Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Des Cholos Rache

Klappernde Hufschläge draußen störten die glücklichen Menschen, denn die Pferde hielten vor dem Tor, und die Hunde heulten und winselten ihnen entgegen.

»Da kommt im Augenblick sehr ungelegener Besuch«, murmelte Bertrand vor sich hin, indem er mit Rafael und Juanita vor die Laube trat. »Das weiß der Henker, das ganze Jahr hindurch sucht uns hier niemand auf, und jetzt gerade . . .«

»Da sind sie!« jubelte eine Stimme draußen.

»Lydia?« rief Rafael unwillkürlich aus.

»Die Sängerin?« fragte Bertrand überrascht, denn er war noch nicht imstande gewesen, das Gefühl ganz abzuschütteln, daß Rafael diese gerade liebte oder daß ihr wenigstens der junge Peruaner nicht gleichgültig wäre. Die lebhafte Französin ließ ihm aber nicht lange Zeit zur Überlegung, denn während einer ihrer Begleiter schon aus dem Sattel gesprungen war und das Tor geöffnet hatte, sprengte sie, von Freund Deringcourt und Adele gefolgt, in den Hof herein und rief, ihnen ihr Tuch entgegenschwenkend, mit jubelnder Stimme aus:

»Ich wollte die Erste sein, die euch ihren Glückwunsch brächte; ist es mir gelungen?«

»Wer hätte ein größeres Recht dazu als Sie«, rief Rafael, indem er ihr seinen Arm entgegenstreckte, um ihr aus dem Sattel zu helfen.

»Ist es wahr, alter Freund, was uns Mademoiselle Valière unterwegs schon erzählt hat?« rief auch Deringcourt Bertrand an, und ein Durcheinander entstand jetzt von Fragen und Glückwünschen, die Juanita nur noch mehr verwirrten. Endlich rief Lydia aus:

»Und nun vor allen Dingen eine Erklärung, wie wir hier herauskommen. Hier, Señor Sarmiento, der Adjutant Seiner Exzellenz, der einen Auftrag für Don Rafael vom Präsidenten hat, kam zu uns, um sich zu erkundigen, wo der Herr, den er nicht zu Hause fand, wohl weilen möge. Mit einem geringen Ahnungsvermögen begabt, nannte ich ihm den Ort, und er war so liebenswürdig, Papa Deringcourt, Adele und mich um unsere Begleitung zu bitten, da er eben keine Trauerbotschaft bringt. Daß wir die Einladung mit Freuden annahmen, können Sie sich denken. Und nun, Señor, Ihre Botschaft, wenn ich bitten darf.«

»Die ist kurz genug«, sagte der junge Mann, indem er einen Brief aus der Tasche zog. »Seine Exzellenz schicken Ihnen hier, Señor Aguila, mit bestem Gruß die Papiere, die Sie wieder in den Besitz Ihres Grundstückes setzen, und lassen Ihnen sagen, daß die Untersuchung über das Ganze eingeleitet wäre.«

»Bravo!« rief Bertrand, »der alte wackere Castilla soll leben! Und wann kann Señor Aguila einziehen?«

»Señor Desterres hat nur darum gebeten, die Sachen vorher fortschaffen zu lassen, die er selber auf die Hacienda gebracht hat. Alle Verbesserungen dagegen bleiben Ihnen, ohne daß Sie verpflichtet wären, das Geringste dafür zu vergüten.«

»Nicht mehr als Recht«, rief Bertrand, »noch einmal bravo!«

»Ich werde noch selber in die Stadt kommen«, sagte Aguila, »um Seiner Exzellenz meinen wärmsten Dank für seine Vermittlung zu bringen, wie ich Ihnen jetzt, verehrter Herr, für Ihre rasche Ausführung des Auftrages danke.«

»Ich habe mir meine Belohnung gleich vorausgenommen«, sagte der junge Mann, »denn in der Begleitung zweier so liebenswürdiger junger Damen hier herauszureiten, werden Sie doch hoffentlich für keine Mühe halten!«

Wie glücklich war das junge Volk jetzt, wie lachten und jubelten sie, und Bertrand ließ dazu herbeischaffen, was Küche und Keller vermochten, um die frohe Stunde auch würdig zu feiern. Und dabei wurde Lydia geneckt, sie solle ihren Bräutigam nennen, denn durch Juanita hatte es Adele erfahren, und sie ließen dem jungen Mädchen jetzt keine Ruhe. Lydia aber war fast ernst dabei geworden und weigerte sich standhaft, und nur zuletzt gab sie endlich dem Drängen so weit nach, zu versprechen, daß sie ihn Rafael nennen wolle, wenn er sie an Bord begleite; denn das mußte er ihr zusagen, daß er noch mit Deringcourt an Bord des Dampfers käme, um ihr Lebewohl zu sagen.

»Es werden so viele langweilige Menschen dort sein«, rief sie, »und ich will wenigstens ein paar liebe, freundliche Gesichter um mich sehen, wenn ich von Peru scheide!«

Es ging schon gegen Abend, als die kleine Gesellschaft sich wieder zum Heimritt rüstete, und es war eigentümlich, zu sehen, wie gute Freunde in der kurzen Zeit Lydia und Juanita geworden waren. Noch nie hatte sich aber die junge Künstlerin so herzlich, so ganz natürlich und warm gezeigt wie gerade heute, und als ob sich ein paar Schwestern trennten, so schieden sie endlich voneinander.

Selbst dem alten Bertrand war das nicht entgangen, und als der kleine Trupp die Straße hinabsprengte und sie wieder zurück in den Garten gingen, sagte er:

»Wie ganz anders meine kleine Landsmännin heute war als sonst! Ich habe ihr gar nicht so viel Gemüt zugetraut.«

»Sie war gar so gut zu mir«, sagte Juanita, »es tut mir ordentlich weh, daß sie uns so bald schon wieder verläßt!«

»Sie kehrt ja in ihre Heimat zurück«, sagte Rafael, »und der Gedanke daran hat sie auch wahrscheinlich heute so weich gestimmt. – Aber nun, mein lieber Bertrand«, wandte er sich an diesen, »müssen wir auch noch einen wichtigen Punkt bereden: wo schlafe ich diese Nacht? So gern ich sonst Ihr Gast war, jetzt, als Juanitas Verlobter, geht es nicht mehr, und ich denke, ich quartiere mich ohne weiteres drüben im alten Hause ein.«

»Hm«, lachte Bertrand vor sich hin, »das hieße allerdings rasch Besitz ergreifen; aber ich weiß nicht, Junge – nun ja«, brach er kurz ab, »wir wollen einmal hinübergehen und zusehen, wie es dort ausschaut. Wenn du nun vielleicht nach Santos hinüberrittest; es sind kaum zehn Minuten Wegs? Dort fändest du gewiß Quartier.«

»Wir wollen uns erst vor Dunkelwerden den Platz da drüben einmal betrachten«, rief Rafael, den es drängte, wieder von seiner alten Heimat Besitz zu ergreifen; »nachher können wir ja noch immer tun, was wir für das beste halten.«

»Gut«, sagte Bertrand, sich kurz auf dem Absatz herumdrehend, dann komm aber auch gleich. Wir sind bald wieder da, Juanita.« Und Rafaels Arm ergreifend, schritt er mit ihm auf die Straße hinaus. Hier aber fuhr er fort: »Hör' einmal, mein Junge, in Juanitas Gegenwart wollte ich nichts davon erwähnen, denn sie hätte sich sonst zu Tode geängstigt, aber – ich denke, du suchst dir lieber ein anderes Quartier als das da drüben für die Nacht; so lange wenigstens der lumpige Cholo, der Aufseher, noch dort haust. Wir wissen noch immer nicht, wer damals den Schuß in unser Fenster gefeuert hat, und daß dich der Bursche haßt wie Gift, das kannst du dir denken.«

»Aber, was will er tun?« lachte Rafael; »wenn ich dort im ersten Stock schlafe und mein Zimmer verriegele, so wäre der feige Bursche der Letzte, der einen Angriff wagte, noch dazu, da ich meine beiden Revolver bei mir habe. Überdies kenne ich auch mit ziemlicher Sicherheit den Herrn, der damals einen Angriff auf mein Leben machte, und der sitzt jetzt entweder sicher hinter Schloß und Riegel oder ist auf der Flucht, um seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Selbst Pascuas würdigen Sprößling haben sie von hier verjagt oder vielleicht schon eingefangen. Nein, lassen Sie uns nur erst einmal das Quartier ansehen und fürchten Sie um Gottes willen keine Gefahr für mich.«

Bertrand war nur halb überzeugt, denn er hatte zu lange in Peru gelebt, um nicht zu wissen, zu welchen Mitteln derlei Gesindel oft seine Zuflucht nahm, nur um Rache für eine erlittene Mißhandlung oder Beleidigung zu üben; aber er wußte auch, daß sie im ganzen feig waren und ganz besonders die Feuerwaffen fürchteten. Dazu kam noch, daß er wirklich kein anderes passendes Quartier in der Nachbarschaft wußte, und da sie jetzt den inneren Raum der Hacienda betreten hatten, schritten sie rasch gegen das Haus zu, um das herum es noch wild genug aussah.

Eine Anzahl von Arrieros war eben noch beschäftigt, einem Maultier das letzte Gepäck aufzuschnüren; acht andere Tiere standen mit ihrer Ladung schon bereit, und es ließ sich nicht verkennen, daß die Leute ihr Äußerstes getan hatten, um rasch fertig zu werden. Der Aufseher stand mitten dazwischen, und als er die beiden Männer erblickte, nahm sein Gesicht gerade keinen freundlichen Ausdruck an; aber er grüßte wenigstens höflich und gab dann den Arrieros Befehl, augenblicklich nach Lima aufzubrechen und die anderen schon bestellten Treiber noch einmal zu ermahnen, daß sie so früh als irgendmöglich morgen am Platze wären.

»Nun, Zaca, wie weit seid Ihr?« redete Bertrand den Aufseher an; »Ihr habt Euch dazugehalten, wie ich sehe.«

»Morgen früh«, erwiderte der Bursche mürrisch, »sobald die Maultiere kommen, wird das Letzte aufgeladen. Um zehn Uhr kann alles fort sein und der Señor die Hacienda beziehen.«

»Das könnte vielleicht noch früher geschehen, Compañero«, lachte Rafael, »denn ich habe große Lust, schon heute nacht hier zu schlafen.«

»Dazu habe ich keine Anweisung«, sagte Zaca verdrießlich; »auf die eine Nacht wird's jetzt auch nicht ankommen.«

»Nun, Anweisung braucht Ihr auch nicht zu haben, Zaca, versteht Ihr«, meinte Bertrand, »denn das ist eine Sache, die nur uns angeht. Wir wollen uns aber erst einmal die Zimmer ansehen, in welchem Zustand sie sind und wie es mit den Betten aussieht. Ist das Haus offen?«

»Noch alles offen«, knurrte der Bursche; »wenn Sie hier Herr sind, brauchen Sie mich auch nicht um Erlaubnis zu fragen. Was kümmert's mich auch; ich habe und halte mein Bett noch für die Nacht, und morgen früh mag meinetwegen der Teufel hier wirtschaften!« brummte er halblaut in den Bart, als sich die beiden Männer schon von ihm abgewandt hatten und dem Hause zuschritten.

Was für ein eigentümlich wehes Gefühl Rafaels Herz beengte, als er jetzt die Räume wieder betrat, die er damals – es waren jetzt über sechs Jahre – voll Jugend und Reiselust verließ! Und sein armer Onkel – hier hatte er gehaust und hier die Hand des Meuchelmörders ihn erreicht! Armer Onkel – er sah ihn noch vor sich, den rüstigen Mann mit dem vollen, schwarzen, lockigen Haar, den klugen, offenen Augen und dem treuen Herzen –, und allein und freundlos hatte er hier sterben müssen, damit sich die Mörder in sein Gut teilen konnten!

Unwillkürlich schritt er die Treppe hinauf in seines Onkels Zimmer hinein, wo in der Ecke sein Bett, dort sein Schreibtisch gestanden hatte – aber wie wüst sah es hier aus! Wie es schien, hatte Desterres das Zimmer gerade nie wieder bewohnt oder bewohnt haben wollen, denn es war als Rumpelkammer verwendet worden, in der man aber doch das alte Bett und den alten Schreibtisch gelassen hatte. Mit allem möglichen Gerät aus dem ganzen Hause war es vollgepfropft worden, und wenn Rafael auch im Anfang den Wunsch gehegt hatte, hier die erste Nacht zu schlafen, mußte er den Gedanken aufgeben, denn er würde Stunden gebraucht haben, den Ort aufzuräumen und von Schmutz zu reinigen.

Dicht nebenan war Rafaels altes Zimmer, in dem er selber als Knabe und nach seines Vaters Tode als junger Mann gewohnt hatte; das sah reinlicher aus, denn es war von Desterres nur als Fremdenzimmer benutzt worden. Hier stand selbst noch sein altes, eisernes Bettgestell, aber die Betten waren freilich aufgeladen und fortgeschafft worden.

»Hier werde ich schlafen«, rief der junge Mann, »wieder in meiner alten Stube, nach so langen Jahren! Wie lange schon habe ich mich danach gesehnt, wenn ich auch freilich nie geglaubt habe, das alte, liebe Haus je so einsam, so öde wiederzufinden!«

»Je mehr ich mir die Sache überlege, Rafael«, sagte Bertrand, »desto weniger gefällt sie mir. Dieser Bursche, der Aufseher, hat allerdings sein eigenes kleines Haus drüben neben dem Stall, wo er schläft, und du könntest selbst die Haustür verschließen, und die Fenster unten sind alle vergittert; aber ich weiß nicht, ob du gut daran tust; reite lieber nach Santos hinüber.«

»Jetzt wäre es doch zu spät«, lachte Rafael, »und, Freund Bertrand, seit wann sind Sie denn eigentlich furchtsam geworden? Das ist ja eine Eigenschaft, die ich noch gar nicht an Ihnen kenne.«

»Furchtsam?« brummte der alte Franzose vor sich hin. »Wenn's 'was wäre, das uns offen die Stirn böte, so wäre ich wohl der letzte, der dir abriete; aber gegen Meuchelmord kann sich niemand schützen, und einer solchen Gefahr aus dem Weg zu gehen, ist wahrhaftig keine Furchtsamkeit!«

»Und gerade die Gefahr hätte wieder einen eigentümlichen Reiz«, lächelte Rafael, »wenn ich nur eben die geringste Gefahr darin sehen könnte, eine Nacht in meinem eigenen Bett zu schlafen.«

»So laß mich wenigstens bei dir bleiben!«

»Daß Juanita wirklich an eine Gefahr glauben und sich dort drüben zu Tode ängstigen sollte? Das geht auf keinen Fall. Nein, alter Freund, lassen Sie mir meinen Willen, und wenn Sie etwas für mich tun wollen, so schicken Sie mir eine Matratze und eine wollene Decke herüber, mehr brauch' ich nicht.«

»Nun denn, meinetwegen«, sagte Bertrand, »wer nicht hören will, muß fühlen, ist ein altes Sprichwort. Du bist alt genug, um zu wissen, was dir selber gut ist. Sind deine Waffen imstand?«

»Immer.«

»Gut, dann tu mir wenigstens den Gefallen und laß sie den Aufseher, wenn du einrückst, sehen. Das schadet nichts und ist kein Zeichen von Furchtsamkeit; im Gegenteil, es gibt dem Feind ehrliche Warnung, daß man für ihn gerüstet ist.«

Rafael lächelte über die Besorgnis seines alten Freundes, die sich in jedem Wort kundgab, versprach aber, das nicht zu vergessen. Ein junger Bursche wurde dann augenblicklich hinübergeschickt, um das Nötige im Hause wegen der Betten zu bestellen, damit sie nicht selber noch einmal zurück mußten, und Rafael und Bertrand gingen jetzt nach dem Stall hinüber, um diesen anzusehen. Da Rafael doch einige Tage hier draußen zu bleiben und gleich manches anzuordnen gedachte, mußte er auch einen Platz haben, wo er sein Pferd einstellen konnte, um es immer bei der Hand zu wissen.

Den Stall fanden sie übrigens in bester Ordnung, da Desterres' Pferde erst heute nach Lima hineingeschickt worden waren, und auch Futter war genug aufgespeichert. Bertrand war mit seinen Räumlichkeiten für Pferde überhaupt beengt, und Rafael beschloß, seinen Braunen hier ebenfalls gleich einzuquartieren. Einer von Bertrands Leuten sollte ihn nachher hinüberbringen.

»Dann bin ich mit Sack und Pack eingezogen«, lachte er, »und der braune Señor – wie heißt er gleich? – Zaca, glaub' ich, wird wohl einsehen, daß er sich am besten ruhig verhält, wenn er selber den Platz ungefährdet verlassen will.«

Bertrand drängte aber, das Haus noch einmal zu durchsuchen, ob auch dort alles in Ordnung sei. Er sah sämtliche Fenster nach, ob keins der Gitter fehle und ob die Schlösser an den beiden Türen in Ordnung wären, ging dann noch einmal in alle Stuben und setzte seine Besichtigung auch noch allein fort, als schon das Bett gebracht wurde und Rafael jetzt dabei blieb, sein kleines Zimmer mit Hilfe des Dieners für die Nacht so wohnlich als möglich herzurichten. In seines Onkels Zimmer hatte er auch noch altes Waschgeschirr gesehen; das wurde ebenfalls hineingeschafft, dazu ein Tisch und ein paar Stühle. Als er fertig war, traf er draußen mit Bertrand zusammen, der eben seine Revision beendet und alles in Ordnung gefunden hatte.

Es ließ sich überhaupt jetzt nichts mehr tun, denn die Dämmerung brach ein, und die beiden Männer gingen wieder hinunter in den Hof, wo Bertrand dem Aufseher noch anzeigte, daß er das Pferd gleich herüberschicken und Señor Aguila ungefähr gegen zehn Uhr kommen würde, um hier die Nacht zu schlafen. Dann gingen sie zu Bertrands Haus zurück, um dort den Abend zu verbringen, und Rafael vergaß bald alles andere in dem Glück dieser seligen Zeit der jungen Liebe.

Es war Nacht geworden, und der feuchte, dichte Nebel lag auf der Erde, der die peruanischen Küsten oft monatelang umhüllt und sich dann tief ins Land zieht und in die Täler legt. So heiß die Sonne auch über Tag gebrannt hatte, so kühl war es jetzt geworden, denn der Wind strich von den eisbedeckten Cordilleren nieder, und die Menschen suchten das schützende Dach ihrer Häuser, um sich vor dem kalten Hauch zu wahren.

Aber nicht alle. – Drüben am Fluß, im Schatten der Weiden, stand eine fest in einen gestreiften Poncho eingehüllte Gestalt und horchte aufmerksam hinaus in die Nacht. Manchmal gab sie ein vorsichtiges Zeichen durch einen leichten Pfiff und schritt dann wieder ungeduldig, wie um sich zu erwärmen, auf dem kleinen, ebenen Raum umher, der von dem höher liegenden, mit Geröll bedeckten Ufer eingeschlossen lag. Jetzt plötzlich blieb sie wieder stehen und horchte – das waren Schritte –, noch einmal tönte das Zeichen, aber kaum hörbar, um nicht unbequeme Lauscher herbeizurufen, und unmittelbar danach erschien eine dunkle Gestalt auf der niederen Anhöhe, die dort wie unschlüssig stehenblieb.

Der in dem Poncho war in den dichteren Schatten der Weiden zurückgetreten; jetzt pfiff er leise zwischen den Zähnen durch, und mit wenigen Schritten war der eben Gekommene an seiner Seite.

»Du hast mich lange warten lassen, Pedro«, sagte der erste; »Caracho, es zieht hier eisig kalt an dem vermaledeiten Fluß herunter. Komm jetzt ein Stück mit hinauf bis zu dem alten Feigenbaum; ich friere hier unten.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er rasch, von dem anderen gefolgt, der bezeichneten und allerdings wärmer gelegenen Stelle zu, wo er seinen Begleiter erwartete.

»Ich konnte nicht eher, Señor«, verteidigte sich jetzt Pedro, der alten Pascua Sohn, »aber dafür bring' ich auch gute Kunde.«

»Und welche?«

»Ihr wißt, daß Don Rafael hier ist?«

»Ich weiß es; den Tod über den Schuft, der mich landflüchtig gemacht hat! Ich ritt hinter ihm her, und er wäre mir dieses Mal nicht entgangen. Da aber kam ich der Polizei in den Weg und konnte kaum noch durch einen Seitenweg dem Fluß zu unbemerkt entkommen. Ein Glück, daß, ich hier alle Schleichwege kenne!«

»Das war derselbe Trupp, der meiner Mutter Haus plünderte und dem ich selber mit genauer Not entging«, zischte Pedro; »aber ich muß Rache haben! Wißt Ihr, daß er heute um des Franzosen Tochter geworben hat?«

»Das sieht ihm ähnlich«, lachte der im Poncho bitter vor sich hin. »Aber woher weißt du das, Amigo?«

»Ich lag hinter der Hecke versteckt, bis mich die verdammten Hunde aufspürten und ich flüchten mußte.«

»Und was jetzt – wie wollen wir ihm beikommen? Um das Haus herum halten die Bestien Wache die ganze Nacht.«

»Aber nicht dort, wo er schläft«, lachte Pedro tückisch vor sich hin; »er hat sein Bett in Desterres Haus hinübertragen lassen.«

»Ist das gewiß?«

»Ich hab' es selber gesehen, und Zaca hat es mir außerdem noch eben bestätigt; deshalb blieb ich so lange.«

»Aber weshalb, um Gottes willen, bleibt er nicht bei seinem Franzosen drüben? Hat er so teuflische Eile, von seinem alten Nest Besitz zu nehmen? Nun, desto besser für uns – aber was jetzt?«

»Sogar sein Pferd hat er eben hinüberführen lassen, und er schläft in dem kleinen Fremdenzimmer, das Ihr stets bewohntet, wenn Ihr hier draußen waret.«

»Und jetzt treib' ich mich vogelfrei auf der Straße umher!« knirschte der Peruaner. »Pedro, die heutige Nacht ist noch unser – morgen müssen wir weit auf der Straße sein – weißt du noch, was du versprochen hast?«

»Ich weiß es«, sagte der Cholo finster. »Aber haltet Ihr auch, was Ihr mir versprochen? Ich habe keinen Real mehr in der Tasche, und wohin soll ich ohne Geld? Gebt mir die fünfhundert Dollars, und, beim Teufel, der Bursche, der uns beide von Haus und Hof vertrieben hat, ist erledigt!«

»Du sollst sie bekommen, Amigo«, flüsterte ihm der andere zu, »ich habe Geld genug; und noch eins, wir sind beide sicherer, wenn wir zusammen reisen. Du besonders, denn du wirst in Begleitung eines Weißen nirgends angehalten und gefragt, und ich weiß einen vortrefflichen Platz, wo wir uns ruhig und ungestört aufhalten können, bis die Geschichte ein wenig vernarbt ist, was nicht lange dauern wird.«

»Gut, sehr gut«, nickte der Cholo vor sich hin, »und an einem guten Pferd soll's auch nicht fehlen, wo der Braune mir so bequem herübergeführt worden ist, wie ich's selber nicht besser hätte machen können, aber . . .«

»Aber?«

»Ich muß gleich Geld haben, ich brauche Geld«, sagte er störrisch, »und nachher – ich weiß nicht. Sicher ist sicher, und – ich brauche eben Geld!«

»Genügt dir das für jetzt?« fragte sein Begleiter, indem er ihm einige Unzen in die Hand drückte. »Meine Satteltasche habe ich oben am Fluß versteckt; ich durfte sie nicht mehr mit hierher nehmen. Glaubst du, daß ich dich betrügen und zugleich als Begleiter in die Berge nehmen würde?«

Der Cholo schien auf die letzten Beweisgründe nicht zu hören. Aufmerksam wog er das erhaltene Geld, das er in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte, in der Hand und zählte die Stücke. Es waren sechs.

»Das ist Gold«, flüsterte er dabei, »gutes, schweres Gold und genügt für eine Abschlagszahlung; das andere überlaßt mir.«

»Aber wie willst du's machen?« fragte sein Gefährte. »Das Haus kennst du allerdings, aber sei vorsichtig, denn er wird seine Pistolen bei sich haben!«

»Wo ich ihn treffe, sollen ihm die wenig helfen!« lachte der Cholo vor sich hin. »Er geht nie zu Bett, ohne noch einmal nach seinem Pferd zu sehen, und ich verstecke mich im Stall. Käme er aber nicht, dann suche ich ihn in seinem eigenen Zimmer, und ich kenne jeden Fußbreit Boden dort. Habt keine Furcht, wenn ich etwas übernehme, so führe ich's durch. Das hier besonders«, setzte er mit zusammengebissenen Zähnen hinzu, »ist eine Sache, die mir selber ins Herz gewachsen ist. Und wenn ich ihn mit den Zähnen würgen müßte, aber sein Blut will ich haben!«

»Ich verlasse mich auf dich.«

»Das dürft Ihr; aber wo find' ich Euch nachher?«

»Mein Pferd steht in der alten Hütte, die du früher bewohnt hast, ehe du auf Desterres Grundstück zogst.«

»Draußen an der Straße? Das ist gut«, rief der Cholo schnell, »da sucht es niemand und es steht am Wege. Ist es geschehen, dann komme ich dort vorbei und gebe das Zeichen, und dann fort! Aber die Straße dürfen wir nicht lange halten!«

»Das überlaß mir«, sagte sein Begleiter; »ich führe uns sicher genug und kenne alle Verstecke in der Nachbarschaft bis oben in die Punas, und dort sollen sie unserer Spur folgen, wenn sie können!«

»Wer wird ihr folgen?« sagte der Cholo verächtlich; »nur einmal fort von hier, und wir sind sicher genug! Und jetzt hinweg, daß wir den jungen Herrn die erste Nacht in seinem Eigentum auch würdig empfangen; mir zuckt's schon in den Sehnen, und ich kann den Augenblick nicht erwarten! Aber, Compañero, sagte er plötzlich und ergriff des Gefährten Arm, »habt Ihr Euer Versprechen gehalten? Habt Ihr die Flasche mitgebracht?«

»Ja, Pedro«, lautete die Antwort, »aber ich lasse dir die ganze Flasche nicht; wenn du dich heute nacht betränkest –«

»Wo ist sie?« fragte Pedro mit heiserer Stimme.

»Hier; aber du versprichst mir vorher, vor der Tat nur einen kleinen Teil zu leeren. Du mußt nüchtern sein, oder du verdirbst alles – und dich und mich mit!«

»Hahaha«, lachte der Cholo, indem er gierig nach der Flasche griff, »drei solche trüg' ich im Kopf umher, und die Spitze meines Messers träfe den Punkt, wohin ich ziele! Ah, das wärmt«, rief er, sich vor innerem Behagen schüttelnd, als er einen langen Zug getan hatte, »das geht einem wie Feuer durch die Adern, und jetzt bin ich ein ganz anderer Mensch geworden!«

»So gib mir die Flasche wieder; wenn du mich am Hause abholst, magst du den Rest trinken.«

»Nicht um die Welt!« lachte der Bursche. »Morgen finden wir mehr am Weg. Drei Leguas von hier liegt eine kleine Posada, deren Eigentümer klopfen wir im Dunkeln heraus und lassen sie wieder füllen; aber den hier brauch' ich für die Nacht, wenn ich zu irgend etwas tüchtig bleiben soll.«

»Ich wollte, ich hätte ihn dir nicht gegeben!«

»Habt keine Furcht; jetzt fühl' ich erst das rechte Mark in den Knochen! Und nun fort, denn ich muß auf dem Posten sein, wenn er herüberkommt, obwohl das heute noch ein Weilchen dauern kann, bis er des Schnäbelns überdrüssig wird. Hussah!« Und mit einem halb unterdrückten Jubelschrei barg er die Flasche im linken Arm und sprang rasch wieder die Anhöhe hinan, den Hacienden zu.

Perteña, denn niemand anderes war der flüchtige Verbrecher, blieb noch eine Weile unter dem alten Baum zurück. Was sollte er tun – dem Burschen wirklich allein die Ausführung der Tat anvertrauen? Wenn er sich nun vorher betrank? – Aber er durfte ihm wohl darin glauben, daß der ausgepichte Säufer, selbst wenn er sich nicht gemäßigt hätte, mehr als eine einzige Flasche vertragen konnte. – Aber war der Plan des Cholo, den Feind zu ermorden, wenn er nach dem Stall hinüber ging, nicht zu unsicher? Wenn er nun nicht ging und das Haus verschlossen hielt? – Er hätte den doch möglichen Fall vorher mit ihm besprechen müssen, und jetzt war er fort! Wenn er sein Pferd nun gut untergebracht wußte und gar nicht nachsah? – Doch das war nicht wahrscheinlich! – Oder wenn ihn der alte Bertrand dahin begleitete? – Bah, auch dann fand der Cholo im Schutz der Dunkelheit einen günstigen Moment, wo er ihm das Messer in die Brust stoßen konnte, und an eine Verfolgung war in Nacht und Nebel nicht zu denken!

Aber wäre es nicht sicherer, wenn er sich selber in der Nähe hielt?

Perteña schritt mit festverschlungenen Armen wohl eine Viertelstunde lang unter dem alten Feigenbaum hin und her; endlich war sein Entschluß gefaßt. Er wollte sich selber, ehe der jetzige Eigentümer das Haus betrat, hineinschleichen und ihn dort erwarten. Mißlang das wirklich, wurde er bemerkt, so lief er für sich nicht die geringste Gefahr, denn alle Leute auf der Hacienda wußten, daß er oft da übernachtet hatte, und daß der neue Herr noch abends nach Dunkelwerden Besitz davon ergriffen, konnte er ja nicht einmal wissen.

Der Plan war so einfach wie ungefährlich für ihn selber, und alles weitere mußte er dann dem Augenblick überlassen, um danach zu handeln.

Damit im reinen, zögerte er nicht länger. Mit jedem Beiweg, jeder Hecke überall bekannt, nahm er die gerade Richtung nach der Hacienda zu und erreichte in der Dunkelheit, von keiner einzigen Seele bemerkt, das Haus.

Der Platz schien wie ausgestorben; die Arbeiter hatten sich lange in ihre eigenen Wohnungen zurückgezogen, und nur auf dem Vorhof lagen noch, mit Matten überdeckt, um sie gegen den Nachttau zu schützen, die verschiedenen Packen, die am nächsten Morgen auf Maultiere geladen und fortgeschafft werden sollten. Überall herrschte tiefes Dunkel, nur nach dem Stalle zu konnte er durch die Büsche das Licht vorschimmern sehen, das in dem Haus des Aufsehers brannte. Aber der kam auch heute nicht mehr zum Vorschein, denn daß niemand die zusammengebundenen Möbel stehlen werde, wußte er wohl.

Trotzdem schlich sich Perteña äußerst vorsichtig zum Hause; denn wurde er nicht gesehen, so konnte ihn auch niemand mit der späteren Tat in Verbindung bringen. Nur im äußersten Notfall sollte ihn die oft genossene Gastfreundschaft des Hauses schützen.

Von der Dunkelheit des Hauses gedeckt, erreichte er die Tür, die er unverschlossen fand, und glitt im nächsten Augenblick hinein. Hier aber konnte er auch ungefährdet Licht anzünden, denn der Vorsaal hatte kein Fenster, weil am Tag die Doppeltür stets offen stand, und die Stuben, welche rechts lagen, führten nach einem Dickicht von Orangen hinaus, in dem in dieser Zeit der Nacht niemand mehr umherstrich. Ein Feuerzeug mit einem kleinen Wachsstock führte er übrigens stets bei sich, und als er diesen entzündet hatte, warf er den Blick umher.

Der Platz sah wüst aus, denn durch das Einpacken den ganzen Tag war er mit Stroh und Binsen überstreut; auch die Tür, die rechts in die Kammer führte, fand er nur angelehnt. Das aber war das Gemach, in dem jedesmal, wenn Desterres die Hacienda besuchte, dessen Peon oder Diener schlief, und hier in der Ecke stand auch noch ein altes Bettgestell mit einer mit Gras gestopften Matratze, die man nicht für wertvoll genug gehalten hatte, sie fortzuschaffen; das genügte.

Perteña warf seinen Poncho auf das Bett, schloß die Tür und verriegelte sie und konnte dann, wenn er wirklich bemerkt werden sollte, recht gut den müden Gast spielen, der sich in Ermangelung eines besseren Nachtlagers dort einquartiert hatte.

Er dachte wohl daran, lieber vorher noch einmal zum Stall zu schleichen und zu sehen, ob er Pedro dort finden würde; aber er wollte sich auch nicht leichtsinnig der Gefahr aussetzen, gesehen zu werden, selbst nicht von Zaca, der jetzt noch munter war und sein Licht brennen hatte. Später ging das leichter. Nach dem Stall zu stand eine Reihe von Orangenbäumen; wenn er bis zu diesen hinschlich und dann das gewöhnliche Zeichen gab, mußte ihn der auf der Wacht stehende Pedro hören, und er konnte sich dann, falls es nötig werden sollte, noch immer leicht und rasch mit ihm verständigen.

Mit allem im reinen, zündete er sich eine Zigarre an, löschte sein kleines Licht wieder aus und streckte sich auf der Matratze hin, um Aguilas Ankunft zu erwarten. Seiner Uhr nach war es, als er sich niederlegte, schon neun gewesen, und lange konnte er keinesfalls mehr bleiben.

Es ist ein gefährliches Ding, wenn wir etwas abwarten wollen und uns dabei zum Ausruhen niederlegen. Nichts ermüdet so sehr, als eben warten, und die Augen werden schwer, wir mögen uns dagegen sträuben, wie wir wollen. Perteña lag, rauchte seine Zigarre und dachte über den Erfolg ihres Planes und ihrer Flucht nach, und hatte sich vorgenommen, um zehn Uhr etwa aufzustehen und Pedro das Zeichen zu geben. Er glaubte wenigstens, daß er rauche und nachdächte, denn in Wirklichkeit war seine Zigarre längst schon ausgegangen und er selber in einen unruhigen, aber nichtsdestoweniger tiefen Schlaf gefallen, aus dem er nicht eher erwachte, bis er draußen Schritte und Stimmen hörte.

Erschreckt und noch halb in seinen Traumbildern, fuhr er empor und wußte im ersten Augenblick, wie uns das nicht selten so geht, besonders wenn wir viel auf Reisen oder unterwegs sind, nicht einmal gleich, wo er war. Ein eisiges Gefühl aber schoß ihm durch das Herz, und unruhig horchte er nach dem Geräusch.

Es war Rafael, der von Bertrands Haus herüberkam. Hatte er denn geschlafen, und welche Zeit der Nacht konnte es sein? Der da draußen hatte Licht bei sich – mit wem sprach er? Fast unwillkürlich griff Perteña nach seinem Messer und dem Revolver, den er ebenfalls im Gürtel trug. Weshalb sollte er dem Cholo das Schicksal seines Feindes überlassen, wenn dieser sich selber in seine Hände gab? Vielleicht bot sich ihm jetzt gleich die Gelegenheit, seine Niederlage zu rächen, und er war fest entschlossen, sie nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen.

 


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