Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Die alte Pascua

Don Rafael bog in den schmalen Weg ein, der unmittelbar unter seinem früheren Besitztum hinführte und weiter oben dieses von dem Grund und Boden des Franzosen Bertrand trennte. Er selber hatte noch in die Umzäunung dort in früheren Jahren eine jetzt freilich wieder geschlossene Tür eingebrochen, um den Weg dort hinüber, den er so oft ging, abzukürzen. Hier, zwischen den Pflanzungen, war alles unverändert geblieben und nur die Akazienreihe am Wege etwas höher und breitästiger geworden – aber eine Neuerung fand er doch. In der einen Ecke seines früheren Gutes war eine kleine Hütte errichtet worden. Sie war auch bewohnt, denn es brannte, als er vorüberritt, schon ein Feuer darin, und eine weibliche Gestalt saß ineinandergebeugt vor der Tür. Es war aber schon zu dunkel geworden, um ihre Züge erkennen zu können; was kümmerte ihn auch die Alte in der Hütte!

Fünf Minuten später etwa erreichte er das Wohnhaus des alten Franzosen, und von ein paar riesigen Hunden gestellt, die ihm jeden Eintritt zu verweigern schienen, mußte er wirklich so lange im Sattel bleiben, bis der alte Bertrand, der seinen Anruf schon von der Veranda seines Hauses aus erwiderte, selber herauskam und seine Hunde beschwichtigte.

»Buenas noches, Señor«, rief er Don Rafael an; »Ihr habt Euch wohl verritten und seid von der Hauptstraße abgekommen? Da müßt Ihr den Weg wieder zurücknehmen, den Ihr gekommen seid. Wollt Ihr denn noch heute abend nach Lima?«

»Nein, Monsier Bertrand«, lachte Rafael, indem er abstieg und sein Tier am Zügel nahm. »Hier, bei Ihnen, will ich übernachten, und bei einer Flasche Claret wollen wir von alten Zeiten plaudern.«

»Ja – wer zum Teufel?« rief der alte Franzose erstaunt, indem er näher zu dem jungen Mann hintrat und sein Gesicht zu erkennen suchte. »Bitte um Ihren Namen, amigo, denn Ihr Gesicht schwimmt mit dem Schatten des Hutes einfach zu einem dunklen Klecks zusammen.«

»Rafael.«

»Ja, Rafael, es gibt viele Rafael; welcher?«

»Kennen Sie den kleinen Rafael nicht mehr?«

»Rafael? Junge!« rief der alte Mann, ordentlich erschreckt emporfahrend, indem er seinen Arm packte und mit der anderen Hand ihm den Hut vom Kopfe riß. »Junge, bist du's denn wirklich? Lebst du noch?« Und ihn in seiner lebendigen Art umfassend, küßte er ihn derb und herzhaft ab.

»Mein lieber Monsieur Bertrand!« sagte Rafael, seine Hand ergreifend und herzlich schüttelnd.

»Und wie breit und kräftig der Junge geworden ist!« rief Bertrand, ihn auf Armeslänge von sich drückend. »Aber ich hab's auch keinen Augenblick geglaubt, als sie mir hier die alberne Geschichte von dem Seeräuber auftischen wollten. Entern und totschlagen, bah, so 'was erzählt sich verdammt schnell, geht aber in Wirklichkeit nicht so rasch, und – doch ich stehe und schwatze hier«, unterbrach er sich plötzlich, »und halte den Jungen da auf der Landstraße fest! He, Julio, Seppo? Wo stecken die Schlingel jetzt – hier, nehmt einmal das Pferd und sorgt mir gut dafür! Teufel noch einmal, das Pferd kenne ich doch! Gehört das nicht dem jungen Gaspar Ortega – wie?«

»Er hat es mir für den Ritt geborgt.«

»Aha – ja, wenn ich ein Pferd ein einziges Mal in meinem Leben gesehen habe, kenne ich es im Augenblick wieder.«

»Aber mich nicht«, lächelte Don Rafael.

»Wenn das Pferd sich in der Zeit so verändert hätte«, rief der Alte, »so würde ich es auch nicht mehr gekannt haben. Aber nun herein, Junge, das Tier ist gut aufgehoben, und daß es dir bei uns nicht schlechter gehen soll, das laß meine und Juanitas Sorge sein.«

»Juanita? Wie geht es der Kleinen?« fragte Rafael, indem er an der Seite des Alten den inneren Raum betrat.

»Kleinen?« lachte dieser; »das ist ein großes, tüchtiges Mädel geworden. Aber sag' nichts, wir wollen doch einmal sehen, ob die ein besseres Gedächtnis hat als der Vater.«

»Und wo sind Adolphe und Louis?«

»Beide fort, hinaus in die Welt; der eine in Callao in einem Geschäft, der andere nach England, um den Maschinenbau zu lernen. Ich sitze jetzt mit dem Mädel hier ganz allein und habe mir fremde Leute zur Arbeit nehmen müssen. Ja, lieber Gott, das geht einmal so im Leben und läßt sich eben nicht ändern! Wenn der Herbst kommt, fallen die Blätter ab. Aber da sind wir!«

Ein Mädchen von etwa siebzehn Jahren, schlank und voll gebaut, mit dunklen Haaren und Augen, betrat, in jeder Hand ein Licht haltend, das Zimmer und neigte sich mit leichtem, natürlichem Anstand vor dem Fremden, dessen Blicke überrascht auf ihm hafteten. Der Vater hatte die Tochter indessen schmunzelnd betrachtet, und als sie die Lichter auf den Tisch gestellt hatte und sich eben wieder zurückziehen wollte, sagte er:

»Nun, Juanita, kennst du den Herrn nicht mehr?«

Das junge Mädchen sah etwas erstaunt und fragend zu ihm auf. »Den Herrn?« sagte es leise, indem sein Blick einen Augenblick forschend auf dem jungen Mann ruhte. Plötzlich aber färbte ein hohes Rot ihm das Antlitz bis in den Nacken hinein, und dem Gaste die Hand entgegenstreckend, flüsterte es: »Don Rafael!«

»Wahrhaftig«, rief der Alte, in die Hände schlagend. »Mädel, du hast ein besseres Gedächtnis als dein Vater.«

»Aber ich hätte Sie nicht wiedererkannt, Señorita«, sagte Rafael, die dargebotene Hand noch haltend. »Ich habe Sie als Kind verlassen und Sie sind indes zu einer reizenden jungen Dame herangewachsen.«

»Reizend – hätte bald 'was gesagt!« brummte der Alte. »Setz' mir dem Mädel etwa Schrullen in den Kopf – ein glattes Gesicht hat eine jede in dem Alter. Und nun, Juanita, was Küche und Keller halten, her damit! Viel wird's ohnedies nicht sein, Junge, denn wir leben hier mordseinfach und eigentlich auch ein bißchen abgeschieden von der Welt. Aber 'was wird's schon werden, eine Casuela oder so 'was werdet ihr schon fertigbringen. Vor allen Dingen schaff' aber einmal eine Flasche Wein herauf, darfst auch gleich zwei – oder nein, lieber erst eine, er wird sonst zu warm hier oben – und nun rasch, mein Kind, denn unser lieber Gast hat schmählichen Hunger und Durst.«

Juanita folgte rasch dem Befehl und verschwand wieder aus der Tür, und als ihr Rafael noch mit den Blicken folgte, fuhr der Alte mit halblauter Stimme fort:

»Nicht? Ist ein prächtiges Mädel geworden? Man darf's ihr aber nur nicht sagen, denn eitel will ich sie nicht haben.«

»Glauben Sie nicht, Señor, daß sie das auch ohnedies schon selber wüßte?« lächelte Rafael, »Sie haben doch jedenfalls einen Spiegel im Hause.«

»Papperlapapp«, rief aber der Alte, »keinem Menschen gefällt sein eigenes Gesicht; ich habe mich wenigstens über das meinige immer geärgert. Aber das ist das wenigste, sie ist auch ein gutes Kind geworden, einfach und brav wie ihre selige Mutter, der sie wie aus den Augen geschnitten ähnlich sieht. Gott schütze sie, daß sie nur so gut und brav bleibt und – aber da kommt sie mit dem Wein. Nichts merken lassen, Junge, daß wir von ihr gesprochen haben, sonst kommt sie in Verlegenheit und bildet sich am Ende noch gar etwas darauf ein. Also, was ich gleich sagen wollte, seit wann bist du zurück?«

»Seit heute morgen; ich bin mit dem Postdampfer angekommen.«

»Aha, von Guayaquil. Oder kommst du direkt von Europa?«

»Nein, bewahre, vom Westen her«, sagte Rafael, während Juanita den Wein hereinbrachte und der Alte einschenkte. »Das letzte Jahr habe ich auf einer französischen Kolonie verlebt, auf Tahiti.«

»Auf Tahiti?« rief der Alte erstaunt. »Wetter noch einmal, Junge, da bist du ja im Paradiese gewesen! Nicht wahr, der Unterschied, wenn man die Tropenwelt mit unserem ausgedörrten und vertrockneten Peru vergleicht! Wußtest du indes kein Wort von dem, was inzwischen hier vorging?«

»Keine Silbe; ich war sechzehn Monate ohne jede Nachricht von Peru.«

»Aber an wen hat denn dein Onkel das Geld für den Erlös der Hacienda ausgezahlt? Der Verkauf mußte doch in deinem Auftrag geschehen sein. Daß mir der Alte nie ein Wort davon gesagt hat!«

»Ich hatte keine Ahnung von dem ganzen Verkauf und habe nie einen Centavo erhalten.«

Der Alte war eben im Begriff, sein Glas an die Lippen zu heben, aber er blieb regungslos sitzen und sah den jungen Mann erstaunt, ja fast erschreckt darüber an.

»Keinen Centavo von dem Gelde?« wiederholte er. »Kein Wort davon gewußt?«

»Wie ich Ihnen sage; ich wurde heute damit auf das Angenehmste überrascht.«

»Und euer Bankier in Callao?« fragte der Alte, der das immer noch nicht recht zu fassen schien.

»Hat sein Geschäft aufgegeben; die Firma besteht wenigstens nicht mehr, und der neue Inhaber war gegenwärtig verreist. Wenn er zurückkommt, will ich nach Callao hinunterfahren. Aber wenn J. Flores und Söhne Geld für mich bekommen hätten und fortgezogen wären, so würden sie das jedenfalls Ihnen oder Señor Rivadia angezeigt haben. Sie beide scheinen aber nichts davon zu wissen.«

»Aber es wurden doch auch damals eine Anzahl Koffer an diese Firma gesandt«, rief Bertrand rasch, »ich war selber drüben beim Einpacken. Sind die auch nicht da?«

»Die hat dann wahrscheinlich derselbe Herr in Verwahrung«, erwiderte Rafael; »doch, wie gesagt, bis er zurückkehrt, läßt sich eben nichts darin tun. Aber Zeit ist auch nicht viel damit verloren, denn mir lag doch daran, Sie vorher zu sprechen.«

»Hm«, nickte Bertrand nachdenklich vor sich hin. »Apropos, hast du Candelaria schon begrüßt? Aber natürlich, doch zuerst! Nicht wahr, das ist ein wunderhübsches Mädchen geworden?«

»Ja«, sagte Rafael, indem er sein Glas an die Lippen hob, »und singt ganz reizend.«

Er leerte sein Glas langsam, und Bertrand sah ihn erstaunt an. Was war da nun wieder vorgefallen? Aber er mochte jetzt und in Juanitas Gegenwart nicht danach fragen. Ein anderer Gedanke zuckte ihm außerdem durchs Hirn.

»Wetter noch einmal, Junge«, rief er, »wenn die Sache aber so steht, was wir übrigens später noch näher besprechen müssen, daß du nämlich keinen Dollar von der Verkaufssumme erhalten hast und eben in dem Augenblick von der Reise kommst, so wirst du auch wahrscheinlich Geld brauchen. Du weißt, daß du dich bei mir nicht zu genieren hast. Sag' mir aufrichtig, was du haben mußt – du machst mir eine Freude, wenn ich dir damit helfen kann.«

»Mein lieber, alter Freund«, rief Rafael, seine Hand nehmend und herzlich drückend, »ich kann Ihnen nicht sagen, wie große Freude Sie mir mit dem Anerbieten machen; aber Gott sei Dank besitze ich selber noch ein ganz hübsches Kapital, um mir damit schon wieder auf die Füße zu helfen! Ich habe soviel wie ich brauche, und vielleicht mehr.«

»Aber woher?« fragte der Alte.

»Ich habe«, lachte Rafael, »entweder Talent zum Kaufmann, oder Glück in der Spekulation; denn von Sydney, wo sich die eingeführten Waren einmal so gehäuft hatten, daß sie entsetzlich heruntergedrückt wurden, nahm ich eine Ladung nach Tahiti hinüber, verkaufte sie dort mit einem recht hübschen Nutzen, erwarb dann einen kleinen Schoner von etwa fünfzig Tonnen, der von Gerichts wegen verauktioniert wurde, weil er versucht hatte, Konterbande einzubringen, und nahm dann Kokosnußöl und Perlmutterschalen, was ich gerade aufkaufen konnte, mit nach Guayaquil. Dort nun schlug ich Ladung und Schoner mit ungefähr fünfzig Prozent Gewinn los und kaufte für einen Teil des Geldes wieder eine Schiffsladung Bauholz und Bambus, die etwa in vierzehn Tagen in Callao eintreffen kann, und woran ich wieder hübsch zu verdienen gedenke. Was ich aber außerdem an Wechseln und barem Geld mitgebracht habe, reicht hin, um mich auf lange Zeit jeder Sorge für meinen Lebensunterhalt zu überheben.«

»Nun desto besser, wenn es dir gut gegangen ist«, sagte der alte Mann, »also darüber kein Wort weiter. Aber du führst doch das Geld und die Papiere nicht etwa bei dir in der Tasche?«

»Weshalb nicht?«

»Und bist damit allein hier heraus geritten?«

»Allerdings!«

»Hm, das eine Mal ist's dann gut gegangen; wenn du aber meinem Rate folgen willst, Rafael, so versuchst du das nicht zum zweitenmal. Die Zeiten haben sich geändert, und was du vielleicht vor sechs Jahren ungefährdet tun konntest, geht heute nicht mehr.«

»Sie meinen des einzelnen Reiters wegen?«

»Ach, wegen dem nicht allein, obgleich selbst ein einzelner Schuft bei einer solchen Gelegenheit immer den Vorteil über den ehrlichen Mann hat, weil er an diesen ungestraft herankommen kann, oder ihm auch vielleicht aus dem Hinterhalt eine Ladung Rehposten in den Leib jagt. Nein, es treiben sich auch Banden hier herum, besonders von freigelassenen Schwarzen, die überhaupt das größte Gesindel jetzt im ganzen Staate bilden. Nicht umsonst habe ich mir die beiden großen Hunde angeschafft, die dich da draußen stellten. Vorher fing das Gesindel, das seit einiger Zeit sehr viel gerade in unsere Nachbarschaft kommt, hier bei mir ganz ordentlich an zu stehlen, und ich war meiner Hühner nicht mehr sicher auf dem eigenen Hofe. Seit ich die Hunde aber habe, halten sie sich in respektvoller Entfernung, und das ist für beide Teile angenehm.«

»Dem einzelnen Reiter bin ich begegnet.«

»Wahrhaftig?«

»Er forderte Feuer von mir für seine Zigarre.«

»Der gewöhnliche Kunstgriff; damit rücken sie dem einzelnen Reisenden auf den Leib und reißen oder stechen ihn vom Pferde. Du hast es ihm doch nicht gegeben?«

»Doch, aber die Zigarre steckte in meiner gespannten Pistole, und er mußte an der anzünden.«

»Alle Teufel! Und er tat's?«

»Er mußte!«

»Brav gemacht. Und wie sah er aus?«

»Anständig gekleidet, mit einem kurzen, gestreiften Poncho und grauem Hut, mit großem, dunklem Bart.«

»Hm, das ist aber am Ende gar nicht der sogenannte einzelne Reiter, wie er gewöhnlich genannt wird, gewesen, sondern ein ganz harmloser Reisender, dem du dadurch einen heillosen Schreck eingejagt hast.«

»Ich habe gute Gründe, das Gegenteil zu glauben; wäre es aber auch wirklich der Fall gewesen, so würde ihm der Schreck eine ganz heilsame Warnung sein, hier in Peru keinen einzelnen Reiter wieder um Feuer zu bitten. Er mag das in der Stadt oder auf belebtem Wege tun, aber nicht in einer Einöde, oder er muß sich die Folgen dann eben selber zuschreiben.«

»Ganz richtig«, lachte der Alte; »aber so mag's denn auch geschehen, daß oft ein paar vollkommen friedliche Menschen hier draußen irgendwo zusammentreffen und beide, den Kopf voll von Räubergeschichten, einander für Strauchdiebe halten. Manche sehr gefährlich klingende Geschichte dürfte schon so entstanden sein. – Aber da kommt schon die Suppe! Und nun noch eine andere Flasche Wein, sei so gut, Juanita, du siehst, wir sind mit dieser zu Ende und wollen bei der Sorte bleiben.«

Juanita, von einem kleinen Mädchen, einer Indianerin, dabei unterstützt, brachte alles herbei, und so geräuschlos tat sie das, so flink und ohne jemand dabei zu stören, daß es eine wirkliche Freude war, ihr dabei zuzusehen. Und während Rafael mit dem Vater sprach, flogen seine Blicke auch wirklich oft und unwillkürlich zu dem jungen Mädchen hinüber, und ihr Anblick rief ihm all die Szenen frohen, jugendlichen Übermuts in die Erinnerung zurück, die er mit ihren Brüdern durchlebt hatte, während sie, ein kleines lustiges Ding, immer zwischen den schon mehr erwachsenen jungen Burschen herumsprang und mitspielen wollte.

Jetzt wurde die Chupa, eine Kartoffelsuppe mit Eiern, aufgetragen, die in Peru fast jede Mahlzeit beschließt, und dann räumte Juanita ab und machte das Stübchen, in dem ihre Brüder gewohnt hatten, für den Gast zurecht.

Indessen saßen die beiden Männer bei ihrer Flasche Wein, aber jetzt jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Keiner sprach mehr ein Wort, bis der Alte endlich mit dem Ausruf das Schweigen brach:

»Meinen Hals wollt' ich darauf verwetten!«

Rafael schreckte ordentlich empor. Seine Gedanken waren indessen von dem reizenden Bild Juanitas wunderbarerweise zu dem verführerischen Wesen zurückgekehrt, dessen Bekanntschaft er an Bord des Dampfers machte, und er hatte sich eben die Frage gestellt, ob sie wohl imstande sei, irgend jemand herzlich und innig zu lieben, oder, wie sie es an Bord getan, nur ihr Spiel mit Männerherzen treibe. Des Alten Bekräftigung traf ihn da mitten hinein, und Bertrand mochte in dem rasch und erstaunt zu ihm aussehenden Gesicht des jungen Mannes wohl lesen, daß er nicht recht begriffen habe, was er meine.

Der Alte hatte aber nicht an glatte Gesichter und junge Mädchen gedacht, obgleich er ihnen seinerzeit auch nicht feind gewesen; jetzt aber waren seine Gedanken zu den etwas rätselhaften Verhältnissen zurückgeflogen, die mit dem Tod und dem Gutsverkauf von Rafaels Onkel zusammenhingen; denn wenn auch anscheinend nicht das geringste Gesetzwidrige dabei vorgefallen war, lag doch eben auch wieder genug Geheimnisvolles darüber, um noch mehr zu ahnen. Jedenfalls war es nötig, die Sache einmal ordentlich zu besprechen und ihr dann weiter nachzuforschen.

Bis jetzt hatte sich nämlich niemand darum bekümmert, denn man hielt eben den Verkauf für ganz in der Ordnung, und daß der frühere Eigentümer noch eigentlich in seinen besten Jahren starb – lieber Gott, das geschah in Peru eben nicht so selten und konnte nach keiner Seite hin Verdacht erwecken. Wer hätte denn überhaupt einen Nutzen davon gehabt?

Jetzt aber, da das Geld für den Verkauf auf völlig rätselhafte Weise verschwunden schien, gewann die ganze Sache eine andere Gestalt. Die Frage blieb nur noch die: Half es etwas, wenn sie Nachforschungen darüber anstellten – war es wahrscheinlich oder glaubbar, daß dieser Desterres, der mit all den höheren Beamten Limas in nächster Beziehung stand, etwas herausgeben würde, das er einmal in Händen hielt?

Seine peruanische Erfahrung sprach dagegen, aber der alte Franzose war auch wieder zäh genug, um einen einmal gefaßten Gedanken nicht gleich wieder bei irgendeiner Schwierigkeit fallen zu lassen.

»Meinen Hals wollte ich darauf verwetten«, wiederholte er deshalb noch einmal, »daß bei dem Verkauf eine Schurkerei vorgekommen ist! Wer sie nun begangen hat, muß sich allerdings erst herausstellen. Daß aber gerade dabei der letzte Verwalter und jetzige Eigentümer eine Hauptrolle gespielt hat, liegt auf der Hand. Wie aber ihm beikommen? Denn schlau sind diese Kanaillen alle, und dieser Desterres besonders ist ein Hauptlump. Ich habe mich schon damals mit deinem Onkel gestritten, als er den gelben Schuft als Verwalter ins Haus nahm.«

»Kenne ich ihn?« fragte Rafael.

»Ich weiß es nicht«, sagte Bertrand. »Er war früher einmal, glaube ich, Subpräfekt oder Kassenbeamter in Cerro de Pasco, machte dort aber Unterschleife, man sagte von sechsundzwanzigtausend Dollars, und mußte deshalb seinen Posten niederlegen. Aber, qu'importe? Solche Leute sind immer wieder zu verwenden, und als er hier plötzlich als Eigentümer der Hacienda auftrat, gab ihm der Finanzminister einen noch viel einträglicheren Posten in Lima, als er ihn früher in Terro hatte. Solchem Gesindel werden nun öffentliche Ämter anvertraut; aber der Bursche hat jedenfalls Geld, und wer fragt hier, wie es erworben wurde – ja, wer fragt selbst in dem alten Europa in einem solchen Fall danach! Er hat's und genießt es, und das andere Gesindel zieht den Hut vor ihm!«

»Aber Señor Rivadia soll selber den Kaufbrief untersucht und in Ordnung befunden haben«, warf Rafael ein.

»Ja, ich weiß«, brummte Bertrand, mit der Rechten sein Mützchen rückend und sich den Kopf kratzend; »ich weiß, und der gerade hätte durch dich ein Interesse dabei gehabt, daß kein Betrug vorfiel, sonst würde ich ihm eben nichts Besseres zutrauen als all den anderen. Der Teufel finde sich durch! Übrigens verkehrt dieser Desterres mit allerlei wunderlichem und verdächtigem Volk, das er sich wohl vom Leibe halten würde, wenn er es nicht selber zu diesem oder jenem brauchte oder gebraucht hätte, und das allein schon wirft ein böses Licht auf ihn. Einen Beweis dafür haben wir hier gerade in einer alten Hexe, die bis dahin nur immer der Gemeinde zur Last lag, der alten Pascua.«

»Pascua? Wer ist das?«

»Erinnerst du dich nicht mehr der Alten, die am Flusse wohnte und der der Strom einmal die Hütte fortriß? Sie kam dann oft zu mir und euch betteln, und es ging ihr auch wohl eben nicht besonders, aber sie litt auch gerade keine Not, denn das dumme Volk fürchtete sich vor ihr, weil sie ein Bündnis mit dem Teufel hätte und mehr könne als Brot essen. Wie sie's nun gemacht hat, weiß eben der Teufel, aber der neue Besitzer deiner Hacienda hat der Alten in der nächsten Ecke ein kleines, ganz wohnliches Häuschen bauen lassen.«

»Ich bin daran vorbeigeritten«, rief Rafael rasch.

»Nun ja, und da haust sie jetzt mit ihrem Sohne, einem so nichtswürdig faulen und trunksüchtigen Cholo, wie ihn Peru nur aufzuweisen hat, und scheint sich dort ganz wohl zu befinden.«

»Lieber Gott«, sagte Rafael achselzuckend, »was brauchen derartige Leute auch! Ein bißchen Chupa genügt ihnen für den ganzen Tag.«

»Der aber nicht«, rief Bertrand, »wenn sie nicht ein paar Eier und ein Huhn darin hat! Der junge Lump ist dazu fast den ganzen Tag betrunken. Wer gibt ihm das Geld dazu – und wofür? Ich habe mir schon lange den Kopf darüber zerbrochen, denn umsonst tut Desterres etwas Derartiges nicht.«

»Wer weiß«, sagte Rafael achselzuckend – »keinesfalls steht das alte Weib in irgendeiner Verbindung mit dem Verkauf des Gutes, wenn sie jetzt auch einen Platz darauf gefunden hat.«

Es war, als ob Bertrand noch etwas darauf erwidern wollte, und er sah Rafael plötzlich an – wenn aber, so besann er sich ebenso rasch wieder, und mit den Fingern auf den Tisch trommelnd, blieb er eine ganze Weile in tiefem Nachdenken sitzen, in dem ihn Rafael, mit seinen eigenen Grübeleien beschäftigt, nicht störte, als sie beide durch das wütende Gebell der Hunde gestört wurden, die der Franzose aber jetzt, nach Dunkelwerden, in der inneren Einfriedigung hielt, weil sie sonst leicht ein Unglück hätten anrichten können. Bertrand horchte nach der Tür.

»Nun?« sagte er, »noch ein Besuch? Das wäre ja merkwürdig, wenn ich zwei an einem Abend bekommen sollte, wo sonst manchmal das ganze Jahr über niemand bei mir vorspricht! Ruhe da, ihr Hunde, ihr werdet mir noch das ganze Gattertor zerkratzen! Die Bestien sind ja rein wie rasend heute abend! Da muß entweder ein Neger oder ein Cholo vor der Tür sein, denn von beiden wollen sie nichts wissen!«

Beide Männer waren aufgestanden, um zu sehen, weshalb die Hunde einen solchen Lärm machten, und ihre Hüte aufgreifend, schritten sie dem Gartentor zu. Es war neun Uhr vorbei, und die Ansiedelungen der Nachbarschaft lagen überall schon still und ruhig; nur einzelne Hunde schienen durch das Anschlagen der Rüden munter geworden zu sein und antworteten dem Wachlaut.

»Wer ist draußen?« rief Bertrand jetzt laut in die Nacht hinein, denn es war so stockdunkel geworden, daß man nicht einmal das Tor, viel weniger jemanden erkennen konnte, der davor stand.

»Por amor de Dios!« rief eine weibliche Stimme; »Señor, kommt mir zu Hilfe – mein Sohn ist vom bösen Feind besessen und wütet und tobt – kommt zu mir, ich arme, alte Frau bin nicht mehr imstande, ihn zu bändigen!«

»Seid Ihr das, Pascua?« rief Bertrand, von dem Zufall überrascht, aus, denn er glaubte in der Stimme die jener alten Frau zu erkennen.

»Ich bin es, Señor; oh, erbarmt Euch meiner, Ihr habt mir ja schon so oft geholfen!«

»Diable!« murmelte der Alte jetzt leise zu Rafael, nun aber in französischer Sprache, obgleich sich beide, alter Angewohnheit nach, den ganzen Abend der spanischen bedient hatten; »das trifft sich merkwürdig, und du bekommst jetzt gleich Gelegenheit, wenigstens die Bekanntschaft des würdigen Paares zu machen. Ich gelte hier in der Umgebung für einen halben Doktor, und sie rufen mich manchmal, wenn sie sich mit ihren Hausmitteln festgerannt haben und nicht weiterkönnen.«

»Kommt Ihr, Señor? Oh, macht schnell«, wimmerte die Alte draußen – »wenn ich ihn so lange allein lasse, richtet er am Ende noch Unheil an!«

»Lauft voraus«, rief der Alte hinaus, »ich komme gleich nach! Wenn ich das Tor jetzt aufmache, kann ich die Hunde nicht zurückhalten!«

»Oh, dann vergeßt auch die gelbe Medizin nicht, die ihm immer so gut geholfen hat!« bat die Stimme noch einmal.

»Ja, schon gut!« rief Bertrand und murmelte dann vor sich hin: »Ich wüßte wohl, was für eine gelbe Medizin für ihn das Beste wäre, ein gelber Orangenstock und die Kanaille damit windelweich geprügelt, bis er das verdammte Saufen ließe! Aber komm jetzt, Rafael, du mußt mit hinüber! Zurück da, ihr Bestien! Heiland der Welt, was die Hunde für einen Spektakel machen! Sie sind rein des Teufels, wenn sie nachts einen Cholo wittern!«

Die Hunde wurden zurückgetrieben, und die beiden Männer schritten, nachdem sie das Tor wieder hinter sich geschlossen hatten, den schmalen Reitweg hinab, der, zwischen den beiden Hacienden durch, nach der Hütte der alten Pascua führte. Schon von weitem hörten sie aber die zornige Stimme des Cholo, der seine Mutter anschrie, und als sie ihre Schritte beschleunigten und die Tür betraten, verlangte er eben mit wahnsinnigen Flüchen Branntwein, um seinen brennenden Durst zu löschen.

Es war ein trauriges Bild, das sich hier ihren Blicken bot. Das kleine, düstere, schmutzige Gemach wurde nur durch ein elendes Talglicht erhellt, das, an die rauhe Hüttenwand geklebt, sich dort selber halten mußte und jeden Augenblick herabfallen und das Ganze mit Nacht bedecken konnte. Rechts an der Wand befand sich ein aus rohem Lehm zusammengeklebter Ofen, eine Art Kochherd mit ein paar Öffnungen oben, in die Töpfe hineingesteckt werden konnten, während jeder einzelne derartige Platz zugleich eine Zugröhre für sich bildete. Hinten an der Wand standen noch ein paar rohe, mit Kuhhäuten überspannte Bettgestelle, die ärmlichen Lagerstätten von Mutter und Sohn; ein paar rohe Stühle bildeten außerdem die ganze Einrichtung.

Auf dem rechts in der Ecke hinter dem Ofen befindlichen Bettgestell aber saß der Kranke, das schmutzige Hemd vom braunen Leib heruntergerissen, die langen schwarzen Haare wirr um den Kopf hängend, die Augen fast aus ihren Höhlen herausgedrängt und in unartikuliertem Schreien, beinahe – ja, schlimmer als ein wildes Tier, seinem gierigen Verlangen Laut gebend.

Umsonst suchte die Mutter ihn dabei zu beschwichtigen, umsonst bat sie – eben war er im Begriff, emporzuspringen, als er die beiden Fremden auf der Schwelle erscheinen sah; das übte eine wunderbare Wirkung auf ihn aus.

»Was wollen die?« fragte er scheu und verstört, indem er die Füße wieder auf sein Lager hob und sich wie eingeschüchtert in die entfernteste Ecke kauerte. »Was wissen die von mir, daß sie jetzt in der Nacht kommen und mich holen wollen! Fort, ich war's nicht, ich weiß nichts davon – nur Durst hab' ich, Durst!«

Scheu hatte die Frau indessen nach der Tür gesehen, als sie einen Fremden noch neben dem Franzosen bemerkte.

»Wer ist der, und was will er hier?« flüsterte sie Bertrand leise zu, indem sie seine Züge bei dem matten Lichtschein zu erkennen suchte.

»Ein Doktor«, erwiderte der Franzose, »der eben von Lima gekommen ist und mich besucht hat. Ich glaubte, er könnte uns hier nützlich sein.«

Des Cholos scharfes Ohr hatte die Worte aufgefangen, und er schien sich jetzt wieder beruhigt zu haben. Seine alte wollene Decke, die früher einmal als Poncho gedient hatte und vielleicht noch dazu diente, hob er in die Höhe und streckte die Füße hinunter, und die Decke dann bis zum Halse hinaufziehend, knurrte er:

»Doktor, Doktor – ich brauche keinen Doktor, ich bin nicht krank, ich bin nur durstig, und da kann mir nur ein Doktor helfen, der mir was zu trinken bringt!«

»Ich denke«, sagte jetzt Bertrand, indem er, von Rafael gefolgt, zu ihm ans Bett trat, »du hast gerade genug getrunken, oder wenn du noch was brauchen solltest, so wären ein paar Eimer Flußwasser, innen und außen angewendet, das einzig Passende. Gib einmal deine Hand her – nun, mach' rasch, ich habe nicht Lust, hier die ganze Nacht bei dir stehenzubleiben!«

»Ich habe Euch gar nicht gerufen«, erwiderte der junge Bursche störrisch, streckte aber doch, dem Befehl gehorchend, den linken Arm unter der Decke hervor, den Bertrand auch, ohne weiter auf die Worte zu achten, ergriff und zwischen seinen Fingern hielt.

»Jetzt nimm einmal den Arm, mein Junge«, wandte sich der Alte da wieder in französischer Sprache an Rafael, »und fühle den Puls! Sollte man denn nicht glauben, daß es ihm das Blut durch die Poren hinaustreiben müsse in lauter kleinen Springbrunnen? Der Bursche hat aber eine wahre Bärennatur, und mit einem Fieber, das jedem andern Menschen die Hirnschale sprengen müßte, säuft er noch aguardiente und läuft den anderen Morgen dann wieder in der Ansiedelung herum, als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre!«

»Aguardiente, ja«, stöhnte der Kranke, der nur das eine Wort aus der ihm fremden Sprache verstanden hatte, »nur ein einziges Glas voll noch, dann will ich schlafen und ruhig sein! Mutter, geschwind, du hast ihn versteckt, gib ihn heraus!«

»Ach, um der Liebe Gottes willen, Señor«, jammerte die Frau, »was soll ich denn tun? Er gibt keine Ruh', und der Branntwein ist ja jetzt das reine Gift für ihn! Er muß mir ja unter den Händen sterben oder wahnsinnig werden!«

»Sterben, sterben«, murmelte der Kranke, »der ist lange begraben und erzählt keine Geschichten mehr! Ja«, fuhr er, sich wild im Bette aufrichtend, fort, »so möcht' ich auch sterben – mit dem Glas am Munde – umfallen – weg!«

»Er ist schon wahnsinnig!« jammerte die Alte, die jetzt auf den Sohn zusprang und ihm in indianischer Sprache hastig einige Worte zuflüsterte. Der Kranke sah sie mit seinen gläsernen Augen stier an, und dann laut auflachend, rief er:

»Aha, jetzt weiß ich, wie ich dich zwinge, daß du mir Branntwein gibst, wenn ich ihn verlange – jetzt soll ich ihn haben, heh? – nur davon nicht reden?«

»O heilige Mutter Gottes, schütze ihn mir!« jammerte die Frau, »er ist wahnsinnig geworden! Oh, Eure Medizin, Señor, Eure Medizin – rettet mir das Kind!«

»Was kann dir meine Medizin helfen, wenn er morgen wieder zu trinken anfängt?« sagte der Franzose, ohne von dem, was der Kranke gesprochen, die geringste Notiz zu nehmen. »Aber gib mir ein Glas, vielleicht hält's ihn doch eine Weile wieder nüchtern, daß er sich erst einmal erholen kann. So viel sag' ich dir aber, fährt er so fort mit seinem Branntweintrinken, dann ist er ein verlorener Mensch! Ich möchte schon jetzt keine zwei Realen für sein Leben geben!« Damit schüttele er aus einer kleinen mitgebrachten Flasche etwas in ein Glas, das ihm die Alte mit zitternden Händen gebracht hatte. Es war in Madeira aufgelöster Brechweinstein, eine Pferdekur allerdings für einen solchen Fieberkranken, aber auch das einzige Mittel, das ihm vorderhand das Verlangen nach weiterem Alkohol vollständig benahm. Der Kranke nahm das Glas und roch mißtrauisch daran. Er hatte schon einmal von der nämlichen Arznei bekommen.

»Wollt Ihr mich wieder krank machen?« fragte er finster.

»Trink, das wird dir gut tun«, fuhr ihn aber der Franzose an, »zum Henker noch einmal, du hast ja Branntwein verlangt! Der ist jetzt nicht mehr da, aber das ist Wein, und wenn's dir den Hals auch nicht so verbrennt, wie dein aguardiente, so bringt's dir doch den Magen wieder ein wenig in Ordnung – hinunter damit!«

Der Kranke roch noch einmal an dem Glas, aber dem Geruch des Weines konnte er nicht widerstehen. Er hob die Medizin an die Lippen und leerte sie auf einen durstigen Zug; dann wickelte er sich, zusammenschaudernd, wieder in seine Decke und drehte den Fremden den Rücken. Er fühlte den Metallgeschmack des Brechweinsteins auf der Zunge, und es wurde ihm übel.

»Dios se lo pague«, murmelte die Alte zu Bertrand, »Dios se lo pague, meine Medizinen nimmt er gar nicht mehr, weil sie ihm nicht schmecken, wenn sie auch ebenso kräftig wirken mögen, aber die eurigen schluckt er hinunter. Jetzt verlangt er nicht mehr nach dem Gifttrank, der seine Adern zu Feuer brennt. Dios se lo pague, Señor.«

»Die Alte will uns fort haben«, lachte Bertrand zu Rafael hinüber, »und ich denke auch, wir gehen, denn hier ist vorderhand doch nichts mehr zu machen. Glaubst du nicht?«

»Von Herzen gern; mir brennt der Boden hier unter den Füßen und die Luft droht mich zu ersticken.«

»So komm!« sagte Bertrand, während die Alte, als der Fremde sprach, vergebens sein Gesicht deutlich zu erkennen suchte, und trat, von dem jungen Mann dicht gefolgt, hinaus ins Freie. Dort aber nahm er seinen Arm und wanderte mit ihm schweigend den Weg entlang, bis sie weit genug von der Hütte entfernt waren, daß selbst der Klang ihrer Stimmen nicht mehr dorthin dringen konnte.

»Hast du gehört, was der Bursche sagte?« fragte er hier, aber immer noch in französischer Sprache, denn es war zu dunkel, um zu erkennen, ob nicht doch vielleicht jemand sie behorche.

»Ja«, sagte Rafael leise, »der Bursche hat jedenfalls ein Verbrechen auf dem Gewissen, was es auch sei, und die Alte weiß darum; deshalb drängte sie so, daß wir den Raum wieder verließen!«

»Das ist dir auch aufgefallen, nicht wahr? Merkwürdig! Sollte das am Ende doch mit unserer Sache in Verbindung stehen?«

»Haben Sie einen Verdacht?« rief Rafael rasch und ergriff, indem er stehen blieb, Bertrands Arm, »daß mit meines Onkels Tod nicht alles den natürlichen Weg gegangen ist?«

»Ich hatte bis jetzt keinen«, erwiderte der Franzose; »doch komm nur, laß uns hier nicht in der Straße stehen bleiben. Ich hatte bis jetzt keinen, aber sonderbarerweise haben ihn die dunkeln Worte des Burschen heute abend geweckt, und jetzt, da ich darüber nachdenke, paßt auch wieder so manches dazu, was früher keinem Menschen aufgefallen ist. Ich muß mir nur selber alles noch einmal frisch ins Gedächtnis zurückrufen.«

»Und was war das?«

»Jetzt nicht, mein Junge, jetzt nicht. Oben in meiner Hängematte werde ich mir die Geschichte ein wenig zurechtlegen. Morgen sprechen wir mehr davon. Du wirst auch müde sein heute abend, und da sind wir auch schon wieder an unserem Hause. Ruhig, ihr Hunde, hinein mit euch! Könnt ihr denn nicht euren Herrn wittern?«

Die Hunde knurrten noch leise und wedelten dabei mit den Schwänzen, das letztere für den Herrn, das erste für seinen ihnen noch fremden Begleiter, aber sie wußten, daß sie sich nicht weiter rühren durften; eine halbe Stunde später hatten die beiden Nachtwanderer ebenfalls ihr Lager aufgesucht.

 


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