Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Vorbereitungen

Rafael indessen ließ sein Pferd scharf ausgreifen, um sobald als möglich Lima und die Calle de Valladolid zu erreichen. Er nahm sich, in Lima angekommen, auch wirklich kaum Zeit, sein Pferd einzustellen und ein klein wenig Toilette zu machen, kaufte dann bei einem Uhrmacher ein gutes Vergrößerungsglas und eilte ohne weiteres zu Lydia.

Glücklicherweise war sie allein, das heißt, kein Fremder war bei ihr, nur Adele Deringcourt, und die beiden Mädchen sahen leicht, daß ihn etwas Außergewöhnliches hergeführt haben müsse. Rafael ließ sie denn auch nicht lange im Zweifel und fragte Lydia gleich von vornherein, ob sie ihm nicht gesagt habe, daß unter den ihr entwendeten Gegenständen auch Briefe gewesen wären.

»Ja, ein ganzes Maroquin-Kästchen voll, und gerade liebe, teure Briefe, die ich dort verschlossen hielt! Die Diebe haben das Etui jedenfalls für ein Schmuckkästchen gehalten.«

»Waren gesiegelte Briefe darunter – ich meine, erbrochene?«

»Allerdings – acht oder zehn noch in Europa erhaltene.«

»Gut, dann bitte ich Sie nur vorher um etwas Wasser, um ein kleines Stück Siegellack abzuwaschen.«

Lydia begriff nicht recht, was er damit meine, gab ihm aber das Verlangte, und Rafael reinigte und wusch jetzt gründlich das aus dem Schmutz aufgelesene Stückchen Siegellack, das er dann Lydia genau zu betrachten bat, ob sie das Petschaft darauf kenne. Er reichte ihr dazu das mitgebrachte Vergrößerungsglas, und sie hatte kaum das kleine, halb zerbrochene Siegel betrachtet, als sie lebhaft ausrief:

»Das ist von mir! Woher haben Sie das? Das Petschaft ist von einer Freundin aus Bordeaux – ein Georg, der den Lindwurm ersticht – hier sehen Sie noch deutlich den Kopf des Drachen und den erhobenen Arm des Ritters . . .«

»Haben Sie kein ähnliches mehr zurückbehalten?«

»Doch«, rief Lydia rasch; »nur die wichtigsten Briefe hatte ich in das Kästchen verschlossen. Aber hier und hier«, fuhr sie fort, ein anderes, offenes Paket herbeiholend, »sind noch zwei Briefe von derselben Hand, beide gesiegelt, und jetzt können Sie vergleichen!«

Rafael nahm die beiden Briefe, fand aber den ersten völlig wertlos. Das Siegel daran war fast zu einer glatten Fläche gepreßt, auf der sich nur undeutlich noch einige Eindrücke erkennen ließen; aber der zweite zeigte noch die Gestalt des Ritters auf dem Pferde, und als er die beiden, das gefundene Siegel mit diesem verglich, war er vollständig überzeugt, daß die beiden Abdrücke auch von einem und demselben Petschaft herrührten.

Es galt nun, die Polizei ebenfalls davon zu überzeugen, um sie auf die Spur des Diebstahls zu bringen. Aber nach der Erfahrung mit Señor Perteña hielt er, selbst in der Anmeldung seines Verdachts, eine gewisse Vorsicht nicht für überflüssig.

Er brach übrigens seinen Besuch bei Lydia kurz ab, denn die übernommene Pflicht ließ ihm keine Ruhe. Mehr aber fast noch beunruhigte ihn ein für jetzt freilich noch vollkommen unbestimmter Verdacht: daß dieser Perteña nämlich, der sich als von der Polizei gesandt ausgegeben hatte, mit der Sache in näherer Verbindung stehe. Perteña war ja außerdem auch einer der Zeugen, die den Kaufbrief Desterres unterschrieben hatten, und Rafael ahnte hier ein ganzes Gewebe von Schlechtigkeiten. Da galt es denn freilich jetzt nur irgendwo eine Handhabe zu bekommen, um erst einmal einen zu fassen, der dann vielleicht Aufschlüsse über mehr geben könnte.

Er suchte ohne weiteres den Polizeidirektor, den er jetzt noch in seinem Büro traf, auf und hätte mit seiner Anklage zu keiner günstigeren Zeit erscheinen können. Eben erst war nämlich der Ermordete, den er selbst an diesem Morgen neben der Straße entdeckt hatte, eingebracht und in ihm, seinen Kleidern und einem großen, braunen Mal am linken Oberarm nach, ein gewisser Orriges, ein naher Verwandter und Freund des Polizeidirektors, erkannt worden, und dieser war noch ganz außer sich über die Tat.

Jede Spur in der dortigen Gegend war ihm erwünscht, und als ihm Rafael sogar noch die Andeutung machte, daß der Mulatte ein ganz frisches Pflaster im Gesicht getragen habe, das möglicherweise eine ganz frisch erhaltene Wunde decken könne, war er völlig Feuer und Flamme dafür.

Am liebsten hätte er noch am selben Abend eine Patrouille hinausgeschickt, um den Mulatten gefangen einzubringen und sein Haus durchsuchen zu lassen. Dagegen aber protestierte Rafael mit allen Kräften, denn er vermutete nicht mit Unrecht, daß jener Scipio Morbido eine Anzahl von Helfershelfern in der Nachbarschaft habe und leicht gewarnt werden und entwischen könne. Er selber hatte sich einen anderen Plan entworfen, der sicheren Erfolg versprach, weil er eben einfach und unverfänglich war.

Um nämlich seine gekaufte Kuh nach Lima zu schaffen, brauchte er einige handfeste Leute. Mit diesen ritt er am nächsten Morgen – denn heute war es dafür zu spät geworden – nach dem Negerdorf hinaus; aber seine Begleiter waren keine gewöhnlichen Peones, sondern Polizeisoldaten, und hatten sie dann den Burschen und seine Schwester, die jedenfalls als Hehlerin in Sicherheit gebracht werden mußte, dann gab ein Schuß der unfern davon, vielleicht auf dem Hauptweg, haltenden Patrouille ein Zeichen, die im Galopp zu Hilfe kam, falls die Nachbarn oder sonstigen Helfershelfer Lust zeigen sollten, die Verbrecher zu befreien. Das Haus wurde zugleich umstellt und genau durchsucht. Rafael zweifelte keinen Augenblick, daß sie gerade in jener Gaunerhöhle eine Menge von Dingen finden würden, die vielleicht sogar auf frühere Diebstähle und Raubanfälle zurückführten.

Von Perteña und dem Verdacht, den er gegen ihn hatte, erwähnte Rafael nichts. Es war nicht wahrscheinlich, daß der Direktor mit ihm befreundet war, aber – man wußte es eben nicht, und er hielt es für besser, diesen ganz aus dem Spiel zu lassen. Steckte er mit darunter, so kam die Sache von selber an den Tag.

Mit dem Versprechen, morgen früh um acht Uhr wieder im Polizeigebäude zu sein, um dort seine Begleiter angewiesen zu bekommen, ging Rafael nach seiner eigenen Wohnung, um dort noch einige Privatgeschäfte zu besorgen. Es war ihm nämlich ein Deutscher empfohlen worden, der als vortrefflicher Chemiker imstande sein sollte, die Unterschrift des Kaufbriefes zu prüfen. Der Mann befand sich jetzt freilich gerade für kurze Zeit in Cerro de Pasco, wurde aber in nächster Woche zurückerwartet, und Rafael beabsichtigte, indessen an ihn nach Cerro zu schreiben und ihn zu bitten, ihn bei seiner Rückkunft in Lima augenblicklich aufzusuchen.

Als er in seiner Wohnung ankam, fand er eine Karte vom französischen Konsul vor, worin ihn dieser dringend bat, ihn doch sobald als möglich in seiner Wohnung zu besuchen, um das Nähere mit ihm über die verkauften Insulaner zu besprechen. Er war von Bertrand an ihn gewiesen worden und hatte in den letzten Tagen selber so viel Daten als möglich eingezogen; viele Einzelheiten wünschte er aber doch noch von Rafael zu erfahren.

Dieser schrieb erst seinen Brief nach Cerro, trug ihn auf die Post und ging dann zu dem französischen Konsul hinüber, dem er sich melden ließ. Monsieur Lacoste war allerdings gerade im Begriff, auszureiten, ließ aber sein Pferd augenblicklich wieder absatteln und hatte jetzt eine lange Unterredung mit dem jungen Mann, wobei Rafael zu seiner Freude in ihm einen warmen Verteidiger der armen Insulaner fand.

So ungern Monsieur Lacoste auch anfangs eine derartige Mission übernommen haben mochte, so sehr schien er sich jetzt dafür zu interessieren, als er mit Hilfe eines Dolmetschers von dem französischen Kriegsschiff erst einmal ein paar der Unglücklichen gesprochen und ihre Leidensgeschichte gehört hatte.

Der Italiener Felipe, der seine Freunde verraten hatte, trieb sich noch in Lima herum, hatte aber das Blutgeld schon fast durchgebracht und schien auf ein passendes Schiff zu warten, auf dem er Peru wieder verlassen konnte. Er mochte sich doch nicht so ganz sicher in der Nähe der Insulaner fühlen, da er nicht verhindern konnte, ihnen dann und wann zu begegnen, während ihr Haß gegen ihn in ihrer Knechtschaft von Tag zu Tag gewachsen war.

Der Franzose hatte übrigens Maßregeln getroffen, um augenblicklich benachrichtigt zu werden, wenn dieser Bursche das Land verlassen wollte. Er brauchte ihn nämlich nicht allein als Zeugen für die Insulaner, sondern gedachte auch von der Regierung seine Auslieferung zu verlangen, um ihn nach Tahiti zu schicken. Dort sollte er dann für das Verbrechen des Menschenraubes vor Gericht gestellt und bestraft werden. War doch der Galgen noch zu gut für den Schuft!

Als Rafael die Straße wieder entlang schritt, fühlte er plötzlich einen Arm in dem seinigen, und als er den Kopf danach wandte, erkannte er zu seinem Erstaunen niemand anders, als Señor Perteña, der lächelnd zu ihm aufschaute und sagte:

»Mein sehr verehrter Señor, ich freue mich, Sie wieder einmal auf neutralem Grund zu treffen und ein paar Minuten mit Ihnen plaudern zu können! Wohin gehen Sie?«

»Ich habe eigentlich kein bestimmtes Ziel«, sagte Rafael, von dieser Freundlichkeit wirklich überrascht.

»Desto besser«, lachte sein Gefährte, »dann schlendern wir eben ruhig die Straße entlang. Und nun, mein Freund, der Sie mich einstmals in Verdacht hatten, Ihnen nach dem Leben zu trachten – Sie haben sich indessen doch wohl davon überzeugt, daß Sie mir unrecht taten, sagen Sie mir einmal, ob Sie besseren Erfolg mit Ihren Nachforschungen gehabt haben, als ich, denn ich muß Ihnen gestehen, ich bin, trotz aller Mühe nicht glücklich gewesen!«

»Mit welchen Nachforschungen, Señor?« fragte Rafael, der sich jetzt soweit gefaßt hatte, Perteñas Arm in dem seinigen zu dulden. Er suchte wenigstens herauszubekommen, was der Señor von ihm wollte.

»Nun, des Diebstahls wegen bei der französischen Señorita!«

»Ich hatte leider auch keinen besseren Erfolg«, sagte Rafael, der gar nicht daran dachte, dem verdächtigen Fremden seine Entdeckung mitzuteilen. »Der Diebstahl scheint in der Tat so schlau angelegt worden zu sein, daß man ihm schwerlich auf die Spur kommen wird, wenn sich nicht einmal die Täter selber verraten.«

»Unsere Polizei ist zu lässig«, sagte Perteña.

»Wie es scheint, ja.«

Die beiden jungen Leute gingen eine kurze Strecke schweigend nebeneinander hin. Endlich begann Perteña wieder:

»Haben Sie Ihren Freund, den Franzosen, in den Hacienden lange nicht mehr besucht?«

»Ich bin heute erst von dort hereingekommen«, erwiderte Rafael ruhig.

»In der Tat?« rief Perteña rasch, und es schien fast, als ob er eine Frage auf der Zunge hätte. Wenn aber, so besann er sich doch eines andern und lenkte nur gleichgültig ein: »Ja, der Platz dort draußen ist ganz angenehm. Der alte Franzose besonders hat sich recht behaglich eingerichtet; wenn nur der langweilige, heiße Weg nicht wäre – die schattige Allee sollten wir dort hinaus haben, wie sie an unserem Paseo steht, dann würde es ein Vergnügungsort Limas werden. Jetzt reitet nur hinaus, wer eben muß, und selbst die nicht gern. Aber, wo wollen Sie hin?« unterbrach er sich rasch, als Rafael vor einem der Häuser stehenblieb.

»Ich wohne hier.«

»Sie wohnen hier? Aber Sie bleiben doch nicht den ganzen Abend zu Hause?«

»Ich habe einige notwendige Briefe zu schreiben, die ich erst erledigen muß.«

»Ach so – also auf Wiedersehen, Compañero! Apropos«, sagte Perteña, sich noch einmal zurückdrehend, »waren Sie nicht kürzlich wieder einmal beim Präsidenten?«

»Nicht seit dem Tag, an dem wir uns dort begegneten.«

»Ja, ich erinnere mich. Ist auch jetzt nichts mit dem Alten anzufangen, denn er hat den Kopf voll von lauter Attentaten. Nun, adios amigo, hasta luego!« und dem jungen Mann freundlich zuwinkend, schritt er langsam die Straße hinab.

 


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