Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Der Ritt nach den Hacienden

Don Rafael bedurfte keiner langen Zeit, um alles Nötige zu besorgen, und eine Stunde später, es mochte drei Uhr nachmittags sein, saß er im Sattel und ritt langsam über die Rimacbrücke und durch die breite Straße der Rimacvorstadt hin, in der sich ganze Kolonien von freigelassenen Negern angesiedelt hatten.

Vor ihm ritt ein alter Mann auf einem wohlgenährten Maultier. Als er ihn überholte, redete er ihn an:

»Señor, können Sie mir nicht sagen, weshalb die Bewohner dieser guten Vorstadt ihre Häuser alle himmelblau angestrichen haben? Es sieht doch gar zu wunderlich aus!«

»Quien sabe, Señor«, sagte der alte Mann achselzuckend; »die Regierung hat's befohlen, und die Hauseigentümer müssen gehorchen, sonst wird ihnen ein Anstreicher vom Gouvernement geschickt, und die sind sehr teuer.«

»In der Tat«, lachte Don Rafael, »also Regierungsgeschmack? Aber ich hätte ihnen dann auch noch ein paar gelbe oder rote Aufschläge, so ein paar Streifen rund herum, geben lassen; es sähe das jedenfalls mehr uniformiert und militärisch aus.«

Der alte Mann lächelte still vor sich hin, aber er erwiderte nichts auf die etwas kecke Äußerung. Wer wußte denn überhaupt, wer der Fremde war? Erst nach einer kleinen Pause und nachdem er einen Seitenblick auf ihn geworfen hatte, fragte er:

»Und wohin reitet Ihr, Señor, wenn man fragen darf? Doch wohl nur ein wenig spazieren durch die Straßen der Stadt?«

»Nicht viel mehr, Amigo. Nach den Hacienden hinaus, drei Leguas etwa.«

»Wollt Ihr allein den Weg zurücklegen?«

»Ja, und warum nicht? Der Weg ist doch nicht zu verfehlen.«

»Hm, deshalb nicht, aber die Straßen sind in der letzten Zeit merkwürdig unsicher geworden.«

»So scheint doch etwas an dem Gerücht zu sein, denn man hört es von verschiedenen Seiten bestätigen.«

»Gerücht? Wenn das ein bloßes Gerücht ist, so muß es ein recht blutiges sein«, sagte der alte Mann, »denn jede Woche verlangt ihr Opfer. Seid vorsichtig. Ihr seht aus wie guter Leute Kind, Euer Gesicht ist offen und ehrlich, und fast wollt' ich sagen, es käme mir so was wie bekannt vor. Es sollte mir leid tun, wenn sie morgen Eure Leiche in dem häßlichen dunkelbraunen Korb hier hereintrügen.«

»Reitet Ihr nicht denselben Weg, Amigo?« fragte Rafael.

»Dann wär' ich nicht allein, Señor; denn die Ladrones verschonen nicht einmal arme Marktleute, nur der paar Dollars wegen, die sie mit nach Hause nehmen. Ich biege hier gleich links ab, sowie wir ein Stückchen vor dem Tor sind.«

»Also bis dicht an die Stadt haben sich die Straßenräuber noch nicht gewagt?«

»So weit die wirkliche, durch niedrige Lehmmauern und Gärten eingefaßte Straße reicht, nein«, sagte der Alte; »denn es führen überall kleine Beiwege links ab, und diese sind denn doch zu belebt, so daß von allen Seiten her plötzlich einmal Hilfe kommen könnte. Erst da, wo der letzte Tambo steht, auch so eine Art Diebskneipe, in der sich das schlimmste Gesindel aufhält und sicher ist, immer Bekannte zu finden, und von wo dann der offene Weg beginnt oder eigentlich jeder Weg aufhört, hat man bis jetzt von Überfällen und Mordtaten gehört. Öde und einsam genug ist die Gegend auch dort und nur morgens etwas belebt, wenn die Leute von draußen zum Markt hereinkommen.«

»Und denen geschieht nichts?«

»Wenn sie einzeln hereinkommen, hat keiner von ihnen einen Real baren Geldes im Sack, und hinaus reiten sie immer wieder in Trupps.«

»Nun, Amigo«, sagte Don Rafael, sein Pferd schärfer im Zügel fassend, »schönen Dank für die Warnung, die ich nicht mißachten werde. Aber jetzt muß ich machen, daß ich vorwärts komme, denn sonst überrascht mich am Ende noch die Nacht draußen, und daran wäre mir in der Tat nichts gelegen. A Dios!«

»A Dios, Señor«, rief ihm der Alte nach, als er seinem Tier schon die Sporen einsetzte, »und haben Sie acht auf sich selber!«

Don Rafael winkte noch einmal mit der Hand zurück und flog im nächsten Augenblick auch schon im gestreckten Galopp die breite, offene Straße entlang. Aber er mußte bald wieder einzügeln, denn die großen Kiesel, die der ausgetretene Bergstrom losgewaschen hatte und die hier den Weg vollkommen anfüllten, zwangen ihn, langsamer zu reiten, bis er endlich das Ende des eingefaßten Weges erreichte.

Es war ein öder langweiliger Ritt, denn links und rechts hatte er nur niedere Lehmmauern, hinter denen etwas bewässertes und mit Vegetation bedecktes Land lag. Alles übrige war trostlos dürr, ordentlich mumienartig eingetrocknet, und die kahlen, zerrissenen Berge, die zur Rechten ihre nackten Häupter emporreckten, konnten auch nicht dazu dienen, der Landschaft einen freundlicheren Anstrich zu geben.

Rafael überholte hier noch eine ziemliche Anzahl von Marktleuten, die ihrer Heimat zuritten. Es waren meist Neger, die laut lachend und schreiend den weißen Caballero, den sie sonst ehrfurchtsvoll gegrüßt hätten, gar nicht beachteten. Don Rafael bemerkte aber kaum, was in der Straße und um ihn her vorging, denn seine Gedanken waren bei den heutigen Erlebnissen, waren bei Candelaria, und wie ein kalter Reif lag die Erinnerung jener Stunde auf seiner Seele.

Wie hatte er jenen Augenblick herbeigesehnt und ihn sich ausgemalt! Und jetzt? Alles vorbei, alles zerstört! Sein Vermögen? Er schenkte dem Verlust in diesem Augenblick kaum einen Gedanken, denn das ließ sich mit Fleiß und Sparsamkeit wieder ersetzen; aber das verlorene Vertrauen in die Geliebte? Nie.

Und sein armer Onkel, auf dessen Empfang er sich so sehr gefreut hatte, war tot, das Besitztum seiner Eltern in fremden Händen, und das gerade war der bitterste Gedanke von allen, daß eben dieser Verlust seiner irdischen Güter auch den geizigen Señor Rivadia und seine Tochter bewogen haben konnte, sich von ihm zurückzuziehen und ihn aufzugeben! Hatte sie ihn je geliebt? Nein! Nur die Aussicht, an der Seite eines wohlhabenden, geachteten Mannes eine Rolle in Lima spielen zu können, war ihr schmeichelhaft gewesen. Jetzt reichte sie dem mit den nämlichen Gefühlen die Hand, der ihr eine ähnliche Stellung zu bieten vermochte. Was wußte das leichtsinnige, vergnügungssüchtige Mädchen von wahrer Liebe?

Und die Französin? Wunderbar, daß ihm gerade in diesem Augenblick das Bild der reizenden Schauspielerin wieder vor die Seele trat! Mehr Treu und Glauben war in deren Herzen als in dem seiner Braut.

In seine Gedanken vertieft und an die Gefahren dieser einsamen Straße nicht einmal mehr denkend, hatte er seinem Pferd den Zügel gelassen, und in kurzem Galopp war es mit ihm die ganze offene Strecke dahingeflogen, die sich unmittelbar am Fuße der Berge über den kahlen, nackten Boden zieht. Links von ihm lag dabei das weite und auch an vielen Stellen bebaute Flußtal des Rimac, über das die Sonnenstrahlen einen zitternden Nebel breiteten, und vor ihm wurden wieder kleine Lehmmauern sichtbar. Aber es befanden sich hier nur einige eingefriedigte und durch den Lima-Kanal bewässerte Anpflanzungen; ein Wohngebäude stand nicht hier, nur die Straße lief, wie es die Mauern der verschiedenen Gärten gestatteten, im Zickzack dadurch hin und suchte bald wieder den höher gelegenen Boden, wo sie nicht durch solche Hindernisse aufgehalten werden konnte.

Mit seinen Erinnerungen beschäftigt, hatte Don Rafael nicht bemerkt, daß, während er auf diese Einfriedigungen zugaloppierte, seitab von der Straße ein einzelner Reiter an dem Berghang hielt und mit einem kleinen Taschenfernrohr die beiden Wegstrecken absuchte.

Aber selbst einem aufmerksamen Reisenden würde es sehr schwer geworden sein, in dem grau gemischten Gestein den regungslosen Reiter zu erkennen, dessen Pferd und Poncho die gleiche, oder doch eine ganz ähnliche Steinfarbe trug.

Jetzt, als Don Rafael gerade die erste Mauerecke erreichte und hinter den in der Umzäunung wachsenden Stauden verschwand, lenkte der Beobachter an der Felswand sein Tier den Hang hinab und setzte ihm, wie er nur den flachen Boden erreichte, die Sporen in die Seiten. Gleich darauf gewann er ebenfalls die Einzäunungen und schlug daran hin einen Weg ein, der ihn dem einsamen Reisenden gerade entgegenführen mußte. Nach beiden Seiten hatte er vorher die Straße übersehen können und sich überzeugt, daß wenigstens für eine Legua Distanz nach Osten und Westen kein anderes menschliches Wesen sichtbar war.

Don Rafael kümmerte das durchaus nicht. Er wußte nicht einmal, ob ihm unterwegs Menschen begegnet waren oder nicht, so wenig achtete er darauf. Ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, hatte er seine Zigarrentasche vorgeholt und sich Feuer geschlagen, und den Dampf jetzt in die heiße, staubige Luft hineinblasend, summte er unwillkürlich den Refrain jenes kleinen Liedes, das er damals die Geliebte gelehrt und von dem sie heute einen so nützlichen Gebrauch gemacht hatte.

Dicht vor ihm, in kaum fünfzig Schritt Entfernung, tauchte in diesem Augenblick plötzlich ein Reiter auf, dessen Erscheinen ihn an dieser einsamen und sogar verdeckten Stelle im Nu zum vollen Bewußtsein der Gegenwart zurückrief.

»Hallo«, murmelte er leise vor sich hin, »sollte Gaspar wirklich einmal nicht übertrieben haben und mein etwas trockenes Vaterland doch solche saubere Pflanzen zutage bringen? Nun, wir werden ja sehen, ob mich der Herr anredet. Jedenfalls will ich ihn mir an der linken Seite halten.«

Lange Zeit blieb ihm aber nicht zum Überlegen, denn beide sich begegnenden Männer hatten indessen ihre Pferde nicht eingezügelt und rückten, natürlich in einem scharfen Trabe, einander rasch näher. Don Rafael war aber, nach all den erhaltenen Warnungen, nicht unbewaffnet, ja, mehr als das, er wußte seine Waffen zu gebrauchen und besaß Kaltblütigkeit genug, einer etwa auftauchenden Gefahr auch in der gehörigen Weise zu begegnen. Was brauchte er den einen einzelnen Reiter zu fürchten! Er war sich bewußt, selber der gefährlichere Gegner von beiden zu sein, und damit sah er den Fremden auch völlig ruhig und unbewegt näherkommen.

Verdächtig war dabei allerdings, daß dieser die nämliche Mauer hielt, wo er, dem Gebrauche des Weges nach, an die andere Seite der Straße gehört hätte. Außerdem hatte aber auch Rafaels scharfes und mit den Landessitten so genau bekanntes Auge unter dem kurzen Poncho des Fremden eine Bewegung bemerkt, die ihm nicht gefiel. Führte der Bursche Feuerwaffen? Das schien aber nicht so, denn alle Morde, von denen er gehört hatte, waren mit der Stichwaffe, mit dem langen südamerikanischen Messer verübt worden. Ein hijo del pais wußte auch selten mit Schießwaffen so gut umzugehen, um sich in einer drohenden Gefahr fest auf sie verlassen zu können. Das Messer, das er vortrefflich zu gebrauchen wußte, war deshalb für ihn die sicherere Waffe, und wenn er sich nachher auch noch auf die Schnelligkeit seines Pferdes verlassen konnte, brauchte er wenig für sich selbst zu fürchten.

Daß der Fremde übrigens wirklich Böses beabsichtigte, daran zweifelte Rafael jetzt keinen Augenblick mehr, denn so dicht hielt er auf ihn zu, daß er völlig, zwischen der Mauer und dem Pferde, in seiner Hand gewesen wäre, wenn er den ersten Angriff abwarten mußte. Und das mußte er in der Tat, denn er konnte nicht einen vielleicht unschuldigen Menschen nur auf den bloßen Verdacht hin, ein Straßenräuber zu sein, vom Pferde schießen. Fast unwillkürlich lenkte er deshalb auch sein Tier mit der linken Hand nach der Mitte der Straße hinüber, während er die Rechte in der Rocktasche hielt und eine Doppelpistole, die er dort trug, ergriff und spannte. Er fing an zu bedauern, daß er Don Gaspars Warnung so leicht genommen und seine Revolver zurückgelassen hatte.

Dem herankommenden Reiter war natürlich das rasche Wechseln des Reisenden von der Seite nach der Mitte der Straße nicht entgangen, und ein leises, spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen; mit seinem Tier folgte er aber auch im Nu dieser Bewegung, wenigstens so weit, daß er dicht an die Seite Don Rafaels kommen konnte, und hier sein Pferd plötzlich einzügelnd, sagte er mit einem freundlichen Lächeln:

»Compañero, dürfte ich Sie um etwas Feuer bitten?«

Er hielt dabei die Zigarre in der nämlichen Hand wie die Zügel und lenkte, um in den Bereich von des andern brennender Zigarre zu kommen, sein Pferd dicht nach diesem zu. Aber Don Rafael war nicht der Mann, sich durch eine schon so oft gebrauchte List fangen zu lassen. Unter dem kurzen Poncho des Fremden glaubte er für einen Augenblick die Spitze einer blanken Klinge vorschimmern zu sehen, und dieser bog sich eben nach ihm über, als er mit einem Schrei der Überraschung zurückfuhr, denn er sah die zwei drohenden Läufe einer Pistole so dicht auf seine Stirn geheftet, daß sie ihn beinahe berührten.

»Señor!« rief der Fremde erschreckt aus.

»Señor?« fragte aber Don Rafael zurück, nahm seine eigene brennende Zigarre aus dem Mund und steckte sie, wie in eine Zigarrenspitze, in den oberen Lauf seines Doppelterzerols. »Sie haben Feuer gewünscht, und ich nehme mir die Freiheit, es Ihnen hier anzubieten!« und mit diesen Worten hielt er dem bestürzten Reiter die Pistole direkt auf die Stirn gerichtet. – »Machen Sie keinen Versuch zur Flucht, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief er rasch, als der Fremde einen Blick die Straße hinabwarf. »Bei der ersten Bewegung dahin sind Sie eine Leiche, denn ich fehle mein Ziel nie!«

»Aber, Señor, ich begreife Sie nicht!« sagte der Fremde, und Rafael bemerkte, wie er sein Messer unter dem Poncho wieder in die Scheide zurückzubringen suchte.

»Sie haben Feuer verlangt, Señor«, sagte der junge Mann ernst, indem er ihm die gespannte Pistole noch immer entgegenhielt. »Nehmen Sie jetzt rasch, ehe die Zigarre ausgeht, oder ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich sie in dem Falle auf Ihr eigenes Gehirn abbrenne! Sie haben mich doch verstanden?«

»Sie wollen einen Mord begehen?«

»Ich will, daß Sie Ihr Feuer nehmen. Caramba, meine Geduld fängt an nachzulassen. Ich zähle sechs, und dann gebe ich Feuer! Eins, zwei, drei, vier . . .«

»Sie zwingen mich mit vorgehaltener Pistole?«

»Allerdings!« sagte Don Rafael, während der Reiter mit zitternder Hand die Zigarre, die er noch zwischen den Fingern hielt, an der vorgehaltenen entzündete, indes die Mündung der Pistole gerade vor sein Gesicht gerichtet blieb und Rafaels Finger fest und entschlossen am Drücker lag. – Jetzt brannte seine Zigarre.

»Señor«, sagte er, »muy obligado. Sie können versichert sein, daß ich mich in Zukunft bei jeder Zigarre, die ich anzünde, Ihrer erinnern werde!«

»Wenn das von mir abhinge«, sagte Don Rafael trocken, indem er seine eigene Zigarre wieder aus der Pistole nahm und weiter rauchte, »so würden das so viele nicht mehr sein, denn ich bezweifle jetzt keine Sekunde länger, daß Sie der Schurke sind, Señor, der in der letzten Zeit hier die verschiedenen Mordtaten verübt hat. Schweigen Sie, ich verlange keine Entschuldigung, und nur einer Zufälligkeit haben Sie es zu danken, daß Sie überhaupt noch leben! Ich möchte aber nicht am ersten Tage meiner Rückkehr nach Peru Blut vergießen, wenn es auch das Blut eines Mörders wäre. Lassen Sie es übrigens Ihre Sorge sein, daß ich Ihnen nicht wieder auf diesem Weg, den ich von jetzt an öfters reiten werde, begegne, denn ich könnte mich veranlaßt fühlen, sehr kurze Umstände mit Ihnen zu machen!«

Und ohne den Burschen weiter eines Blickes zu würdigen, gab er seinem Tier die Sporen und sprengte den Weg entlang, um die versäumte Zeit wieder einzuholen. Er sah sich auch wirklich nach dem überlisteten Räuber nicht einmal mehr um; es drängte ihn jetzt, den Ort seiner Bestimmung noch vor Abend zu erreichen.

Sein wackeres Tier, das fünf oder sechs Tage im Stall gestanden und ausgeruht hatte, griff tüchtig aus, und noch vor Sonnenuntergang erreichte er in einem gut bewässerten Flußtal den Beginn der Hacienden, zwischen denen etwas abseits vom Wege auch sein früheres Gut lag. Aber er brauchte jetzt keinen räuberischen Angriff mehr zu fürchten, denn überall lagen hier besiedelte Stellen, und Menschen wechselten herüber und hinüber.

Rafael hatte den Verbrecher auch lange vergessen, denn andere Gedanken kreuzten jetzt sein Hirn: die Erinnerung an seinen Onkel, an die glückliche Zeit, die er hier mit ihm verlebte. Wie oft war er von hier nachmittags hinein nach Lima geritten, um die Abende mit Candelaria und ihren Eltern zu verbringen! Wie oft war er in finsterer Nacht allein zurückgekehrt, und was für Träume hatte er damals im Herzen getragen! Die Zeit war vorbei; das Luftschloß, das er himmelhoch in den blauen Äther hineingebaut hatte, war ineinandergestürzt und von den Fluten der Zeit hinweggeschwemmt, und der Ernst des Lebens zeichnete ihm jetzt mit kalter, erbarmungsloser Hand das Ziel vor, dem er entgegenstreben mußte.

Jetzt endlich hatte er die Stelle erreicht, auf der seine früheren Grundstücke lagen, und unwillkürlich wollte er in den alten Weg einlenken, der zum Herrenhause führte – er konnte die hellen Gebäude schon von da aus durch die Büsche schimmern sehen. Aber das ging nicht. Fremde Menschen bewohnten jetzt die Heimat seiner Jugend, und er mußte an ein anderes Nachtquartier für diesen Abend denken, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, als Eindringling und lästiger Gast aus seiner alten Heimat gewiesen zu werden – und den Schmerz hätte er nicht ertragen!

Nicht weit von dort, ja, fast daran grenzend, lag eine kleine Hacienda, auf der ein alter Freund seines Onkels, ein Franzose, lebte. Als Kind war er oft drüben gewesen und hatte mit dessen Kindern gespielt, und später, als die Söhne heranwuchsen und das väterliche Haus verließen, erinnerte er sich, noch oft dort vorgeritten zu sein und mit dem sehr zurückgezogen lebenden Pflanzer ein Stündchen geplaudert zu haben. Es war damals noch ein Kind im Hause gewesen, ein kleines Mädchen, und schon in Lima hatte er sich vorgenommen, bei dem alten Franzosen vorzusprechen und auch da zu übernachten. Außerdem konnte er dort, wenn irgendwo, die genauesten Nachrichten über das einholen, was während seiner Abwesenheit daheim vorgegangen war. Der Alte war ja auch mit seinem Onkel befreundet gewesen.

 


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