Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Die Posada am Wege

An dem nämlichen Tag, an dem Granero seine Beratung mit Oberst Desterres, einem Bruder des gleichen Desterres hielt, der zu derselben Zeit die gefeierte Valière auf seiner Hacienda herumführte, sprengte Señor Corona, nachdem er den General verlassen und noch eine längere Zusammenkunft in einer der Vorstädte mit einigen Gleichgesinnten gehalten hatte, auf derselben Straße hinaus, die in die Hacienda führte, und hielt an dem letzten Hause, das rechts am Wege lag und noch von der niederen, die Straße begrenzenden Lehmmauer umschlossen wurde. Er band aber sein Pferd nicht draußen an, wie das gewöhnlich Reisende tun, wenn sie an solchen sehr untergeordneten Schenklokalen einen Augenblick halten, um ein Glas Chicha zu trinken oder vielleicht noch ein paar Zigarren für den Weg zu kaufen – sondern er führte es durch das schon aus der oberen Angel gebrochene Holztor in den inneren Hofraum, um die Lehmhütte herum in einen ziemlich breiten und geräumigen Stall, wo schon vier andere Pferde eingestellt standen.

Die Hütte lag etwa zwanzig Schritt vom Weg ab im Hofraum, von ein paar Akazienbäumen halb beschattet, halb versteckt, aber mit einem Fenster nach Osten hinaus, um den dort breit in das wüste Land auslaufenden Weg übersehen zu können; zur Rechten zogen sich die nackten, wild eingerissenen Ausläufer der Cordilleren hin, die sich fast dicht an Lima hinstreckten und es mit ihren kahlen Höhenzügen überragten.

Das Lokal selber entsprach ganz seiner Umgebung. Es war in der Tat nichts weiter als eine notdürftig mit einer Art von Binsen gedeckte Lehmhütte, deren Dach eben nur Schatten gab und nachts den Tau abhielt. Da es dort nie regnete, war ja auch nicht mehr nötig. Selbst eine Tür fehlte im Hause, statt ihrer bildete ein alter, zerrissener und von Staub und Schmutz ordentlich farblos gewordener Baumwoll-Lappen eine Art von Vorhang. Vor dem Hause stand ein hölzernes Gestell mit einem langen Glaskasten darauf, in dem Zigarren, kleine, harte Brötchen und einige »dulces« lagen. Auch ein paar Gläser schon eingeschenkter roter Chicha aus Zuckerrohr (guarapo) befanden sich auf einem anderen kleinen Tisch, um von sehr durstigen Reisenden gleich ausgetrunken zu werden. Wahrscheinlich standen sie aber dort schon den ganzen Tag, und auf dem lauwarm gewordenen Gebräu hatte sich eine dünne Staubhaut gebildet, die nicht dazu diente, es appetitlicher zu machen.

Noch ungemütlicher als dieser Verkaufsstand sah das Innere der Hütte aus. Ein langer Tisch aus nur oben abgehobelten Brettern stand in der Mitte; feste Bänke waren darum her im Boden befestigt. In der einen Ecke und oben mit Stricken an einen Pfeiler gebunden, damit er nicht umfiel, lehnte auf drei Beinen ein alter Schrank, und in der anderen war ein mit einer Kuhhaut überspanntes Bettgestell, auf dem wahrscheinlich der Besitzer dieser »posada« nachts sein Lager hatte. Sonst ließ sich nichts weiter entdecken; nur im Hintergrunde lag aufgeschichtet ein Haufen schmutziger Blechteller und Löffel, jedenfalls noch von der letzten Mahlzeit her, den die »Frau« zu spülen noch nicht Zeit oder Lust gehabt hatte.

Die Frau vom Hause, die draußen in der angebauten Küche schlief, kochte, wohnte und aß, paßte auch in der Tat zu dem Ganzen. Ihre Gesichtszüge waren nicht häßlich, ja, sie mußte sogar einmal schön gewesen sein, denn selbst noch jetzt hatten die Augen ein eigentümliches Feuer und der kleine Mund, die feingeformten Hände und Füße sprachen von anderen Zeiten, aber in Schmutz und Nachlässigkeit war alles Schöne verloren gegangen. Jetzt hingen ihr die grau gewordenen Haare wirr und ungekämmt um den Kopf, ihre Kleider wetteiferten mit dem Türvorhang in Schmutz, und die »Mantille« oder das Halstuch, das sie sonst vielleicht kokett genug um die Stirn geschlagen hatte, so daß nur das linke feurige Auge dahinter vorfunkeln durfte, hatte lange, lange Jahre solchen Dienst nicht mehr gesehen und diente jetzt eigentlich mehr als Wischlappen und Taschentuch, als zu einem sonstigen Zweck.

Die alte »Trude« war ein trauriges Bild menschlicher Vergänglichkeit; möglich, daß sie früher einmal die Welt geliebt und sich darin wohlbefunden haben mochte; jetzt aber haßte sie die Menschen, haßte sie den Boden, der sie trug, haßte die Luft, die sie atmete, und wenn je einmal ein Lächeln über ihre Züge glitt, so hatte es auch gewiß einen furchtbaren Grund, und Elend und Verderben war vorhergegangen. Im ganzen verkehrte sie aber wenig mit den Menschen. Ihr Sohn, ein bijo del pais, hielt die Wirtschaft hier, und die Alte kauerte eigentlich den ganzen Tag in ihrer Küche, wo sie nur ein junges, etwa dreizehnjähriges Mädchen zur Hilfe hatte. Dann und wann nur kroch sie daraus hervor, kauerte sich in eine Ecke der Hütte auf eine dort liegende Matte und konnte dann halbe Tage lang vor sich niederstieren, ohne anscheinend zu hören und zu sehen, was um sie her vorging. Sie gab dann nie eine Antwort auf eine an sie gerichtete Frage.

So abgelegen der Ort aber auch schien und so dürftig in seinem ganzen Äußern, so mußte der Wirt, Pascual, wie er von seinen Bekannten genannt wurde, doch eine ziemlich ausgebreitete Bekanntschaft haben, denn Gäste kehrten den ganzen Tag ein, sprachen fast immer vertraulich mit dem Wirt und blieben auch gar nicht etwa so selten über Nacht, wo sie sich dann freilich ein Lager mit ihren eigenen Sätteln herrichten mußten, so gut das eben ging. Pascual hielt dabei auch – obgleich man derartige Getränke dort wahrlich nicht gesucht hätte – ganz vortreffliche Weine, vom feurigen Eliaswein, den das ganze Land erzeugte, bis zu französischen Bordeaux- und selbst Champagnerweinen, und viel häufiger, als man denken sollte, stand der schmutzige Holztisch voller Flaschen, und fröhliche Zecher saßen darum her. In solchen Fällen war aber noch eine wollene Decke vor die Tür gehängt, dieselbe, unter der Pascual des Nachts schlief; aber draußen auf der Holzbank standen, wie immer, die fast nie berührten, staubigen Gläser Chicha und warteten auf die Käufer – oder schreckten sie vielmehr ab.

Die Welt draußen erfuhr wenig von solchen Gelagen; trotzdem aber stand das Haus in keinem besonderen Ruf, wozu jedenfalls seine etwas verdächtige Lage viel beitragen mochte; denn gerade dort in der Gegend, wenn auch noch weiter in der Einöde drinnen und außer Sicht der Hütte, waren die meisten Mordtaten verübt worden. Freilich konnte man dem Wirt daran keine Schuld zuschreiben; er verließ selten oder nie sein Haus, und wenn nichtsnutziges Gesindel auch bei ihm aus- und einging – wie mochte er's hindern? Er hielt eine öffentliche Posada, und wer bei ihm trinken wollte, war willkommen – wenn er dafür bezahlen konnte.

Auch heute war, obgleich die Straße wie tot in der Sonne lag und kein einziges Pferd da draußen bei ihm angebunden stand, Pascuals Stube besetzt. Seine Gäste hatten aber, wie schon erwähnt, die Angewohnheit, ihre Pferde nicht draußen auf der Straße zu lassen – denn in Peru ist das Pferd immer weit eher bekannt als der Reiter. Sie nahmen sie mit herein in die schon zu diesem Zweck hergerichtete Stallung und konnten dann sicher sein, daß niemand zu ihnen ins Zimmer trat, der nicht auch wirklich zu ihnen gehörte; denn kein fremder Reisender würde sich je diese Spelunke zum Absteigequartier ausersehen haben. Niemand kümmerte sich aber auch deshalb drum, wenn sie draußen die Schritte eines Pferdes hörten, und Señor Corona konnte auch heute sein Tier ungestört einstellen, wie er es schon oft getan hatte.

Als er das Zimmer oder vielmehr das Haus betrat – denn das ganze Gebäude schloß nur das eine Gemach in sich –, fand er schon den Tisch von vier Gästen besetzt, während der Wirt, das linke Bein heraufgezogen, auf seinem Bettgestell mehr lag als saß und nur manchmal durch ein eingeworfenes Wort teil an der Unterhaltung nahm.

Die Gäste bestanden übrigens, was sich nicht leugnen ließ, aus sehr gemischten Elementen, und zwar nicht allein in gesellschaftlicher Beziehung, nein, sogar in der Farbe. Die meisten nannten allerdings, in größerer oder geringerer Entfernung, »Afrika ihr Heimatland«; aber auch ein weißer Caballero, dessen Kleidung verriet, daß er den besseren Klassen zugehöre, saß zwischen ihnen, und wenn er auch eine gewisse Autorität über die anderen ausüben mochte, räumte er ihnen doch hier jedenfalls volle gesellschaftliche Berechtigung ein; zwei der anderen hatten ganz entschieden Negerblut in den Adern, der dritte aber war ein sogenannter Cholo, ein Wort von sehr ungewisser Bedeutung, das allerdings jedesmal Indianerblut voraussetzt, alle anderen Rassen aber ebensogut dabei ahnen läßt.

Cholos gab es selbst unter den reichsten Familien, und auch dieser junge Bursche schien von den alten Eingeborenen abzustammen. Aber seine Züge sahen verlebt aus; die Augen lagen tief im Kopfe und suchten unruhig und scheu umher, und seine Rede war mit den gemeinsten Flüchen gemischt, in denen das spanische Element in Südamerika wirklich Außerordentliches leistet.

»Corona, beim Teufel«, rief der Weiße, der den linken Ellbogen weit über den Tisch hinausgestreckt hatte, während sein Kopf in der Hand und sein rechtes Bein auf der Bank ruhte, ohne seine ungenierte Stellung im mindesten zu verändern – »welcher Wind hat dich denn noch hier herausgeblasen, oder hast du etwa gar was aufgespürt?«

»Heute nichts«, sagte der Mulatte, indem er die Gesellschaft nachlässig grüßte und seinen Stammesgenossen, die aufgestanden und zu ihm getreten waren, herablassend die Hand schüttelte; »aber hatten wir uns denn nicht fest verabredet, heute hier zusammenzutreffen, um zu bereden, was etwa vorgefallen sein könnte? Sie selber Señor Perteña, machten, so viel ich weiß, den Vorschlag.«

»Ah, ganz recht«, sagte Perteña, unser alter Bekannter, gleichgültig; »ich hatte gar nicht mehr daran gedacht und bin heute wirklich nur zufällig herausgekommen. Ich fürchte aber, die Straße wird für die nächste Zeit leer bleiben, denn von den wenigen eingetroffenen Fremden beabsichtigt keiner, das innere Land zu bereisen. Ich habe wenigstens nichts darüber erfahren können. War vielleicht einer der anderen Herren glücklicher?«

»Der englische Konsul will übermorgen nach Cerro de Pasco reiten und nimmt nur einen einzigen Bedienten mit«, sagte einer der Mulatten; »beide tragen allerdings Doppelgewehre, aber immer im Futteral. Ein paar hundert Dollars führt er jedenfalls bei sich.«

»Das ist nichts«, sagte Perteña, den Kopf schüttelnd; »mit dem englischen Konsul dürfen wir nichts anfangen, das gäbe nachher einen Heidenlärm.«

»Heute ist eine ganze Gesellschaft, mit ein paar Damen dabei, hier vorbeigeritten«, sagte der Wirt.

»Ja, ich weiß«, erwiderte der Weiße; »die französische Schauspielerin ist dabei; sie werden heute abend wieder zurückkommen – nur eine Vergnügungsfahrt. Aber weiß einer von euch, wo die Señorita jetzt wohnt?«

»In der Calle de Valladolid«, sagte der Mulatte, der vorher gesprochen hatte.

»Bist du in dem Haus bekannt, Scipio?«

»Bekannt gerade nicht; meine Schwester bringt aber dort immer Butter und Eier zu dem alten Franzosen.«

»So«, sagte Perteña, sich nach ihm hinüberdrehend, »könntest du deiner Schwester nicht einmal die Arbeit ein paar Tage abnehmen und die Augen dabei ordentlich offen halten?«

»Hm, das ginge schon. Ist es der Mühe wert?«

»Ich denke, ja; aber wir dürfen dann nicht viel Zeit versäumen.«

»Das kann in zwei oder drei Tagen geschehen sein«, sagte Scipio.

»Was hat denn Corona nur heute?« wunderte sich der Wirt, der sich den Mulatten indessen mit einem halb spöttischen Lächeln betrachtet hatte; »er zieht ein so verzweifelt wichtiges Gesicht, als ob ihn Seine Exzellenz zum Finanzminister machen wollte und er noch nicht ganz genau wüßte, ob er es annehmen solle oder nicht.«

»Gebt lieber einmal ein paar Flaschen Wein herein, José, das ist gescheiter«, sagte Corona, indem er sich zum Tisch setzte; »mir ist der Hals trocken vom vielen Sprechen, und daß ich mehr im Kopf habe als Ihr, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Ja, Stroh!« lachte der Wirt, indem er aufstand, um das Verlangte herbeizuschaffen. »Für das, was Ihr im Kopf habt, Corona, geb' ich Euch verdammt wenig; die Hauptsache ist, was Ihr in den Taschen tragt, denn da sieht's gewöhnlich noch windiger aus als oben.«

Noch während der Wirt sprach, kam die alte Frau herein, humpelte in die Ecke auf ihren gewöhnlichen Platz und hockte dort nieder, ohne daß sie gegrüßt ober irgendeiner Notiz von ihr genommen hätte. Man war schon daran gewöhnt, sie dort sitzen zu sehen, und ob sie hörte, was gesprochen wurde, blieb sich auch gleich. Es war nicht zu fürchten, daß sie etwas ausplaudern würde.

Corona hatte auch nur einen flüchtigen, gleichgültigen Blick auf die Gestalt der Alten geworfen und erwiderte dann auf die Bemerkung des Wirts:

»Ihr spottet mit dem Finanzminister, Pascual, aber es ist noch nicht aller Tage Abend, und meiner Mutter Sohn hat vielleicht genau so viel und noch mehr Aussichten dazu, als mancher Señor von weißem Blut, der jetzt die Nase am Hutrand trägt.«

Perteña drehte den Kopf etwas nach dem Sprecher herum und sah ihn mit einem halb lächelnden, halb verächtlichen Blick an.

»Heda, Corona«, sagte er dabei, »habt Ihr wirklich Aussichten, daß Castilla Eure Fähigkeiten im Geldausgeben anerkannt haben sollte? Beim Himmel, da wäre uns allen hier gleich mit einemmal geholfen, wenn wir einen peruanischen Finanzminister mit seinen zwanzig Millionen Guanoeinnahmen zum Bundesgenossen hätten!«

»Muß es gerade ein peruanischer sein?« fragte der Mulatte. »Verdammt! – Castilla, wer weiß, wie lange der überhaupt noch Gewalt hat, mit unserer sogenannten Republik zu machen, was er will!«

Perteña wurde aufmerksam, nahm sein Bein von der Bank herunter und richtete sich etwas auf; der Wirt kam auch eben mit dem verlangten Wein und mit Gläsern.

»Aber Ihr solltet ihm doch eigentlich dankbar sein«, sagte er, »den wem verdankt Ihr, daß Eure Rasse von der Sklaverei befreit wurde und frei im Lande wirtschaften darf, wie sie will?«

»Hat er das etwa unsertwegen getan?« höhnte Corona. »So lange wir einem Herrn gehörten, hatte er keine Gewalt über uns und mußte uns ungeschoren lassen; jetzt aber, da er uns freigemacht hat, kann er unter seine Soldaten stecken, wen er will, und steckt auch drunter, wen er will! Nur vom Arbeiten sind die Sklaven erlöst worden und dürfen sich jetzt von seiner Exzellenz da- und dorthin zum Erschießen kommandieren lassen!«

»Bah, so viel für Euer Totschießen!« sagte Perteña verächtlich. »Wo hat er denn Krieg? Ja, er tut so, aber er schlägt nirgends los, und seit der Geschichte in Guayaquil hat keiner von allen seinen Soldaten Pulver gerochen! Seine Politik ist, die Nachbarstaaten in Revolution zu halten, und so lange die sich auf die Köpfe schlagen, haben wir Frieden! Nur jetzt erst, da sie sich in Ecuador freigemacht haben, könnte es uns hier vielleicht an Beschäftigung fehlen!«

»Freigemacht«, sagte Corona verächtlich; »auf wie lange? Glaubt Ihr, daß Präsident Granero seine Ansprüche aufgibt?«

»Hm«, sagte Pertea, und ein leises Lächeln zuckte um seine Lippen, »liegt dort vielleicht der Finanzminister im Pfeffer und darf man gratulieren, Señor Corona? In der Stadt munkelt man so schon davon, daß dort eine Masse von verkappten Ministern und General-Feldmarschällen herumliefen, die alle auf Ecuador vertröstet sein sollen. Ich fürchte nur, es wird an gemeinen Soldaten fehlen.«

»Wozu haben wir die Soldaten hier, wenn wir sie nicht benutzen sollen?« sagte Corona wegwerfend.

»Castilla hat mehr Verstand, als daß er sie noch einmal diesem Dummkopf von Granero zur Verfügung stellte«, mischte sich jetzt auch der Wirt ins Gespräch; »der hat ihn einmal hineingeritten, und unser ›AIter‹ ist nicht der Mann, sich zweimal von einem solchen Patron anführen zu lassen!«

»Unser Alter!« höhnte Corona – »wie lange wird er noch unser Alter sein?«

»Hör' mich an«, sagte Perteña, der den Mulattenstutzer trotz seiner eleganten Kleidung doch sehr verächtlich behandelte, »ich will dir einmal etwas sagen. Wie mir scheint, hast du deinen allerdings sehr schön frisierten, aber sonst etwas unfruchtbaren Kopf voll von einer Menge sehr gefährlicher Ideen, die nun allerdings keine weitere Beachtung verdienten, wenn sie dich allein angingen; aber die Möglichkeit wäre denn doch da, daß du uns auch in eine von deinen unangenehmen Geschichten hineinrittest, und dagegen möchte ich mich von vornherein verwahrt haben, denn das ist gegen die Abrede.«

»Señor scheinen mir keinen Überfluß von Mut zu haben«, sagte Corona selbstbewußt.

»Das käme auf einen Versuch an, Compañero«, lautete die Antwort; »aber mit dem Alten möchte ich allerdings nicht in seiner eigenen Höhle – und das ist ganz Peru – anbinden, wenn ich nicht eine ganz besondere Sehnsucht nach ein paar Ellen Hanfseil hätte. Das ist ein alter Bär, und wo er hinschlägt, wächst kein Gras mehr.«

»Würden Sie sich auch vor einem toten Bären fürchten?« fragte Conora höhnisch.

Perteña schwieg und sah den Mulatten scharf und forschend an. So wenig Verstand und selbst Mut er diesem Burschen auch zutraute, so steckte hinter seinen Reden doch mehr. War irgend etwas im Werke gegen den Präsidenten – und wenn so, konnte er selber Nutzen daraus ziehen? Jedenfalls mußte er es herausbekommen, ohne dabei zu viele Teilnehmer des Geheimnisses zu haben. Nachher stand es ja noch immer in seiner Macht, was er tun oder lassen wollte.

»Der ist zäh«, bemerkte jetzt der Cholo kopfschüttelnd, »und Menschenleben sind billig bei ihm. In den anderen Republiken mag's schon gehen, daß sie so einen Präsidenten absetzen, wenn er ihnen nicht mehr gefällt, ohne daß es viel mehr kostet als ein paar zerbrochene Fensterscheiben; aber hier ginge die Sache nicht ohne Blut ab, und noch dazu viel Blut, wer das daran wagen wollte.«

»Blut, ja, viel Blut«, murmelte die Alte vor sich hin, »und wie das gut riecht, wenn es einem so warm in die Nase kommt! Trinkt nur, trinkt – jetzt habt ihr noch eine kurze Spanne Zeit – wie bald ist's aus, und was dann so rot um euch her in der Sonne blinkt, ist nicht Wein, das ist Blut, Blut, Blut!«

»Was krächzt die Alte da wieder?« rief Señor Corona, indem er einen scheuen Blick hinüber warf, »Ihr solltet ein wenig vorsichtiger sein, Mutter!«

»Laßt sie gehen«, sagte der Wirt leise; »sie hört schon von selber wieder auf, wenn niemand auf sie achtet.«

»Blut, Blut«, murmelte die Alte noch einmal zwischen den Zähnen, »und da draußen kommt noch einer, der dazu gehört! Sonderbar, daß es sich nicht wegwaschen läßt und immer wieder durchschimmert, rot und glänzend, als ob es gerade frisch vergossen wäre!«

Draußen wurde allerdings ein Schritt laut, aber der Reiter hatte, als ob er den Besuch hier nicht scheue, sein Pferd an einen der Ringe in der Lehmmauer angehangen, schob jetzt den Vorhang zurück, warf einen raschen, forschenden Blick über die Zechenden.

»Pedro«, lachte der Wirt; »wie die Geier herbeigestrichen kommen, wenn irgendwo ein Aas liegt, so sicher tritt der Junge in die Tür, wenn eine Flasche Wein auf dem Tisch steht!«

»Guten Tag, Onkel«, sagte der Neffe finster, indem er nur einen Blick mit Perteña wechselte und dann ebenfalls, ohne weiteren Gruß, an dem Tisch Platz nahm, »glaubt aber ja nicht«, fuhr er dann fort, »daß mich Euer saurer Wein hier hereingelockt hat! Gebt mir lieber ein Glas aguardiente, denn der Staub hat mir die Kehle ordentlich ausgedörrt.«

»Hast du Geld?« fragte der Onkel, ohne auf die Verwandtschaft besondere Rücksicht zu nehmen.

»Ihr wißt, daß ich ohne Geld nicht zu Euch komme«, brummte der Cholo, indem er eine kleine Silbermünze auf den Tisch warf.

»Gescheit«, lachte der Onkel, indem er das verlangte Glas aus einem Steinkrug füllte und auf den Tisch setzte; »und wie geht's zu Hause?«

Pedro schien es aber nicht der Mühe wert zu halten, auf die Frage zu antworten. Er nahm das Glas, hob es gegen das Licht, roch daran und leerte das starke Getränk dann auf einen Zug, ohne eine Miene dabei zu verziehen.

Die beiden Mulatten waren indessen näher zu Corona gerückt und sprachen leise auf ihn ein. Wenn es aber ihre Absicht gewesen war, Näheres über dessen Pläne zu erfahren, so sollten sie sich darin getäuscht sehen, denn Corona war viel zu vorsichtig, mehr zu verraten, als er wirklich wußte. Granero hatte ihn auch nie mit seinen Plänen gegen Castilla bekannt gemacht, sondern immer nur höchstens angedeutet, daß die jetzige Regierung als ihrem Unternehmen eben nicht freundlich gesinnt betrachtet werden konnte, und wenn er dann selber weiter politisierte, so waren das nur seine eigenen Phantasien. Er hoffte wirklich, Finanzminister in Guayaquil zu werden; Granero, dem das Land ja doch gehörte, hatte ihm das fest versprochen. Jeder, der ihn also oder den Expräsidenten an ihren Plänen verhindern wollte, stand seinem Glück im Wege und verdiente den Tod.

Nichtsdestoweniger warb er die beiden Burschen mit Leichtigkeit zu der beabsichtigten Expedition nach Ecuador an. Der Sieg war gewiß; geplündert sollte Guayaquil auch werden – also welcher besseren Unternehmung hätten sich ein paar solche liederliche Vagabunden anschließen können? Sie sagten also augenblicklich zu und brannten nur darauf, sich anwerben zu lassen, um das Handgeld gleich ausgezahlt zu bekommen.

Perteña war indessen langsam vom Tisch aufgestanden und hinaus vor die Tür gegangen. Er schritt langsam dem Stall zu, als ob er nach seinem Pferd sehen wollte. Pedro, der Cholo, blieb noch ein paar Minuten sitzen und sah still vor sich nieder; endlich folgte er dem vorangegangenen Weißen, der ihn innerhalb der Stalltür erwartete.

»Weshalb seid Ihr nicht einen Augenblick zu uns hereingekommen?« fragte Pedro hier, sobald er sich mit Perteña allein sah. »Meine Mutter wollte Euch sprechen.«

»Je weniger wir öffentlich zusammenkommen, desto besser«, erwiderte finster Perteña, »was will sie?«

»Der junge Aguila ist wieder herausgekommen«, sagte Pedro.

»Ich weiß es«, erwiderte der Peruaner kurz, »und was weiter?«

»Er hat gestern den ganzen Abend, bis nachts zwölf Uhr, mit dem Franzosen in alten Papieren herumgesucht, und sie haben beide lebhaft miteinander gesprochen.«

»Woher weißt du das?« fragte Perteña. »Dich haben sie doch nicht dazu geladen?«

»Nein, aber von dem großen Orangenbaum aus, der dem Haus des Franzosen gegenüber steht, kann man in sein Fenster hineinsehen, wenn Licht darin ist.«

»Kann man in der Tat?« fragte Perteña rasch – »und wie weit ist's etwa hinüber?«

»Abgeschritten höchstens vierzig Schritt.«

»Nicht mehr?«

»Eher weniger; man kann sogar, wenn sie einmal recht laut sprechen, einzelne Worte verstehen.«

Perteña antwortete nicht. Er sah nach seiner Uhr und machte eine Bewegung, als ob er den Stall verlassen wollte; aber er drehte sich wieder um, ging zu seinem Pferd und zäumte es auf.

»Wollen Sie fort?«

»Ja, nach Lima. Kehrst du von hier nach Haus zurück?«

»Ich bin nur hierher gekommen, um Sie zu finden. Meine Mutter ängstigt sich über den Fremden. Es hieß einmal, daß er tot wäre, und nun ist er wieder da; das bedeutet nie etwas Gutes. Wir wissen nicht, was er hier will.«

»Deine Mutter sollte gescheiter sein«, sagte Perteña finster, »als den jungen Laffen zu fürchten. Was kann er tun? Und wenn er noch einen Monat lang mit dem Franzosen die Papiere durchstudiert, er wird weiter nichts darin finden, als alte Rechnungen und Quittungen und gleichgültige Notizen; sag' ihr das. Er war doch nicht wieder bei euch drüben?«

»Nein.«

»Gut denn; morgen ganz früh komme ich nach der Hacienda hinaus. Sei um acht Uhr am Fluß, an unserem alten Platz; ich habe dir vielleicht etwas zu sagen.«

»Gut.«

»Und noch eins – spioniere nicht wieder, wenigstens nicht in der nächsten Zeit, um des Franzosen Haus herum. Du könntest einmal gesehen werden, und das müßte Verdacht erregen.«

»Oh, dort hinüber kann niemand kommen«, sagte Pedro; »von unserem Hause ab krieche ich zwischen den dichten Büschen an der Umzäunung hinauf und sitze da oben so sicher, als ob ich in meinem Bett läge.«

»Gut, es mag sein«, sagte Perteña; »doch noch eins – wird der Bursche längere Zeit dort draußen bleiben?«

»Ich weiß es nicht, aber er hat eine Satteltasche voll Wäsche und frischer Kleider mitgebracht. Von dem Jungen, der im Hause aufwartet, habe ich das erfahren.«

»Gut, das bleibt sich gleich. Versprich mir aber, daß du, so lange er jetzt oben ist, den Baum nicht wieder besteigen und dich auch aus der Nähe des Hauses fernhalten willst.«

Pedro schüttelte den Kopf; er konnte sich gar nicht denken, welche Absicht der Weiße haben sollte, ihn daran zu verhindern. War es denn nicht möglich, daß er gerade dadurch etwas Wichtiges erfuhr? Aber gewohnt, den Befehlen und Anordnungen Perteñas stets zu gehorchen, sagte er endlich zögernd:

»Meinetwegen, ich habe nichts dagegen, aber schaden könnt's gewiß nichts, denn sehen kann mich niemand, davor bin ich sicher. Nicht einmal die Hunde haben mich gestern abend gewittert, und die Bestien machen sonst immer gleich einen Höllenlärm, wenn ich nur draußen an dem Tor vorbeigehe.«

»Es ist gut; also es bleibt dabei. Kümmere dich gar nicht um den Fremden, er ist völlig gefahrlos, und sage das auch deiner Mutter. Weißt du, wann der Besuch zurückkommen wird?«

»Bei dem die Damen waren? Oh, die können noch lange nicht hier sein, denn als ich fort ritt, galoppierten sie erst noch auf der Straße nach Macas hinaus! Noch eins – dieser Aguila hat auch einen Streit mit Señor Desterres Aufseher gehabt, der nicht leiden wollte, daß er sich mit den neuen Kulis unterhielt.«

»So? Das ist gleichgültig; wie gesagt, kümmere dich nicht um derlei Dinge, es soll dein Schaden nicht sein«, und sein Pferd am Zügel nehmend, führte er es an das Haus und schob dort noch einmal den Vorhang zurück.

»Hallo, wollt Ihr fort, Señor?« rief der Wirt.

»Ja«, lautete die kurze Antwort; »ich muß nach Lima. Also, Scipio, vergiß nicht, was ich dir aufgetragen habe. Heute über acht Tage spätestens erwarte ich einen ganz getreuen Bericht.«

»Können sich auf mich verlassen, Señor . . .«

Perteña drehte sich ab, führte, ohne einen Gruß für die Gesellschaft nötig zu halten, sein Pferd dem Tore zu, und trat, das Tier noch immer am Zügel haltend, auf die Straße hinaus, wo er den Blick nach rechts und links warf. Aber nach keiner Richtung hin war ein menschliches Wesen zu erspähen; die weite Strecke Weges, die man von hier aus überblicken konnte, lag öde und einsam, und damit, wie es schien, vollkommen befriedigt, zog er sein Pferd vollends auf die Straße, stieg in den Sattel und sprengte dann die glatte, ebene Bahn entlang, Lima entgegen.

 


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