die Verschwörung

Mitternacht war längst vorüber, aber in der Calle Mata Vilena brannte in einem der größten Häuser, dessen untere Etage mit Eisenstäben fest versichert war, noch Licht, und dann und wann konnte der Nachtwächter, wenn er unten vorüberging, das Anklingen von Gläsern und auch wohl den gehobenen Ton einer Menschenstimme hören – sonst war alles ruhig, und der Mann schüttelte manchmal verwundert den Kopf, denn ein so hartnäckiges und dabei so lautloses Trinkgelage war ihm noch nicht vorgekommen. Ob er nur einen einzigen Menschen da hatte lachen oder gar einmal singen hören – Gott bewahre, das war gar nicht vorgefallen! Da saß gewiß einer dabei, der recht schöne und grausliche Geschichten erzählen konnte, oder Karten spielten sie. Und das war's auch – weshalb er sich den Kopf so lange zerbrach! Ein heimliches Spiel hatten sie dort oben, und deshalb war alles so ruhig und still, und nur manchmal, wenn sich einer ein Glas Wein einschenkte, konnte man es hören!

Der Mann hatte nicht so ganz unrecht. Die Leute dort oben, die in dem elegant eingerichteten Zimmer teils auf Rohrsofas ausgestreckt, teils in große Armsessel gelehnt lagen, spielten allerdings ein Glücksspiel, aber ein noch viel gefährlicheres, als das mit Karten sein konnte, wie der Nachtwächter annahm, denn als Einsatz stand – ihr eigener Hals.

Es waren sechs junge Offiziere, zwei von ihnen eigentlich kaum dem Knabenalter entwachsen, die hier mit aufgeknöpften Uniformen, ihre Degen in die Ecken gestellt, eine Sache berieten, zu der eigentlich Männer gehört hätten, denn sie betraf nichts Geringeres als den Umsturz der ganzen peruanischen Regierung, der hier mit einem fabelhaften Gleichmut behandelt wurde.

Die wirkliche Aktion schien ihnen dabei die wenigste Sorge zu machen. Mit dem feurigen spanischen Wein im Kopf, wurde der eigentliche Hauptschlag, der morgen früh mit der ersten Dämmerung erfolgen sollte, als vollkommene Nebensache, wie als schon abgetan behandelt. Daß er mißlingen könne, daran dachte kein Mensch oder keiner schien auch nur eine solche Möglichkeit einzuräumen. Man betrachtete die Sache als schon geschehen, und die einzige Schwierigkeit schien nur noch die, gleich morgen eine solche Beförderung für alle »gut gesinnten« Offiziere eintreten zu lassen, daß sich keiner von ihnen zurückgesetzt fühlen und eine Gegenrevolution anzetteln konnte.

»Aber weshalb hat sich Santomo eigentlich heut' abend nicht eingefunden?« fragte ein blutjunger Bursche, wahrscheinlich der jüngste Offizier in der jungen Armee, indem er sich sein Glas wieder füllte, jedoch nur daran nippte, denn der schwere Wein war ihm überdies schon in den Kopf gestiegen. »Eigentlich hätte es sich doch gehört, daß er unserer letzten Zusammenkunft beiwohnte, wo er künftig die Spitze des Staates bilden soll. Es ist wirklich köstlich, daß er uns alles ganz ruhig überläßt, als ob ihn die Sache gar nichts anginge!«

»Sobald alles vorüber ist, wird er schon kommen«, sagte ein anderer, derselbe junge Offizier, der heute mit Oberst Desterres in dem Café zusammengetroffen war. »Er will jetzt nur nicht den Anschein erwecken, als ob er selber Castilla mit gestürzt hätte, und das kann ich ihm auch nicht verdenken. Es fehlte sonst gewiß nicht an gehässigen Auslegungen für seine Handlungen.«

»Jetzt hat er's freilich bequemer«, sagte der erste wieder, indem er die wohl schon zum zehntenmal ausgegangene Zigarre aufs neue am Licht entzündete, ohne sie aber nur an die Lippen zu bringen. »Wenn wir die Kastanien für ihn aus dem Feuer geholt haben, kommt er morgen nach dem Frühstück ganz vergnügt anmarschiert und sagt: Guten Morgen, meine Herren, schon so früh auf? Und nimmt von dem Palais Besitz.«

»So wird's auch werden, Kamerad«, nickte Hauptmann Ternate, der Älteste der kleinen Schar, der recht gut der Vater der anderen fünf jungen Leute hätte sein können, aber doch noch immer in der Hauptmanns-Uniform steckte. »Wir werden die Arbeit tun und grübeln und überlegen jetzt, wie wir alles am zweckmäßigsten einrichten können, und Santomo wirft dann wahrscheinlich unsere ganzen Pläne, ja vielleicht uns selber dazu, aus dem Fenster und tut erst recht, was er will und was ihn freut.«

»Wenn wir ihn lassen«, rief mit finster zusammengezogenen Brauen der hübsche junge Offizier, »wenn wir töricht genug wären, ihm die ganze Macht gleich von vornherein in die Hand zu geben, ja; aber dann hätten wir es auch gar nicht besser verdient!«

»Der Henker soll's holen«, meinte der Hauptmann, indem er sein Glas nahm und auf einen Zug leerte. »Habt Ihr schon einmal von einem hohen Berg hinunter einen Steinblock losgelassen? Zuerst ist's eine Heidenarbeit, bis man ihn los und locker bekommt und in Bewegung setzt; nicht einen Zoll breit will er weichen und liegt wie Blei, und alles muß anfassen, um ihn nur zu bewegen – ist er aber erst einmal in Gang gebracht und hat den Hang erreicht, nachher sucht ihn einmal wieder zu halten! Faßt nur einmal zu und seht dann, wie er alles beiseite und sich selber in wildem Sturz den Berg hinunterwirft! Nein, meine jungen Freunde, in Gang können wir den Fels bringen, wenn wir uns mit den Schultern tüchtig dagegenstemmen, aber nachher müssen wir ihn laufen lassen, wie er eben laufen will, oder er nimmt uns selber mit hinab!«

»In dem Fall«, sagte ein anderer, der bis jetzt schweigend auf dem einen Rohrsofa gesessen und seine Zigarre geraucht hatte, »dächte ich, es wär' das Allergescheiteste, wir ließen ihn liegen, wie er gerade liegt, ohne uns selber zu belästigen.«

»Zu spät«, sagte der junge Mann, der hier den Vorsitz zu führen schien – jedenfalls waren die übrigen seine Gäste –, »wir haben uns schon zu weit eingelassen.«

»Ob es zu spät ist oder nicht, hängt ganz allein von uns ab; denn wenn wir morgen früh oder vielmehr heute früh – denn es ist lange Mitternacht vorbei – nicht zur bestimmten Stunde an Ort und Stelle sind, so bleibt eben alles beim alten.«

»Wir haben aber unser Wort verpfändet!«

»Wem?« fragte der junge Offizier, sich von seinem Sofa rasch aufrichtend und den Freund ansehend, – »denen etwa, die es für gut befunden haben, hinter den Kulissen zu bleiben, um im richtigen Moment vorzuspringen und ihren Beuteanteil wegzuschleppen? Verwünscht wenig Sorge soll mir das machen! Derentwegen riskier' ich nicht mein Leben, nicht einmal Santomos wegen«, setzte er finster hinzu, »denn unser Alter ist mir am kleinen Finger lieber als der ganze meineidige Patron!«

»Aber weshalb dann um Gottes willen die Revolution?« lachte der alte Hauptmann – »dann hätten wir's doch bei Gott nicht nötig!«

»Das haben wir auch nicht«, sagte der junge Mann leichthin, »und daß wir jetzt revolutionieren, ist von unserer Seite reiner Übermut – es geht uns jedenfalls zu gut!«

»Du sprichst kindisch, Pablo«, sagte der Vorsitzende, der aufgestanden war, um aus der Nebenstube, dicht von der Tür weg, neue Flaschen herbeizuholen, da er die Diener schon lange zu Bett geschickt hatte, »und doch bist du es gerade gewesen, der von allem Anfang an Feuer und Flamme für die Sache war!«

»Das leugne ich gar nicht, Antonio, keinen Augenblick leugne ich das«, sagte der Angeredete; »aber aus einem ganz anderen Grund. Damals wollten wir offenen Bruch mit Ecuador und eigentlich weiter nichts, als den Alten nur halb gegen seinen Willen zwingen, da unten im Norden loszuschlagen. Jetzt weiß der Henker, wer sich da hineingeschoben hat! Aber unbemerkt genug ist's geschehen, und Ecuador wird eigentlich kaum noch erwähnt. Die Hauptsache scheint zu sein, daß wir diesen Santomo, den eigentlich kein Mensch genau kennt, für unseren alten, grauen Bären einwechseln, ja, ich habe sogar nicht unbegründeten Verdacht, daß dieser dickköpfige Mulatte, dieser Granero, mitten in unserer Verschwörung steckt, ohne daß einer von uns ihn auch nur mit einem Auge gesehen hat. Aber verdammt will ich sein, wenn ich auch nur einen Finger aufheben würde, um diesen Lumpen zu was anderem zu verwenden, als wozu ihn die Natur gleich von Anfang an bestimmte: zum Stiefelwichsen und Röckeausklopfen! Da ist, bei Gott, Oberst Desterres ein besserer Soldat als der!«

»Ich weiß nicht, was du immer mit meinem Onkel hast«, sagte Antonio; »du kannst dir doch denken, daß es mir nicht angenehm ist!«

»Nichts weiter«, sagte der junge Mann, »als was wir alle gegen ihn haben und was du leugnest, daß er nämlich der eifrigste Verschwörer von uns allen ist und uns alle nur wie Marionetten tanzen lassen will! Aber in seinem Erfolg soll er sich geirrt haben, darauf gebe ich dir mein Wort!«

»Aber Oberst Desterres . . .«

»Ist dein Onkel, und damit hältst du dich vollkommen entschuldigt, alle Augenblicke bald hier, bald da eine geheime Unterredung mit ihm zu halten, wobei wir dann glauben sollen, daß nur Privatgeschäfte verhandelt werden! Allerdings ist deine eigene Sicherheit dabei so gut gefährdet wie die unsere, aber ich weiß doch nicht, ob du recht daran tust.«

»Ach, laßt die Kindereien«, sagte der Hauptmann – »wer so tief drinsteckt wie Antonio, mag schon immer mit dem oder jenem konferieren, den er für unsere Sache geneigt hält, noch dazu, wenn es ein naher Verwandter ist; ein Verrat ist da nicht zu fürchten, und daß Oberst Desterres nie offen vortritt, ich dächte, so weit kennten wir ihn alle! Nachher wird er aber schon kommen und alle möglichen Ansprüche erheben, und dann, denk' ich, ist unsere Zeit, ihn in seine Schranken zurückzuweisen!«

»Ihr wißt gar nicht, wie weit uns mancher unserer geheimen Bundesgenossen nützt«, sagte Antonio, dem das Gespräch mißfiel. »Gerade im stillen läßt sich bei einem solchen Gespräch am meisten wirken, um die Gemüter vorzubereiten. Den Schlag selber kann jeder führen, der die Kraft dazu hat; aber wenn er geführt ist, was dann, wenn nicht Hände da sind, die das Steuer nehmen und das Staatsschiff wieder in ruhiges Wasser lenken?«

»Aber du willst doch wahrlich nicht behaupten«, riefen drei oder vier auf einmal und rasch, »daß dein Onkel dazu der Mann wäre?«

»Nein«, sagte Antonio finster, »Ihr wißt ja auch selber, daß wir Santomo dafür gewählt haben. Aber fürchtet Ihr denn selbst jetzt noch einen Verrat, wo in kaum drei Stunden sich alles entschieden hat? Glaubt Ihr denn, Castilla wäre, wenn er auch nur das Geringste ahnte, am letzten Abend mit seiner gewöhnlichen Schutzwache von Chorillos hereingekommen und hätte uns hier so lange unbelästigt, ungefangen gelassen? Da kennt Ihr den Alten nicht! Noch vor Dunkelwerden ging ich am Palais vorüber, und nur die gewöhnlichen zwei Mann Wache standen im inneren Hof, ja, die eisernen Gittertüren waren nicht einmal geschlossen, und nur in zwei Zimmern brannte Licht.«

»Ach, von dort haben wir nichts zu fürchten«, sagte der alte Hauptmann kopfschüttelnd, indem er sich sein Glas wieder füllte und ganz in Gedanken langsam leer trank; »das einzige, was mir noch nicht in den Kopf will, ist die Patrouille, die uns begleiten muß und die nach euren Plänen von der Verschwörung nichts erfahren soll, bis alles vorüber ist. Mir will dabei nicht gefallen, daß wir gerade im entscheidenden Augenblick unserer Sache und besonders unserer Leute nicht ganz sicher sind, denn fällt das geringste Unerwartete nachher vor, so sitzen wir gründlich auf dem Trocknen und können uns auf unsere eigene Mannschaft nicht verlassen.«

»Sie haben ganz recht, Hauptmann«, stimmte ihm Antonio bei, »und Sie wissen auch, wie oft wir das selber, ja, sogar hier in dieser nämlichen Stube, besprochen haben, aber Sie wissen auch, weshalb es nicht anders möglich ist.«

»Ih, nun ja«, sagte der Hauptmann, seinen Kopf herüber und hinüber wiegend, »es hat sein pro und contra, aber ich bin der Meinung, die Schwierigkeit hätte sich doch am Ende noch auf andere Weise umgehen lassen.«

»Und wie? Zögen wir die dreißig Mann ins Geheimnis, die wir zu der Patrouille brauchen, so wäre das so gut, als ob wir es der ganzen Kompanie mitgeteilt hätten; nur ein einziger Verräter unter so vielen Menschen, und wir wären verloren!«

»Dagegen hab' ich gar nichts«, rief der Hauptmann, »aber nachher, sobald die Leute auf dem Marsch sind! Wenn ich nun da, mitten in der Stadt vielleicht – denn die Straßen liegen da ja noch tot und menschenleer, wenn ich da vielleicht eine kleine Ansprache an sie hielte und ihnen mit kurzen Worten unseren Plan, wie wir das ja schon vorher besprochen haben, auseinandersetzte, daß wir nämlich Castilla nur zwingen wollten, uns nach Ecuador zu lassen, um Guayaquil zu plündern? Die Sache würde ihnen ganz außerordentlich einleuchten, und sicher ist sicher.«

»Und wenn sie die geringste Schwierigkeit machen, wenn nur einer von allen ein Bedenken hat, aus dem Gliede tritt und Lärm macht oder selbst nur am Palais den Schildwachen einen Wink gibt, was dann?«

»Ach, die Schildwachen«, sagt« der Hauptmann, den Kopf herüberwerfend, »Ihr Bruder ist ja auf Wache dort, Pablo, und unnötigen Lärm haben wir von dem nicht zu befürchten!«

»Das ist alles schön und gut«, sagte Antonio, »aber jetzt wäre es ganz unmöglich, den vorher genau besprochenen Plan noch einmal abzuändern, oder wir sind einer Gefahr ausgesetzt, die ich für die größte von allen halte, daß wir nämlich selber Konfusion machen, und dann können wir uns einfach jeder eine Kugel vor den Kopf schießen!«

»Gut, meinetwegen«, sagte der Hauptmann, nachdem er noch eine Weile still vor sich niedergesehen hatte, indem er sein Glas wieder füllte; »also bleibt's denn bei der Verabredung, und ich halte in der Zeit, in der die jungen Herrn dem Alten ihren Besuch abstatten, so lange unten bei der Patrouille.«

»Natürlich, wir dürfen die Leute nicht so lange sich selber überlassen und ihnen besonders keine Gelegenheit geben, sich miteinander zu unterhalten. So lange sie in Reih' und Glied stehen, muß jeder, wenn er auch einen Verdacht schöpfen sollte, seine Gedanken für sich behalten.«

»Hat die Patrouille wie gewöhnlich scharf geladen?« fragte der Hauptmann.

»Gewiß«, rief Antonio, »und sobald Sie das Zeichen hören, ist es Ihre Sache, Hauptmann, den Leuten augenblicklich zu erklären, daß wir die Regierung gewechselt hätten und kein Soldat mehr gezwungen wäre, in der Armee zu dienen, wenn er nach Hause zurückkehren wolle! Damit haben wir die Burschen alle! Dann gilt es nur, das eiserne Gittertor verschlossen zu halten, bis unsere Freunde Zeit haben, herbeizukommen!«

»Aber wie erfahren die es so rasch?«

»Durch Zeichen auf verschiedenen Dächern – das hab' ich alles heute besprochen. In gewissen Entfernungen, auf bestimmten Dächern warten schon zuverlässige Leute und passen auf, und das Signal wird so rasch fortgepflanzt, daß es in einer halben Minute an der Stelle wehen kann, wo es unsere Kanoniere erkennen können. Die drei Kanonenschläge tun dann das ihrige, und eine Viertelstunde später können wir darauf rechnen, daß wir wenigstens tausend gutbewaffnete Freunde vor dem Palais haben. Das übrige müssen wir dem Augenblick überlassen. Bis aber unsere Freunde herbeieilen können, sind wir gezwungen, das Palais jedenfalls, unter welchen Umständen auch immer, zu halten, und das wird das Schwierigste der ganzen Situation sein; aber die Hauptsache haben wir dann schon hinter uns, ungeschehen kann es nicht mehr gemacht werden.«

»Schön, das ist immer ein großer Vorteil«, sagte Ternate, »und gibt dem Menschen eine gewisse Sicherheit. Wieviel Uhr ist's jetzt?«

»Es muß gleich vier Uhr sein; ich glaube, dort drüben dämmert schon der Tag . . .«

»Nein, so früh noch nicht; zur Dämmerung hat's fast noch eine Stunde Zeit, aber mit Schlafen wird's doch nichts mehr werden. Wir sind auch alle zu aufgeregt. Desto besser werden wir morgen nacht schlafen.«

»Aber wo?« fragte Pablo, indem er seinen Zigarrenstumpf wegwarf.

»Wo? Wieso? Doch wohl in unseren Betten?« sagte Antonio.

»Möglich«, erwiderte gleichgültig der junge Offizier; »aber, weiß der Teufel, woher es kommt, ich habe so eine Ahnung, daß das am Ende nicht in unseren Betten sein wird und daß die ganze Sache schief geht!«

»Nun fang' du im letzten Augenblick noch an, Unglück zu prophezeien«, rief Antonio unwillig, »das hätte noch gefehlt! Wenn ihr den Mut verliert, dann freilich ist alles verloren – wenn wir aber den Kopf oben behalten, dann möchte ich wirklich wissen, was uns geschehen könnte?«

»Bah, kehrt euch nicht an mich«, sagte der junge Mann; »sobald ich ein Glas Wein zuviel trinke, wird mir das Blut schwer und dick, und ich fange an melancholisch zu werden – hier, Hauptmann, auf daß wir vor morgen abend noch die Generals-Epauletten auf den Schultern tragen! Heh?« – Und damit hielt er ihm das volle Glas entgegen.

»Wäre nicht so übel«, sagte der Hauptmann, indem er das seinige gegen ihn hob und dann auf einen Zug leerte, »und bei mir wenigstens auch wahrhaftig nicht zu früh. Aber Señores, ich denke, es wird Zeit, daß wir aufbrechen, denn wir alle werden doch wohl noch einmal gern vorher nach Hause gehen, um uns zu waschen und frisch zu machen. Auch die nötigen Waffen trägt wohl nicht jeder bei sich; ich habe die meinigen wenigstens weggeschlossen, denn sicher ist sicher.«

»Gut denn«, stimmte Antonio bei; »es ist auch besser, daß wir nachher nicht alle hier aus meinem Hause einer bestimmten Richtung zugehen, denn die Nachtwächter sind jedenfalls noch bei der Hand. Du, Pablo, führst die Patrouille, nicht wahr?«

»Meine letzte, ja«, lachte der junge Offizier.

»Deine letzte?«

»Nun, wenn ich morgen General werde, soll ich doch wohl keine Patrouillen mehr führen!« lautete die scherzende Antwort. »Übrigens habe keine Angst, ich bin zur rechten Zeit auf der Plaza, und dort finden wir uns ja alle wie zufällig zusammen. Laßt nur nicht zu lange auf euch warten; die Leute werden sonst nicht allein mißtrauisch, sondern der Morgen rückt auch zu weit vor, und wir wissen dann nicht, was uns in den Weg kommen kann.«

»Das hat keine Not«, riefen die anderen, »wir werden schon unsere Zeit einhalten!«

»Noch eine Frage, meine Herren«, rief Pablo, als die übrigen aufsprangen und sich zum Gehen rüsteten – »haben Sie sich denn auch wohl einmal die Frage gestellt und beantwortet, was wir nun anfingen, wenn die Sache doch, wider alles Erwarten, verkehrt abliefe? Wie, noch nicht? Es wäre doch eigentlich der Mühe wert, denn wenn der Fall wirklich eintreten sollte, würde uns nachher verdammt wenig Zeit übrigbleiben, um uns in aller Ruhe zu überlegen, was wir nun tun!«

»Dann bleibt uns nichts übrig als Flucht!« rief Antonio.

»Flucht? Wohin?«

»Auf das französische Kriegsschiff, das im Hafen liegt – der Franzose liefert keinen politischen Flüchtling aus!«

»Hm«, meinte Pablo nachdenkend, »wie ich eben bemerke, habt ihr euch die Sache noch nicht überlegt; aber es wird auch wohl nicht nötig sein und alles dann gleich so oder so an Ort und Stelle ausgemacht werden. Und nun auf Wiedersehen, Compañeros! Einmal marschieren wir jedenfalls noch zusammen, und das andere findet sich nachher.« Und seinen Degen vom Tisch nehmend und umschnallend, rückte er sich die Dienstmütze aufs eine Ohr und verließ, leise einen Marsch vor sich hin pfeifend, das Haus.

Die übrigen folgten ihm, der Hauptmann ausgenommen, der noch etwas auf dem Herzen zu haben schien. Er blieb wenigstens stehen, schenkte sein Glas, aber ganz in Gedanken, noch einmal voll, ohne es zu leeren, und es war augenscheinlich, daß er noch irgend etwas sagen wollte. Wenn das aber seine Absicht gewesen war, mußte er sich anders besonnen haben, denn er drehte sich plötzlich auf dem Absatz herum, sagte »Guten Morgen, Antonio!« und verließ ebenfalls das Haus.

Antonio blieb allein. Er hatte das wunderliche Wesen des Hauptmanns nicht einmal bemerkt, sondern ging mit verschränkten Armen auf und ab. Es waren andere Gedanken, die sein Herz erfüllten und die, wenn auch bis jetzt von jugendlichem Übermut und Ehrgeiz zurückgedrängt, dicht vor dem entscheidenden Augenblick ihr Recht erzwangen und sich zu Tag arbeiteten – der Gedanke an daheim, an die Mutter, an die Geschwister.

Er sah nach seiner Uhr – daß der Hauptmann das Zimmer verließ, hatte er kaum bemerkt. Es fehlte etwa noch eine halbe Stunde an der bestimmten Zeit, in der er von hier aufbrechen mußte. Rasch nahm er Papier und Schreibzeug her, um noch einen kurzen Gruß nach Hause zu senden, dann entkleidete er sich bis zum Gürtel und wusch sich Gesicht und Brust mit frischem Wasser, trocknete, ölte und kämmte dann sein Haar, als ob er zur Parade ginge, zog sich dann wieder mit äußerster Sorgfalt an, nahm seine Pistolen, schnallte seinen Degen um, und bald darauf ging er mit festen entschiedenen Schritten seinem Ziel, der Plaza, entgegen, um sich dort mit den Kameraden zu vereinigen.

Wie hohl sein Schritt auf dem Pflaster der leeren Straße klang, wie unheimlich hohl! Aber die Dämmerung ist unter den Tropen kurz. Noch hatte er die Plaza nicht erreicht, als sich schon einzelne kleine Nebelstreifen im Osten von der nahenden Sonne röteten, und die Straße herab kamen auch schon ein paar Neger mit ihren Milchgefäßen auf dem Maultier, und Indianerjungen, die andere, mit Früchten schwerbeladene Tiere vor sich her zu Markte trieben. Auch die Neger, die mit ihren Eseln Wasser auf der Plaza holten, trafen schon ein.

Der Tag brach an, und Antonio war auch nicht zu früh gekommen; denn als er die Plaza erreicht hatte und dort stehenblieb, hörte er schon den gemessenen Schritt der nahenden Patrouille, die eine der nächsten Seitenstraßen herunterkam.

 


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