Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Die Diebeshöhle

Am nächsten Morgen war Rafael früh im Polizeigebäude, um sich die Leute, die er mitzunehmen gedachte, auch selber auszusuchen. Er brauchte dazu handfeste Burschen, denn der Mulatte war sehr kräftig, und seine Schwester war, wenn es zu einem Kampf kam, ebenfalls nicht ganz außer acht zu lassen. Überdies wußte man nicht einmal, ob auf seinen Notruf nicht die Nachbarn beispringen würden, ehe die Polizei imstande war, herbeizueilen. Der Polizeidirektor hatte das aber schon selber bedacht und vier so tüchtige Gesellen für ihn bestimmt, daß der junge Mann nichts an ihnen auszusetzen fand. Alle wußten mit Feuergewehren umzugehen und trugen, wenn auch versteckt, ihre Revolver, offen dagegen ihre langen Messer bei sich, was den Fleischern gestattet wurde, wenn sie ein wildes Rind transportierten, um es im Notfall abstechen und unschädlich machen zu können.

Beritten waren sie ebenfalls, denn es wird in all diesen spanischen Ländern keinem Menschen je einfallen, auch nur eine Viertelstunde Weges zu Fuß über Land zu gehen. Jeder führte natürlich auch noch einen Lasso mit sich, an den das Vieh gewöhnlich genommen und so geführt wird.

So trabten sie, als sie erst einmal die Rollsteine des ersten Teiles des Weges hinter sich hatten, die Straße entlang, überholten kurz vorher, ehe der Weg in das Negerdorf links abbog, die berittene Polizeipatrouille, die schon voraus beordert war, und hielten kurze Zeit später vor dem von Rafael bezeichneten Hause an, wo sie abstiegen und ihre Tiere draußen befestigten.

Scipio trat in die Tür, als er das Pferdetrampeln draußen hörte und Rafael an der Spitze der Leute erkannte; lachend rief er:

»Na, wenn meine Schwester jetzt herüberkommt, wird sie Euch schön auslachen, Señor! Vier Leute bringen Sie mit, um eine Kuh zu transportieren, die das Mädchen allein aus Lima herausgeführt hat! Die Umstände hätten Sie sich wahrlich sparen können, und wenn ich vorher gewußt hätte, daß Sie so viel Geld dafür ausgeben wollten, konnte ich es ebensogut selber verdienen.«

»Was tut's, Señor«, rief Rafael zurück, »wir sind nun einmal da, und geht die Kuh geduldig, nun, desto besser. Wie ich sie aber gestern sah, traute ich ihr nicht so recht, denn es schien mir fast, als ob sie einen falschen Blick hätte. Wollen Sie uns erlauben, daß wir das Tier jetzt mitnehmen?«

»Gewiß, gewiß, Señor«, rief der Mulatte; »nur einen kleinen Augenblick möchte ich Sie noch bitten, zu warten, bis meine Schwester kommt, denn es ist so Sitte bei uns, daß der oder die, welche das verkaufte Vieh gefüttert hat, auch beim Abholen ein kleines Geschenk bekommt.«

»Oh, mit Vergnügen, Señor!« rief Rafael rasch, während ihm indes gar nichts daran lag, das Frauenzimmer dabei zu haben, wenn sie den Burschen gefangen nahmen. »Übrigens brauchen wir sie deshalb nicht selber zu bemühen, denn ich könnte ja Ihnen das Geschenk ebensogut übergeben.«

»Dann glaubt sie doch nachher, daß ich sie betrogen hätte«, lachte der Mulatte; »sie ist arg mißtrauisch, aber sie muß gleich hier sein. Wollen Sie nicht so lange ins Haus treten, Señor?«

Rafael hatte den Burschen mit so großer Höflichkeit behandelt, daß dieser sich schämte, zurückzustehen, und der junge Mann betrat das Haus. Die Peones mußten draußen warten, denn der Schwarze hielt sich als Gutsbesitzer und Viehhalter für ebenbürtig mit jedem weißen Caballero, in deren Gesellschaft man natürlich keine Knechte dulden durfte.

Im Hause wäre es überdies eine mißliche Sache gewesen, den Burschen festzunehmen, denn die alte Großmutter saß darin, und man mochte sie doch nicht der Gefahr aussetzen, in dem jedenfalls entstehenden Getümmel verletzt zu werden.

Rafael betrat den kleinen, ziemlich schmutzigen Raum und ließ sich auf einen ihm zugeschobenen Schemel nieder; aber das Warten hielt er nicht lange aus. Das Herz schlug ihm fieberhaft in der Brust, die Aufregung und Erwartung beengten ihn so, daß er kaum Atem holen konnte, und er beschloß, diesem Zustand so rasch als möglich ein Ende zu machen.

»Wenn es Ihnen recht ist, Señor«, sagte er nach einer kleinen Pause, in der der Mulatte in einem breiten Wandschrank gekramt, die Tür desselben aber nur so weit geöffnet hatte, daß er mit dem Arm hineinfahren konnte, »so lassen wir die Leute indessen die Kuh fangen und festlegen; ich bin mit meiner Zeit etwas beschränkt und möchte gern so rasch als möglich wieder in Lima sein.«

»Von Herzen gern, Señor«, erwiderte der Bursche, indem er jetzt aus dem Schrank eine noch halbgefüllte Flasche zum Vorschein brachte; »vorher müssen wir aber noch einmal eins auf den Kauf trinken. Sie werden mir doch Bescheid tun, hoff' ich?«

»Sicher«, erwiderte Rafael, denn er konnte nicht gut ausweichen und sah mit eben nicht großem Behagen, wie der Mulatte ein paar nichts weniger als reinliche Gläser, die Gott weiß wie lange schon im Gebrauch waren, von dem nächsten Brett nahm, notdürftig mit einem alten Lappen auswischte und dann ein trübes Gebräu, das einen scharfen Aguar-diente-Geruch hatte, hineinschüttete.

»Also, Señor«, sagte der Mulatte, das eine Glas ergreifend und gegen seinen Gast haltend, indem er ihm das andere mit der linken Hand hinschob, »auf weitere Geschäfte miteinander und daß Euch die Kuh und der Handel gefallen möge!«

»Auf weitere Geschäfte miteinander!« erwiderte Rafael etwas zweideutig, indem er das Glas an die Lippen hob und daran nippte. Scipio leerte sein ziemlich großes Glas auf einen Zug, ohne auch nur eine Miene dabei zu verziehen, schob dann die Flasche zurück und rief die vermeintlichen Peones an, ihm in den Hof zu folgen. Er selber schritt voraus und erwartete draußen die Leute, um ihnen die verkaufte Kuh zu zeigen.

Die Leute zogen, als sie das Haus betraten und hindurch gingen, höflich ihre Mützen ab und grüßten die Alte, die aber von ihnen nur wenig Notiz nahm – es waren ja nur Peones, ihr Enkel besaß dagegen Grundeigentum. Draußen im Hof änderte sich aber bald die Sache, denn jetzt blieb weiteres Zögern nicht mehr nötig.

Der kleine Hofraum mochte etwa zwanzig Schritt breit sein und sah ebenso schmutzig und verwahrlost aus wie das Haus selber; dahinter aber lag der mit starken Pfosten und Querstangen fest eingezäunte Corral, in den die Kühe zum Melken getrieben und dort auch morgens gefüttert wurden. War das geschehen, dann ließ man sie wieder in eine weite Einfriedigung hinaus, wo sie sich den ganzen Tag damit vergnügen konnten, auf dem dürren, vollkommen nackten Boden spazierenzugehen und unter ein paar dürftig belaubten Bäumen Schatten gegen die glühenden Strahlen der Sonne zu suchen.

Die Kühe waren heute morgen schon früh gemolken und gefüttert und wieder in die große Einfriedigung hinausgejagt worden. Nur die verkaufte Kuh hatte man zurückbehalten, um sie, wenn sie abgeholt werden sollte, gleich bei der Hand zu haben. Sie lag wiederkäuend im Schatten einiger Akazien, deren Laub aber auch so trocken und verbrannt aussah, als ob es jeden Tag abfallen könnte.

Scipio blieb, als die vermeintlichen Peones durch das Haus kamen, mitten in dem kleinen Hofraum stehen, und auf den Corral deutend, sagte er zu den Leuten:

»Dort liegt die Kuh, sie ist wie ein Lamm; einer von euch kann sie ruhig bei den Hörnern nehmen und hinführen, wohin er will.«

»Desto besser«, rief der eine von den verkleideten Polizisten, »dann brauchen wir auch die vier unbequemen Lassos nicht und einer oder zwei sind genug. Wirf sie hierher, José.«

Dabei warf er, während zwei stehenblieben und der dritte herankam, wie um dem Befehl Folge zu leisten, seinen eigenen Lasso dicht neben dem Mulatten auf den Boden nieder und streifte sich dann seine Ärmel in die Höhe. Sein Gefährte warf seinen Lasso ebenfalls auf den ersten, und beide Polizeidiener hatten jetzt, während Rafael vor ihm stand, den Mulatten in der Mitte.

Diese Bewegung mußte dem Burschen verdächtig vorgekommen sein, denn er warf, aufmerksam werdend, den Kopf empor – doch zu spät. Von beiden Seiten sprangen sie zu gleicher Zeit auf ihn ein und suchten seine Arme zu fassen, während die beiden anderen, die vielleicht noch zehn Schritte von ihm entfernt standen, jetzt ebenfalls zur Hilfe herbeisprangen.

Rafael hatte indessen seinen Revolver herausgezogen und feuerte einen Schuß in die Luft hinein – das verabredete Zeichen –, während der Mulatte mit Riesenstärke gegen die Übermacht ankämpfte und dabei um Hilfe schrie.

»Verrat!« brüllte er, indem er seine Arme frei zu bekommen suchte, »Verrat! Hilfe! Hilfe! Hierher, Nachbarn! Spione! Spione! Verrat! Hilfe!«

Ein Aufschrei antwortete ihm, wie ihn eine gereizte Tigerin ausstoßen mag, wenn man ihr ein Junges rauben will, und wie eine Furie, mit vorgestreckten Armen und rollenden Augen, stürzte Scipios Schwester aus dem Haus; sie hielt sich in der Tat nicht lange mit Kleinigkeiten auf.

Ehe Rafael nur dazwischen springen konnte, fuhr sie schon dem einen Polizeidiener mit den gekrallten Fingern der einen Hand durch das ganze Gesicht, während sie den anderen bei der Kehle packte, daß dem Mann die Augen aus dem Kopf traten; daß sie der dritte dabei mit voller Faust und aller Kraft, ohne irgend welche Rücksicht auf das schöne Geschlecht zu nehmen, wider die Stirn traf, schien sie nicht im geringsten zu berühren; sie wankte und wich nicht, und Scipio fing an, Luft zu bekommen.

In dem Gefühl verdoppelte er auch seine Anstrengungen, dem Griff der Feinde zu entgehen, und hatte den linken Arm schon freibekommen. Rechts und links bei den Nachbarn wurde es bereits laut und lebendig.

»Holla, was ist das?« riefen ein paar rauhe Stimmen, und schwarze, drohende Gestalten warfen sich gegen die Umzäunung, die beide Höfe voneinander trennte, um herüber zu klettern. Die alte Frau im Hause, die ein entsetzter Zeuge des Kampfes war, erhob dabei ein Zetergeschrei, und Rafael sah ein, daß er selber mit zuspringen mußte, wenn sie ihre Beute nicht verlieren wollten. Kam der Mulatte auch nur für einen Augenblick frei und gelang es ihm, sich über die nächste Einfriedigung zu werfen, so hätte ihn die ganze peruanische Polizei nicht wieder in dem Häuser- und Gärtengewirr des Negerdorfes aufgefunden. Von der Schußwaffe wollte er aber nur im äußersten Notfall und zur Selbstverteidigung Gebrauch machen.

Der Griff der Megäre an des Polizisten Kehle war indessen so bedenklicher Art geworden, daß dieser losließ und, wie es schien, auch schon das Bewußtsein verlor. Rafael sprang deshalb zu, faßte den Arm des Frauenzimmers und riß die Hand gewaltsam von ihrem Opfer los. In dem Augenblick aber hörte er auch rasche Schritte hinter sich und sah aus dem Haus einen stutzerhaft gekleideten, aber nichtsdestoweniger ziemlich grobknochigen Mulatten gerade auf sich zuspringen. Scipio mußte ihn auch bemerkt haben, denn er schrie, indem er wieder einen verzweifelten Versuch machte, seinen rechten Arm frei zu bekommen:

»Hierher, Corona, zu Hilfe! Dein Messer heraus, stich die Hunde nieder!«

Señor Corona, denn niemand anders war es, als unser alter Freund, der hier der Señorita Morbido zu Hilfe eilen wollte, machte in der Tat eine verdächtige Bewegung, als ob er nach einer verborgenen Waffe greifen wollte. Rafael besann sich deshalb nicht lange, und den schon wieder eingeschobenen Revolver vorreißend, richtete er ihn auf den erschreckt davor zurückprallenden Farbigen; es schien jetzt, als ob er die Waffe auch wirklich gebrauchen solle, denn zu gleicher Zeit hatten links und rechts ein paar der zu Hilfe gerufenen Nachbarn ihre Spaliere erklommen und waren eben im Begriff, in den inneren Hofraum hinabzuspringen.

Da wurden vor und hinter dem Hause die klappernden Hufschläge der heransprengenden Reiter laut, von denen ein Trupp vor dem Hause seine Pferde zügelte, während der andere eine kleine hinter dem Corral liegende Seitenstraße besetzt hielt.

Die Nachbarn blieben oben auf ihren Umzäunungen sitzen und sprangen nicht in den Hof, und Rafael bemerkte, wie sogar der stutzerhafte Farbige nicht übel Lust zeigte, sich ihnen anzuschließen, denn er eilte auf die nächste Umzäunung zu und machte eben Miene, hinüberzuklettern, als der junge Peruaner ihm in den Weg trat. Seine Hilfe bei der Señorita war nicht mehr nötig, einer der Polizeidiener hatte sie mit dem Kolben seines Revolvers so gegen die linke Schläfe getroffen, daß sie in die Knie brach, und des Mulatten waren sie ebenfalls Herr geworden.

Rafael aber ersuchte den eleganten Neger mit vorgehaltenem Revolver doch jedenfalls so lange zu warten, bis man seine nähere Bekanntschaft machen könne, und Corona, der einen heiligen Respekt vor Feuerwaffen hatte, ließ bestürzt die Umzäunung los und fragte nur, was man von ihm wolle. Er habe nur den Lärm im Hof gehört und geglaubt, sein Freund Scipio würde von Räubern überfallen; deshalb sei er ihm zu Hilfe geeilt. Wenn er gewußt hätte, daß die Polizei dabei beteiligt wäre, würde es ihm nie eingefallen sein, der entgegenzutreten.

Rafael antwortete ihm gar nicht. Von beiden Seiten betraten jetzt die abgesessenen Dragoner, während vier von ihnen das Haus besetzt hielten und zwei davon mit gespannten Karabinern an der Haustür Posten faßten, den Hof, und nach einem kurzen, aber immer noch verzweifelten Kampf fand sich Scipio endlich gebunden und seine Ellbogen auf dem Rücken zusammengeschnürt in der Gewalt der Polizei, von der ihn zwei Mann bewachten.

Auch seine Schwester, die eine solche Energie in dem Kampf entwickelte, wurde gebunden, und der Beamte, den sie so freundlich bei der Kehle gehabt hatte, übernahm freiwillig ihre Bewachung. Für ebenso zweckmäßig hielt es aber der mitgekommene Gerichtsbeamte, der sich bis dahin bei der berittenen Patrouille gehalten hatte, Señor Corona einige Fragen vorzulegen, und man bedeutete ihm, ruhig im Hof zu bleiben und keinen weiteren Fluchtversuch zu machen, bis er entlassen würde. Er fügte sich dem auch, denn er sah ein, daß er nicht fort konnte.

»So, Señor Aguila«, sagte jetzt der Beamte, indem er zu Rafael in den Hof trat, »das wäre gelungen, und von der Nachbarschaft haben wir weiter nichts zu fürchten, denn wenn sie auch dem Burschen da – Santa Maria, wie der Schuft aussieht! – vorher beigestanden hätte, hüten sich die Leute doch sehr, offen mit der Polizei anzubinden. Ein reines Gewissen haben wenige, und wo sie nicht gezwungen werden, halten sie sich gern von derlei Einmischungen fern.«

»So können wir jetzt also an die Durchsuchung des Hauses gehen?« fragte Rafael.

»Mit dem größten Vergnügen«, lautete die Antwort; »paßt mir indessen nur gut auf unsere Gefangenen und schafft sie lieber etwas näher zum Hause – sicher ist sicher, und es ist besser, wir halten uns zusammen, übrigens habe ich zur Vorsorge noch eine Abteilung Ulanen herausbeordert, die, während wir hier beschäftigt sind, im Dorf patrouillieren sollen. Vorsicht kann nichts schaden.«

Der peruanische Beamte war allerdings mit äußerster Vorsicht zu Werke gegangen, denn wo er seine eigene Person einer Gefahr aussetzen sollte, gedachte er die doch vor allen Dingen sicherzustellen. Sie brauchten jetzt wirklich nicht mehr zu fürchten, in ihrer Arbeit gestört oder auch nur belästigt zu werden, denn die im Dorf entwickelte Militärmacht genügte, sämtliche Bewohner in ihren Häusern zu halten.

Scipio, der wohl ahnen mochte, auf was das alles hinauslief, der aber auch recht gut einsah, daß er in der Gewalt der Feinde sei und für den Augenblick alles über sich ergehen lassen mußte, lag jetzt ruhig und knirschte nur in machtloser Wut die Zähne zusammen. Desto rasender gebärdete sich aber dafür seine Schwester, die, kaum wieder zur Besinnung gekommen und ihre Hände gebunden fühlend, die wütendsten Anstrengungen machte, sich zu befreien, und ihre Wächter dabei mit einer Flut der ungeheuerlichsten und gemeinsten Flüche und Verwünschungen übergoß. Was die spanische Sprache nur an gotteslästerlichen und obszönen Vermaledeiungen besaß, das sprudelte über die Zunge der Negerin, und während ihr durch die furchtbaren Anstrengungen das Hemd in Fetzen um die Schultern hing, suchte sie noch immer sich zu befreien und Rache zu üben an denen, die sie hier in ihrem eigenen Hause so behandelten.

Ihr Wächter ließ alles ganz ruhig geschehen und stand lachend neben ihr, der machtlosen Wut spottend, bis sie anfing, mit gellender Stimme erst den unglücklichen Corona zu verfluchen, daß er mit freien Armen dabei stand und sie so ruhig mißhandeln ließ, und dann die Nachbarn um Hilfe anzurufen. Da erst hielt der Polizeimann es für angemessen, einzuschreiten, knüpfte ihr ruhig das buntseidene Tuch vom Hals ab, drehte es zu einem Knebel zusammen und schob ihr den so fest zwischen die Zähne, daß sie von da an auch nicht mehr imstande war, nur einen Laut über die Lippen zu bringen.

Indessen hatte der Beamte mit Don Rafael das Haus betreten. Es bedurfte hier in der Tat keines langen Suchens, um ihre Gewaltmaßregeln gegen die Familie vollkommen gerechtfertigt zu sehen, denn gleich im Wandschrank fanden sie die Beweise des in der Calle de Valladolid verübten Verbrechens in mehreren Saffian-Schmuckkästchen, die unter Wäsche und sonstigem alten Gerümpel versteckt in einer Ecke lagen.

Die alte Frau selber leistete dabei nicht den geringsten Widerstand. Kaum hatte sie gesehen, daß die Polizei Besitz von ihrem Hause nahm, als sie schon in eine Ecke kroch, dort niederkauerte und mit zitternden Gliedern und furchtsamen Blicken den Untersuchungen und Erfolgen der fremden weißen Männer folgte.

In dem Schrank fanden sich aber noch eine ganze Menge anderer Sachen, die augenscheinlich nicht in eine Negerhütte gehörten, unter anderem eine Holzschachtel mit verschiedenen Ringen, zwei goldene Uhren und viele andere Dinge, die aller Wahrscheinlichkeit nach höchst interessanten Stoff zu weiteren Untersuchungen boten. Als die Polizeisoldaten aber endlich daran gingen, den Fußboden aufzuheben, um zu sehen, ob der nicht auch noch versteckte Sachen barg, kam ein ganzes Warenlager der verschiedensten Dinge zu Tag, die von den Leuten gar nicht auf ihren Pferden weggeschafft werden konnten.

Der Beamte wußte sich indes zu helfen. Alle Neger in der Nachbarschaft besaßen Maultiere oder Esel, auf denen sie ihre Waren in die Stadt schafften. Einer der Leute bekam Auftrag, so rasch wie möglich eine Anzahl davon herbeizuschaffen, und als die Vorräte jetzt zu Tage gefördert wurden, merkte der Beamte wohl, daß sie einen ganz vortrefflichen Fang gemacht hatten.

Die Packtiere kamen bald; die Eigentümer hatten sich auch nicht einen Moment geweigert, ja, sogar unter keiner Bedingung Bezahlung annehmen wollen, da sie meinten, es müsse ihnen ja selber daran liegen, so schlechtes Volk aus ihrer Nachbarschaft loszuwerden, das sonst imstande wäre, den ganzen unschuldigen Ort in Verruf zu bringen. Die Leute waren ordentlich entrüstet über die Schlechtigkeit der Menschen im allgemeinen und dieser Morbidos, die sie immer für so ehrbare Leute gehalten hatten, im besondern.

Der Mulatte Scipio schien auch eine wahre Leidenschaft für Brieftaschen gehabt zu haben, von denen sich unter dem Hause in einem kleinen chinesischen Koffer ein ganzer Vorrat fand. Eine Menge von diesen enthielten auch noch Papiere, und Rafael übernahm ihre flüchtige Durchsicht, während die übrigen Sachen aufgeladen und festgeschnürt wurden. Zehn oder zwölf hatte er so durchgesehen, ohne das geringste Beachtenswerte darin zu finden, als er in einer einen offenen Brief mit seinem eigenen Namen auf der Adresse entdeckte.

»Señor, wir müssen fort«, rief der Beamte – »lassen Sie doch den Kram! Macht es Ihnen Spaß, ihn durchzustöbern, so finden Sie ja in der Stadt Zeit genug dazu!«

»Sie haben recht, Señor«, sagte Aguila, aber er war nicht gesonnen, das gefundene Beutestück mit abzuliefern, denn er wußte nicht, was später daraus werden konnte, wenn es in die Hände der Polizeileute fiel, unter denen Desterres sicherlich viele Freunde zählte. »Bitte, lassen Sie den kleinen Koffer mit aufladen!« Und die Brieftasche, die er noch in der Hand hielt, öffnend, als ob er etwas hineinnotiere, schob er dann ruhig und unbefangen in seine eigene Tasche.

Der Koffer wurde wieder verschlossen und mit aufgepackt. Für die drei Gefangenen waren indessen Esel mit Reitsätteln requiriert worden, um sie in die Stadt zu schaffen. Um die alte Großmutter kümmerte sich niemand, aber den Señor Corona hatte der Beamte mitzunehmen beschlossen.

In diesem Augenblick drängte sich Corona, den eine eigene Unruhe erfaßt zu haben schien, zu Rafael und flüsterte ihm zu:

»Señor, ich habe vorhin Ihren Namen gehört – ich kann Ihnen für Sie sehr wichtige Mitteilungen machen! Beschützen Sie mich – ich weiß alles!«

Rafael sah sich erstaunt nach dem Burschen um. Ehe er aber einen Entschluß fassen konnte, schrie die Negerin, die sich von ihrem Knebel zu befreien gewußt hatte:

»Laßt den dort nicht fort – haltet den gelben Schurken – er war mit dabei und will sich jetzt fortschleichen!«

Coronas Gesicht bekam eine ganz aschgraue Farbe, aber der Beamte rief lachend:

»Schon gut, Señorita, wir werden Sorge dafür tragen, daß er in Ihrer Gesellschaft bleibt! Hinauf mit dir, Bursche! Hast du nicht gehört, daß die junge Dame nach dir verlangt?«

»Sie lügt!« schrie Corona in Todesangst – »dieser Señor hier kennt mich – er weiß, daß ich ein ehrlicher Mann bin! Nicht wahr, Señor – nicht wahr, Sie wissen, daß ich mit diesen Leuten nichts zu tun habe?«

»Ich lüge – du feiger, nichtswürdiger Schuft!« schrie jetzt die zu äußerster Wut getriebene Megäre – »ich will dir beweisen, ob ich lüge oder nicht! Laßt ihn nicht fort, Señor, das ist der Hauptspitzbube von allen, und Ihr habt an ihm einen kapitalen Fang gemacht!«

»Helft mir, Señor!« bat der Mulatte noch einmal in Todesangst, aber Rafael wandte sich mit Ekel von ihm ab. Zwei von den Dragonern hatten ihn auch schon gefaßt, schnürten ihm zur Vorsorge die Hände ebenfalls auf den Rücken und halfen ihm dann auf seinen Esel, der kaum in die Reihe der übrigen rückte, als das wütende Negerweib seinen unglücklichen Reiter in Haß und Verachtung anspie und dann mit einer wahren Flut von Verwünschungen überschüttete.

Vier von den Dragonern saßen jetzt ebenfalls auf, um die gebundenen Verbrecher zu begleiten. Die übrigen Dragoner trieben indessen in einem etwas summarischen Verfahren auch das Vieh zusammen, um es, als Eigentum der Verbrecher, mit in die Stadt zu nehmen. Dagegen protestierte nun freilich Rafael, der die arme alte Frau nicht von allem beraubt sehen wollte – aber umsonst.

»Mein lieber Herr«, sagte der Beamte trocken, »die heutige Expedition kostet dem Staat sehr viel Geld, und die Untersuchung wird ebenfalls nicht gratis geführt, da müssen wir wenigstens etwas haben, an das wir uns halten können.«

»Gut«, sagte Rafael, »dann bitte ich Sie, wenigstens diese eine braune Kuh zurückzulassen!«

»Tut mir leid, bin es nicht imstande.«

»Und doch wird es besser sein«, sagte der junge Mann, »oder Sie würden genötigt werden, sie wieder herauszuschicken! Diese Kuh ist nämlich mein Eigentum; ich habe sie gestern von dem Mulatten gekauft und bar bezahlt – die Leute, die mit mir herausgekommen sind, können Ihnen das bezeugen, und ich schenke sie jetzt der alten Frau zu ihrem eigenen Gebrauch!«

»Hm, wenn die Sache so steht, ist es freilich etwas anderes«, sagte der Beamte; »schade übrigens um die Kuh – es ist die beste von allen, und die alte Diebsmutter verdient sie, bei Gott, nicht! Aber mit Ihrem Eigentum können Sie machen, was Sie wollen. Treibt die Kuh wieder in den Corral hinein und schließt die Umzäunung, daß sie nicht fort kann!«

Rafael trat jetzt noch einmal in das Haus und sagte der alten Frau, daß er die gestern gekaufte Kuh für sie da gelassen habe – aber sie hörte ihn gar nicht. In ihrer Ecke zusammengedrückt und scheu, kauerte sie am Boden und stierte vor sich nieder auf die aufgerissenen Planken. Rafael wollte ihr näher treten, aber kreischend schrak sie zurück und streckte die dürren Hände abwehrend gegen ihn aus.

Mit der Alten war nichts zu reden, so viel sah er ein und schritt deshalb hinüber zu einem der Nachbarhäuser, um dort zu sagen, daß die zurückgelassene Kuh der alten Frau gehöre. Aber finster drohende Blicke begegneten ihm auch hier statt des Dankes, den er doch weit eher verdient hätte.

»Unendlich gnädig, Señor«, höhnte ihn ein bös dreinschauendes Negerweib, »Ihr hättet sie aber doch lieber auch mitnehmen sollen! Was bekommt Ihr denn eigentlich fürs Spionieren?«

Draußen saßen die Soldaten schon alle im Sattel und ritten langsam die Straße hinab, und Rafael hielt es, nach den Blicken, denen er überall hier begegnete, wahrlich nicht für geraten, allein zurückzubleiben. Ohne deshalb ein Wort zu erwidern, drehte er sich ab, schritt zu seinem Pferd zurück, sprang in den Sattel und folgte den Vorangerittenen.

 


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